Klaus Remme: Bautzen 2 war der legendäre Stasi-Knast, in den die DDR ihre politischen Häftlinge jahrelang weggeschlossen hatte. Einer von diesen Häftlingen war der Schriftsteller Erich Loest. Er saß dort sieben Jahre. Loest wird heute zum ersten Mal seit 40 Jahren nach Bautzen zurückkehren und dort aus seinem neuen Buch "Sommergewitter" lesen. Eine Reise in die Vergangenheit für den Autor. Wollen Sie bewusst alte Wunden wieder aufreißen?
Erich Loest: Nein. Ich fahre hin um den Bautzenern auch zu zeigen und zu sagen, das ist nun lange her, dass ich dort war, nun kann ich wieder mal in eine schöne Stadt unbeschadet und ohne Schmerzen zurückkehren. Ich denke, es ist ein Schritt zur Normalität.
Remme: Was hat sich bei Ihnen verändert, dass das nun möglich ist?
Loest: Es ist viel Zeit vergangen, es sind viele Leute tot, die damals eine Rolle gespielt haben, 40 Jahre ist nun etwas, wo man dann seinen Frieden mit machen sollte. Ich werde nicht in dieses Zuchthaus gehen, das habe ich den Leuten in Bautzen auch schon gesagt, das wollen wir uns nicht antun, ich will es mir nicht antun, aber eine Lesung, die eine normale Lesung sein soll, die möchte ich da halten.
Remme: Sie wurden seinerzeit verurteilt wegen konterrevolutionärer Gruppenbildung. Das war die Quittung für Ihre öffentliche SED-Kritik nach 1953 und dann 1956. War Ihnen seinerzeit das Risiko Ihres Verhaltens eigentlich bewusst?
Loest: Nein. Wir haben damals gedacht nach dem 20. Parteitag in Moskau, es weht ein frischer Wind, es soll nun demokratisiert werden, es soll mit dem Stalinismus aufgeräumt werden, plötzlich ein neues Wort, Stalinismus und wir begeisterten uns daran, nun, die Bürger, die Leute hier im Lande DDR auf die Seite der Partei zu ziehen, also alte Fehler nicht zu wiederholen und eine Gesetzlichkeit herzustellen, zu garantieren, mehr freien Willen zuzulassen und das war natürlich etwas, was der SED-Führung nicht passte.
Remme: Bedauern Sie aus heutiger Sicht, nicht früh genug in den Westen gegangen zu sein?
Loest: Ja klar. Ich habe dann sieben Jahre verloren, erstmal durch den Knast, ich habe dann noch mal sieben Jahre gebraucht, um gesundheitlich und mit meiner Arbeit wieder dort anzuknüpfen, wo ich mal gestanden habe. Also 14 Jahre Zeitverlust in der Mitte des Lebens, das zählt natürlich und wenn ich mehr Phantasie gehabt hätte, hätte ich die Koffer gepackt, die Grenze war ja noch nicht zugemauert, und wäre abgehauen.
Remme: Das genaue Urteil lautete glaube ich siebeneinhalb Jahre, was dachten Sie, wissen Sie es noch, als Sie den Urteilsspruch hörten?
Loest: Ich dachte, das ist ja wahnwitzig und mein Vernehmer, der mich belogen hat, der mir einen falschen Paragraphen vorgelesen hat, der sagte, na ja, so zwei Jahre ungefähr und ich hätte die Hälfte umgehabt von diesen zwei Jahren, ich dachte, Mensch, jetzt geht es abwärts, in einem knappen Jahr bist du wieder draußen und dann fällt dieser Hammer, siebeneinhalb. Ich bin blass geworden, ich habe das Urteil nicht angenommen, es war fürchterlich.
Remme: Es ist nur ein kurzes Radiointerview, aber wie müssen wir uns die Haftbedingungen in diesem berüchtigten Stasiknast vorstellen? Hatten Sie Kontakt zu anderen?
