Mittwoch, 24. April 2024

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"Ich habe keine Anweisung gegeben, Akten zu vernichten"

Heinemann: Der Blick des Forschers fand nicht selten mehr, als er zu finden wünschte. Diese Erfahrung von Nathan dem Weisen entspricht die Entwicklung der Schleußer-Affäre in Nordrhein-Westfalen. Dort wird gegen den amtierenden sozialdemokratischen Finanzminister ermittelt, und sie entspricht der Metamorphose der Kiep-Affäre zur Affäre Kohl. Vorläufiger Höhepunkt: Die Bonner Staatsanwaltschaft will gegen den früheren Bundeskanzler und CDU-Vorsitzenden ein Ermittlungsverfahren einleiten wegen des Anfangsverdachts der Untreue. Grundlage ist Kohls Verstoß gegen das Parteiengesetz. Der CDU-Politiker hatte öffentlich eingeräumt, Spenden zwischen 1,5 und 2 Mio. DM angenommen zu haben, die nicht im Rechenwerk der Partei auftauchen. Wegen Untreue wird bestraft, wer über fremdes Vermögen mißbräuchlich verfügt und dadurch einem Dritten, für dessen Vermögen er verantwortlich ist, finanzielle Nachteile zufügt. Das weiß jeder Jurist, also auch Friedrich Bohl, CDU. Mit dem früheren Kanzleramtsminister sind wir jetzt am Telefon verbunden. Guten Morgen.

30.12.1999
    Bohl: Einen schönen guten Morgen.

    Heinemann: Herr Bohl, Helmut Kohl hat Fehler eingeräumt, bisher aber keine Konsequenzen daraus gezogen. Kann jemand, der eingeräumt hat, daß er es mit dem Gesetz nicht so genau genommen hat, Ehrenvorsitzender der CDU bleiben?

    Bohl: Also ich sehe gar keine Veranlassung dafür, daß Helmut Kohl diesen Ehrenvorsitz niederlegt oder die CDU sogar das Ansinnen an ihn richten sollte, diesen Ehrenvorsitz abzulegen. Ich kann nur sagen, wir haben hier den Sachverhalt, daß Helmut Kohl von der Staatsanwaltschaft in Bonn jetzt mit einem Anfangsverdacht überzogen wird, und daß jetzt ein solches Ermittlungsverfahren eingeleitet wird ab 31.12.1999. Das haben wir schon einmal in den 80er Jahren gehabt, daß ein solcher Anfangsverdacht wegen einer anderen Angelegenheit gegen Helmut Kohl bestand, und auch damals hat - glaube ich - niemand ernsthaft die Ansicht vertreten, daß er deshalb zurücktreten müßte . . .

    Heinemann: . . . er hat diesmal selbst eingeräumt, es mit dem Gesetz nicht so genau genommen zu haben. Ist dieser Mann dann noch Vorbild für den CDU-Nachwuchs?

    Bohl: Sie meinen, weil er eingeräumt hat, die Spenden und Spender nicht genannt zu haben.

    Heinemann: Was das Gesetz verlangt.

    Bohl: Das ist ein Verstoß gegen eine gesetzliche Bestimmung, aber das ist ja keine Straftat. Er wird ja auch nicht wegen der Nichtnennung der Spender, also nach dem Parteiengesetz, sozusagen von einem Ermittlungsverfahren überzogen, sondern wegen dem Untreuetatbestand, was Sie im Vorspann schon gesagt haben.

    Heinemann: Herr Bohl, also die Botschaft lautet: Liebe Landsleute, verstoßt gegen die Gesetze, solange das nicht strafbar ist.

    Bohl: Nein, das kann man doch nicht sagen, um Gottes Willen. Und ich glaube auch nicht, daß Helmut Kohl sehr glücklich über die jetzige Situation ist. Aber ich meine, man muß ja nun auch mal alles in den Relationen lassen. Es wird in dieser Zeit ja alles miteinander vermischt, und es wird ein Klima da erzeugt, was der historischen Leistung von Helmut Kohl und seiner Lebensleistung nicht entspricht.

    Heinemann: Aber das ist doch ein anderes Kapitel. Das muß man doch trennen.

    Bohl: Nein, das ist keineswegs ein anderes Kapitel. Ich bin schon der Meinung, daß die Würdigung eines Menschen, auch eines Politikers, eine Gesamtschau ist. Wenn er gegen eine Ordnungsvorschrift des Parteiengesetzes verstoßen hat, dann ist das sicherlich eine Sache, die politisch ggf. richtig untersucht werden muß. Aber daraus jetzt nun die Schlußfolgerung zu ziehen, wie Sie es sagen, das es eine Aufforderung an alle Menschen, Gesetze nicht zu beachten. Das ist doch geradezu eine Verkehrung dessen, was ich meine, und was man vernünftigerweise als Bewertung eines solchen Sachverhaltes annehmen sollte.

    Heinemann: Sie haben jahrelang mit Helmut Kohl zusammengearbeitet. Was wußten Sie über seinen Umgang mit Geld?

