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"Ich halte das für Populismus"

Doch keine Bedenken der EU-Kommission gegen die von der CSU geforderte Pkw-Maut für Ausländer: EU-Parlamentarier Alexander Graf Lambsdorff (FDP) zeigt sich überrascht und warnt vor einem "bürokratischen Monstrum", das am Ende nichts bringt.

Alexander Graf Lambsdorff im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 31.10.2013
    Dirk-Oliver Heckmann: Bisher haben die Koalitionsverhandlungen in Berlin ja wenig Greifbares erbracht. Da macht auch das Thema Europa keine Ausnahme. Die Finanztransaktionssteuer soll vorangetrieben werden, das war wenig überraschend. Außerdem sollen in Zukunft wieder mehr Entscheidungen vor Ort getroffen werden und nicht zu viel in Brüssel. Dynamik erhalten die Verhandlungen nun ausgerechnet von dort, von Brüssel nämlich, denn EU-Verkehrskommissar Kallas hat laut "Süddeutscher Zeitung" keine grundsätzlichen Bedenken gegen eine Pkw-Maut für Ausländer, das Lieblingsprojekt von CSU-Chef Horst Seehofer.

    Telefonisch zugeschaltet ist uns jetzt Alexander Graf Lambsdorff von der FDP. Er ist stellvertretender Vorsitzender der liberalen Fraktion im Europaparlament. Guten Morgen, Herr Lambsdorff.

    Alexander Graf Lambsdorff: Ja schönen guten Morgen, Herr Heckmann.

    Heckmann: Herr Lambsdorff, bisher hieß es ja immer, die Pkw-Maut für Ausländer verstößt gegen EU-Recht. Wie überrascht sind Sie, dass das jetzt doch nicht der Fall sein soll?

    Graf Lambsdorff: Das überrascht schon. Es war ja sogar der CSU-Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer, der vor einem Jahr noch gesagt hatte, dass ein solches Modell gegen EU-Recht verstoßen würde. Ich kenne den Text noch nicht, was Verkehrskommissar Kallas da übermittelt hat, aber ich glaube, er bezieht sich damit ausschließlich auf ein Vignetten-Modell, und ein solches Vignetten-Modell, wie wir es aus Österreich kennen, könnte rechtlich machbar sein, weil die Steuerpolitik in nationale Hoheit fällt, insofern Senkungen oder Steigerungen von Steuersätzen die Europäische Union nichts angehen. Ich vermute das jedenfalls stark. Es ist eines aber ganz klar: Eine Pkw-Maut, die ausschließlich Ausländer treffen würde, die wäre nach wie vor mit europäischem Recht nicht vereinbar.

    Heckmann: Jetzt sagt der Verkehrskommissar Kallas, eine Maut müsse in angemessenem Verhältnis zur Nutzung der Infrastruktur stehen. Das heißt, Ausländer, die nur einmal durch Deutschland fahren, die dürften nicht so hoch belastet werden wie deutsche Pendler. Kann das praktisch gehen, oder ist das ganze dann möglicherweise doch ein Einstieg in die Maut für alle?

    Graf Lambsdorff: Ich meine, es wird eine Maut für alle geben. Das ist vollkommen klar. Allerdings wenn wir das Vignetten-Modell mal weiterdenken, dann gibt es ja unterschiedliche Längen, wie lange eine solche Vignette dann gültig ist, eine Woche, zehn Tage, ein paar Monate oder ein ganzes Jahr. Für alle deutschen Autofahrer wird das bedeuten, dass man sich eine Jahres-Vignette holen will, denn jeder muss ja irgendwann mal auf die Autobahn. Die kriegt man dann in der Kfz-Steuer wieder. Mit anderen Worten: Da beißt sich die Katze in den Schwanz, das bringt einem überhaupt nichts. Und für Ausländer, die hier durchfahren, die kaufen sich dann eine Vignette für ein paar Tage. Der bürokratische Aufwand, das zu erheben, wird riesig sein. Der ADAC sagt ja ganz klar, das ist reiner Populismus. Fünf Prozent der Nutzung deutscher Autobahnen geschieht durch Ausländer. Das ist mit anderen Worten hier ein bürokratisches Monstrum, das die CSU errichten möchte, dem die Kommission jetzt ihren Segen erteilt hat, was ich wie gesagt überraschend finde. Aber so ist es nun mal.

