Dienstag, 16. April 2024

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"Ich fand die Reaktionen überzogen"

Die Bischöfin der evangelischen Landeskirche Hannover, Margot Käßmann, hat sich gegen die Kritik an der jüngsten Initiative von Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen gewandt. Es sei "sehr problematisch", das Bündnis für Erziehung als Kreuzzug zu bezeichnen, wie es der "Spiegel" in seiner heutigen Ausgabe getan habe. Das Bündnis solle zeigen, dass "Erziehung ein ganz zentrales Thema ist, was bis jetzt abgetan wurde als Gedöns, Frauensache oder irgendwo in der Ecke stehend", so Käßmann.

Moderation: Bettina Klein | 24.04.2006
    Bettina Klein: "Kreuzzug für Kinder, Kirche und Karriere" titelt heute das montägliche Hamburger Nachrichtenmagazin und widmet das Deckblatt unter dieser Überschrift der Bundesfamilienministerin. Der Kreuzzug der Ursula von der Leyen ist also gemeint. Umstritten ist ihr Projekt, das Elterngeld vom zweimonatigen Einsatz der Väter abhängig zu machen, und in der vergangenen Woche zog sie Kritik auf sich mit einem Bündnis für Erziehung, zu dem sie die beiden großen christlichen Kirchen lud. Mit dabei war der Berliner Erzbischof Kardinal Georg Sterzinsky und für die evangelische Kirche die Hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann und sie begrüße ich jetzt am Telefon. Einen schönen guten Morgen!

    Margot Käßmann: Guten Morgen Frau Klein!

    Klein: Der so genannte Kreuzzug scheint nicht überall gut anzukommen. Überrascht Sie das?

    Käßmann: Zum einen muss ich sagen, dass ich das schon etwas problematisch, nein sogar sehr problematisch finde, das hier mit einem Kreuzzug zu vergleichen. Ich habe den Eindruck, wenn eine Ministerin sich als Christin outet, dann hat das geradezu panikartige Reflexreaktionen zur Folge. Jedes andere Outing ist dagegen sozusagen legitim. Ich finde das völlig überzogen und denke das Bündnis für Erziehung zeigt, dass Erziehung ein ganz zentrales Thema ist, was bis jetzt abgetan wurde als Gedöns, Frauensache oder irgendwo in der Ecke stehend.

    Klein: Können Sie verstehen, dass sich viele Menschen ausgegrenzt gefühlt haben, die nicht der Kirche anhängen oder angehören?

    Käßmann: Ich fand die Reaktionen ehrlich gesagt überzogen. Man muss jetzt hier mal ein bisschen in Ruhe darüber nachdenken. Die christlichen Kirchen haben 20.000 Kindertagesstätten. Darum ging es zu allererst. Sie sind der größte freie Träger von Kindertagesstätten. Da gehen 1,2 Millionen Kinder jeden Tag hin. Deshalb wurde gesagt fangen wir hier an, setzen wir uns zusammen, überlegen wir was wir tun müssen, um die Erziehungskompetenz in Familien und Kindertagesstätten zu erhöhen. Ich denke es ist legitim, so anzufangen. Ich kann natürlich verstehen, dass man sagt, andere sollen dazu eingeladen werden. Das Ministerium hat von Anfang an gesagt, das ist ein Schritt, in diesem Bündnis mit den christlichen Kirchen ins Gespräch zu kommen.

    Klein: Da steht natürlich auch so ein bisschen die Frage hinter, wie viel Macht, wie viel Einfluss sollen die Kirchen haben. Wünschen Sie Ihrer Kirche mehr Einfluss?

    Käßmann: Wir sind sehr zufrieden mit der Trennung von Kirche und Staat und stehen auch ganz klar dazu. Allerdings finde ich richtig, beim Thema Erziehung auch die sage ich jetzt mal Anbieter auf dem Markt der Werte – das sind die christlichen Kirchen – mit ins Gespräch zu ziehen. 50 Millionen Menschen in diesem Land gehören einer christlichen Kirche an und ich denke sie dürfen doch auch mal dazu stehen und sagen, Gottvertrauen und Nächstenliebe sind die schlechtesten Grundlagen für Erziehung nicht und auch ein Menschenbild, das jedem die gleiche Würde zuspricht. Dass wir ein Erziehungsproblem haben in der frühkindlichen Erziehung, das ist ja relativ neu. Das wird jetzt erst gesehen. Bisher hat sich alles auf die Schule fixiert. Die frühkindliche Erziehung ist aber entscheidend.