    Bohl: Ich kann dazu beim besten Willen nichts sagen. Ich habe davon nichts gewußt. Das habe ich auch schon öffentlich erklärt.

    Heinemann: Immer mehr Parteifreunde fordern den Ehrenvorsitzenden auf, die Namen der Spender zu nennen. Sie auch?

    Bohl: Ja, ich bin auch der Meinung, daß er das tun sollte. Wir haben einmal die gesetzliche Verpflichtung, solche Spender und Spenden zu nennen, zu publizieren, wenn sie über 20.000 DM sind. Auf der anderen Seite hat er sein Wort gegeben, und er muß sehen, daß er beides in Einklang miteinander bringt.

    Heinemann: Kennen Sie die Namen der Spender?

    Bohl: Nein. Ich sagte Ihnen ja auch auf Ihre vorherige Frage schon, daß ich von solchen Vorgängen nichts gewußt habe und naturgemäß der Sache auch erst recht nicht die Spender kenne.

    Heinemann: Was folgt daraus? Welche Konsequenzen hätte es für die CDU auch für die Wahlkämpfer, wenn Helmut Kohl sich weigert, diese Namen zu nennen?

    Bohl: Das ist ja nun eine Spekulation. Ich gehe davon aus, daß die Angelegenheit geklärt und bereinigt werden kann. Sie ist unangenehm und mißlich genug für die CDU. Das ist keine Frage. Aber ich gehe davon aus, daß die strafrechtlichen Vorwürfe gegen Helmut Kohl letztlich nicht relevant sein werden, und daß wir die notwendige Aufklärung auch in diesem Rechenschaftsbericht erbringen können, und daß wir dann gestärkt in das neue Jahr gehen können, denn wir müssen uns ja mit den Politikinhalten auseinandersetzen. Und die rot-grüne Bundesregierung hat nun in dem ersten Jahr total versagt. Das ist ja der entscheidende Punkt.

    Heinemann: Noch einmal kurz zurück zu dem, was Sie gesagt haben. Gehen Sie davon aus, daß Helmut Kohl die Namen sagen wird? Haben Sie Anhaltspunkte dafür, daß er das tun wird?

    Bohl: Nein, ich habe jetzt da keine neuen Erkenntnisse. Das habe ich auch nicht gesagt, sondern ich habe gesagt, daß ich davon ausgehe, daß die Angelegenheit bereinigt werden kann. Wie auch immer.

    Heinemann: Mit seiner Mithilfe?

    Bohl: Natürlich, das hat er ja nun auch mehrfach öffentlich angekündigt.

    Heinemann: Warum sollten die Menschen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen - noch einmal zurück zu den Wahlen - eine Partei wählen, deren Ehrenvorsitzender gegen das Gesetz verstoßen hat, dies deckt und obendrein im Amt bleibt?

    Bohl: Ich bitte Sie, Sie bauschen jetzt einen Vorgang zum Untergang des Abendlandes auf, der sicherlich zu bedauern ist, der nicht in Ordnung ist und der aufgearbeitet werden muß. Aber das hat doch mit der Wahlauseinandersetzung in Kiel und in Düsseldorf nichts zu tun, wo es um ganz andere Dinge geht. Ich meine, ich will jetzt gar nicht ablenken auf Affäre und Skandale von Herrn Schleußer und anderen mehr, aber es geht doch um die Politikinhalte in diesen beiden Ländern. Darum geht die Wahlentscheidung.

    Heinemann: Herr Bohl, Sie waren unter Helmut Kohl Chef des Kanzleramtes. Was wissen Sie über die den Verbleib von Akten zum Verkauf der ostdeutschen Leuna-Raffinerie und des Tankstellennetzes Minol, die im Kanzleramt verschwunden oder nicht mehr auffindbar sind?

    Bohl: Ja, sein sollen. Ich weiß es nicht. Ich bin bisher öffentlich nur mit diesen Dingen konfrontiert worden, die offiziell durch das Bundeskanzleramt. Ich habe dafür keine Erklärung. Ich kann nur sagen, was ich mehrfach auch schon geäußert habe, daß ich keine Anweisung gegeben habe, Akten zu vernichten. Es war auch keine Veranlassung dazu. Und bisher steht ja auch wohl nur fest, daß die Akten nicht auffindbar sind, das heißt keineswegs, daß es während meiner Amtszeit zu solchen Aktenvernichtungen gekommen ist. Das muß aufgeklärt werden. Ich kann dazu nichts sagen, muß allerdings vielleicht hinzufügen, daß eine solche Aktenvernichtung wenig Sinn macht, wenn ja die Fotokopien und Ablichtungen beim Untersuchungsausschuß, jedenfalls bei dem früheren Untersuchungsausschuß. Und vor dem Hintergrund kann ich nur sagen, wäre es völlig sinnlos, solche Aktenvernichtungen vorgenommen zu haben.

    Heinemann: Seit wann wissen Sie, daß diese Akten verschwunden oder nicht auffindbar sind?

