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"Ich glaube nicht, dass die SPD da einen vernünftigen Weg gegangen ist"

Bei der Rente mit 67 macht die SPD die sprichwörtliche Rolle rückwärts. Der stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Fritz Kuhn, sagt: "Ich glaube, dass die Verschiebung jetzt eher ein taktisches Problem der SPD löst als wirklich ein Rentenproblem."

Fritz Kuhn im Gespräch mit Friedbert Meurer | 24.08.2010
    Friedbert Meurer: Der SPD-Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel hat sich ein Ziel gesetzt. Er will seine Partei wieder einen und aufrichten. Die Hartz-IV-Gesetze unter Gerhard Schröder, dann die Rente mit 67 in der Zeit der Großen Koalition haben viele Genossen hart getroffen. Viele haben gesagt, das ist keine SPD-Politik mehr, und sich enttäuscht von der Partei abgewandt. Jetzt wurde ein Kompromiss gefunden: Die Rente mit 67 wird auf 2015 oder später verschoben. Erst müsse mindestens die Hälfte aller über 60-Jährigen einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz haben.

    O-Ton Sigmar Gabriel: Wer sagt, dass die Bedingungen, die wir jetzt stellen, nicht eingehalten werden kann, der ist selbst in einer Situation, dass er doch dann bitte den Menschen das sagt, was die Konsequenz ist, nämlich dass es eigentlich um eine generelle Kürzung der Rente geht.

    Meurer: Sigmar Gabriel zur Begründung, warum das alles verschoben wird. Das soll jetzt in den nächsten Monaten von der Basis diskutiert werden. Am Telefon begrüße ich Fritz Kuhn, er ist der stellvertretende Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen. Guten Morgen, Herr Kuhn.

    Fritz Kuhn: Guten Morgen!

    Meurer: Gehen wir einmal aus vom Szenario, nach der nächsten Bundestagswahl gibt es Rot-Grün. Die Umfragen lassen das im Moment für möglich erscheinen. Würden die Grünen eine Verschiebung der Rente mit 67 mittragen?

    Kuhn: Also ich glaube nicht, dass die SPD da einen vernünftigen Weg gegangen ist. Die Rente mit 67 wird ja nicht 2012 stattfinden im Sinne von, dass man dann bis 67 arbeitet, sondern sie wird über 20 Jahre lang aufgebaut. In jedem Jahr kommt ein Monat dazu, also kann man einen Monat später in die Rente. Und der entscheidende Punkt jetzt ist doch, dass man erreicht, dass mehr Leute, die älter sind, überhaupt noch einen Job haben, und zwar einen richtigen und nicht nur einen 400-Euro-Job. Ich glaube, wenn man jetzt sagt, es wird verschoben, dann steigt man aus, ehe es überhaupt richtig los geht. Was man machen muss ist immer überprüfen, ob die Beschäftigung für Ältere zuwächst, ob wir eine bessere Kultur der Altersarbeit haben. Da ist die Bundesregierung übrigens auch im Verzug, was Maßnahmen dazu angeht. Auch die Wirtschaft ist gefordert. Aber man sollte jetzt nicht den Druck rausnehmen, indem man sagt, ach, wir machen es doch nicht.

    Meurer: Stand der Dinge im Moment ist aber, Herr Kuhn: nur 20 Prozent der über 60-Jährigen haben einen richtigen Job. Das würde doch bedeuten, 80 Prozent müssen eine Rentenkürzung hinnehmen?

    Kuhn: Das ist natürlich richtig. Wenn sich da nichts verändert, würde die Rente mit 67 in 20 Jahren eine richtige Rentenkürzung bedeuten, und deswegen muss Druck aufgebaut werden, dass die Leute länger arbeiten können. Da wird die Demografie, die demografische Entwicklung, dass Fachkräfte fehlen, dass Beschäftigte fehlen, ihres leisten, aber es muss auch von der Bundesregierung einiges gemacht werden. Zum Beispiel muss es Förderprogramme für altersgerechte Beschäftigung geben. Wir brauchen auch ein Erwachsenen-Bildungsförderungsgesetz, also viele Maßnahmen, die die Betriebe auch dazu bringen, wirklich da jetzt mehr ältere Beschäftigte einzustellen.

    Meurer: Das sagt ja auch alles die SPD. Aber warum dann nicht ein bisschen warten, ein paar Jahre warten?

