Jürgen Liminski: Das Sozialsystem in der Republik ist wieder in der Diskussion. Heute treffen die Arbeits- und Sozialminister der Länder in Berlin zusammen, um über eine Reform von Hartz IV zu beraten. Die Preissteigerungen haben die Frage aufgeworfen, ob bei den Energiekosten Sozialtarife eingeführt werden sollen, oder auch bei den Krankenkassenbeiträgen wird herumgedoktert. Ist das nicht alles nur Kurieren an Symptomen? Braucht Deutschland eine grundlegende Sozialreform? Zu dieser Frage begrüße ich den Ministerpräsidenten des Freistaats Thüringen Dieter Althaus. Guten Morgen!
Dieter Althaus: Guten Morgen, Herr Liminski.
Liminski: Herr Althaus, die Preissteigerungen machen vor allem Niedrigverdienern und Sozialhilfeempfängern arg zu schaffen. Die Kanzlerin hat ein Ansinnen der EU, Sozialtarife bei Energiekosten einzuführen, als unnötig abgelehnt. Wie kann man diesen Gruppen der Bevölkerung unter die Arme greifen?
Althaus: Zum einen müssen wir bei der Energie dafür sorgen, dass durch einen vernünftigen Energiemix, durch Energie sparen und durch eine sozusagen in sich geschlossene Energiepolitik die Preisentlastung geschehen kann. Zum zweiten ist es sicher richtig, das Kindergeld zu erhöhen - das ist angekündigt -, weil es die Familien entlastet, auch die Familien im Hartz IV. Und drittens denke ich müssen wir in den nächsten Jahren über grundlegende Reformen nachdenken, wie man die Verbindung von Arbeitsmarkt und existenzieller Sicherung noch verstärkt. Im Moment ist beim Thema "Fordern und Fördern" kein ausreichender Zugang zum Arbeitsmarkt vorhanden.
Liminski: Dazu kommen wir gleich. Vielleicht noch die Frage mit den Krankenkassenbeiträgen. Auch da wird herumgedoktert. Finanzminister Steinbrück hat Steuererhöhungen für Besserverdiener angedeutet, weil die durch die Neuregelung der Beiträge stärker entlastet würden. Würden Sie Steinbrück da zustimmen? So etwas muss ja vermutlich auch durch den Bundesrat.
Althaus: Im Moment sehe ich keinen Spielraum für Steuererhöhungen und auch keine Notwendigkeit. Gerade die Hochverdiener wurden unter rot/grün ja zweimal entlastet. Eine Entlastung ist jetzt schon wieder aufgehoben worden. Wir brauchen auch die Leistungsträger in unserer Gesellschaft, die mehr verdienen. Sie tragen erheblich zum Steueraufkommen bei. Das wäre sozusagen nur Wasser auf die Neidmühle in Deutschland.
Liminski: Es herrscht ziemliche Ratlosigkeit unter den Arbeits- und Sozialministern, die sich heute in Berlin treffen, um Hartz IV in einem wesentlichen Teilbereich zu reformieren, ja reformieren müssen, denn die jetzige Konstellation der Job-Center ist verfassungswidrig und jeder zweite Bescheid wird von den Sozialgerichten auch verworfen. Sehen Sie eine Möglichkeit, die Kompetenzen zwischen Kommunen und Bund bei Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe auseinanderzuhalten?
Althaus: Ich denke die Zusammenführung war richtig und das hat sich auch in Thüringen an vielen Stellen bewährt. Ich halte auch viel davon, dass wir dauerhaft mehr Möglichkeiten in den Kommunen wahrnehmen, denn dort ist die Nähe zum Arbeitsmarkt und auch die Nähe zu den Menschen am größten. Ich hoffe sehr, dass es dort einen Kompromiss gibt, dass also die Kommunen stärkere Zuständigkeit erhalten und sie auch vom Bund bekommen.
Liminski: Sie machen sich für eine grundlegende Reform des Sozialsystems stark, Herr Althaus, genannt das "Bürgergeld". Der Einwand lautet natürlich "unbezahlbar". Überheben wir uns nicht mit solch einer Reform, oder ist sie notwendig?