Loest: Ich habe insgesamt etwa zwei Jahre allein gesessen, dann war ich mal mit einem zusammen auf Zelle, dann war ich mal eine Weile in einer Brigade, da waren wir dann zehn oder fünfzehn, die gemeinsam gearbeitet haben und dann kam aus irgendeinem Anlass wieder eine Weile Einzelhaft ein paar Monate. Ich habe selber nicht gewusst, was ich besser finde, den Einzelknast, wo man seine Ruhe hat oder mit anderen zusammen, wo man quatschen kann. Es ist eins nicht besser als das andere.
Remme: Durften Sie schreiben?
Loest: Nein. Ich durfte einmal im Monat 20 Zeile an meine Frau schreiben, das war alles.
Remme: Was bekamen Sie denn mit von draußen?
Loest: Das neue Deutschland, das hatten wir ständig da, das durften wir bezahlen von unserem knappen Geld. Und was das für eine engstirnige Zeitung war, das kann man sich denken. Wenn mal etwas besonderes passierte, der Mauerbau oder so was, dann fiel auch mal zwei oder drei Tage die Zeitung aus oder es wurde mal ein Stück herausgeschnitten, dann rätselten wir, was es sein könnte. Das war unsere Information.
Remme: Was hat Ihnen am meisten geholfen, diese Zeit durchzuhalten?
Loest: Die Hoffnung, dass eine Amnestie kommt. Im Knast ist immer das große Gerücht und das große Raunen, zu Weihnachten sind wir alle zuhause und dann wird konstruiert, warum das nun gerade jetzt sein muss aus diesen und jenen politischen Gründen und dann waren wir Weihnachten nicht zuhause und dann im Januar in der Arbeitszelle brüllte dann plötzlich einer: Jungs, haut ran, es geht hart auf Weihnachten. Das war die eine Hoffnung und die andere auf meine Familie, die treu zu mir gehalten hat und ich war begierig zu hören, wie es meinen drei Kindern geht, wie es meiner Frau geht, das war auch eine große Hoffnung.
Remme: Sie besuchen diese Stadt und werden in einer Kirche aus Ihrem neuen Buch lesen, Sommergewitter heißt es, und nicht in das ehemalige Gefängnis, das ja heute eine Gedenkstätte ist, gehen. Wäre das nicht ein Zeichen wirklicher Normalität?
Loest: Ja, sicher. Aber ich will meinen Nerven nicht auf einmal zu viel zutrauen. Gehen wir mal den einen Schritt und dann gehen wir vielleicht mal ganz langsam in einiger Zeit den zweiten Schritt. Aber das ist dann nicht was Öffentliches, da wird dann kein Radio dabei sein und Fernsehen schon gar nicht, vielleicht schleiche ich mich mal rein. Mal sehen.
Remme: Ich versuche rauszuhören, ob Sie Ihren Frieden gemacht haben mit diesem Kapitel in Ihrem Leben und bin mir nicht sicher.
Loest: Sagen wir zum großen Teil, sagen wir zu 75 Prozent, zu 80. Und wenn das gut geht in Bautzen mit der Lesung und mit den Leuten, dem Bürgermeister und der Presse, wenn ich dann fröhlich wieder zurückfahre nach Leipzig, dann ist auch Raum, den zweiten, den letzten Schritt zu tun, wieder in dieses Gefängnis mal reinzugehen. Bloß, wem nützt das, wenn ich mal reingehe? Mir nützt es sicherlich nicht. Warten wir es ab.
Remme: Wir haben im Laufe dieses Interviews über die Stasi gesprochen; in den nächsten Woche steht die Neuwahl der Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen an. Frau Birthler will sich erneut bewerben, würden Sie Ihr eine weitere Amtszeit wünschen?
Loest: Oh ja, sie hat es sehr sehr gut gemacht, Gauck war natürlich hervorragend als Gründer und sie ist mit einer etwas anderen Philosophie rangegangen, mit etwas neuen Schwierigkeiten, die immer wieder gekommen sind. Ich habe volles Vertrauen zu ihr und wenn sie es noch mal machen will und so ist es ja, dann wünsche ich ihr viel Glück.
