Freitag, 19. April 2024

Archiv


"Ich denke in so einer Situation an den armen Kerl, dem das passiert ist"

In Afghanistan soll ein Bundeswehrsoldat durch die Kugel eines Kameraden gestorben sein, als sich versehentlich ein Schuss aus dessen Waffen löste. Solche Unfälle kämen immer wieder vor, sagt der Ex-Wehrbeauftragte des Bundestags, Reinhold Robbe.

Reinhold Robbe im Gespräch mit Silvia Engels | 20.01.2011
    Silvia Engels: Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Helmut Königshaus von der FDP, hat gestern direkt mehrere Fälle bekannt gemacht, bei denen die Dinge bei der Bundeswehr möglicherweise im Argen liegen. Unter anderem stellte er im Verteidigungsausschuss eine Version über den Tot eines Bundeswehrsoldaten in Afghanistan vor, die sich von der bisher offiziellen Darstellung unterscheidet. Danach sei der Soldat im Dezember nicht gestorben, weil sich bei der Reinigung seiner Waffe ein Schuss gelöst habe, sondern durch die Kugel eines Kameraden, die dieser versehentlich abgefeuert habe. Am Telefon ist nun der ehemalige Wehrbeauftragte des Bundestages, Reinhold Robbe von der SPD. Guten Morgen, Herr Robbe.

    Reinhold Robbe: Guten Morgen, Frau Engels. Ich grüße Sie.

    Engels: Sie sind gerade gestern Abend aus Afghanistan zurückgekommen. Haben Sie neue Erkenntnisse zu dem eben von mir geschilderten Fall?

    Robbe: Sie können sich vorstellen, wenn man eine Woche in Afghanistan unterwegs ist und mit vielen, vielen Soldatinnen und Soldaten gesprochen hat, dann bleiben natürlich auch solche Themen und solche spektakulären Dinge nicht unangesprochen. Das habe ich auch gemacht, ich habe auch mit Kameraden gesprochen, die in der Einheit waren, wo sich der Kamerad befand. Ich will hier keine Bewertung vornehmen, das steht mir nicht zu, das muss mein Nachfolger im Amt machen. Ich will nur so viel sagen: Alles was bisher bekannt ist und was auch vor Ort an Erkenntnissen da ist, weist darauf hin, dass es sich hier um einen ganz, ganz tragischen Unfall handelt, der leider immer wieder vorkommt. In der Geschichte der Bundeswehr hat es immer wieder Fälle gegeben, wo aufgrund von Unachtsamkeit sich plötzlich ein Schuss gelöst hat und dann dadurch entweder Kameraden schwer verletzt wurden oder auch getötet wurden. Das scheint in diesem Fall auch so zu sein, und ich kann nur sagen, ich denke in so einer Situation an den armen Kerl, dem das passiert ist. Der wird natürlich sein Leben lang an diesen Vorfall zurückerinnert, das ist mit schwersten Belastungen verbunden, und man kann im Grunde jetzt nur eines tun: Natürlich immer wieder darauf hinweisen, dass Sicherheitsvorkehrungen eingehalten werden, dass man auch beim Reinigen von Waffen darauf achtet, dass solche Dinge auf gar keinen Fall passieren, und vor allen Dingen in so einer Situation dafür sorgen, dass derjenige, dem es passiert ist - das ist nicht mehr gutzumachen -, sämtliche psychologische, medizinische Hilfe bekommt, damit in Zukunft auch für ihn noch irgendwo eine Perspektive da ist.

    Engels: Das heißt, die grundsätzliche Darstellung, wonach ein Kamerad möglicherweise diese Kugel versehentlich ausgelöst hat, die teilen Sie. Da ist doch neben der persönlichen Tragik jetzt auch die Frage, warum das zuvor von offizieller Seite anders geschildert wurde?

    Robbe: Das ist nicht verwunderlich, ich sage das ganz deutlich, weil derartige Dinge selbstverständlich überprüft werden müssen, und zwar sensibel überprüft werden müssen, nicht nur von der Truppe selber, nicht nur von der jeweiligen Einheit, sondern auch von der Staatsanwaltschaft. Ich gehe mal davon aus, dass das in Kürze alles vorliegen wird und dass man dann auch sich ein wirklich objektives, belastbares Bild machen kann und dann auch die letzten Erkenntnisse daraus ziehen kann.

    Engels: Aber normalerweise wäre doch das Vorgehen angezeigter, dass man erst ermittelt, bevor man überhaupt irgendeine Version in die Welt kommen lässt. Warum kam diese Unfallversion oder dann eben die versehentliche Selbsttötung überhaupt ins Spiel?

    Robbe: Nach dem, was ich wahrgenommen habe, waren es gedankliche Optionen. So will ich es mal formulieren. Es waren Dinge, die man nicht ausschließen konnte, und Sie wissen doch, wie es in unserer Mediengesellschaft ist. Wenn irgendwo auch nur eine Frage gestellt wird, die nicht eindeutig beantwortet wird, dann gibt es daraus zehn oder 15 Spekulationen und dann wird munter weiterdiskutiert, ohne dass man überhaupt daran denkt, dass man sich auch mal die Fakten anschauen sollte. Also darüber bin ich nicht verwundert. Entschuldigen Sie, wenn ich das ...

    Engels: Das heißt, Sie sehen keine Erklärungsnot des Verteidigungsministers zum Beispiel?

