Archiv


"Ich glaube, dass wir die Aussprache brauchen"

Die designierte stellvertretende SPD-Vorsitzende, Bonns Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann, hat sich für eine Aufarbeitung der zurückliegenden Führungskrise ausgesprochen. Die Partei brauche eine Aussprache, sagte Dieckmann am Freitag im Deutschlandfunk. Ob der Parteitag in knapp zwei Wochen das richtige Forum dafür ist, ließ sie offen.

Moderation: Klaus Remme |
    Klaus Remme: Hört man sich die Lobgesänge auf den designierten Parteichef Matthias Platzeck an, könnte man fast von einem Systemwechsel sprechen. Am Telefon ist Bärbel Dieckmann, seit langem Bonner Oberbürgermeisterin und jetzt auch designierte stellvertretende Parteivorsitzende. Guten Morgen, Frau Dieckmann!

    Bärbel Dieckmann: Guten Morgen!

    Remme: Frau Dieckmann, Sie waren am Montag noch Teil des Problems und Sie haben für Andrea Nahles gestimmt. Heute sind Sie Teil der Lösung. Wie geht das zusammen?

    Dieckmann: Ich glaube, ich war am Montag nicht Teil des Problems, sondern ich habe am Montag zu denen gehört, die mit diskutiert haben und eine Entscheidung getroffen haben über unsere Vorstellung von der Rolle eines Generalsekretärs oder einer Generalsekretärin. Ich sage auch, dass ich mich in Einschätzung der Konsequenzen, die ich für mich nicht in dieser Form gesehen habe, anders verhalten hätte. Ich gehöre seit 32 Jahren der SPD an, habe immer in der SPD Politik gemacht und deshalb halte ich mich nicht für einen Teil des Problems und möchte jetzt aber sehr gerne auch an der Lösung teilhaben.

    Remme: Zumindest ein Teil des Problems für Franz Müntefering meinte ich.

    Dieckmann: Ich habe Franz Müntefering immer als Parteivorsitzenden unterstützt. Ich glaube er war ein besonderer Parteivorsitzender, sowohl in Nordrhein-Westfalen als auch im Bund, und ich kann nur noch mal wiederholen, was ich eben gesagt habe: für mich ging es um eine andere Frage, nicht um Franz Müntefering, in keiner Sekunde.

    Remme: Andrea Nahles wollte eine politische Generalsekretärin sein. Jetzt haben Sie einen Pragmatiker, Hubertus Heil. Wir haben eben über ihn gehört. Krankte Ihre Partei in den letzten Monaten nicht eher an einem zu viel des Pragmatismus?

    Dieckmann: Ich glaube, dass die Situation eine ganz andere war. Wir brauchten natürlich Pragmatismus, aber wir brauchen auch Programmatik. Wir wollen jetzt den Erfolg der großen Koalition. Die Wähler und Wählerinnen haben so entschieden. Aber der zukünftige Generalsekretär wird neben der Tatsache, dass das Projekt große Koalition gelingen muss und gelingen soll - das wollen wir -, auch die programmatische Diskussion in der SPD mit begleiten müssen. Er wird auch die Formulierung zukünftiger Inhalte unserer Politik begleiten müssen. Ich denke wir werden Anfang 2007 das Parteiprogramm verabschieden. Insofern ist das kein Widerspruch. Wir werden pragmatisch sein müssen, aber wir werden auch programmatisch arbeiten.

    Remme: Verliebt sein ins Gelingen, hieß es vor wenigen Tagen, und da wird dieser Pragmatismus betont. Was soll denn dann aus der SPD als programmatischer Partei werden, das Parteiprogramm in allen Ehren?

    Dieckmann: Ich glaube, dass das kein Widerspruch ist. Die Wähler und Wählerinnen haben uns einen Auftrag gegeben. Wir sind gewählt für die Menschen und wir sind verpflichtet und wir wollen Lösungen für dieses Land finden. Das geht in dieser Situation nur in der großen Koalition. Trotzdem wird immer eine Partei auch darüber nachdenken müssen, was über das Praktisch und ganz pragmatische Regierungshandeln hinaus Ziele sein müssen, wie weitere Ziele sind, die vielleicht auch über das hinaus gehen, was im Moment vielleicht auch aus finanziellen Gründen zu verwirklichen ist. Das ist ein Spagat, den eine Partei, die in der Regierung ist, immer machen muss und den wir auch bewältigen werden.

    Remme: Frau Dieckmann, die SPD hat wegen Hartz IV jede Menge Wahlen verloren, ist abgestraft worden für die politische Absicht, die hinter dieser Reform stand. Diese Reform hat in ihrer Auswirkung jetzt alle Chancen, ein Desaster zu werden. Sie kostet viel mehr, als man uns erzählt hat, und mit der viel gelobten Arbeitsvermittlung hapert es. Können Sie Hartz IV immer noch guten Gewissens verteidigen?

