Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


"Ich glaube, es gibt niemanden, der kein mulmiges Gefühl hat"

Man müsse darüber sprechen, ob bei dem US-Spionageprogramm die Daten deutscher Nutzer betroffen seien, fordert Bernhard Rohleder vom Branchenverband BITKOM. Allerdings sei für ein sicheres Internet eine Kooperation zwischen Sicherheitsbehörden und Dienstleistern notwendig.

Bernhard Rohleder im Gespräch mit Dirk Müller | 10.06.2013
    Müller: Herr Rohleder, sind die Internet-Konzerne Helfershelfer der amerikanischen Regierung?

    Rohleder: Nun, wir wissen es nicht. Wir wissen, was die Konzerne verlautbaren, die in sehr scharfen und sehr klaren Erklärungen eine solche Vermutung abgelehnt haben. Das Einzige, was wir im Moment wissen ist, dass wir nicht die ganze Geschichte kennen und dass wir auch nicht die wahre Geschichte kennen.

    Müller: Also es kann sein, dass sie helfen?

    Rohleder: Ich will mich an diesen Spekulationen nicht beteiligen. Nur hat die Geschichte jetzt mit der Flucht des einzigen Informanten nach China letztlich eine so seltsame Drehung bekommen, dass man sich durchaus fragen muss, in welche Richtung läuft diese Geschichte jetzt weiter, und ich bin gespannt, was uns hier die nächsten Tage und Wochen bringen an Informationen.

    Müller: Nun gibt es ja in Washington, in den USA dieses Gesetz. Es gibt Sondergerichte, die auch des Nachts tagen, wenn es sein muss, um dann Beschlüsse weiterzugeben an die großen Konzerne, an Facebook, an Google, an Skype, an YouTube und so weiter, damit der Geheimdienst das machen kann, was er für richtig hält. Ist das für Sie völlig unbekannt?

    Rohleder: Wir haben ähnliche Situationen ja letztlich auch in Deutschland, auch wenn wir keine nachts tagenden Geheimgerichte haben. Es gibt in Europa eine Regulierung zur Vorratsdatenspeicherung, die in fast allen Ländern umgesetzt wurde, außer in Deutschland. Auch da werden Telefondaten letztlich abgehört, was nicht heißt, dass Gespräche mitgehört werden, und wo es natürlich einen kleinen, aber doch sehr feinen Unterschied gibt. Zum einen werden keine Standortdaten kommuniziert und zum Zweiten gibt es keinen Automatismus, dass die Daten an staatliche Behörden laufen, sondern sie bleiben für einen begrenzten Zeitraum bei den Telekommunikationsnetzbetreibern, und werden dann nur auf einzelne Anfrage freigegeben.

    Müller: Auch dann nur aufgrund richterlicher Beschlüsse?

    Rohleder: Das ist richtig. Es muss immer einen richterlichen Beschluss geben. Aber das, hören wir, sei in den USA ja letztlich genauso.

    Müller: Dennoch ist von einem größeren Automatismus die Rede und von vielen Spekulationen, jedenfalls derjenigen, die diese Geschichte auch mit recherchiert haben, dass die Unternehmen offenbar freiwillig bereit waren zu kooperieren, das heißt mitzuarbeiten, diese Daten zur Verfügung zu stellen. Könnte das sein?

    Rohleder: Ich kann ganz ehrlich mir nicht vorstellen, dass die Unternehmen in so scharfen Erklärungen nach außen gehen und eine entsprechende Kooperation auf freiwilliger Basis mit einem umfassenden Zugriff der Strafverfolgungs- oder der Nachrichtendienste auf die eigenen Server, dass die Unternehmen das mit so scharfen Worten ablehnen, wenn es sich anders verhielte, weil sie natürlich sich der Gefahr aussetzen, wenn dann in zwei Wochen sich zeigt, die Situation ist in Wirklichkeit ganz anders gewesen, dass sie umso schärfer angegriffen werden.

    Müller: Haben Sie, Herr Rohleder, als Hauptgeschäftsführer des Branchenverbandes BITCOM über ähnliche Dinge, über diese Dinge schon jemals mit den Konzernführungen, die in Deutschland sind, gesprochen?

    Rohleder: Wir haben natürlich intensiv diskutiert, was der Patriot Act für in Deutschland bearbeitete Daten bedeutet, und haben aber über Fragen des Zugriffs von US-amerikanischen Nachrichtendiensten auf Server von Unternehmen natürlich in Deutschland nicht gesprochen.

    Müller: Auch nicht mit Microsoft beispielsweise in Deutschland?

    Rohleder: Mit keinem Unternehmen wurde hier darüber gesprochen, dies auch vor dem Hintergrund, dass wir bislang keinen Anlass hatten, solche Themen hier auch wirklich dann zur Sprache zu bringen.

    Müller: Sie sagen, es gibt keinen Anlass. Aber es gibt jetzt zumindest den Verdacht, dass diese Daten geflossen sind und dass die in einer automatischen Netzwerkeinstellung in irgendeiner Form weitergegeben worden sind.

