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Ich halte es für sehr problematisch, Prognosen über den Rentenverlauf von mehr als 20 Jahren zu stellen

    Remme: Heute befasst sich die SPD-Bundestagsfraktion mit dem Thema Rente und danach kann es dann weitergehen im Gespräch mit der Opposition. Die will das alles erst mal nachrechnen. In der Tat ist die Rentenproblematik hoch komplex. Viele Zahlen schwirren im Raum umher. Für den Laien ist das alles nur schwer nachzuvollziehen. Prozentpunkte nach Jahrzehnten gestaffelt, lineare Ausgleichsfaktoren, statistischer Nettolohn. Ich habe den Vorsitzenden der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen Ottmar Schreiner gefragt, ob wenigstens er noch durchblickt?

    Schreiner: Es ist sehr schwierig, angesichts ständig sich verändernder Zahlen den Überblick zu behalten. Das Thema ist so komplex wie kaum ein anderes politisches Thema.

    Remme: Aber Sie schaffen es?

    Schreiner: Ich habe ja nun auch einige Leute, die mich beraten, und ohne das ginge es nicht. Das sind Leute, die mit Großrechnern arbeiten, um Zahlen zu überprüfen, um eigene Vorschläge in nachprüfbare Zahlen umzusetzen. Das ist schon ein schwierig Ding, das in relativ kurzer Zeit zu machen. Vielleicht wäre es richtig gewesen, den neuesten Vorschlag des Bundesarbeitsministeriums in Ruhe mit den Gewerkschaften, mit den Verbänden und dann auch mit der Opposition zu diskutieren. Das ging jetzt alles gewissermaßen im Schweinsgalopp. Das ist nicht gerade besonders förderlich.

    Remme: Die Bundesregierung ist Ende vergangener Woche den Bedenken der Gewerkschaften entgegengekommen, hat das Konzept verändert. Wie haben Sie gestern im Vorstand gestimmt?

    Schreiner: Ich bin ja nicht abstimmungsberechtigt, aber ich habe Änderungsanträge dort mit eingebracht und auch in der Diskussion mit vertreten. Die sind dann letztendlich abgelehnt worden.

    Remme: Was passt Ihnen denn an diesem Konzept nicht?

    Schreiner: Wir haben im wesentlichen zwei Punkte. Der vorgesehene Beitrag zur kapitalgedeckten Vorsorge in Höhe von vier Prozent vom Bruttoeinkommen führt im Vorschlag des Bundesarbeitsministeriums weiterhin zu einer deutlichen Absenkung des Nettorentenniveaus. Zudem führt der weitere Vorschlag, ab 2011 linear gestaffelt einen sogenannten Ausgleichsbeitrag einzuführen - das ist in Wahrheit auch ein weiterer Kürzungsbeitrag -, wiederum zu einer weiteren Absenkung in der Perspektive, so das sich der Überzeugung bin, dass das Nettorentenniveau dann auf ein Niveau fällt, das nur noch sehr schwer zu vertreten ist.

    Remme: Machen Sie sich auch den oft geübten Vorwurf zu eigen, dass die Arbeitgeber an der dann notwendigen privaten Vorsorge nicht beteiligt sind?

    Schreiner: Das ist ja ein Vorhalt, der in weiten Teilen der Bevölkerung Widerhall findet. Hier wird oder würde zum erstenmal jetzt im Rahmen von gesetzgeberischen Maßnahmen die paritätische Finanzierung verlassen, und zwar zu Lasten einer deutlichen Beitragsverschiebung zum Nachteil der Arbeitnehmerschaft, und das ist auch nur schwer hinnehmbar.

    Remme: Nun sagt der Bundesarbeitsminister, diejenigen, die diesen Vorwurf zu hören bekommen, all diese Leute, die private Vorsorge bisher geübt haben, haben das schon immer alleine getan. Was ist falsch daran?

    Schreiner: Der Unterschied zu früher ist einfach der, dass man bis zur Stunde davon ausging, dass die gesetzliche Rentenversicherung zur Lebensstandardsicherung im Alter führt. Wenn dieser Grundgedanke aufgegeben wird, dann sind die Leute ja gewissermaßen genötigt, ergänzende Vorsorge zu betreiben. Insoweit haben wir eine gänzlich andere Situation als bis jetzt. Das legt natürlich den Gedanken nahe, dass die paritätische Finanzierung auch weiterhin das richtige Instrument ist. Man könnte dies ja etwa über eine deutliche Ausweitung bei den ergänzenden betrieblichen Altersversorgungen regeln.

    Remme: Sehen Sie denn Chancen, eine Arbeitgeberbeteiligung bei der privaten Vorsorge im nachhinein noch einzuführen?

    Schreiner: Bei der rein privaten Vorsorge ist das von der Systematik her außerordentlich schwierig bis unmöglich. Aber nochmals: wir haben ja gesagt, eine ergänzende Vorsorge soll vor allen Dingen im Bereich der betrieblichen Altersvorsorge erfolgen. Hier gibt es bekannte Durchführungswege, vergleichsweise geringe Verwaltungskosten. Das ist das Standbein, auf das wir setzen.