Remme: Ich wünschen Ihnen viel Glück und einen schönen Tag in Bautzen.
Loest: Danke, ich kann es brauchen.
Remme: Tschüs.
Loest: Wiederhören.
Erich Loest: Nein. Ich fahre hin um den Bautzenern auch zu zeigen und zu sagen, das ist nun lange her, dass ich dort war, nun kann ich wieder mal in eine schöne Stadt unbeschadet und ohne Schmerzen zurückkehren. Ich denke, es ist ein Schritt zur Normalität.
Remme: Was hat sich bei Ihnen verändert, dass das nun möglich ist?
Loest: Es ist viel Zeit vergangen, es sind viele Leute tot, die damals eine Rolle gespielt haben, 40 Jahre ist nun etwas, wo man dann seinen Frieden mit machen sollte. Ich werde nicht in dieses Zuchthaus gehen, das habe ich den Leuten in Bautzen auch schon gesagt, das wollen wir uns nicht antun, ich will es mir nicht antun, aber eine Lesung, die eine normale Lesung sein soll, die möchte ich da halten.
Remme: Sie wurden seinerzeit verurteilt wegen konterrevolutionärer Gruppenbildung. Das war die Quittung für Ihre öffentliche SED-Kritik nach 1953 und dann 1956. War Ihnen seinerzeit das Risiko Ihres Verhaltens eigentlich bewusst?
Loest: Nein. Wir haben damals gedacht nach dem 20. Parteitag in Moskau, es weht ein frischer Wind, es soll nun demokratisiert werden, es soll mit dem Stalinismus aufgeräumt werden, plötzlich ein neues Wort, Stalinismus und wir begeisterten uns daran, nun, die Bürger, die Leute hier im Lande DDR auf die Seite der Partei zu ziehen, also alte Fehler nicht zu wiederholen und eine Gesetzlichkeit herzustellen, zu garantieren, mehr freien Willen zuzulassen und das war natürlich etwas, was der SED-Führung nicht passte.
Remme: Bedauern Sie aus heutiger Sicht, nicht früh genug in den Westen gegangen zu sein?
Loest: Ja klar. Ich habe dann sieben Jahre verloren, erstmal durch den Knast, ich habe dann noch mal sieben Jahre gebraucht, um gesundheitlich und mit meiner Arbeit wieder dort anzuknüpfen, wo ich mal gestanden habe. Also 14 Jahre Zeitverlust in der Mitte des Lebens, das zählt natürlich und wenn ich mehr Phantasie gehabt hätte, hätte ich die Koffer gepackt, die Grenze war ja noch nicht zugemauert, und wäre abgehauen.
Remme: Das genaue Urteil lautete glaube ich siebeneinhalb Jahre, was dachten Sie, wissen Sie es noch, als Sie den Urteilsspruch hörten?
Loest: Ich dachte, das ist ja wahnwitzig und mein Vernehmer, der mich belogen hat, der mir einen falschen Paragraphen vorgelesen hat, der sagte, na ja, so zwei Jahre ungefähr und ich hätte die Hälfte umgehabt von diesen zwei Jahren, ich dachte, Mensch, jetzt geht es abwärts, in einem knappen Jahr bist du wieder draußen und dann fällt dieser Hammer, siebeneinhalb. Ich bin blass geworden, ich habe das Urteil nicht angenommen, es war fürchterlich.
Remme: Es ist nur ein kurzes Radiointerview, aber wie müssen wir uns die Haftbedingungen in diesem berüchtigten Stasiknast vorstellen? Hatten Sie Kontakt zu anderen?
Loest: Ich habe insgesamt etwa zwei Jahre allein gesessen, dann war ich mal mit einem zusammen auf Zelle, dann war ich mal eine Weile in einer Brigade, da waren wir dann zehn oder fünfzehn, die gemeinsam gearbeitet haben und dann kam aus irgendeinem Anlass wieder eine Weile Einzelhaft ein paar Monate. Ich habe selber nicht gewusst, was ich besser finde, den Einzelknast, wo man seine Ruhe hat oder mit anderen zusammen, wo man quatschen kann. Es ist eins nicht besser als das andere.
