Donnerstag, 28. März 2024

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"Ich glaube, dass der Papst einen guten Stil finden wird"

Mit seiner Bescheidenheit und tiefen Gottesverbundenheit werde Papst Franziskus Impulse setzen, sagt der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck. Eine Hauptaufgabe sei, die Kirchen vor Ort wirklich ernst zu nehmen.

Franz-Josef Overbeck im Gespräch mit Mario Dobovisek | 14.03.2013
    Mario Dobovisek: Millionen Blicke waren gestern Abend auf den Schornstein der Sixtinischen Kapelle gerichtet, als kurz vor 19:00 Uhr eine dicke weiße Möwe auf ihm Platz nahm und für die Tausenden Kameras sichtlich posierte. Mal links, mal rechts drehte sie sich, minutenlang blieb sie sitzen. Tierschützer warfen im Internet bereits die Frage auf: sind die Farbpatronen, mit denen die Kardinäle den Rauch einfärben würden, eigentlich giftig für Möwen? Würde der schwarze Rauch ihren weißen Federn dauerhaft schaden? Doch als das Rauchspektakel um 19:06 Uhr schließlich seinen Anfang nahm, war die Möwe längst über alle Dächer hinweg verschwunden.

    Mit Jorge Mario Bergoglio hatte kaum jemand gerechnet, jetzt ist er Papst, der erste Südamerikaner, der erste Jesuit, und in Deutschland überwiegt deutlich die Freude darüber.

    Mein Kollege Jürgen König hat für uns die deutschen Reaktionen auf die Wahl von Jorge Mario Bergoglio zum Papst zusammengetragen. Eine weitere wollen wir diesem Reigen nun hinzufügen mit dem katholischen Bischof von Essen, mit Franz-Josef Overbeck, der vom Rücktritt von Papst Benedikt XVI. auf einem eher ungewöhnlichen Weg erfahren hat.

    "Ich war zusammen mit meinem persönlichen Referenten dabei, einige Apps auf mein neues Handy zu laden, und lud dabei auch ein App einer bekannten deutschen Zeitschrift auf. Und als das aufgeladen war, erschien als erste Meldung: ‚Der Papst tritt zurück!‘ Wir beiden waren derartig konsterniert, dass wir sofort sagten, das ist nicht nur historisch, wir beiden werden diesen Augenblick aus vielen Gründen nicht vergessen."

    Dobovisek: Das können wir uns wohl vorstellen. Und Bischof Overbeck, den begrüße ich nun am Telefon. Haben Sie von Papst Franziskus auf ähnlichem Weg erfahren?

    Franz-Josef Overbeck: Ja, es war auch eine wieder für mich ungewöhnliche Situation. Ich habe gestern Abend, so wie ich es regelmäßig tue, mit einer großen Gruppe von Priestern unseres Bistums die Heilige Messe gefeiert, und wir waren fast am Ende der Messe angekommen, als die Glocken unseres Domes anfingen zu läuten und wir deswegen wussten, dass ein neuer Papst gewählt worden ist. Ich habe dann alle mitgenommen nach Hause, wir haben Sekt getrunken und vor dem Fernseher dann ausgeharrt, bis wir wussten, wer es geworden war.

    Dobovisek: Und als dann der Name fiel, hat Sie diese Wahl überrascht?

    Overbeck: Ich habe im ersten Augenblick gedacht, ja, du bist überrascht, damit hast du nicht gerechnet. Im zweiten Augenblick habe ich sofort daran gedacht, dass schon bei der Wahl von Papst Benedikt XVI. berichtet wurde, dass Kardinal Bergoglio eine wichtige Rolle gespielt habe. Und drittens war ich natürlich von seinem gewählten Namen bewegt. Das ist auch mein Namenspatron, der Heilige Franziskus von Assisi, und das ist mehr als ein Programm.

    Dobovisek: Was bedeutet dieses Programm für die Zukunft der Katholischen Kirche, der Papst der Armen, der Bischof der Armen?

    Overbeck: Zum einen wird deutlich, Franziskus selber war einer, der von den Armen nicht nur fasziniert war, sondern wusste, die Einfachheit gehört zum Leben. Das zweite Wichtige ist, er war ein Mann einer tiefen Gottverbundenheit, und in die Tiefe zu gehen und wirklich mit Gott und den Menschen verbunden zu leben, ist heute wichtig. Und wichtig ist das Dritte, nämlich Franziskus hat eine große Kirchenreform angestoßen, die der Kirche viele Türen geöffnet hat, und von daher gesehen sind das drei Perspektiven, die mich jetzt im Blick auf den Namen unseres neuen Papstes bewegen.

    Dobovisek: Einige sagen, Franz von Assisi habe die wankende Kirche zu stützen versucht. Andere sagen, er habe sie erst ins Wanken gebracht. Was erwarten Sie in diesem Zusammenhang vom neuen Papst, von Papst Franziskus I.?

    Overbeck: Dass er die Kirche stützt, wie es Franziskus getan hat, und sich selber auf den verlässt, von dem die Kirche lebt, nämlich von Gott und von Jesus.

    Dobovisek: Bischof Bergoglio galt ja als genügsamer Mensch, als Bischof der Armen, Miniapartment statt Bischofssitz, Supermarkt statt Fünf-Sterne-Restaurant, U-Bahn statt Limousine. Steht Papst Franziskus zu links für die Kurie?

    Overbeck: Ich glaube, dass der Papst einen guten Stil finden wird, die Weltkirche zu leiten, und von daher mit seinen Impulsen, die auch gewachsen sein mögen aus seiner Zeit als Erzbischof von Buenos Aires, Wegweisungen gibt, die hilfreich und auch manchmal heilsam sein werden.

