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"Ich halte diese Politik für überholt, wenn nicht gar falsch"

Avi Primor distanziert sich von der israelischen Gaza-Blockadepolitik. Diese Politik sei allgemein und nicht gegen Dirk Niebel gerichtet - Israel habe zu spät seine Linie gegenüber dem Gaza-Streifen gelockert.

    Silvia Engels: Mitgehört hat auf der anderen Leitung Avi Primor. Er war früher der israelische Botschafter in Deutschland und mittlerweile leitet er das Zentrum für europäische Studien in der israelischen Universität Herzliya. Guten Morgen, Herr Primor.

    Avi Primor: Guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Wie wird denn die harsche Kritik von Entwicklungsminister Niebel in Israel wahrgenommen und diskutiert?

    Primor: Wissen Sie, wir leiden unter Kritik weltweit seit geraumer Zeit. Das ist noch eine Kritik. Man kritisiert uns ja von allen Seiten. Ich verstehe Minister Niebel natürlich sehr gut, aber gleichzeitig muss man auch verstehen, dass er in eine Politik geraten ist, die allgemein war, die war nicht gegen ihn gerichtet, sondern gegen alle Weltpolitiker, die man nicht in den Gaza-Streifen reinlassen wollte, um die Hamas-Bewegung nicht zu unterstützen, politisch sie nicht zu unterstützen. Mittlerweile hat die Regierung - sehr verspätet, aber dennoch -, die Politik gegenüber dem Gaza-Streifen gelockert. Ich glaube, dass es heute etwas anders aussehen könnte, aber es geschah eben nicht heute.

    Engels: Das heißt, wenn ich Sie da richtig verstehe, die Wortwahl und auch die öffentliche Anmutung dieser Kritik von Herrn Niebel, die hat der Sache Ihrer Einschätzung nach nicht gedient?

    Primor: Das würde ich nicht sagen, weil man eher in Israel betont hat, wie sehr der Herr Niebel ein Israel-Freund ist, und die Medien in Israel sind sowieso schon befremdet. Wir machen letztens so viele Fehler, dass man nicht mehr unterscheiden kann, welcher Fehler übertrieben ist oder nicht. Man hat zum Beispiel den weltberühmten Professor NoamChomski aus der Grenze vertrieben, man hat ihn nicht reingelassen. Es gab einen berühmten spanischen Komiker, der auch ausgewiesen worden war, solche Dinge, die man gar nicht verstehen kann. Jetzt sagt man, den Gaza-Streifen muss man eigentlich anders behandeln. Aber warum musste man auf die sogenannte Solidaritätsflotte und deren Tragödie warten und den Druck aus Amerika warten, bis man diese Politik, die man für Unrecht hält in unserer Regierung, warten musste, bis man sie ändert. Also man versteht wenig.

    Engels: Ein Sprecher der israelischen Regierung begründete gestern das Vorgehen, Herrn Niebel nicht die Einreise in den Gaza-Streifen zu erlauben, so, dass man ja nicht jeden Minister dort hineinlassen könne, das würde letztendlich die Hamas stärken. Ist da was dran?

    Primor: Ja, das ist genau die Politik. Deshalb habe ich es schon vorhin gesagt. Das ist die allgemeine Politik Israels seit vier Jahren: Man lässt keinen Politiker, keinen ausländischen Politiker in den Gaza-Streifen rein, weil man das als Unterstützung, politische Unterstützung der terroristischen Hamas-Bewegung betrachtet. Und der Herr Niebel kam in eine Kategorie, die allgemein war. Das war nicht gegen ihn gerichtet, sondern gegen alle, und wenn man ihn reinlassen sollte, dann würde man natürlich die Frage stellen, warum ihn und nicht alle anderen, die hineingehen wollen. Ich halte diese Politik für überholt, wenn nicht gar falsch, aber die ist allgemein und nicht gegen den Herrn Niebel gerichtet.

    Engels: Herr Primor, dann schauen wir noch mal auf die Lockerungen, die Israel nun mit Blick auf den Gaza-Streifen plant. Bislang hat ja die Führung häufig nach Ermessen Hilfslieferungen für den Gaza-Streifen zurückgehalten. Künftig soll es nach einer klaren Liste gehen. Da sollen die Produkte genannt werden, die nicht nach Gaza gelassen werden. Wird das die Lage verbessern?

    Primor: Ja, weil, anstatt zu sagen, was herein darf, sagt man jetzt, was nicht herein darf, und nämlich sind das entweder Waffen oder Güter, die für die Waffenerzeugung unentbehrlich sind. Alles andere, was nicht verboten ist, kann reinfließen, und das bedeutet natürlich alle Nahrungsmittel und Baumaterial und so weiter. Das ist schon eine erhebliche Verbesserung der Situation, eine große Erleichterung und Lockerung der Belagerung. Ich halte das für ein bisschen verspätet, das sagt die Regierung heute selber, aber damit kommt es auch noch nicht zu Ende. Am 6. Juli wird unser Ministerpräsident Netanjahu von dem amerikanischen Präsidenten Obama empfangen und Obama hat es schon klar gemacht, dass er eine weitere Lockerung der Gaza-Belagerung verlangen wird.

    Engels: Aber hat die US-Seite hier überhaupt noch Einfluss?

    Primor: Die US-Seite hat unheimlich viel Einfluss. Die US-Seite kann uns zu allem zwingen und drängen, weil wir von den Amerikanern total, aber vollkommen abhängig sind. Die Frage ist, inwieweit wollen die Amerikaner wirklich ihre Macht in Anspruch nehmen. Wenn sie es wollen, können sie alles durchsetzen.

    Engels: Avi Primor, der frühere israelische Botschafter in Deutschland und nun Leiter des Zentrums für europäische Studien an der Universität Herzliya. Vielen Dank nach Israel für dieses Gespräch.

    Primor: Danke. Guten Morgen!

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