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"Ich denke, wir werden einziehen"

Er schließe die Tolerierung einer möglichen rot-grünen Regierung nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen aus, sagt Gregor Gysi, Fraktionsvorsitzender der Linkspartei im Bundestag. Für seine Partei gebe es nur die beiden Optionen Regierungsbeteiligung oder Opposition.

Gregor Gysi im Gespräch mit Jürgen Liminski | 30.04.2010
    Jürgen Liminski: Seit Wochen zeigen in Nordrhein-Westfalen die Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den beiden Lagern Schwarz-Gelb und Rot-Grün an. Zünglein an der Wage könnte die Partei Die Linke sein, wenn sie den Einzug in das Landesparlament schafft. Wenn nicht, hat das nicht nur Auswirkungen auf die Lager, sondern auf die Partei selbst, und darüber wollen wir jetzt sprechen mit dem Vorsitzenden der Fraktion Die Linke im Bundestag, Gregor Gysi. Wir erreichen ihn am Flughafen kurz vor dem Abflug in den Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen. Guten Morgen, Herr Gysi.

    Gregor Gysi: Einen schönen guten Morgen!

    Liminski: Herr Gysi, die Wahl in zehn Tagen könnte für Ihre Partei zu einem Waterloo werden, denn ohne den Napoleon von der Saar ist die Westausdehnung gefährdet, und wenn Die Linke den Einzug in den Düsseldorfer Landtag nicht schafft, dann ist das Projekt Linke in Gesamtdeutschland wohl gescheitert, oder?

    Gysi: Nein, nein, nein. Man darf es auch nicht übertreiben. Im Übrigen bin ich aber sehr optimistisch. Ich beobachte immer sehr genau die Wahlkampfveranstaltungen. Es entsteht immer mehr Leidenschaft und auch die Umfragen bestätigen uns, ich denke, wir werden einziehen. Im Übrigen haben Sie ja Recht: Wenn wir nicht einziehen, wird es wahrscheinlich eine Mehrheit von Union und FDP geben und dann setzt sich nur fort, was wir schon hatten. Also ich glaube, wenn man eine Veränderung will, wenn man einen friedenspolitischen und sozialen Korrekturfaktor haben will, dann sollte man Die Linke wählen.

    Liminski: Wo ist denn außer Ihnen ein Ersatz für Lafontaine, wo ein Politiker mit bundesweiter Ausstrahlung?

    Gysi: Zunächst mal, Oskar Lafontaine ist ja noch der Vorsitzende unserer Partei. Er hört bald auf, sitzt dann aber als Fraktionsvorsitzender im Landtag vom Saarland, und wenn es einen gibt, der auch vom Saarland aus Bundes- und Europapolitik machen kann, dann ist es Oskar Lafontaine. Insofern mache ich mir da gar keine Sorgen.

    Und dann kommt natürlich schrittweise bei uns jetzt auch die nächste Generation heran. Das ist ja auch üblich, das haben andere Parteien hinter sich und das wird auch bei uns passieren, und ich finde, wir haben da gar keine schlechten Leute, wenn ich jetzt mal Gesine Lötzsch nehme, wenn ich Klaus Ernst nehme, wenn ich Katja Kipping und viele andere nehme. Also ich kann Ihnen da eine ganze Reihe von Namen aufzählen.

    Liminski: Aber die Namen sind alle nicht bekannt.

    Gysi: Na ja. Erstens sind sie schon zum Teil ziemlich bekannt, aber Sie haben Recht: es ist nun auch schwer, mit Lothar Bisky, Oskar Lafontaine und mir, dass da andere bekannt werden. Das liegt ja aber auch ein bisschen an uns, wenn ich das mal leicht selbstkritisch sagen darf. Aber das wird sich ändern, Schritt für Schritt ändert sich das. Ich bin da gar nicht so pessimistisch, muss ich Ihnen sagen, vor allen Dingen weil wir den Prozess allmählich gestalten. Oskar Lafontaine ist noch da, ich bin noch der Fraktionsvorsitzende im Bundestag, also ich denke, wir kriegen das schon hin, denn letztlich – das muss man doch auch sagen -, Die Linke in der gegenwärtigen Stärke gibt es doch nur deshalb, weil Schröder die SPD entsozialdemokratisiert hat. Es sind doch inhaltliche Gründe, nicht nur personelle Gründe!

