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"Ich hätte früher eingreifen müssen"

Der Direktor der Frankfurter Buchmesse, Juergen Boos, hat Kommunikations- und Abstimmungsprobleme innerhalb des Organisationskomitees dafür verantwortlich gemacht, dass zwei chinesische regimekritische Autoren bei einem Symposium zunächst aus- und dann wieder eingeladen wurden. Es habe von Seiten Pekings aber nie Druck gegeben.

Juergen Boos im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Tobias Armbrüster: Dass die chinesische Regierung kein ganz einfacher Verhandlungspartner ist, das haben schon viele Unternehmen und Regierungen erfahren. In dieser Woche ist es vermutlich auch den Veranstaltern der Frankfurter Buchmesse klar geworden, denn im Vorfeld der Buchmesse, die im Oktober beginnt, soll heute in Frankfurt ein Symposium stattfinden mit dem Titel "China und die Welt - Wahrnehmung und Wirklichkeit". Aber die Wirklichkeit hat schon vorher zugeschlagen: Zwei chinesische regierungskritische Autoren wurden zuerst eingeladen, aber dann auf Druck Chinas wieder von der Gästeliste gestrichen. Am Telefon bin ich jetzt mit Juergen Boos verbunden, dem Direktor der Frankfurter Buchmesse. Schönen guten Morgen!

    Juergen Boos: Guten Morgen!

    Armbrüster: Diktiert Ihnen, Herr Boos, die chinesische Regierung, wer zur Buchmesse kommen darf und wer nicht?

    Boos: Ich bin sehr gespannt auf das Symposium heute. Die regimekritischen Autoren, wie Sie sie nennen, sind ja eingeladen, sie sind in Frankfurt, und wir werden ihnen auch die Möglichkeit geben, zu ihren Themen zu sprechen.

    Armbrüster: Das heißt, Sie haben sie doch wieder eingeladen?

    Boos: Wir haben sie nie ausgeladen.

    Armbrüster: Das behaupten die beiden aber.

    Boos: Nein, ich habe selbst mit den beiden gesprochen. Wir hatten diese Woche, glaube ich, Probleme mit der Kommunikation und der Organisation dieses Seminars. Sie wissen ja, dass wir nicht der alleinige Organisator sind, dass natürlich auch der chinesische Partner hier unser Mitorganisator ist und der P.E.N.-Club und noch drei weitere Parteien. Wie immer, wenn sechs Köche am Werk sind, ist es nicht ganz einfach, sich abzustimmen.

    Armbrüster: Herr Boos, aber viele Leute haben den Eindruck, die beiden wurden erst ausgeladen, dann gab es ein riesiges Presseecho, und jetzt wurden sie möglicherweise durch die Hintertür doch wieder zugelassen.

    Boos: Nein, das ist nicht der Fall.

    Armbrüster: Man hat aber leicht den Eindruck, dass die chinesische Seite hier am längeren Hebel sitzt.

    Boos: Wissen Sie, wir haben dieses Symposium veranstaltet, um eigentlich genau zu zeigen, was wir beabsichtigen mit diesem Gastlandauftritt, nämlich China auch kritischen Diskussionen auszusetzen. Dieses Symposium hat eine sehr lange Tradition, man darf es aber nicht mit der Frankfurter Buchmesse selbst verwechseln. Auf der Frankfurter Buchmesse sind wir alleiniger Veranstalter. Bei diesem Symposium setzen wir uns mit dem Gastland an einen Tisch, und damit laden wir auch gemeinsam ein. Wenn einer dieser Partner sagt, ich hab da Leute, das sind Leute, die möchte ich nicht unbedingt dabei haben, dann muss ich dem erst mal Raum geben und dem zuhören. Genau das hat diese Woche stattgefunden. Dass wir uns entschieden haben, gemeinsam mit allen Partnern, das Symposium wie geplant durchzuführen, ich denke, das zeigt, dass wir uns nicht vom Gastland erpressen lassen.

    Armbrüster: Das heißt aber jetzt doch, dass Sie zunächst mal der chinesischen Seite nachgegeben haben - einfach, um das jetzt noch mal klarzustellen?

    Boos: Wir haben darüber diskutiert, wir haben auch mit dem P.E.N. genauso darüber diskutiert wie mit den anderen Partnern. Und diese Diskussion hat auch mit den beiden Autoren stattgefunden. Die beiden Autoren, die von sich aus gesagt haben, ja, eigentlich wird das schwierig und wir könnten uns auch vorstellen, erst auf die Buchmesse zu kommen, wo wir ja ein ungleich größeres Forum haben als dieses Symposium, wo es sich um Intellektuelle und Wissenschaftler dreht.

    Armbrüster: Die Tagung, die heute stattfindet, die trägt ja den Titel "China und die Welt" - werden Sie dabei auch diese aktuelle Kontroverse zur Sprache bringen?

    Boos: Ja natürlich, das wird jetzt sicher Teil meiner Eröffnung sein in ungefähr anderthalb Stunden. Natürlich stellen wir uns diesem Medieninteresse und natürlich müssen wir, wenn wir so ein aktuelles Thema haben, das angehen.

    Armbrüster: Wie reagiert denn die Seite in China?

    Boos: Ich hatte letzte Woche noch selbst deswegen Gespräche mit dem Ministerium, da war das Symposium zu keinem Zeitpunkt ein Gespräch.

