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"Ich glaube, sie gehören dahin"

Bundespräsident Horst Köhler hat sich für einen langfristigen Beitritt Mazedoniens in die Europäische Union ausgesprochen. Es seien allerdings noch viele Hausaufgaben zu erledigen, sagte Köhler. Dazu gehörten der Aufbau der staatlichen Institutionen, die Entwicklung der Rechtssicherheit und die Bekämpfung der Korruption.

Moderation: Sandra Schulz | 19.04.2008
    Philipp Krohn: Am Donnerstag dieser Woche machte Bundeskanzlerin Merkel öffentlich, dass sie eine weitere Amtszeit von Horst Köhler als Bundespräsident unterstützt. Darüber wurde in dieser Woche genauso diskutiert, wie über Köhlers Äußerungen, die Bundesregierung solle die Reformanstrengungen in einer Agenda 2020 bündeln. Dazu zählte er höhere Investitionen in Bildung und Forschung, sowie mehr betriebliche Bündnisse für Arbeit. Köhler selbst aber verbrachte die vergangenen fünf Tage in Kroatien und Mazedonien, wo er sich über die Fortschritte beider Länder auf dem Weg zu einer EU-Mitgliedschaft informierte. Meine Kollegin Sandra Schulz hat ihn auf seiner Reise begleitet und den Bundespräsidenten gesprochen. Als Erstes hat sie ihn gefragt, was Deutschland von Mazedonien lernen könne?
    Horst Köhler: Für mich war das Ermutigendste, der vielen Gespräche in Mazedonien, meine Begegnung mit den Religionsführern, das heißt, mit dem Erzbischof der orthodoxen, mazedonischen Kirche, den Katholiken, den Evangelischen, dem Imam und der jüdischen Gemeinde. Und dort kam klar raus, dass es möglich ist, dass die Menschen verschiedener Religions- und Glaubenszugehörigkeit friedlich, produktiv miteinander zusammenleben können. Das ist ein ermutigendes Signal über Mazedonien hinaus, weil es die ganze Welt im Augenblick beschäftigt. Und für mich war es auch besonders bewegend und ermutigend, dass der Repräsentant der jüdischen Gemeinde nachdrücklich auch gesagt hat, wie stark Deutschland in Mazedonien als Freund empfunden wird, und er auch dann noch gesagt hat, es gibt in Mazedonien keinen Antisemitismus. Ich würde mich freuen, dieses Urteil gäbe es auch in Deutschland oder in anderen Ländern Europas. Da ist das so noch nicht möglich, auch das war für mich also ermutigend.
    Schulz: Wie sieht der weitere Weg Mazedoniens aus in Richtung Europäische Union?
    Köhler: Es kommt ganz drauf an, dass sie ihre eigenen Hausaufgaben machen, und da gibt es noch ganz viele. Sie müssen im Grunde noch ihren staatlichen Institutionenaufbau wirklich ins Visier nehmen. Es gibt noch nicht wirklich so etwas wie zum Beispiel Beamte, die ans Allgemeinwohl denken, als Grundverständnis ihrer ethischen Arbeitsmoral, die Wirtschaft muss noch Fuß fassen, sie brauchen Investitionen, um Arbeitsplätze zu schaffen, da muss noch mehr Rechtssicherheit geschaffen werden. Also es gibt noch sehr viele Dinge, deshalb wird Mazedonien auch nicht ganz kurzfristig zur Europäischen Union beitreten können, aber sie wollen dahin, und ich glaube, sie gehören dahin, und wenn sie sich selber anstrengen, das will ich unterstreichen, dann haben sie auch um so mehr berechtigten Anspruch, dass ihnen geholfen wird, und dafür trete ich ein.
    Schulz: Ein Bremsschuh bei den Gesprächen zwischen der Europäischen Union und Mazedonien war Griechenland, jüngst wieder in Bukarest. Bräuchte es größeren Druck von Seiten der EU auf Griechenland für eine Einigung im Namensstreit?
    Köhler: Also zunächst einmal würde ich sagen, ja, da ist ein Thema, das Aufmerksamkeit verlangt. Für mich erst mal direkt von Griechenland, denn am Ende ist es doch so, dass Mazedonien irgendwann auch Mitglied der Europäischen Union wird, und dann sind beide Länder sozusagen Partner in einer politischen Einheit, und deshalb sollten sie auch ein eigenes Interesse haben, dass jetzt schon partnerschaftlich zu lösen. Wenn das sich aber hinschleppen würde, dann finde ich schon, dass auch die Europäische Union deutlich sagen sollte, dass man dafür kein Verständnis hat, und ich wünschte mir hier mehr Kompromissbereitschaft von Griechenland.