Althaus: Wir haben beim CDU-Bundesvorstand eine Kommission gebildet, die auch gerade die Frage der Finanzierbarkeit untersucht. Ich habe mehrere wissenschaftliche Forschungsinstitute mit dabei. Wir werden sicher im Ergebnis auch eine Vorlage haben, bei der klar ist, wie ein solches solidarisches Bürgergeld eingeführt werden kann und auch wie es finanziert werden kann.
Liminski: Können Sie noch mal Ihr Konzept ganz kurz erläutern?
Althaus: Jeder Erwachsene bekommt 600 Euro existenzielle Sicherung, zum anderen 200 Euro, die er als Gesundheits- und Pflegeprämie einzusetzen hat. Die Kinder bekommen 300 Euro und dazu die 200 Euro für Gesundheit und Pflege. Damit bestehen keinerlei Restriktionen mehr, sondern der Zugang zum Arbeitsmarkt ist für alle offen, aber es bestehen keine großen Transferentzüge mehr. Bis 1.600 Euro würde jemand 50 Prozent Steuern, eine so genannte Negativsteuer zahlen, und darüber hinaus würde er alle weiteren Gelder für sich behalten können. Es steht also auch nicht mehr das Thema des Schonvermögens. Ich glaube damit würde Fördern und Fordern deutlich besser umzusetzen sein und auch das ganze System sehr entbürokratisiert.
Liminski: Ein prominenter Befürworter des Bürgergeldes ist der Unternehmer Götz Werner, Chef der Drogeriekette DM. Er will es über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer finanzieren, aber das träfe ja vor allem die Familien. Was halten Sie von dieser Idee?
Althaus: Im Moment denke ich ist das nicht umsetzbar. Man müsste ja dann die direkten Steuern deutlich senken, in einigen Bereichen sogar abschaffen. Das sieht auch das Konzept Götz Werner langfristig vor. Natürlich würde es bei den Importen zu deutlich günstigerer Bewirtschaftung auf dem deutschen Markt kommen, aber das ist ein grundlegender Steuerwechsel. Ich sehe es mehr in der Möglichkeit wie wir es haben, also Negativsteuer 50 Prozent, über 1.600 Euro dann 25 Prozent. Das ist auch umsetzbar und ich denke wir werden auch nachweisen, dass es finanzierbar ist.
Liminski: Löst Ihr Konzept das Problem mit den Job-Centern?
Althaus: An drei Stellen löst es Probleme. Zum einen Zugang zum Arbeitsmarkt. Also auch die Frage Job-Center wird anders beantwortet werden können. Zum zweiten löst es unsere Steuerproblematik. Wir haben ein einfaches transparentes Steuerrecht. Und drittens würde es auch die sozialen Sicherungssysteme im 21. Jahrhundert reformieren. Gesundheit und Pflege wäre auch entsprechend gesichert und Arbeitslosenversicherung und Rentenversicherung wären nicht mehr nötig. Damit wären auch die Nettoeinkommen der Menschen deutlich höher.
Liminski: Ist Ihr Konzept auch demographiefest?
Althaus: Es reizt auch gerade an, mehr zu tun für Familien: deutlich höheres Kindergeld, 300 Euro im Durchschnitt. Und zweitens bevorteilt es natürlich insgesamt auch die Lebensgemeinschaft Familie und das ist ja wichtig, dass wir die Familienpolitik stärken.
Liminski: Momentan ist keine politische Mehrheit für dieses Konzept, für das Bürgergeld, auszumachen. Würden Sie es, wenn Sie nächstes Jahr in Thüringen wiedergewählt würden, dann auf Landesebene einführen?
Althaus: Wir sind auch da mit einer Gruppe in dieser Kommission tätig: wie kann man es rechtlich umsetzen? Gibt es zum Beispiel sektorale Lösungen wie in einem Land? Oder gibt es vielleicht Gruppen, für die man es einführen kann, eben zum Beispiel die so genannten Hartz-IV-Empfänger? Ich wäre sehr dafür, dass wir diese Kommissionsarbeit erst ordentlich beenden - das wird noch etwa eineinhalb Jahre dauern – und dann aus den entsprechenden Ergebnissen die Konsequenzen ziehen.