    Kuhn: Weil man ein falsches Signal setzt, wenn man jetzt da aussteigt. Ich will noch mal sagen, warum Rente mit 67? 1960 gab es Rentenlaufzeiten von zehn Jahren. Die Rentner waren zehn Jahre in der Rente. 2010 sind es 18 Jahre und es werden 2030 sogar 21 Jahre sein, und das ist ja was Gutes, weil die Leute älter werden. Man kann aber nicht davon ausgehen, dass die geringere Zahl der dann noch jüngeren Beschäftigten dies alles finanzieren kann, und deswegen ist im Sinne von Generationengerechtigkeit da eine faire Regelung zu treffen. Es ist eigentlich, was jetzt getroffen wurde bei der SPD, sozusagen ein Verschieben von Generationengerechtigkeit um zwei Jahre, um drei Jahre, und so was kann man meines Erachtens nicht tun. Die Rente mit 67 muss kontinuierlich kommen, indem mehr Leute länger in Arbeit sein können. Die Kultur der Altersarbeit muss wachsen. Das ist die Aufgabenstellung, vor der wir stehen. Mich ärgert vor allem an der CDU und an der Regierung, dass sie sich der Frage überhaupt nicht ernsthaft stellt.

    Meurer: Aber sie hält an der Rente mit 67 fest. Herr Kuhn, die SPD sagt, sie bestreitet, dass das zu Lasten der jungen Leute unbedingt gehen muss. Sie sagt, wir müssen einfach mehr Beitragszahler einbeziehen: Freiberufliche, Selbstständige. Würden Sie diesen Weg mitgehen?

    Kuhn: Natürlich kann man insgesamt über Rentenreformen nachdenken, aber das Grundsatzproblem, dass mehr Leute länger in Rente sind und weniger junge Leute in der Arbeit, das kann man nicht wegdiskutieren. Man kann das auch nicht durch Wachstum lösen. Wissen Sie, was mich an der Diskussion stört ist noch was ganz anderes, nämlich dass die großen sozialen Fragen, die die Bundesregierung gerade negativ aufwirft, also die sozialen Bedrohungen, gar nicht diskutiert werden, sondern immer die Rente mit 67, wo man noch viel Zeit hat. Ich will mal ein Beispiel nennen. Die Bundesregierung streicht im Sparpaket jetzt die Beitragszahlung für Arbeitslose zur Rentenversicherung, zwei Milliarden Euro. Dies wird dazu führen, dass Altersarmut aufgebaut wird, und was wir brauchen ist eine Garantierente, dass Leute nicht unter ein bestimmtes Niveau sinken können. Darüber muss man diskutieren, ebenso wie über Gesundheitspolitik und solche Fragen, und ich glaube, dass die Verschiebung jetzt eher ein taktisches Problem der SPD löst als wirklich ein Rentenproblem.

    Meurer: Das taktische Problem besteht darin, dass die SPD weiter von Dachdeckern und Bauarbeitern gewählt werden will. Was sagen Sie einem Dachdecker? Soll der mit 67 noch auf dem Dach stehen?

    Kuhn: Selbstverständlich kann man auch mit uns darüber diskutieren, ob es bestimmte Berufe gibt mit besonderen körperlichen oder auch psychischen Belastungen, wo das nicht geht. Da muss man natürlich flexibel sein. Aber generell die Rente mit 67 jetzt zu verabschieden wegen solcher Probleme, das geht nach meiner Überzeugung nicht.

    Meurer: Haben Sie insgesamt Sorge, dass die SPD ein bisschen arg nach links driftet?

    Kuhn: Das ist jetzt für uns keine Frage, dass wir die SPD coachen würden oder so, sondern man muss in Rentenfragen grundsätzlich am Inhalt orientiert sein und nicht an der Taktik. Was mich stört ist: da die Rente ja eines der zentralen Elemente des deutschen Sozialsystems und des Generationsvertrages ist, kann man nicht einfach alle ein, zwei Jahre eine Grundsatzveränderung wieder machen, sondern da muss Verlässlichkeit rein. Es war schon die Rentengarantie, die die Große Koalition ausgesprochen hat, ein Fehler. Es war ein Fehler, dass jetzt die SPD wenige Jahre nach Einführung der Rente mit 67 sich davon wieder verabschiedet. Also in Rentenfragen muss man vom Inhalt getrieben sein und nicht von der Taktik.

    Meurer: Fritz Kuhn, der stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, bei uns im Deutschlandfunk. Herr Kuhn, danke schön und auf Wiederhören!

    Kuhn: Ich danke Ihnen!