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Ich hoffe auf gute Zusammenarbeit - Zustimmung zum Atomkonsens stimmt zuversichtlich

    Nutz: Vorbei sind offenbar die Anarchozeiten: Parteitage geprägt von Babygeschrei, stillenden Müttern, nackten Demonstranten wider die Atomkraft, Wasserpistolen oder Farbbeutelattacken. Bündnis 90/Die Grünen haben sich zum Neubeginn auf der Bundesdelegiertenversammlung in Münster Disziplin verordnet. Pragmatiker wurden an die Spitze berufen, Renate Künast und Fritz Kuhn als neue Parteisprecher. Und natürlich der Atomkonsens. Er wurde mit klarer Mehrheit akzeptiert. Wird das Regieren für rot/grün in Berlin nun auch einfacher, ohne die befürchteten Querschüsse der grünen Basis? Die Grünen selbst, jedenfalls in ihrer prominenten Mehrheit, glauben es. Was aber sagt der große Koalitionspartner? - Franz Müntefering begrüße ich am Telefon, den Generalsekretär der Bundes-SPD. Guten Morgen!

    Müntefering: Guten Morgen Frau Nutz.

    Nutz: Herr Müntefering, früher hieß es vom Kanzler, er wünsche sich mehr Fischer und weniger Trittin. Haben sich die grünen Partner in der Koalition nun ganz nach den Wünschen des Kanzlers und der SPD verändert, sind sie sozusagen SPD-kompatibel geworden?

    Müntefering: Nein, das will ich so nicht sehen, aber ich finde, dass der Parteitag, der jetzt am Wochenende stattgefunden hat, schon Hoffnung bringt, dass man in Zukunft gut zusammenarbeiten kann, denn die Grünen haben in der Sache einen wichtigen Beschluss gefasst, was den Ausstieg bei der Atomkraft angeht. Sie haben personelle Entscheidungen getroffen, die außerordentlich wichtig sind und die auch zuversichtlich machen. Wenn ein Koalitionspartner gut drauf ist, kann man sich immer mitfreuen, denn das nutzt der ganzen Koalition.

    Nutz: Was erwarten Sie denn nun von dem neuen Führungsduo Künast/Kuhn?

    Müntefering: Dass sie vor allen Dingen auch in der Lage sind, das was wir gemeinsam tun in dieser Koalition - das ist eine ganze Menge Gutes - auch nach draußen vermitteln. Man darf nicht immer herumlaufen mit hängenden Schultern und hängenden Mundwinkeln, sondern man muss das was man tut denn auch darstellen. Dass das nicht immer hundertprozentig alles das ist, was man sich wünschen möchte, das ist klar. Ich denke aber, das machbare schafft diese Koalition. Die Resultate sind gut, und das muss man dann auch miteinander vermitteln und darf da nicht allzu zerknittert sein.

    Nutz: Die Sozialdemokraten haben auch von der grünen Schwäche profitiert, sich sozusagen über mehrere Optionen gefreut bei den vergangenen Landtagswahlen. Können die Grünen im Falle des Erfolges die SPD wieder von der Mitte wegzwingen?

    Müntefering: Von der Mitte wegzwingen nein. Wenn wir sagen, wir sind als linke Volkspartei mitten in dieser Gesellschaft. Wir haben großes Vertrauen der Menschen bei der Bundestagswahl für diese Legislaturperiode bekommen, und dem Vertrauen wollen wir gerecht werden. Wir haben uns aber sehr bewusst für die Grünen als Koalitionspartner entschieden und wenn die gut drauf sind, dann ist das nur eine weitere Garantie dafür, dass wir auch dieses Vertrauen halten können und weiterführen können.

    Nutz: Trauen Sie den Grünen zu, die FDP vom dritten Platz fernhalten zu können?

    Müntefering: Das ist ein Streit, eine Konkurrenz unter anderen, wo ich mich überhaupt nicht einmischen will. Wenn man eine Koalition hat, muss man wollen, dass sie erfolgreich ist. Ich freue mich über Erfolge von Grünen, und ein solcher Parteitag ist natürlich ein Erfolg für eine Partei, so wie das jetzt am Wochenende in Münster gelaufen ist.