    Robbe: Im Augenblick sehe ich die nicht. Da warte ich erst mal ganz nüchtern ab, bis der Untersuchungsbericht vorliegt, und dann kann man auch Schlüsse ziehen. Wissen Sie, ich will das auch mal auf die anderen Fälle beziehen, die jetzt im Augenblick im Raum stehen. Das sind nicht nur spektakuläre Fälle, das sind auch schlimmste Fälle, wo gegen das Post- und Fernmeldegeheimnis verstoßen worden ist, wo offensichtlich auch gegen die Prinzipien der inneren Führung verstoßen wurde, wenn ich an das denke, was auf der Gorch Fock passiert ist. Aber ich bitte Sie, das muss erst mal alles überprüft werden, und das dauert natürlich, und bei der Bundeswehr wird es besonders akribisch gemacht. Ich will da niemanden in Schutz nehmen, verstehen Sie das nicht falsch, aber ich rate sehr dazu, hier nicht mit irgendwelchen voreiligen Schlüssen. Ich kann das ja aus der Sicht des Politikers verstehen, wenn er sagt, und muss sofort geahndet werden und muss verfolgt werden und so weiter, aber das sind alles Dinge, die im Augenblick noch gar nicht festgestellt werden können.

    Engels: Dann greifen wir das noch mal kurz auf, damit die Hörer auch den Zusammenhang verstehen. Da geht es darum, dass im Zusammenhang mit einem tödlichen Unfall einer Kadettin auf dem Bundeswehr-Segelschulschiff Gorch Fock der Vorwurf der Meuterei erhoben wurde, umgekehrt aber auch der Vorwurf, dass dort drangsaliert worden sei durch die Vorgesetzten. Haben Sie denn da schon Einzelheiten? Sie mahnen jetzt dazu, erst die Aufklärung abwarten zu lassen. Wenn Sie diese Einzelheiten noch nicht haben, ist das dann ein Vorwurf an den Amtsinhaber Herrn Königshaus, damit jetzt schon in die Öffentlichkeit gegangen zu sein.

    Robbe: Ich weiß nicht, wie die Dinge an die Öffentlichkeit gekommen sind. Ich würde niemals irgendetwas kommentieren, was mein Nachfolger gemacht hat. Das gebietet auch der Anstand, die Achtung vor dem Amte. Das ist aber auch gar nicht meine Sache, sondern es geht darum, dass in unserer Mediengesellschaft derartige spektakuläre Dinge selbstverständlich auf irgendeine Art und Weise an die Öffentlichkeit gelangen, früher oder später, und ich sage hinzu, das ist auch gut so, denn das zeigt auch, dass die Pressefreiheit und auch die Möglichkeiten der Medien dafür sorgen, dass solche Dinge ans Licht kommen. Aber auch eine Funktion wie der Wehrbeauftragte kann dafür sorgen, durch die Möglichkeit, dass die Soldaten, ohne dass sie irgendeinen Vorgesetzten fragen müssen, sich direkt an den Wehrbeauftragten wenden können und dadurch die Möglichkeit besteht, dass Dinge aufgedeckt werden und wenn Aufklärungsbedarf besteht, dieses auch schnell erfolgt, und wenn strafbare Handlungen vorliegen, die Täter dann auch entsprechend belangt werden. Das ist gut und ich kann nur sagen, ich komme jetzt gerade von einer einwöchigen Afghanistan-Tour zurück, unsere Soldatinnen und Soldaten, die leisten einen großartigen Dienst, 99 Prozent der Soldaten sind aus meiner Sicht bewundernswert in der Lage, auch unser Land als Botschafter zu vertreten, auch gegenüber dem afghanischen Volk.

    Engels: Umso wichtiger ist es dann für sie, dass sie beispielsweise auch ihren Schutz haben, beispielsweise, um auch auf dieses Thema noch zu kommen, auf verschlossene Feldpostbriefe. Haben Sie denn zu diesem Fall, wonach große Zahlen von Briefen systematisch geöffnet worden seien - man weiß noch nicht von wem -, neue Erkenntnisse durch Ihre Afghanistan-Reise gewonnen? Und vor allen Dingen: Wie sehen das die Soldaten?

    Robbe: Die Soldaten sind natürlich, wenn sie so konfrontiert werden damit - und sie bekommen solche Nachrichten in der Regel dann auch erst einmal aus den Medien -, erst einmal entsetzt und sagt sich als betroffener Soldat, auch im Einsatz selber, Mensch, ist meine Post denn überhaupt sicher, kann ich wirklich sicher sein, dass hier mein Brief nicht geöffnet wird. Das ist ein emotionaler Vorgang, aber das ist auch ein Vorgang, der von allergrößter Sensibilität ist, und der vor allen Dingen auch Anlass sein muss, jetzt zu gucken, an welcher Schnittstelle können solche Dinge vorkommen. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, beim besten Willen nicht, dass eine untersuchende Behörde, eine nachgeordnete Stelle des Bundesministeriums der Verteidigung, verantwortlich ist für diese Brieföffnungen. Ich kann mir nur vorstellen, dass hier an irgendwelchen Schnittstellen Leute die Möglichkeit haben, an die Post zu gelangen, diese Briefe geöffnet haben, vielleicht aus dem Grunde, Geld aus den Umschlägen zu entwenden, um dann sich selber zu bereichern. Das ist eine Möglichkeit, aber auch hier wieder gilt: Bitte keine voreiligen Schlüsse, zunächst mal abwarten, was diejenigen, die mit den Untersuchungen beauftragt sind, jetzt ans Tageslicht befördern. Dann kann man sich ein endgültiges Bild machen.

    Engels: Reinhold Robbe, der ehemalige Wehrbeauftragte des Bundestages, von der SPD. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Auf Wiederhören!

    Robbe: Gerne doch. Gerne!