    Liminski: Bleiben wir mal bei diesem Zusammenhang SPD/Linke. Werden Sie, wenn es für keines der beiden Lager reicht, was die Umfragen ja voraussagen, sich an einer rot-grünen Regierung beteiligen, falls man das erwägt, oder eine rot-grüne Regierung nur tolerieren?

    Gysi: Ich bin wenn, dann für eine Beteiligung. Ich halte nicht so viel von Tolerierung. Ich habe das in Sachsen-Anhalt erlebt. Der Nachteil ist, man sitzt gar nicht in der Regierung, man entscheidet nichts mit, aber man haftet für alles. Wenn, dann bin ich auch dafür, dass man richtig mitmacht, also entweder Opposition oder Regierung. Ich halte wenig von Tolerierung und ich glaube, dass unsere Spitzenkandidaten und die, die einziehen werden, das ähnlich sehen. Und ich sage, es ist ja so: Eine alternative Regierung scheitert niemals an uns. Schauen Sie sich Thüringen an, gescheitert an SPD; schauen Sie sich Hessen an, gescheitert an SPD; schauen Sie sich das Saarland an, gescheitert an einer auch noch von der FDP gekauften Grünen-Partei. Also es lag nie an uns, und deshalb bin ich da ganz optimistisch. Mal sehen, wie sich SPD und Grüne hier verhalten.

    Liminski: Programme sind das eine, Regieren das andere. Die Linke hat in Schwerin und Berlin gezeigt, dass man auch realitätsnah sein kann. Jedenfalls sind dort keine Banken oder Energieunternehmen verstaatlicht worden. Wären Sie denn in Nordrhein-Westfalen auch programmatisch kompromissbereit?

    Gysi: Ja, natürlich! Wir haben ja Bedingungen gestellt. Wir haben gesagt, mit uns kann es keinen Sozialabbau geben, wir werden die öffentliche Daseinsvorsorge keineswegs weiter privatisieren und wir werden keinem Abbau von Stellen zustimmen. Insgesamt müssen mehr und nicht etwa weniger Arbeitsplätze herauskommen. Das, finde ich, sind drei Bedingungen, ich wüsste nicht, was die anderen dagegen sagen können.

    Das Problem ist doch, dass zum Beispiel SPD und Grüne ein anderes Bildungssystem fordern, ähnlich wie wir, und Union und FDP lehnen das ab. Trotzdem deuten sowohl die SPD als auch die Grünen an, eventuell Herrn Rüttgers zum Ministerpräsidenten zu wählen. Da kann ich nur sagen, dann kriegen sie mit Sicherheit auch keine Bildungsreform. Also entweder sie wollen wirklich eine, dann müssen sie mit uns zusammengehen. Da sage ich immer den Wählerinnen und Wählern in Nordrhein-Westfalen, es ist garantiert: Wir wählen Herrn Rüttgers nicht. Bei den anderen ist das alles offen.

    Liminski: Ihre Forderungen kosten auch Geld. Wir stecken in der größten Finanzkrise seit Bestehen der Bundesrepublik. Wo soll das Geld herkommen?

    Gysi: Na ja, erstens brauchen wir Strukturveränderungen. Sie wissen ja, wir haben viele Fördertöpfe. Vielleicht muss man da mal einen Teil auflösen und das nach einem bestimmten Schlüssen an die Kommunen verteilen. Es geht nicht so weiter, dass alle Kommunen in Deutschland Nothaushalte haben, dass wir Theater schließen etc. Der letzte Zweck von Politik muss ein Mehr an Kultur sein. Außerdem brauchen wir natürlich Steuergerechtigkeit in Deutschland. Wir brauchen einen höheren Spitzensteuersatz, wir brauchen endlich eine Börsenumsatzsteuer und eine Turbinensteuer. Wir brauchen auch für vermögende Leute eine Vermögenssteuer, aber wir meinen wirklich vermögende Leute. Anders geht es nicht! Alle anderen Parteien wollen das nicht und ich garantiere Ihnen: Wir kriegen in Deutschland weder die Kommunen finanziert, noch soziale Gerechtigkeit, wenn wir nicht endlich Steuergerechtigkeit herstellen.