    Schulz: Sie haben auf der Reise eine weitere Vision geäußert für den Balkan, Sie haben sich dafür ausgesprochen, dass längerfristig gesehen alle ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken Teil der Europäischen Union werden sollen, könnten, je nachdem, wie die Reformprozesse laufen. Ist die Europäische Union für weitere Erweiterungen überhaupt gerüstet?
    Köhler: Erst einmal kommt es darauf an, dass in der südosteuropäischen Region die Länder an sich selber arbeiten. Das habe ich immer unterstrichen, und das will ich auch jetzt noch mal unterstreichen. Aber es gibt überhaupt keinen Zweifel, wenn man jedenfalls es ernst meint, die Europäische Union als Friedensordnung zu verstehen und wenn man es auch ernst meint, Schlussfolgerungen draus zu ziehen, dass Europa ja schon viele Irrungen und Wirrungen erlebt hat, und dass es deshalb in unserem Eigeninteresse ist, dass in einer großen Region, Südosteuropa, eben auch Frieden und Stabilität herrscht, wenn es das nicht wäre, würden wir selber in Schwierigkeiten kommen. Für mich gibt es keinen Zweifel, die Teilung Europas wird erst dann endgültig überwunden sein, und der Test, ob die Europäer in der Lage sind, das europäische Modell sozusagen glaubwürdig für die ganze Welt darzustellen, wird jetzt erfolgen, in dieser Region, und das heißt, für mich ist der ganze Balkan Teil Europas und gehört zur Familie. Aber die müssen sich selber anstrengen, und ich halte das auch für lösbar.
    Schulz: Gilt das auch für die Türkei, die ja zumindest geografisch zum Teil Europa ist?
    Köhler: Das ist ein anderes Thema, weil auch die Türkei ja schon ein Verhandlungsangebot hat. Hier würde ich sagen, müssen die Verhandlungen abgewartet werden, sie sollten nicht abgebrochen werden, weil man hat ja der Türkei dieses Verhandlungsangebot gemacht, und ich stehe auf dem Standpunkt, pacta sunt servanda, also muss man die Gespräche abwarten. Das ist fair gegenüber der Türkei und diese Fairness können sie auch beanspruchen.
    Schulz: Die Verhandlungen der EU laufen ja auch mit Kroatien jetzt schon seit zweieinhalb Jahren, seit Oktober 2005. Es sind von mehr als 30 Kapiteln erst zwei abgearbeitet. Der Plan, der Zeitplan so wie er im Spiel, so wie Sie es auch auf der Reise wieder betont haben, sieht eine Mitgliedschaft bis 2010 vor. Wie soll dieser Zeitplan realisiert werden?
    Köhler: Über Zeitpläne möchte ich mich nicht äußern. Ich finde es ganz nachvollziehbar, dass die Kroaten selber sich und damit auch der Europäischen Union einen ehrgeizigen Zeitplan geben. Aber das hängt davon ab, was sie selber darstellen, leisten, leisten können, und danach wird es gehen. Also ich würde mich nicht in eine Automatik über festgesetzte Jahreszahlen begeben wollen.
    Schulz: Sie hatten in Ihrer Delegation auch einen Teil einer Wirtschaftsdelegation, die, so hört man, mit großen Erfolgen zurückkehren nach Deutschland. Werden wir bald lesen von Arbeitsplatzverlagerungen von Deutschland nach Kroatien?
    Köhler: Nein, hoffentlich, will ich mal sagen, werden wir von guten Investitionen in Kroatien hören, lesen und dann auch spüren, dass diese Investitionen Arbeitsplätze auch in Deutschland schaffen, weil es sind Beratungsbüros, die hier in meiner Delegation waren, es sind Unternehmer, die sich sozusagen verbreitern wollen auch in ihrem Marktgebiet, Absatzgebiet. Also diese Investitionen von denen ich dort gehört habe, würde ich sagen, werden eher eine positive Bilanz, Arbeitsmarktbilanz, für Deutschland abwerfen.
    Philipp Krohn: Bundespräsident Horst Köhler im Deutschlandfunk, die Fragen stellte meine Kollegin Sandra Schulz.