    Armbrüster: Aber Sie haben doch gerade gesagt, dass die beiden Autoren im Gespräch waren, dass man sich darüber unterhalten hat, ob sie kommen sollen oder nicht.

    Boos: Ja, das war hier in Deutschland, innerhalb des Organisationskomitees des Symposiums hat man darüber diskutiert, wie gestaltet man dieses Symposium.

    Armbrüster: War das möglicherweise so ein bisschen vorauseilender Gehorsam, dass Sie gesehen haben, hier sind ...

    Boos: Ich denke, genau das ist passiert, unsere Projektleitung hier, dass man sich hat ins Bockshorn jagen lassen, dass vermutlich etwas massiver diskutiert wurde, aber wie gesagt, an mich wurde nie irgendeine Forderung rangetragen, weder in Peking noch hier, Einfluss auf die Programmgestaltung zu nehmen.

    Armbrüster: Das heißt, Schuld sind die Veranstalter dieses Symposiums heute, nicht so sehr die Frankfurter Buchmesse, auch wenn sie die Schirmherrschaft sozusagen über dieses Symposium hat?

    Boos: So ist es. Ich glaube aber, dass ich hätte früher eingreifen müssen. Als ich feststellte, dass es diese Diskussion gibt, hätte ich einige Dinge früher klarstellen müssen. Insofern muss ich mir diesen Schuh anziehen, dass wir jetzt diese Diskussion in dem Ausmaß haben. Dass wir die Diskussion haben, ist ja richtig, deswegen veranstalten wir das Symposium. Wir wollen ja das Scheinwerferlicht auf die Zustände in China richten.

    Armbrüster: Man hat nun ja ähnliche Vorfälle schon einmal erlebt bei der Buchmesse in Frankreich vor fünf Jahren, da hat die chinesische Regierung auch einen regimekritischen Nobelpreisträger ferngehalten, erfolgreich. Hätten Sie jetzt als langjähriger Direktor der Buchmesse in Frankfurt ein solches Problem nicht eigentlich vorhersehen können?

    Boos: Wir haben das vorhergesehen, als wir uns vor drei Jahren für den Gastlandauftritt entschieden haben. Hintergrund dessen ist ja nicht nur eine wirtschaftliche Dimension, dass die Verleger mit China Geschäfte machen wollen und umgekehrt, sondern die Buchmesse hat immer eine kulturelle und vor allen Dingen auch eine politische Funktion. Und natürlich wird der Nobelpreisträger auch in Frankfurt anwesend sein.

    Armbrüster: Taugt denn China noch als Kooperationspartner für solche großen internationalen Veranstaltungen oder zeigen diese Verstimmungen in dieser Woche nicht eher, dass man den Dialog eigentlich über andere Kanäle suchen sollte?

    Boos: Nein, ich glaube, das zeigt erst recht, dass wir miteinander reden müssen, dass es noch viele Unterschiede gibt und dass es oft auch Missverständnisse gibt. Das ist auch von dieser Größenordnung her das erste Mal, dass China sich im Ausland präsentiert.

    Armbrüster: Wie arbeiten Sie denn mit den Chinesen konkret zusammen? Wer bestimmt darüber, welcher chinesische Autor kommen darf und wer nicht?

    Boos: Wir haben ungefähr 600 Veranstaltungen mit chinesischen Autoren oder Intellektuellen auf der Frankfurter Buchmesse. Davon wird ungefähr die Hälfte vom chinesischem Organisationskomitee gestaltet. Und auch da gilt, dass wir ihnen nicht reinreden. Da ist der Gast souverän, sich zu präsentieren, wie er es möchte. Die anderen 300 Veranstaltungen, vermutlich sind es mehr, 400 Veranstaltungen, werden von Verlagen, werden von uns im Internationalen Zentrum, werden von Autoren selbst gestaltet. Und da können Sie sicher sein, dass alle systemkritischen Autoren diese Plattform nutzen werden, um sich zu präsentieren.

    Armbrüster: Was können Sie denn tun, wenn die chinesische Seite Sie während der Buchmesse unter Druck setzt und etwa damit droht, ihre gesamte Delegation zurückzuziehen?

    Boos: Na, ich glaube, damit würde China sich ins eigene Fleisch schneiden, dann würde der ganze Auftritt ad absurdum geführt. Was sie jetzt sehen, ist ein Versuch, sich etwas zu öffnen, indem man sich der Weltöffentlichkeit präsentiert. In dem Moment, wo ich mich da zurückziehe, wird genau das Gegenteil passieren. Das heißt, diese Chance, die ihnen Frankfurt bietet, würde vernichtet.

    Armbrüster: Aber die Frankfurter Buchmesse ist ja auch ein wirtschaftliches Unternehmen. Könnten Sie es sich denn leisten, dass China sich zurückzieht?

    Boos: Nun wissen Sie, das Rückgrat der Frankfurter Buchmesse ist der Rechtehandel, und der Rechtehandel in erster Linie zwischen englischsprachigen Verlagen. China spielt in dem Maße zum jetzigen Zeitpunkt, hat keine wirtschaftliche Dimension. Hier geht es insbesondere um den politischen und den kulturellen Auftritt.

    Armbrüster: Juergen Boos war das, der Direktor der Frankfurter Buchmesse, zur aktuellen Kontroverse um zwei chinesischen Autoren, die erst ein- und dann wieder ausgeladen wurden, die aber nun offenbar doch an einem Symposium teilnehmen, das heute in Frankfurt startet. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Boos!

    Boos: Vielen Dank!