    Rohleder: Es gibt diesen Verdacht und es gibt vor allem einen Moment in dieser ganzen Diskussion, was uns natürlich besonders beunruhigt, was in den USA als Beruhigungspille serviert wurde, nämlich die Feststellung, dass es ja gar nicht um Daten von US-amerikanischen Bürgern ginge, sondern von Ausländern. Das hat hier in Deutschland natürlich genau die umgekehrte Wirkung, nämlich führt zu besonderer Beunruhigung, und das zurecht.

    Müller: Also werden Sie es thematisieren und die großen Konzerne anfragen, gibt es dieses Datenabgreifen, gibt es diese Datenüberwachung auch für deutsche Internet-Nutzer?

    Rohleder: Die Anfrage an die Unternehmen ist ja bereits offiziell ergangen und alle Unternehmen haben sich dazu geäußert, und zwar direkt über die Konzernspitze, über den CEO, was diesen Vorgang ja auch letztlich sehr ungewöhnlich macht. Normalerweise gibt dann die Presseabteilung eine entsprechende Erklärung heraus. In diesen Fällen war es anders: Es haben sich die Chefs der Unternehmen geäußert. Wenn wir jetzt als BITCOM noch mal anfragen, werden wir keine andere Antwort bekommen. Aber natürlich werden wir dieses Thema auch diskutieren hier in Deutschland mit den hier ansässigen Konzernspitzen.

    Müller: Jetzt haben Apple und Google ja beispielsweise, Herr Rohleder, auch in den Vereinigten Staaten zunächst einmal gesagt, wir haben von alledem nichts gewusst, und nachher ist dann eingeräumt worden, scheibchenweise, dass doch kooperiert wurde, eben aufgrund der Gesetzeslage, aufgrund dieser Sondergerichte, die die Unternehmen offenbar nach Gesetzeslage dazu zwingen. Ist das dann noch glaubwürdig, das Dementi?

    Rohleder: Man muss sich die Dementis an der Stelle schon im Wortlaut ansehen. Es wurde festgestellt, dass man nicht in der kolportierten Form, nämlich dass es einen direkten Zugriff auf die Server von Unternehmen gäbe, den kompletten Datenverkehr auslesen lässt. Aber selbstverständlich sind die Unternehmen überall auf der Welt und auch hier in Deutschland gezwungen, dass dann, wenn es eine richterliche Anordnung gibt, sie auch kooperieren. Ich sage auch, das brauchen wir auch, um das Internet sicher zu halten. Ohne Kooperation zwischen Strafverfolgungs- und Überwachungsbehörden und den Internet-Dienstleistern werden wir an der Stelle das Internet nicht sicherer machen können. Aber die Frage, die sich stellt, ist natürlich: Wie weit gehen die richterlichen Beschlüsse erstens und wie weit wird aus einem Ausnahmefall ein Regelfall der Überwachung.

    Müller: Können Verbraucher, die User, die Nutzer ihren Konzernen, ihren Plattformen, die sie jedenfalls benutzen, noch vertrauen?

    Rohleder: Das hängt ein wenig von der Plattform ab zum einen. Zum Zweiten haben wir natürlich auch Instrumente, mit denen wir uns schützen können. Die sind zum Teil sehr einfach. Wir haben hier in Deutschland einen neuen E-Mail-Dienst, den De-Mail-Dienst. Wir haben den E-Post-Brief, wo man besonders vertrauenskritische Informationen dann abwickeln kann. Wir müssen uns natürlich schon überlegen, was machen wir alles im Internet, inwieweit kommunizieren wir elektronisch und inwieweit nutzen wir zum Beispiel verfügbare Verschlüsselungsmechanismen, um uns hier in Zukunft besser zu schützen, auch vor dem Zugriff nationalstaatlicher Behörden.

    Müller: Haben Sie da jetzt schon doch auch ein bisschen ein mulmiges Gefühl?

    Rohleder: Ich glaube, es gibt niemanden, der kein mulmiges Gefühl hat. Perception Reality! Völlig unabhängig davon, was an dieser Geschichte dran ist, hat sie heute bereits Vertrauen zerstört und macht uns alle natürlich nachdenklich. Ich habe eine gewisse Sorge, dass diese Diskussion dazu führt, dass wir im Grunde genommen so etwas wie nationalstaatliche Grenzen ins Internet wieder einziehen, wo jeder seine eigene Infrastruktur aufbaut, weil natürlich die Daten, die wir uns unter dem Stichwort "Big Data" in Zukunft kommunizieren, also auch Gesundheitsdaten, Standortdaten in der Verkehrstelematik, oder Bildungsdaten, dass diese Daten noch viel sensibler sind als die E-Mails, die wir heute zwischen Freunden und Verwandten hin- und herschicken.

    Müller: Bei uns heute Morgen live im Deutschlandfunk Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des Internet-Branchenverbandes BITKOM. Danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Rohleder: Danke an Sie.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.