    Dieckmann: Wir müssen natürlich heute registrieren, dass es bei Hartz IV - und zwar auch schon im Gesetz - Lücken gegeben hat, die geschlossen werden müssen. Ich persönlich sage trotzdem, dass diese Reformen von ganz großer Bedeutung waren. Wir haben immer gewusst, dass viele Sozialhilfeempfänger arbeitsfähig sind. Wir haben gewusst, dass das ein geteiltes System ist, das nicht mehr der Realität entsprach. Deshalb finde ich den ehrlichen Umgang mit denen, die arbeitsfähig sind, und dann denen, die in der Sozialhilfe bleiben, die eben nur noch ganz wenige sind, richtig. Wir müssen jetzt gucken, dass wir Arbeitslose vermitteln, dass wir Missbrauch, der aber nicht immer persönlicher Missbrauch, sondern im System auch möglich ist, verhindern. Wir müssen aber vor allem Arbeitsplätze in diesem Land schaffen.

    Remme: Sie sind ja als Oberbürgermeisterin auch Vertreterin einer Kommune. Sparen denn wenigstens Sie durch Hartz IV?

    Dieckmann: Wir gehen überschlägig davon aus, dass wir sparen. Das heißt, dass das, was wir einsparen, durch die Ausgaben in der Sozialhilfe, aber auch durch Personal, was in die Arbeitsgemeinschaft gegangen ist, zu Einsparungen führt. Insofern gehören wir zu denen, die nach den bisherigen vorliegenden Daten etwas einsparen.

    Remme: Matthias Platzeck und Angela Merkel führen jetzt die beiden Volksparteien und viel wird in den Medien darüber geredet, dass eben diese beiden aus dem Osten kommen und dies nicht ein Zufall ist, sondern durchaus etwas Positives für das Land bewirken kann. Wie sehen Sie das?

    Dieckmann: Ich finde das die Normalität. Ich glaube, dass es eher erstaunlich ist, dass wir immer noch darüber diskutieren, dass es so ist. Deutschland ist ein Land. Wir sind seit Jahren wiedervereinigt und ich hoffe und denke, es wird ganz normal werden, dass ein Politiker oder eine Politikerin nicht mehr daran gemessen wird, dass sie von der einen oder anderen Seite kommt.

    Remme: Frau Dieckmann, Klaus von Dohnanyi hat gestern hier im Deutschlandfunk an dieser Stelle beklagt, die SPD verstehe es nicht ausreichend, die Erfahrungen der Altgedienten zu nutzen, jener, die nicht länger in Amt und Würden sind. Clement geht, Schröder geht, andere auch. Stimmt diese Kritik?

    Dieckmann: Nein, die sehe ich nicht so. Da, wo ich in der SPD arbeite, sind Ältere und Jüngere sehr eng, arbeiten auch zusammen, tauschen sich aus. Ich finde es aber persönlich, da ich inzwischen zu den Älteren gehöre - ich glaube ich bin jetzt die Zweitälteste, werde ich sein im neu gewählten engeren Vorstand, wenn ich denn gewählt werde -, ganz, ganz wichtig, dass wir auch die Jüngeren einbinden. Meine Generation ist eine Generation, die sehr breit Positionen in der SPD besetzt hat, weil wir einfach viele Mitglieder auch waren, die Anfang der 70er eingetreten sind. Ich werde jeden Jüngeren auch fördern, weil ich natürlich auch weiß, dass es irgendwo eine Altersgrenze gibt.

    Remme: Es sind neue Namen, die da gestern präsentiert wurden. Das Ganze muss auf dem Parteitag natürlich abgesegnet werden. Sind Sie dafür, dass dieser Parteitag genutzt wird zu einer Aussprache über das, was gewesen ist, oder ist der Blick nach vorne gefragt?

    Dieckmann: Ich glaube der Blick nach vorne ist sehr wichtig. Ich glaube aber, dass wir auch die Aussprache brauchen. Ob dann die Foren des Parteitages der richtige Ort sind, möchte ich mal offen lassen. Im Moment finden viele Aussprachen und Diskussionen in den Unterbezirken, in den Ortsvereinen statt, in den Delegiertenvorbesprechungen und das halte ich auch für ganz wichtig und richtig. Wir haben einen ganz großen Konflikt gehabt. Wir haben möglicherweise auch ein großes Kommunikationsproblem gehabt. Das muss in der Partei diskutiert und ausdiskutiert werden.