    Klein: Die starke Einbindung der christlichen Kirchen, das ist der eine Argumentationsstrang, der Nahrung gibt für die Kritik, und auch für einen äußerst kritischen Artikel im "Spiegel" heute. Die andere Ebene ist ja die sachliche Ebene. Das sind die Konzepte, über die man natürlich streiten kann. Da ist ein zentraler Punkt: warum soll sich der Staat beim Thema Elterngeld, vollständige Zahlung nur wenn die Väter zwei Monate zu Hause bleiben, einmischen. Das wurde dann auch so dargestellt als Bevormundung, wo wir doch aber eigentlich selbst verantwortende Individuen brauchen.

    Käßmann: Die Selbstverantwortung ist nicht in Frage gestellt. Allerdings jetzt müssen wir mal sehen: Wir sind Pisa-Schlusslichtland und zwar vor allen Dingen, weil die Frühbetreuung wirklich in Deutschland ein großes Problem darstellt. In den ersten drei Jahren entwickelt ein Kind Beziehungsfähigkeit und auch ein Gefühl für die Würde der anderen, in den Jahren drei bis sechs Lernfähigkeit, Neugier auf Lernen. Deshalb halte ich den Vorschlag der Ministerin, ein Kindergartenjahr verpflichtend zu machen, für von ganz zentraler Bedeutung. Ich bin auch dafür, wie es in dem Konzept des Bündnisses ausgeschrieben ist, dass wir Kindertagesstätten zu Nachbarschaftszentren, zu Eltern-Kind-Zentren machen, um ein stärkeres Angebot an Erziehungshilfe für Eltern, ein Beratungsangebot in der Erziehungsleistung als Angebot deutlich zu machen. Jetzt müssen wir mal sagen: Wenn Vätern das Angebot gemacht wird, zwei Monate – das ist ja schon ein Bonus – sich um ihre Kinder zu kümmern, ja du liebe Zeit, warum soll denn da gleich die Welt zusammenbrechen. Das ist ein tolles Angebot. Väter können es wahrnehmen, oder sie können es auch lassen.

    Klein: Nun gut, es ist ein Angebot. Gemeint ist es natürlich als Anreiz, den ja manche Leute auch durchaus begrüßen, der auf der anderen Seite aber als Einmischung in private Angelegenheiten verurteilt wird. Was sagen Sie dazu?

    Käßmann: Ich kann nur sagen, die Väter können das lassen. Das ist keine Zwangs- und Pflichtveranstaltung. Andererseits wissen wir aus den skandinavischen Ländern, dass Väter tatsächlich andere Beziehungen zu ihren Kindern entwickeln, wenn sie in der frühkindlichen Erziehung besser eingebunden werden. Wir wissen auch, dass in Deutschland Väter für viele Kinder in der Erziehung fehlen. Kinder brauchen Vater und Mutter, brauchen auch männliche Vorbilder und die Bindekraft in den ersten Jahren ist tatsächlich ganz enorm hoch. Ich weiß auch von vielen jungen Vätern, dass sie sich das wünschen würden, dass sie dann nämlich nicht als Weichei angesehen werden, wenn sie sich um ihre Kinder kümmern, sondern dass das ein positives Konzept der Erziehens ist, eine positive Leistung. Das wird immer noch nicht gesehen.

    Klein: Manch einer kritisiert, sie haben sich vor den Wagen der Ministerin spannen lassen, sie als evangelische Kirche wie auch die katholische Kirche, denn in Wahrheit gehe es darum, durch die Einbeziehung der Kirchen eben Rückendeckung für dieses geplante Elterngeld zu erhalten. Sie, Frau Käßmann, gelten vielleicht auch nicht unbedingt als jemand, der immer politische Aktionen der CDU unterstützt. Vielleicht ist deswegen auch mancher überrascht?

    Käßmann: Das kann durchaus schon sein und ich muss sagen ich bin dankbar, als Kirchenfrau völlig parteienunabhängig zu sein. Der Rat der EKD hat das vorberaten und hat gesagt, ein solches Bündnis macht Sinn. Wir müssen dringend in Kinder investieren und vielleicht ist es ja tatsächlich so, dass eine Ministerin, die so voran geht in diesen Fragen, die bis jetzt links liegen gelassen wurden, viele Menschen einfach provoziert, auch schon dadurch, dass sie Kinder und Karriere verbinden kann, und deshalb auch derartige bösartige Artikel auf sich zieht. Dass viele auch noch nicht gesehen haben, dass das eben kein geringes Thema ist, sondern tatsächlich von zentraler Zukunftsbedeutung, wie und mit welchen Werten wir Kinder erziehen. Ich glaube nur dann können wir auch sagen, in welche Wertegemeinschaft wir denn Zuwanderer integrieren wollen.