    Remme: Reicht Ihnen die staatliche Förderung für die private Vorsorge?

    Schreiner: Das kommt jetzt sehr darauf an, wie die Mittel im einzelnen eingesetzt werden. Da ist das letzte Wort ja auch noch nicht gesprochen. Die Mittel müssten konzentriert werden bei den unteren Einkommen. Da geht die Sparquote gegen null. Sie müssten ebenso konzentriert werden bei den mittleren Einkommen mit Kindern. Auch dort tendiert die Sparquote gegen null. Wenn hier keine massive Konzentration der Mittel erfolgt, werden diese Einkommensbereiche kaum zusätzliches Geld für eine kapitalgedeckte Vorsorge aufbringen können.

    Remme: Herr Schreiner, ich sagte es: heute wird sich die Bundestagsfraktion mit dem Thema befassen. Man wird abstimmen. Rechnen Sie mit Widerstand?

    Schreiner: Es wird auch in der Bundestagsfraktion eine kontroverse Diskussion geben, ich hoffe ähnlich sachbezogen wie gestern im Parteivorstand. Das liegt in der Natur der Dinge. Wir hatten ja vor drei Wochen eine erste kritische Diskussion geführt.

    Remme: Und rechnen Sie mit einer Mehrheit für das Konzept?

    Schreiner: Ich gehe davon aus, dass das Konzept in der Bundestagsfraktion eine Mehrheit findet, aber es wird auch eine zahlenmäßig vergleichsweise starke Minderheit geben, die ihre Bedenken äußert und die der Auffassung ist, dass ihren Bedenken nicht Rechnung getragen wird.

    Remme: Herr Schreiner, hier wird mit Daten bis 2020, 2030 hantiert. Sollen wir wirklich glauben, dass diese Überlegungen bis hin zur Zahl hinterm Komma Jahrzehnte überstehen?

    Schreiner: Ich halte diese Langfristprognosen für außerordentlich bedenklich. Das sind Überlegungen, die auf Treibsand gebaut sind. Mir würde es völlig ausreichen, wenn man einen Prognosezeitraum von 15, maximal 20 Jahren in Augenschein nehmen würde. Ich kann mir heute gar nicht vorstellen, wie sich die Menschen im Jahre 2020 entscheiden würden, wenn sie zu entscheiden hätten zwischen Beitragsanhebung oder Leistungsreduktion oder möglicherweise Verlängerung der Lebensarbeitszeit um ein halbes Jahr. Das sind Entscheidungen, die in 20 Jahren fällig sind, und diesen Entscheidungen jetzt mit diesen extrem gewagten Langfristprognosen vorzugreifen ist allerdings hoch spekulativ.

    Remme: Ich sagte es eben schon: nach einem Votum der Bundestagsfraktion geht es weiter mit dem Dialog in Sachen Konsens mit der Opposition. Ist dieser Konsens, Herr Schreiner, unverzichtbar?

    Schreiner: Wir hatten mit diesen Konsensbemühungen über Jahrzehnte in der Bundesrepublik gute Erfahrungen gemacht. Der Konsens bestand ganz einfach darin, Reformen im Bereich der Altersversorgung möglichst gemeinsam zu machen, um zu verhindern, dass die materielle Versorgung der Menschen im Alter zum Gegenstand parteipolitischer Süppchen und parteipolitischer Agitationen werden, die Menschen verunsichert oder verängstigt werden. Davon ist zum erstenmal Abstand genommen worden 1996 bei den damaligen Veränderungen im Rentenrecht. Die damalige Regierung hat gar nicht den Versuch unternommen, mit der SPD ins Gespräch zu kommen. Nun halte ich es für richtig, wenn die SPD an diese gute Tradition anknüpft und der CDU/CSU konstruktive Gespräche anbietet. Ich hoffe, dass die Teile in der CDU/CSU sich durchsetzen, die an sachorientierten Gesprächen und Verhandlungen interessiert sind, und nicht diejenigen, die versuchen wollen, hier ein parteipolitisches Süppchen zu kochen.

    Remme: Abschließend Herr Schreiner: nach dem was heute im SPD-Parteivorstand beschlossen wurde, was machen wir mit dem Satz "die Rente ist sicher"?

    Schreiner: Der Satz kann nicht für 50 oder für 100 Jahre gelten, aber ich glaube man kann sagen, in überschaubaren Zeiträumen hat die gesetzliche Rentenversicherung gezeigt, dass sie immer wieder in der Lage war, sich an neue Bedingungen anzupassen. Sie hat zwei Weltkriege überlebt, sie hat riesige Inflationsprozesse überlebt, sie hat die Währungsreform überlebt, sie war ein wesentlicher Bestandteil zur sozialen Gestaltung der deutschen Einheit. All dies wäre mit anderen Altersversorgungsinstrumenten nicht möglich gewesen. Deshalb habe ich die feste Hoffnung, dass auch unter zukünftig gewandelten Bedingungen die notwendigen Reformmaßnahmen dazu beitragen, die Rente auf sichere Beine zu stellen.

    Link: Interview als RealAudio