    Dobovisek: Wie könnten diese Wegweisungen aussehen?

    Overbeck: Bescheidenheit und eine wirkliche Ernstnahme der Kirchen vor Ort in einer neuen gelebten Verbundenheit mit der Weltkirche. Das ist eine Riesenaufgabe, vor der wir in der Katholischen Kirche stehen, auch für die gesamte Christenheit und vieler Menschen darüber hinaus, und das ist eine der großen Aufgaben, die ich jetzt sehe.

    Dobovisek: Franziskus I. habe kaum Anknüpfungspunkte zur wichtigen Glaubenskongregation, heißt es. Ist das eher hinderlich, oder möglicherweise sogar förderlich für ihn und seine zukünftige Arbeit?

    Overbeck: Er wäre nicht Papst geworden, wenn er nicht mitten im Glauben stünde und von daher auch seine Verantwortung als Glaubenslehrer wahrnimmt. Er kennt sich bestens, so weiß ich es auch als Adveniatbischof, in der Kirche Lateinamerikas aus. Der jetzige Präfekt der Glaubenskongregation, Erzbischof Müller, ist auch jemand, der sich in der Befreiungstheologie von Peru bestens auskennt. Ich glaube, da gibt es viele gute Anknüpfungspunkte.

    Dobovisek: Folgt dem Theoretiker eher ein Praktiker?

    Overbeck: Es folgt ein Mensch mit einer ganz anderen Geschichte und Biografie und gleichzeitig einem anderen Erfahrungshorizont von Theologie und Kirche, und das mag sich gut ergänzen.

    Dobovisek: Sie leiten, Sie haben es gerade angesprochen, die bischöfliche Hilfsaktion für Lateinamerika, Adveniat, und kennen die Kirche in Südamerika gut. Was kann die Katholische Kirche in Europa, in Deutschland auch, von Lateinamerika lernen?

    Overbeck: Die Unmittelbarkeit der Menschen zu Gott und die Unmittelbarkeit zueinander. Ich bin immer wieder bewegt und auch berührt davon, dass die Menschen mit einer völligen Selbstverständlichkeit mit Gott leben dort, und das wünsche ich uns hier in Europa wieder in verstärktem Maße. Und das Gleiche sehe ich auch, dass die Unkompliziertheit des Miteinanders einfach Gemeinschaft bildet, die den Funken überspringen lässt, und das brauchen wir als Kirche auch hier in Deutschland.

    Dobovisek: Warum ist hierzulande diese angesprochene Selbstverständlichkeit offenbar verloren gegangen?

    Overbeck: Wir haben eine andere Kulturgeschichte. Wir stehen an einem anderen Punkt in der Entwicklung auch des Christentums, das es jetzt hier bei uns seit fast 1700 Jahren gibt, und haben von daher eben andere Fragen kultureller Art zu beantworten. Wir müssen das im Sinne einer neuen Einfachheit und neuen Tiefe neu lernen.

    Dobovisek: Sind da vielleicht auch zu viele Seilschaften, zu viele tief eingefahrene Verbindungen der Grund dafür, die ja der bisherige Bischof von Buenos Aires zu bekämpfen suchte?

    Overbeck: Ich glaube, dass hier der Alltag der Menschen sehr von einer anderen Atmosphäre und Kultur bestimmt ist und dass die natürlich auch mit vielen Beziehungen zu tun hat. Das ist so, aber das ist in jedem Erdteil dieser Welt so. Da würde ich die Dinge nicht gegeneinander ausspielen, sondern sagen, es sind verschiedene Herausforderungen zu bestehen.

    Dobovisek: Wie wichtig ist dann aus Ihrer Sicht die Erfahrung, die Bergoglio sammeln konnte im Kampf gegen Korruption?

    Overbeck: Das ist eine wichtige und vor allen Dingen unabhängig machende Erfahrung, die ich allen in der Kirche wünsche, egal wo sie leben.

    Dobovisek: Wie wichtig wird es dann sein, in diesem Kampf, oder sagen wir es anders ausgedrückt, im Neuaufstellen der Kirche, in der Neuausrichtung, ihm auch entsprechende Berater zur Seite zu stellen?

    Overbeck: Es gehört immer zu den wichtigsten Leitungsinstrumenten einer so wichtigen Aufgabe, gute Berater und, ich hoffe, auch Beraterinnen zu finden und damit entsprechende Mitarbeiter, Mitarbeiterinnen. Das ist eine seiner wichtigsten Aufgaben in der nächsten Zeit.

    Dobovisek: Was empfehlen Sie ihm?

    Overbeck: Unabhängige gläubige Leute.

    Dobovisek: Bischof Bergoglio scheint ja, einen dunklen Fleck in seiner Vita, in seiner Vergangenheit zu haben. Er soll sich zur Zeit der argentinischen Militärdiktatur vor über 30 Jahren nicht klar genug positioniert haben. Mehr noch: Anwälte werfen ihm vor, bei der Entführung zweier Jesuiten-Brüder geholfen zu haben. Bergoglio selbst wies diese Vorwürfe stets zurück. Welchen Einfluss könnten diese Vorwürfe dennoch auf seine Zukunft haben?

    Overbeck: Das muss sachlich geklärt werden und ist, glaube ich, auch schon in den ersten Schritten, soweit ich das weiß, und dem wird sich der Papst, der ja einen sehr redlichen und gleichzeitig bescheidenen Eindruck macht, sicherlich klarstellen.

    Dobovisek: Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck, der zugleich die in Lateinamerika tätige bischöfliche Hilfsaktion Adveniat leitet. Ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Overbeck: Ja, bitte!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.