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"Ich habe einen gezügelten Optimismus"

Im Streit über den neuen EU-Vertrag hat der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn eine Lösung angedeutet. Man könne der polnischen Regierung entgegen kommen, ohne ihre Forderung nach einer anderen Gewichtung der Stimmen zu erfüllen, sagte Asselborn. Ein größeres Problem stellt nach Einschätzung des Politikers der Widerstand Großbritanniens gegen die vorgesehene Charta der Grundrechte dar.

Moderation: Chrisine Heuer |
    Chrisine Heuer: Die Zeit ist knapp, übermorgen beginnt der EU-Gipfel. Und der Widerstand vor allem Polens und Tschechiens, aber auch Großbritanniens und der Niederlande gegen die Einigung auf einen Grundlagenvertrag für die Union nimmt eher zu als ab. Gestern haben die Außenminister beraten, heute treffen sich noch einmal Unterhändler der Mitgliedsstaaten.

    Am Telefon begrüße ich den luxemburgischen Außenminister, einen klaren Freund dessen, was nun also nicht mehr Verfassung heißen soll. Guten Morgen, Jean Asselborn.

    Jean Asselborn: Guten Morgen, Madame Heuer.

    Heuer: Ihre Prognose: Wird sich die EU bei ihren Treffen einigen, oder wird der Gipfel scheitern?

    Asselborn: Wenn Sie mich so direkt fragen, ich habe einen gezügelten Optimismus. Gezügelt, denn Sie haben wirklich auch auf die Länder hingewiesen, die noch Probleme haben. Wir haben noch viel zu arbeiten. Aber Optimismus, weil ich glaube, dass jeder weiß, wie viel die Uhr geschlagen hat.

    Heuer: Nehmen Sie an, dass Super-Merkel die Sache doch noch retten wird?

    Asselborn: Ich glaube, dass Madame Merkel aber auch Frank Steinmeier sich sehr, sehr viel Mühe geben. Wenn es scheitert, ist es bestimmt nicht ihre Schuld.

    Heuer: Und sie sind beide für Überraschungen gut.

    Asselborn: Beide für Überraschungen gut, selbstverständlich. Aber eine Person allein wird das nicht schaffen. Da muss schon, wie im Fußball, wie im Handball oder wie im Sport, der Wille bestehen, dass man wirklich die Sache erledigen kann.

    Heuer: Also den Willen scheinen die Polen nicht zu haben. Die bestehen weiterhin auf dem Quadratwurzel-Verfahren bei Abstimmungen. Das ist sehr kompliziert zu erklären, aber Mathematiker sagen, dieses Verfahren ist gerechter als die doppelte Abstimmung, die bisher vorgesehen ist. Wieso lehnen Sie es dann so vehement ab, den Polen entgegenzukommen?

    Asselborn: Nein, ich glaube, die Polen sehen das etwas verzwickt. Zuerst, die nackte Stimmenzahl im Rat korrespondiert nicht über die Influenzmöglichkeiten, die ein Staat hat. Nehmen Sie einen Staat wie Luxemburg: Wir hatten nie viele Stimmen und unser Einfluss, etwas sagen zu dürfen, ist trotzdem viel, viel größer als das, was wir als Stimmen haben. Das habe ich den Polen auch versucht aus meiner Sicht zu explizieren. Bei den Polen ist es, dass sie in Nizza sehr viel mehr hatten aus ihrer Sicht als im Verfassungsvertrag. Und dazu wollen Sie wieder zurück kommen. Wenn wir die Stimmengewichtung wieder aufmachen, machen wir wieder die Pandorabüchse der Institutionsdiskussion auf, und das ist sehr, sehr gefährlich. Darum glaube ich auch, dass die Polen, die nur einen schwachen Secours haben von den Tschechen, in diesem Punkt wissen, wie weit oder auch wie lange sie damit gehen können. Es gibt Möglichkeiten, um den Polen entgegenzukommen, ohne wieder das Institutionelle aufzumachen.

    Heuer: Welche Möglichkeiten gibt es?

    Asselborn: Es gibt Möglichkeiten. Wenn man die natürlich jetzt auf den Markt setzt, dann sind es keine Alternativen mehr, die man diskutieren kann. Aber es gibt Möglichkeiten. Zum Beispiel haben wir ja, wenn Sie an die Kommission zum Beispiel denken - die Reduzierung der Kommission ist beschlossen worden, tritt aber erst 2014 in Kraft. Ich glaube, Europa wird nicht sterben, Europa wird nicht schwächer werden, wenn wir eine Lösung finden, die sich in der Zukunft appliziert. Das ist eine Möglichkeit. Es gibt noch andere. Man sollte den Polen entgegenkommen, da bin ich dafür, aber auch nicht jetzt wieder alles verkrampfen auf die Polen. Und Sie werden sehen, ich kann mich irren, aber Sie werden sehen, Polen wird nicht das größte Problem werden.