Liminski: Für eine grundlegende Reform der Sozialsysteme. Das war hier im Deutschlandfunk Dieter Althaus, Ministerpräsident im Freistaat Thüringen. Besten Dank für das Gespräch, Herr Althaus.
Althaus: Vielen Dank!
Dieter Althaus: Guten Morgen, Herr Liminski.
Liminski: Herr Althaus, die Preissteigerungen machen vor allem Niedrigverdienern und Sozialhilfeempfängern arg zu schaffen. Die Kanzlerin hat ein Ansinnen der EU, Sozialtarife bei Energiekosten einzuführen, als unnötig abgelehnt. Wie kann man diesen Gruppen der Bevölkerung unter die Arme greifen?
Althaus: Zum einen müssen wir bei der Energie dafür sorgen, dass durch einen vernünftigen Energiemix, durch Energie sparen und durch eine sozusagen in sich geschlossene Energiepolitik die Preisentlastung geschehen kann. Zum zweiten ist es sicher richtig, das Kindergeld zu erhöhen - das ist angekündigt -, weil es die Familien entlastet, auch die Familien im Hartz IV. Und drittens denke ich müssen wir in den nächsten Jahren über grundlegende Reformen nachdenken, wie man die Verbindung von Arbeitsmarkt und existenzieller Sicherung noch verstärkt. Im Moment ist beim Thema "Fordern und Fördern" kein ausreichender Zugang zum Arbeitsmarkt vorhanden.
Liminski: Dazu kommen wir gleich. Vielleicht noch die Frage mit den Krankenkassenbeiträgen. Auch da wird herumgedoktert. Finanzminister Steinbrück hat Steuererhöhungen für Besserverdiener angedeutet, weil die durch die Neuregelung der Beiträge stärker entlastet würden. Würden Sie Steinbrück da zustimmen? So etwas muss ja vermutlich auch durch den Bundesrat.
Althaus: Im Moment sehe ich keinen Spielraum für Steuererhöhungen und auch keine Notwendigkeit. Gerade die Hochverdiener wurden unter rot/grün ja zweimal entlastet. Eine Entlastung ist jetzt schon wieder aufgehoben worden. Wir brauchen auch die Leistungsträger in unserer Gesellschaft, die mehr verdienen. Sie tragen erheblich zum Steueraufkommen bei. Das wäre sozusagen nur Wasser auf die Neidmühle in Deutschland.
Liminski: Es herrscht ziemliche Ratlosigkeit unter den Arbeits- und Sozialministern, die sich heute in Berlin treffen, um Hartz IV in einem wesentlichen Teilbereich zu reformieren, ja reformieren müssen, denn die jetzige Konstellation der Job-Center ist verfassungswidrig und jeder zweite Bescheid wird von den Sozialgerichten auch verworfen. Sehen Sie eine Möglichkeit, die Kompetenzen zwischen Kommunen und Bund bei Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe auseinanderzuhalten?
Althaus: Ich denke die Zusammenführung war richtig und das hat sich auch in Thüringen an vielen Stellen bewährt. Ich halte auch viel davon, dass wir dauerhaft mehr Möglichkeiten in den Kommunen wahrnehmen, denn dort ist die Nähe zum Arbeitsmarkt und auch die Nähe zu den Menschen am größten. Ich hoffe sehr, dass es dort einen Kompromiss gibt, dass also die Kommunen stärkere Zuständigkeit erhalten und sie auch vom Bund bekommen.
Liminski: Sie machen sich für eine grundlegende Reform des Sozialsystems stark, Herr Althaus, genannt das "Bürgergeld". Der Einwand lautet natürlich "unbezahlbar". Überheben wir uns nicht mit solch einer Reform, oder ist sie notwendig?
Althaus: Wir haben beim CDU-Bundesvorstand eine Kommission gebildet, die auch gerade die Frage der Finanzierbarkeit untersucht. Ich habe mehrere wissenschaftliche Forschungsinstitute mit dabei. Wir werden sicher im Ergebnis auch eine Vorlage haben, bei der klar ist, wie ein solches solidarisches Bürgergeld eingeführt werden kann und auch wie es finanziert werden kann.