    Heckmann: Es werden doch einige Millionen Mehreinnahmen erwartet, von Seiten der CSU jedenfalls, und das ganze hört sich insofern auch nicht schlecht an, als die Deutschen ja auch zahlen müssen im Ausland.

    Graf Lambsdorff: Ja, Herr Heckmann, aber einige Millionen mehr, gemessen an dem Aufwand, der zur Erhebung betrieben wird, steht ja in überhaupt keinem Verhältnis zu dem, was der deutsche Autofahrer heute zahlt. Das sind ungefähr über Kfz-, Mineralöl-, Mehrwertsteuer und Lkw-Maut 53 Milliarden. Da werden einige Millionen mehr wirklich keinen großen Unterschied machen. Ich halte das für eine weitere Belastung der Bürgerinnen und Bürger, die wirklich völlig überflüssig ist. Ich halte das wie gesagt – ich sage es noch mal – für Populismus, der da aus Bayern kommt, den ja sogar der CSU-eigene Bundesverkehrsminister vor einem Jahr noch für Unsinn erklärt hat.

    Alexander Graf Lambsdorff (FDP)
    Alexander Graf Lambsdorff (FDP) (picture alliance / dpa)
    Skepsis in Sachen Finanztransaktionssteuer
    Heckmann: Herr Lambsdorff, kommen wir mal auf die Beschlüsse der Koalitionsverhandlungen gestern. Da stand das Thema Europa im Vordergrund. Man hat sich darauf geeinigt, die Finanztransaktionssteuer entschieden voranzutreiben, keine große Überraschung, denn vorher war ja schon klar, dass alle drei beteiligten Parteien dafür sind. Jetzt aber, wo alle drei angehenden Regierungsparteien das Projekt unterstützen, könnte das endlich Fahrt aufnehmen, hieß es da gestern. Die FDP, die hatte sich ja da als Bremser betätigt in ihrer Regierungszeit. Ärgern Sie sich im Nachhinein über Ihre Positionierung, denn jetzt kommt die Steuer ja womöglich doch, aber die FDP, die ist nicht mehr im Bundestag vertreten?

    Graf Lambsdorff: Na ja, das Ganze ist natürlich schon ein bisschen unerfreulich. Wir hatten damals in der Regierungszeit an die Einführung einer Finanztransaktionssteuer drei Bedingungen geknüpft, dass nämlich eine solche Steuer nicht so aussehen darf, dass Sparer, der Mittelstand oder Rentner zusätzlich belastet werden. Das sollte eine Steuer sein ausschließlich für den Finanzsektor, der sich an den Folgen der Krise beteiligen soll.

    Heckmann: Das soll ja gewährleistet bleiben, dass Rentner beispielsweise nicht belastet werden.

    Graf Lambsdorff: Ja ich bin aber sehr gespannt, wie es dann mit den Details der Ausgestaltung aussehen wird. Ich glaube auch nach wie vor, dass auf europäischer Ebene große Skepsis an dem Ort vorhanden sein wird, wo die meisten Finanztransaktionen stattfinden, zirka 75 Prozent aller Finanztransaktionen, nämlich in London im Vereinigten Königreich. Wenn England dem ganzen nicht zustimmt, wird es eine Belastung für den Finanzplatz Frankfurt werden. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Wir kennen das ganze von 1994, als die Schweden das einmal eingeführt haben und dann sehr schnell sehen mussten, dass praktisch alle Finanztransaktionen aus Stockholm abgewandert sind. Wenn England nicht an Bord ist, macht eine solche Steuer keinen Sinn, und ich bin sehr gespannt, ob es den Koalitionären gelingen wird, die Bedingungen, Sparer, Mittelstand und Rentner nicht zu belasten, tatsächlich auch einzuhalten.