    Liminski: Mit solchen Aussagen mobilisieren Sie viele CDU-Wähler.

    Gysi: Ja, das macht ja nichts. Hoffentlich wählen die uns dann! Oder meinen Sie umgekehrt?

    Liminski: Umgekehrt!

    Gysi: Wissen Sie, das ist alles nicht so einfach. Es gibt zum Beispiel einen Verein von Millionären in Hamburg, der wünscht sich, endlich mal Steuern bezahlen zu dürfen. Ich finde, das ist schon eine gehobene Veralberung unserer Bundesregierung, die von denen ja gar keine Steuern will. Ich finde, das ist sogar eine gute Entwicklung.

    Liminski: Wie stellen Sie sich eigentlich Europa vor, so wie Schumacher, ein sozialistisches Europa mit einer sozialistischen Regierung, oder so wie jetzt?

    Gysi: Na ja, die Europäische Union bedarf natürlich dringend der Weiterentwicklung, ich sage mal Stichwort Griechenland. Das merken ja alle. Natürlich, ich bin demokratischer Sozialist. Mein Problem ist ganz einfach, ich kann Ihnen leider kein praktisches Beispiel eines demokratischen Sozialismus zeigen. Es hat noch keinen gegeben. Vielleicht hätte Allende einen aufgebaut, aber das ist von den Amis zerstört worden. Das ist eine gewisse Tragik, also müssen wir hier noch einiges leisten. Bloß ich glaube, viele erkennen, der Staatssozialismus ist aus vielen Gründen gescheitert, hat auch nichts getaugt. Der Kapitalismus beginnt auch zu scheitern, also brauchen wir doch was Neues! Wir nennen es demokratischen Sozialismus. Wir können das ja gerne anders nennen.

    Liminski: Was sind eigentlich Verstaatlichungen wert, wenn ein Staat Pleite geht?

    Gysi: Dann gehen die Verstaatlichungen gleich mit Pleite. Darum geht es doch gar nicht. Wir haben gesagt, Energie muss in der Zuständigkeit der Politik bleiben. Ich möchte da öffentliches Eigentum, damit die Politik zuständig bleibt. Wenn ich das alles privatisiere, entscheiden andere über die Preise und die Politik kann sich gar nicht einmischen, weil es ja privatisiert ist, also wie Rüttgers sagt, privat vor Staat. Die Folge ist nur: wenn die Politik nichts zu entscheiden hat, verliert die Demokratie an Wert und Bedeutung, weil dann die Auswahl zwischen A und B für die Leute gleichgültig ist. Sie haben ja beide nichts mehr zu entscheiden bei Energiepreisen, bei Wasserpreisen. Wenn ich Schulen privatisiere, passiert dasselbe. Die öffentliche Daseinsvorsorge, darum geht es uns doch, die muss in öffentlicher Hand bleiben, und soweit sie privatisiert ist, sind wir für Rekommunalisierung. Da gibt es ja zum Beispiel gute Vorschläge in Berlin.

    Liminski: Sind Sie immer noch für den Austritt aus der NATO? Die Grünen haben da hinzugelernt.

    Gysi: Wir sind ja nicht für den Austritt aus der NATO, wir sind für die Auflösung der NATO. Das heißt, wir bleiben drin, wollen aber dafür streben, sie aufzulösen und eine andere Sicherheitsstruktur zu schaffen. Ich sage Ihnen nur ein Beispiel: Die Briten sind mit ihrem Krieg in Afghanistan gescheitert, die Sowjets sind mit ihrem Krieg gescheitert und die NATO wird mit dem Krieg auch scheitern. Das funktioniert nicht! So kann man Gesellschaften nicht verändern, auch nicht demokratisieren – im Gegenteil!

    Liminski: Gregor Gysi war das, Fraktionschef der Linken im Bundestag, heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Besten Dank für das Gespräch, Herr Gysi.

    Gysi: Bitte schön!