    Heuer: Wer denn?

    Asselborn: Das größte Problem meines Erachtens ist die Substanz der Charta der Grundrechte. Sie wissen, dass wir überall erzählen auf der Welt, dass Europa eine politische Entität ist, die Werte vertritt, die Grundrechte vertritt. Jetzt haben wir seit 2000 diese Charta. Diese Charta soll jetzt in den Vertrag einverleibt werden. Jetzt haben wir mit den Briten im Jahre 2000 und auch noch im Jahre 2004 uns durchgerungen, dass sie damit einverstanden sind. Jetzt wollen die Briten wieder herunterschrauben. Das ist für die Kredibilität der Europäischen Union und für - das kann ich Ihnen sagen - für sehr, sehr viele Länder, sogar für ein kleines Land wie Luxemburg, nicht akzeptabel, dass die Rechtsverbindlichkeit der Charta unterlaufen wird.

    Da glaube ich, wird die Diskussion sich wirklich fokussieren. Ich könnte mich irren. Wenn die Engländer einen Schritt in die richtige Richtung machen, dann werden auch Holländer, Polen, Tschechen folgen. Denn dann sind die Zeichen gesetzt, dass wir uns einigen wollen. Wenn die Briten natürlich auf ihrer Position um die Nicht-Rechtsverbindlichkeit der Charta beharren, werden sich andere Länder und speziell Polen auch dahinter verstecken können.

    Heuer: Herr Asselborn, das klingt, als hielten Sie persönlich Großbritannien für ein wesentlich größeres Problem als die Polen. Könnte der Gipfel an den Briten tatsächlich scheitern?

    Asselborn: Auch da, wenn ich sage gezügelter Optimismus, wissen die Briten ja auch - wenn Sie jetzt zurückdenken an diese Verkrampfung, die wir hatten mit den Finanzperspektiven. Die Briten haben im Juni 2005 eine Lösung der Finanzperspektiven, die damals auf dem Tisch lag, verhindert. Wir haben sechs Monate mutwilliger Weise verloren. Das Resultat von Dezember 2005 hat dem von Juni 2005 praktisch genau geähnelt. Die Briten haben uns damals sechs Monate aufgebürdet. Das, glaube ich, können die Briten nicht ein zweites Mal tun.

    Heuer: Wieso, was passiert, wenn sie es doch tun?

    Asselborn: Wenn sie es doch tun, ist es komplizierter, als bei den Finanzperspektiven. Denn wenn wir jetzt diesen Délai vom Juni 2007 verpassen, wird es extrem schwierig einen neuen Text zu haben, für die Europaparlamentswahlen 2009. Sie dürfen das Argument der Engländer nicht gleich als Ziel zusammen… - man spricht darüber - Großbritannien fürchtet, Labour, die Regierung fürchtet, wenn 2009 im Frühjahr Wahlen sind, was wahrscheinlich ist in England, dass Labour den Torries keine Chance geben will, um irgendwie ein Referendum zu fragen mit Wahlelementen, verfassungsrechtliche Elementen in einem Text ...

    Heuer: Herr Asselborn, bevor wir jetzt in die britische Innenpolitik noch einsteigen, eine Frage zum Schluss: Haben Sie manchmal als Freund Europas die Nase voll von Mitgliedern, die sich ständig sperren, aber trotzdem darauf beharren, in der EU zu bleiben?

    Asselborn: Man muss sehr viel Geduld und sehr viele Nerven haben, das stimmt. Wenn man all die Punkte sieht, die - zum Beispiel der Vorrang des Europäischen Rechtes, eine einzige Rechtspersönlichkeit, wo wir streiten, auch die Charta, das verstehen nur sehr wenige Menschen, dass Europa mit allen Reden, die wir halten, dass wir uns nicht durchkämpfen können, um hier ein Resultat zu finden. Es steht sehr viel auf dem Spiel, vor allem aber die Glaubwürdigkeit und auch die Akzeptanz der Europäischen Union bei den Bürgern. Ob ich manchmal, wie viele andere vielleicht, denke, wir kommen nie voran - das sollte man nicht tun, denn es war immer eine Politik der kleinen Schritte, die in Europa gemacht wurde. Aber diesmal: Im Jahre 2008 wird Russland einen neuen Präsidenten haben, Amerika wird einen neuen Präsidenten haben, und wenn wir als Europäische Union im Jahre 2009 noch immer streiten und noch immer sehr viel Synergien und Energien verlieren mit dieser Frage des Vertrags, dann haben wir schon verloren, bevor es beginnt. Das müssen wir wissen. Wenn wir strategisch auf dem Planeten mitspielen wollen, müssen wir jetzt dieses Problem lösen. Und Ende dieser Woche wird der Eckstein gesetzt oder nicht.

    Heuer: Jean Asselborn, der luxemburgische Außenminister. Herr Asselborn, Danke für das Gespräch.

    Asselborn: Bitte, Madame Heuer.