    "Die AfD wird ohne Einfluss bleiben"
    Heckmann: Aber das ist ja eine Frage, die offenbar in der Bevölkerung auch auf sehr starke Unterstützung trifft, diese Finanztransaktionssteuer, um auch die Banken, die Versicherungen an den Kosten der Krise zu beteiligen. Eine wichtige Frage scheint ja insgesamt zu sein, wie kann man der wachsenden Europaskepsis begegnen. Die Alternative für Deutschland, die hat ja nur knapp den Einzug in den Bundestag verpasst. Gut möglich, dass sie in das EU-Parlament einzieht. Die AfD liegt laut Umfragen vor der FDP. Läuft die AfD Ihnen möglicherweise den Rang ab?

    Graf Lambsdorff: Das glaube ich nicht. Die AfD hat ja keine tatsächlichen Alternativen im Angebot, sondern macht mit einem Antithema Wahlkampf oder positioniert sich mit einem Antithema. Sie ist gegen den Euro, sie möchte die Abschaffung des Euros. Das ist eine Politik, die mit uns nicht zu machen ist. Sie möchte auch die Rückkehr zu Privatgeldern, also die Abschaffung des Zentralbankmonopols. Das sind alles teuere Spielereien, die sind intellektuell interessant, aber politisch machen sie überhaupt keinen Sinn. Und eines, Herr Heckmann, kann ich Ihnen auch sagen: Parteien wie die AfD, die wir aus anderen Ländern zum Teil ja im Europäischen Parlament sitzen haben, haben in der Praxis überhaupt keinen Einfluss. Die sitzen zusammen mit einigen anderen Randgruppen, während die Politik aus der Mitte gemacht wird, von Liberalen, von Sozialdemokraten und Christdemokraten, die die weitaus große Mehrheit im Europäischen Parlament stellen, aber nicht nur dort, sondern auch im Europäischen Rat, wo die Regierungen vertreten sind, die Premierminister. Mit anderen Worten: Die AfD wird ohne Einfluss bleiben, sollte sie sich weiterhin mit einem solchen Antithema nur positionieren wollen.

    Heckmann: Aber wie groß ist denn die Versuchung jetzt für die FDP, ein bisschen in diesen europaskeptischen Kurs einzuschwenken?

    Graf Lambsdorff: Diese Versuchung gibt es sicher bei dem einen oder anderen, aber wir werden ihr ganz klar widerstehen. Der designierte Parteivorsitzende Christian Lindner hat ja schon sehr deutlich gemacht, dass wir eine konstruktive Europapolitik machen wollen. Ich wunder mich übrigens, dass die in der Koalitionsvereinbarung, in den Gesprächen, die jetzt da gekommen sind, überhaupt nichts zu den Themen gesagt haben, um die es eigentlich in der Europapolitik geht, und da ist die FDP sehr klar aufgestellt.

    Wir wollen den Reformdruck auf die Krisenländer aufrecht erhalten, wir wollen die Wettbewerbsfähigkeit steigern und wir wollen beim Schuldenabbau in Europa vorankommen. Das sind alles Themen, zu denen jetzt hier nichts zu hören war. Und dann ist die Frage, was ist mit dem europäischen Datenschutz. Auch hier hat jetzt in den Koalitionsverhandlungen nichts stattgefunden. Man hört nichts, was machen wir mit der Bewältigung der Flüchtlingskrise vor Lampedusa im Mittelmeer. Auch hier das sind alles europäische Themen, die Gestaltung verlangen. Aber was wir gehört haben von CDU und SPD, dazu war gar nichts zu hören.

    Heckmann: Der stellvertretende Vorsitzende der liberalen Fraktion im Europaparlament, Alexander Graf Lambsdorff, war das von der FDP. Danke Ihnen für das Gespräch!

    Graf Lambsdorff: Danke Ihnen, Herr Heckmann.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.