Liminski: Können Sie noch mal Ihr Konzept ganz kurz erläutern?
Althaus: Jeder Erwachsene bekommt 600 Euro existenzielle Sicherung, zum anderen 200 Euro, die er als Gesundheits- und Pflegeprämie einzusetzen hat. Die Kinder bekommen 300 Euro und dazu die 200 Euro für Gesundheit und Pflege. Damit bestehen keinerlei Restriktionen mehr, sondern der Zugang zum Arbeitsmarkt ist für alle offen, aber es bestehen keine großen Transferentzüge mehr. Bis 1.600 Euro würde jemand 50 Prozent Steuern, eine so genannte Negativsteuer zahlen, und darüber hinaus würde er alle weiteren Gelder für sich behalten können. Es steht also auch nicht mehr das Thema des Schonvermögens. Ich glaube damit würde Fördern und Fordern deutlich besser umzusetzen sein und auch das ganze System sehr entbürokratisiert.
Liminski: Ein prominenter Befürworter des Bürgergeldes ist der Unternehmer Götz Werner, Chef der Drogeriekette DM. Er will es über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer finanzieren, aber das träfe ja vor allem die Familien. Was halten Sie von dieser Idee?
Althaus: Im Moment denke ich ist das nicht umsetzbar. Man müsste ja dann die direkten Steuern deutlich senken, in einigen Bereichen sogar abschaffen. Das sieht auch das Konzept Götz Werner langfristig vor. Natürlich würde es bei den Importen zu deutlich günstigerer Bewirtschaftung auf dem deutschen Markt kommen, aber das ist ein grundlegender Steuerwechsel. Ich sehe es mehr in der Möglichkeit wie wir es haben, also Negativsteuer 50 Prozent, über 1.600 Euro dann 25 Prozent. Das ist auch umsetzbar und ich denke wir werden auch nachweisen, dass es finanzierbar ist.
Liminski: Löst Ihr Konzept das Problem mit den Job-Centern?
Althaus: An drei Stellen löst es Probleme. Zum einen Zugang zum Arbeitsmarkt. Also auch die Frage Job-Center wird anders beantwortet werden können. Zum zweiten löst es unsere Steuerproblematik. Wir haben ein einfaches transparentes Steuerrecht. Und drittens würde es auch die sozialen Sicherungssysteme im 21. Jahrhundert reformieren. Gesundheit und Pflege wäre auch entsprechend gesichert und Arbeitslosenversicherung und Rentenversicherung wären nicht mehr nötig. Damit wären auch die Nettoeinkommen der Menschen deutlich höher.
Liminski: Ist Ihr Konzept auch demographiefest?
Althaus: Es reizt auch gerade an, mehr zu tun für Familien: deutlich höheres Kindergeld, 300 Euro im Durchschnitt. Und zweitens bevorteilt es natürlich insgesamt auch die Lebensgemeinschaft Familie und das ist ja wichtig, dass wir die Familienpolitik stärken.
Liminski: Momentan ist keine politische Mehrheit für dieses Konzept, für das Bürgergeld, auszumachen. Würden Sie es, wenn Sie nächstes Jahr in Thüringen wiedergewählt würden, dann auf Landesebene einführen?
Althaus: Wir sind auch da mit einer Gruppe in dieser Kommission tätig: wie kann man es rechtlich umsetzen? Gibt es zum Beispiel sektorale Lösungen wie in einem Land? Oder gibt es vielleicht Gruppen, für die man es einführen kann, eben zum Beispiel die so genannten Hartz-IV-Empfänger? Ich wäre sehr dafür, dass wir diese Kommissionsarbeit erst ordentlich beenden - das wird noch etwa eineinhalb Jahre dauern – und dann aus den entsprechenden Ergebnissen die Konsequenzen ziehen.
Liminski: Für eine grundlegende Reform der Sozialsysteme. Das war hier im Deutschlandfunk Dieter Althaus, Ministerpräsident im Freistaat Thüringen. Besten Dank für das Gespräch, Herr Althaus.
Althaus: Vielen Dank!