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"Ich glaube, dass die Bundesregierung überhaupt nicht gut bedient ist"

Er habe den Eindruck, "dass die wissenschaftlichen Aussagen möglichst so gestaltet werden sollten, dass sie diesem übergeordneten Ziel dienen", sagt Klimaforscher Hans von Storch, Professor an der Universität Hamburg und Direktor des Instituts für Küstenforschung zum Bild seiner Zunft in der Öffentlichkeit.

Hans von Storch im Gespräch mit Jasper Barenberg | 09.12.2009
    Jasper Barenberg: 33 Atolle umfasst der pazifische Inselstaat Kiribati. Am höchsten Punkt liegen sie gerade einmal zwei Meter über dem Meeresspiegel. Kiribati wird untergehen, das fürchten seine Bewohner und sehen die Anzeichen vor ihrer Haustür. Schon jetzt zerstört der Klimawandel die Grundstücke am Meer, entzieht den Menschen die Lebensgrundlage, weil sie auf den absterbenden Korallenriffen nicht mehr angeln können. Auch die Versorgung mit Trinkwasser ist durch ungewohnte Dürreperioden immer schlechter geworden. Auf der Klimakonferenz in Kopenhagen wird Präsident Tong die Probleme schildern. Vorsorglich aber kümmert er sich jetzt schon um neues Land und um schwimmende Inseln für die Bewohner.
    Die Probleme im Inselstaat Kiribati, sie machen beispielhaft deutlich, um was es im Kern bei der UNO-Konferenz in der dänischen Hauptstadt geht. Der moderne Mensch produziert Treibhausgase, dadurch wird das Klima auf der Erde wärmer, die Welt steuert in eine Klimakatastrophe. So sehen es viele Forscher aus vielen Staaten, so sieht es der Klimarat der Vereinten Nationen. Einige wenige Wissenschaftler aber gehen ein Stück weit auf Distanz zu dieser dominanten Meinung der Mehrheit. Angeheizt wird die Diskussion durch Vorwürfe der letzten Tage, ausweislich von E-Mails habe die sogenannte Climate Research Unit der Universität von East Anglia Daten manipuliert. Zu den Kritikern zählt auch der Klimaforscher Hans von Storch, Professor an der Universität Hamburg und Direktor des Instituts für Küstenforschung in Geesthacht. Den Klimawandel leugnet er keineswegs, warnt aber vor einem Kartell von Alarmisten. Darüber habe ich mit Hans von Storch gesprochen.

    Hans von Storch: Das Kartell, wie es sich dargestellt hat in den sogenannten CRU-Mails, hat gegen ein elementares Prinzip der Wissenschaft verstoßen, nämlich gegen das Prinzip der Offenheit. Wissenschaft muss offen betrieben werden. Alle Ergebnisse, die produziert werden, müssen prinzipiell nachprüfbar sein, auch angreifbar sein, auch angreifbar von Leuten, die mir nicht positiv gesinnt sind. Das muss man als Wissenschaftler ertragen, dass auch übel gesinnte Leute nach einem genauer gucken. Was aus den E-Mails aus CRU hervorgeht ist, dass man dort versucht hat, Leute entweder gar nicht erst zu Publikationen durchzulassen, indem man versucht hat, mit Autoren zu reden oder mit Verlegern zu reden, dass man als Leitautor beim IPCC zumindest die Gedanken geäußert hat, man sollte gewisse Personen heraushalten aus dem gesamten Prozess, und schließlich vielleicht am übelsten, dass man die Daten, auf denen die eigenen Ergebnisse beruhen, nicht zur Überprüfung an dritte herausgerückt hat. Das alles ist so nicht akzeptabel.

    Barenberg: Sie haben sich jetzt bezogen auf Vorwürfe aus den letzten Tagen, wonach es Manipulationen an einem bestimmten Forschungsinstitut in Großbritannien gegeben hat. Aber würden Sie so weit gehen zu sagen, dass dieser Vorwurf des Kartells oder der Vorwurf, es handele sich um Alarmisten, auch grundsätzlich gilt für die Wissenschaftler, die vor allem im Fokus und in der Öffentlichkeit stehen, wenn es um Klimawandel geht?

    von Storch: Ja, doch. Das ist sicher auch noch weiter, nur man kann es nicht so gut belegen. Aber sehen Sie sich zum Beispiel mal den wissenschaftlichen Beirat von globaler Umweltermittlung an, also den Beirat für die Beratung der Bundesregierung. Da gibt es im wesentlichen zwei Naturwissenschaftler, die sind beide aus dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, vertreten eine ähnliche Meinung und haben durchaus eine Neigung, die Geschichte etwas dramatischer zu erzählen. Ich glaube, dass damit die Bundesregierung überhaupt nicht gut bedient ist, aber so ist die Lage nun mal.