Remme: Durften Sie schreiben?
Loest: Nein. Ich durfte einmal im Monat 20 Zeile an meine Frau schreiben, das war alles.
Remme: Was bekamen Sie denn mit von draußen?
Loest: Das neue Deutschland, das hatten wir ständig da, das durften wir bezahlen von unserem knappen Geld. Und was das für eine engstirnige Zeitung war, das kann man sich denken. Wenn mal etwas besonderes passierte, der Mauerbau oder so was, dann fiel auch mal zwei oder drei Tage die Zeitung aus oder es wurde mal ein Stück herausgeschnitten, dann rätselten wir, was es sein könnte. Das war unsere Information.
Remme: Was hat Ihnen am meisten geholfen, diese Zeit durchzuhalten?
Loest: Die Hoffnung, dass eine Amnestie kommt. Im Knast ist immer das große Gerücht und das große Raunen, zu Weihnachten sind wir alle zuhause und dann wird konstruiert, warum das nun gerade jetzt sein muss aus diesen und jenen politischen Gründen und dann waren wir Weihnachten nicht zuhause und dann im Januar in der Arbeitszelle brüllte dann plötzlich einer: Jungs, haut ran, es geht hart auf Weihnachten. Das war die eine Hoffnung und die andere auf meine Familie, die treu zu mir gehalten hat und ich war begierig zu hören, wie es meinen drei Kindern geht, wie es meiner Frau geht, das war auch eine große Hoffnung.
Remme: Sie besuchen diese Stadt und werden in einer Kirche aus Ihrem neuen Buch lesen, Sommergewitter heißt es, und nicht in das ehemalige Gefängnis, das ja heute eine Gedenkstätte ist, gehen. Wäre das nicht ein Zeichen wirklicher Normalität?
Loest: Ja, sicher. Aber ich will meinen Nerven nicht auf einmal zu viel zutrauen. Gehen wir mal den einen Schritt und dann gehen wir vielleicht mal ganz langsam in einiger Zeit den zweiten Schritt. Aber das ist dann nicht was Öffentliches, da wird dann kein Radio dabei sein und Fernsehen schon gar nicht, vielleicht schleiche ich mich mal rein. Mal sehen.
Remme: Ich versuche rauszuhören, ob Sie Ihren Frieden gemacht haben mit diesem Kapitel in Ihrem Leben und bin mir nicht sicher.
Loest: Sagen wir zum großen Teil, sagen wir zu 75 Prozent, zu 80. Und wenn das gut geht in Bautzen mit der Lesung und mit den Leuten, dem Bürgermeister und der Presse, wenn ich dann fröhlich wieder zurückfahre nach Leipzig, dann ist auch Raum, den zweiten, den letzten Schritt zu tun, wieder in dieses Gefängnis mal reinzugehen. Bloß, wem nützt das, wenn ich mal reingehe? Mir nützt es sicherlich nicht. Warten wir es ab.
Remme: Wir haben im Laufe dieses Interviews über die Stasi gesprochen; in den nächsten Woche steht die Neuwahl der Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen an. Frau Birthler will sich erneut bewerben, würden Sie Ihr eine weitere Amtszeit wünschen?
Loest: Oh ja, sie hat es sehr sehr gut gemacht, Gauck war natürlich hervorragend als Gründer und sie ist mit einer etwas anderen Philosophie rangegangen, mit etwas neuen Schwierigkeiten, die immer wieder gekommen sind. Ich habe volles Vertrauen zu ihr und wenn sie es noch mal machen will und so ist es ja, dann wünsche ich ihr viel Glück.
Remme: Ich wünschen Ihnen viel Glück und einen schönen Tag in Bautzen.
Loest: Danke, ich kann es brauchen.
Remme: Tschüs.
Loest: Wiederhören.