    Bohl: Ich kenne nur die Agenturmeldung. Das wird jetzt ungefähr eineinhalb Wochen her sein, daß das so sein soll. Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen. Ich weiß nicht, welche Akten verschwunden sein sollen. Ich kann mich nur auf den Sachverhalt stützen, der Ihnen auch bekannt ist.

    Heinemann: Der SPIEGEL berichtet von einem Vermerk von Mitarbeitern des Kanzleramtes vom 26.10.1998, einen Tag, bevor Gerhard Schröder ins Kanzleramt einzog, der den Schluß nahelegt - so der SPIEGEL -, daß diese Akten aus den Jahren 1991 bis 1994 in den Beständen des Kanzleramtes schon seit Jahren fehlten und dies auch spätestens seit 1997 bekannt war. Können Sie das bestätigen?

    Bohl: Dazu kann ich gar nichts sagen. Ich habe den SPIEGEL nicht gelesen, und deshalb kenne ich diesen Vermerk nicht. Ich kann nur sagen: Natürlich sind die ganzen Akten von Mitarbeitern, also von Beamten des Kanzleramtes, durchgearbeitet worden. Als wir damals den Auftrag bekamen, Akten vorzulegen, habe ich ja nicht selbst die endlosen Aktenbestände durchgesehen, sondern die Beamten. Und das, was relevant war, ist vorgelegt worden, und mehr kann ich dazu nicht sagen. Ob da was gefehlt hat oder nicht gefehlt hat, entzieht sich absolut meiner Kenntnisnahme. Den Vermerk, von dem Sie sprechen, müßte ich sehen. Ob ich ihn selbst gesehen habe, weiß ich nicht. Ich habe täglich 250 Vorgänge im Kanzleramt bearbeitet, deshalb kann ich mich naturgemäß nicht an jeden Aktenvermerk erinnern. Ich kann aber - ich sage es nochmal - mit aller Klarheit sagen, daß ich keine Akten vernichtet habe, keine Anweisungen gegeben habe, keine Veranlassung gegeben habe, Akten zu vernichten. Wo käme ich denn hin? Ich habe diesem Land gedient und 29 Jahre jetzt als Abgeordneter, Minister, Rechtsanwalt und Notar. Es ist doch völlig klar, daß da keine Akten vernichtet werden.

    Heinemann: Wer hatte denn im Kanzleramt Zugang zu diesen Akten?

    Bohl: Die zuständigen Beamten.

    Heinemann: Können Sie ausschließen, daß im Zusammenhang mit der Privatisierung von Leuna Geld an die CDU geflossen ist?

    Bohl: Ich habe jedenfalls davon keine Kenntnis bekommen, und ich kann auch nur definitiv sagen, daß wir uns bei unserer Entscheidung allein daran orientiert haben, wie wir dieses Chemiedreieck in Sachsen-Anhalt erhalten können. Das ist uns Gott sei Dank gelungen. Und daß dabei Geld gar keine Rolle gespielt hat, und ich auch von Geldzahlungen - an wen auch immer in Deutschland - keine Kenntnis habe, erst recht nicht an die CDU. Und ich meine, so wie sich der jetzige Bundeskanzler Schröder um die Rettung von Holzmann bemüht hat, so hat selbstverständlich Helmut Kohl sich darum bemüht, daß dieses Chemiedreieck erhalten wird. Und vor dem Hintergrund ist es geradezu grotesk, daß die CDU - oder wer auch immer auf Regierungsseite - Geld für etwas bekommen haben sollte. Also wir haben alles daran gesetzt, daß Elf Aquitaine nachgegeben hat und tatsächlich auch investiert hat. Und vor dem Hintergrund ist es geradezu grotesk anzunehmen, es sei da Geld geflossen.

    Heinemann: Herr Bohl, Sie haben im Laufe dieses Gespräches jetzt mehrfach gesagt: ‚weiß ich nicht, kann ich nicht genau sagen'. Sind das erste Anzeichen eines Blackouts?

    Bohl: Bei mir?

    Heinemann: Ja.

    Bohl: Um Gottes Willen. Aber ich muß doch korrekt antworten. Wieso soll das ein Blackout sein, wenn ich auf Ihre Frage "Ist Geld geflossen?" sage, "Ich weiß davon nichts." Ich kann doch nicht wissen, ob irgendjemand in Deutschland irgendjemandem Geld gegeben hat. Das kann ich beim besten Willen nicht beantworten. Ich kann doch nur von meiner Person ausgehen und meine Bewertung vornehmen. Wieso da ein Blackout sein soll, wenn ich wahrheitsgemäß antworte, das weiß ich nicht.

    Heinemann: Der ehemalige Kanzleramtsminister Friedrich Bohl, CDU, in den Informationen am Morgen im Deutschlandfunk. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch.

    Link: (Wolfgang Thierse: Das politische Jahr 1999 (29.12.99)==>/cgi-bin/es/neu-interview/502.html)

    /cgi-bin/es/neu-interview/500.html