    Barenberg: Woher kommt denn dieser Hang zur Dramatisierung aus Ihrer Sicht?

    von Storch: Weil hier versucht worden ist, die Wissenschaft zum Büttel der Politik zu machen, oder auch teilweise einige Leute versuchen, die Politik zum Büttel der Wissenschaft zu machen. Aber dass man gesagt hat, es gibt hier eine Gelegenheit, wirklich einen Wandel in der Gestaltung der Welt herbeizuführen, nämlich einen umweltorientierteren - und dem kann man ja auch durchaus zustimmen -, und dass die wissenschaftlichen Aussagen möglichst so gestaltet werden sollten, dass sie diesem übergeordneten Ziel dienen.

    Barenberg: Ist das eigentlich ein ganz normaler Vorgang im Verhältnis zwischen Wissenschaft, Politik und auch den Medien? Wir sind ja auch beteiligt.

    von Storch: Ich würde hoffen, dass es nicht so ist. Die Klimaforschung ist in einer Phase, die man gern postnormal nennt. Das heißt, es ist eine Phase, in der die Unsicherheiten in den Aussagen aufgrund der Problematik, der Schwierigkeit der Situation hoch ist, und indem eben sehr viel auf dem Spiel steht. Das führt dann dazu, dass alles mögliche gesagt wird, alle möglichen Leute sich daran beteiligen und dann genau diese Exzesse, die wir jetzt sehen, auch eintreten. Wenn sie das gleiche sagen würden für altägyptische Sprachen, würde das ganz sicherlich nicht passieren, aber wir haben natürlich schon ähnliche Dinge gesehen bei dieser unsäglichen Phase des Waldsterbens, als sich letztendlich die Wissenschaft ebenfalls prostituiert hat.

    Barenberg: Hat das auch etwas damit zu tun, Herr von Storch, dass wir gerne eindeutige Aussagen haben möchten, beispielsweise über das Ausmaß des Klimawandels, über die schädlichen Folgen, dass aber die Wissenschaft selber diese Aussagen gar nicht in der Präzision erstellen kann?

    von Storch: Ja, das hängt sicher damit zusammen und das ist eigentlich auch gar nicht weiter schlimm. Die Gründe, die es dafür gibt, dass man eine aktive Klimaschutzpolitik betreiben sollte, sind von der Wissenschaft vollkommen ausreichend belegt, nämlich CO2 macht die Erde wärmer, und zwar deutlich wärmer, hat sie schon wärmer gemacht und wird sie weiter wärmer machen. Damit ändern sich natürlich auch andere Eigenschaften wie Niederschlagsregime und Ähnliches. Das alles stellt einen Stress dar für Gesellschaft und Ökosysteme und wie das nun im Detail, im Einzelnen aussieht, spielt dann gar nicht so eine große Rolle. Klar ist, dass wir hier Veränderungen vor uns haben, die uns herausfordern, mit denen wir umgehen müssen. Wir wissen auch: je weniger wir emittieren, desto geringer werden diese Änderungen. Wir wissen aber auch, dass Klima heute schon gefährlich ist, möglicherweise dann in einigen Jahrzehnten noch gefährlicher ist, und dass wir auch dafür zu sorgen haben, dass hier Mensch und Natur besser mit diesen Gefahren umgehen kann.

    Barenberg: Nun hat sich die Politik, haben sich auch die meisten, die sich damit beschäftigen, geeinigt auf das Ziel, die Erderwärmung nach Kräften auf zwei Grad zu begrenzen. Das steht ja auch im Mittelpunkt der Berichterstattung, steht im Mittelpunkt der Verhandlungen in diesen Tagen in Kopenhagen. Ist das die richtige Agenda, ist das das richtige Ziel?

    von Storch: Das ist ein gesellschaftlicher Beschluss, dass man das erreichen will, und mir als Wissenschaftler steht nicht zu, zu sagen, ob das richtig oder falsch ist. Ich persönlich, wenn Sie mich als Bürger fragen, würde ich sagen, ja, das ist eigentlich ein ganz guter Beschluss. Ob das tatsächlich erreichbar ist, ist eine ganz andere Geschichte. Man sollte sich in der Regel eigentlich nur Ziele vornehmen, die man auch erreichen kann. Aber die Zahl zwei Grad ist nicht wissenschaftlich gegeben, wie bisweilen behauptet wird, sondern ist eine gesellschaftliche Verabredung.