    Nutz: Die Grünen wollen als nächstes Projekt dieser Legislaturperiode ein Einwanderungsgesetz beschließen. Ziehen die Sozialdemokraten mit?

    Müntefering: Wir haben immer deutlich gemacht, es muss dort Regeln geben. Wir haben uns Anfang des Jahres, jetzt im Frühjahr dazu geäußert, dass es nicht verbunden werden sollte mit dem Komplex "Greencard". Das ist ja auch nicht geschehen, denn die Entscheidung dort musste schnell gefunden werden. Jetzt geht es darum, im ganzen Bereich von Einwanderung, aber natürlich auch verknüpft mit dem, was die Erweiterung Europas nach Mittel- und Osteuropa mit sich bringt, Regeln zu finden für unser Land, auch was die Internationalisierung der Arbeitsmärkte angeht. Natürlich auch das Thema wird eine Rolle spielen. Andere werden versuchen, das Thema Asyl einzubringen. Wir wissen, es muss vernünftigerweise eine gesamteuropäische Lösung geben. Das geht alles nicht schnell, aber dass wir dazu bereit sind, darüber zu reden und nachzudenken, das ist ja nicht neu bei den Sozialdemokraten. Da ist eher die Union auf einem neuen Weg. Wie schnell es geht, ob in dieser Legislaturperiode, kann man heute noch nicht sagen. Der Innenminister, Otto Schily, hat ja dazu angekündigt, er will eine Kommission einsetzen, die das Thema gründlich aufarbeitet.

    Nutz: Innenminister Schily hat aber gerade das getan, nämlich Asyl- und Einwanderungsrecht am Wochenende in verschiedenen Äußerungen wieder miteinander verknüpft. Das kann doch wieder Ärger mit den Grünen geben oder nicht?

    Müntefering: Ja, gut, aber man muss da realistisch sein, denn es geht natürlich, wenn es um Einwanderung geht, um alle Komplexe. Dass er das miteinander vermischt heißt ja noch nicht, dass die Sozialdemokraten die Kernpunkte des Asylrechts oder das Asylrecht überhaupt aufgeben würden. Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Aber die Union hat ja damit angefangen, und wenn man eine solche Kommission haben will, dann muss man versuchen, dort den Konsens zwischen allen herzustellen. Da wird das Thema Asyl sicher kommen, ohne dass wir es als Grundrecht aufgeben werden.

    Nutz: Was soll denn für die Sozialdemokraten das Ergebnis dieser Kommissionsarbeit sein und vor allen Dingen wie viel Gewicht werden die Empfehlungen und dann schließlich auch Entscheidungen haben?

    Müntefering: Wenn man das vorher wüsste, müßte man die Kommissionen ja nicht machen. Ich habe ja eben versucht anzudeuten, dass das sehr komplex ist. Wir werden eine Erweiterung Europas erleben. Es werden Menschen zu uns kommen aus Polen, Tschechien, Ungarn und aus anderen Ländern. Wie viele werden das sein? Wie wird das mit der Freizügigkeit gehandhabt werden? Welche Übergangsregelungen gibt es? Auf der anderen Seite: wie viele qualifizierte Experten aus dem Ausland brauchen wir für andere Berufe als für Informations- und Kommunikationstechnologie überhaupt? Was tun wir dafür, dass die Ausbildung, die Qualifizierung bei uns im Land hinreichend erfolgt und unsere Universitäten und Unternehmen sich nicht darauf verlassen, dass wir die Experten im Ausland gewinnen können? Also da gibt es eine ganze Menge von Fragen, die mit behandelt werden müssen, wenn man sich diesem Thema zuwendet. Dort möglichst eine europakompatible oder europaeinheitliche Lösung zu finden, das ist eine sehr schwierige und komplexe Aufgabe, die wir vor uns haben.