    Barenberg: Sie beklagen ja auf der anderen Seite eine Verengung der Diskussion. Mit anderen Worten: wenn wir uns nur beschränken auf dieses Ziel, zwei Grad möglichst zu unterlaufen, gerät dann anderes aus dem Blick, was ebenso notwendig wäre?

    von Storch: Eigentlich ist meine Kritik so gemeint: wenn wir lediglich uns konzentrieren auf die Verminderung der Emissionen, zum Beispiel um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, dann verlieren wir notwendigerweise die Aufgabe aus dem Auge, wie wir denn mit den vorhandenen Gefahren und meinetwegen zukünftig verschärften Gefahren umgehen können. Also der ganze Bereich der Anpassung wird dann nicht behandelt, und in der öffentlichen Meinung schon gar nicht. Das ist natürlich eine Verarmung der Möglichkeiten, die da sind. Das sollte man auf gar keinen Fall tun. Man sollte in der Öffentlichkeit sowohl diskutieren, wie können wir den Klimawandel vermindern - denn um vermeiden geht es ja nicht, sondern immer nur um vermindern - und wie gehen wir mit dem Teil an Klimawandel um, den wir nicht vermeiden können. Das wäre zum Beispiel die zwei Grad. Wir sollten uns aber auch Gedanken darüber machen, wenn es uns nicht gelingen sollte mit den zwei Grad und wir enden am Ende bei 2,5 Grad oder drei Grad, welche Möglichkeiten des Umgangs damit haben wir denn dann.

    Barenberg: Über welche Möglichkeiten diesbezüglich müssten wir nachdenken?

    von Storch: Wir müssen einerseits vor allen Dingen über die Anpassung nachdenken. Wenn 100.000 Leute beim Wirbelsturm Nargis in Myanmar vor eineinhalb Jahren zu Tode kamen, lag das vor allen Dingen daran, dass es keine Anpassungsmaßnahmen gab. Es war keine Vorbereitung da, es gab keine Schutzräume, gar nichts. Die sind einfach ersoffen, ohne weitere Warnung. Hier müssen wir natürlich ganz dringend was machen. Wir müssen auch in Deutschland etwa darüber nachdenken, macht es wirklich Sinn, dass man in den Flussauen baut, oder sollte man hier doch lieber Räume schaffen, wo das Wasser sich verlaufen kann, damit es nicht am Ende im Leipziger Bahnhof landet. All diese Diskussionen werden in der Öffentlichkeit nicht, oder nur kaum geführt, und das ist sicherlich eine Reduktion, die nicht gut ist. Schließlich gibt es noch den Bereich des sogenannten Geo-Ingenieuring. Das heißt, in welchem Maße können wir die Umwelt so verändern, dass der Klimawandel sich entweder lokal, oder auch global gar nicht erst entfalten kann. Das ist so ein bisschen die Frage nach den Rettungsbooten, in die eigentlich am Ende auch keiner einsteigen will, aber es ist doch ganz gut zu wissen, dass Rettungsboote da sind. Also in die Forschung in die Rettungsboote sollten wir auch was hineintun.

    Barenberg: Zum Schluss, Herr von Storch, in Kopenhagen sind Sie nicht dabei. Wünschen Sie der Konferenz dort dennoch einen Erfolg?

    von Storch: Natürlich, denn es ist ja für uns alle wichtig, dass wir den Klimawandel ernst nehmen. Was ich mir wünsche ist zu allererst, dass es tatsächlich zu einem Einvernehmen kommt. Das erste Einvernehmen ist die Anerkenntnis, dass wir es tatsächlich mit einem Problem zu tun haben und dass die Emissionen runter müssen. Wie weit sie runterkommen, wie verbindlich, das wird man sehen. Ich habe auch meine Bedenken, ob das gelingt. Ich habe auch meine Bedenken, dass am Ende ein Zwei-Grad-Ziel erreicht wird. Was ich mir aber auch erhoffe ist, dass ganz ernsthaft über die Klimafolgen geredet wird, erstens die wir jetzt schon haben und die, die sich zukünftig ergeben können, das heißt zu einer deutlich verbesserten Anpassung, und das ganze sollte realistisch sein, dass es nicht in einem Feuerwerk von guten Absichten verbrannt wird.

    Barenberg: Hans von Storch, Professor an der Universität Hamburg und Direktor des Instituts für Küstenforschung in Geesthacht. Wir haben das Gespräch vor der Sendung aufgezeichnet.