    Nutz: Das heißt Sie rechnen nicht damit, dass das noch in dieser Legislaturperiode unter Dach und Fach kommt?

    Müntefering: Ich bin mir zumindest nicht sicher. Es kann sein, aber ich bin mir nicht sicher. Das dauert sicher länger, dieses insgesamt zu erörtern.

    Nutz: Sehen Sie denn auch gerne Rita Süssmuth an der Spitze eines solchen Gremiums?

    Müntefering: Ja, wenn bewährte Politikerinnen/Politiker dort ihr Wort machen - Rita Süssmuth ist genannt, Hans-Jochen Vogel -, dann finde ich das eine große Hilfe für uns alle.

    Nutz: Herr Müntefering, die Nachrichten am Wochenende haben noch ein anderes Thema hochgebracht, nicht wirklich neu, aber doch massiver als bislang: der Widerstand nämlich der Union gegen die geplante Steuerreform. Fraktionschef Friedrich Merz sagt, lieber keine Reform als diese, und meldet weiteren Widerstand gegen den Spitzensteuersatz von 45 Prozent an und das für den gewöhnlich Sterblichen geplante Halbeinkünfte-Verfahren. Was kann denn der Vermittlungsausschuss bei solch beharrlichem Widerstand am Donnerstag unter solchen Bedingungen ausrichten?

    Müntefering: Das verblüffende ist der Zickzack-Kurs, den die Union dort hat. Er hat dann auch zwischendurch mal wieder deutlich gemacht, mit dem Spitzensteuersatz das sei dann vielleicht doch nicht das dringlichste und man könne es vielleicht doch nicht finanzieren. Es kommt ja darauf an, dass wir vor allen Dingen eines durchhalten, nämlich eine solide Haushaltspolitik, die dafür sorgt, dass wir nicht mehr ausgeben und das heißt auch keine größeren Steuernachlässe machen, als es der Haushalt des Bundes hergibt. Zum anderen aber müssen die nötigen Impulse gegeben werden für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Das heißt es muss die Kaufkraft gesteigert werden, und das tut man vor allen Dingen durch Entlastung bei den unteren und mittleren Einkommensgruppen und nicht bei der Frage des Spitzensteuersatzes. Das was wir zu tun haben im Bereich der Angebotspolitik, der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit für unsere Unternehmen, das machen wir über die Unternehmenssteuerreform. Das ist alles wohl bedacht, und das ganze hat bisher schon dazu geführt, dass wir Wachstum haben und dass die Arbeitslosigkeit deutlich zurückgeht. Diesen Kurs wollen wir weitermachen und ich hoffe, dass die Union sich dort nicht verkrampft und dass sie nicht aus parteitaktischen Gründen sich verweigert und blockiert. Das wäre nicht gut.

    Nutz: Glauben Sie dennoch ernsthaft, dass die Steuerreform noch vor der Sommerpause verabschiedet werden kann?

    Müntefering: Ich hoffe es. Ob ich es glaube, das ist eine andere Frage, denn ich sehe ja, dass bei der Union längst noch nicht klar ist, wer eigentlich das Sagen hat, Frau Merkel, Herr Merz, Herr Stoiber oder wer, die Länder, die CDU/CSU-regierten Länder. Das scheint mir alles ein bisschen unklar zu sein und das ganze, was wir da hören, ist ja nur verdeckt auch das Spiel um die Frage, wer dort eigentlich die Macht bekommt und wer eigentlich Kanzlerkandidat wird. Das alles spielt natürlich bei solchen Überlegungen auch eine Rolle. Das ist nicht gut.

    Nutz: Ist die Koalition denn noch zum weiteren Nachgeben bereit?

    Müntefering: Hans Eichel hat deutlich gemacht, der Bundeskanzler, wir sind interessiert an einer gemeinsamen Regelung, an einer gemeinsamen Entscheidung. Natürlich ist das hilfreich, denn um so größer ist die Akzeptanz auch in der Bevölkerung. Da kann man aber nicht auf immer und ewig zuwarten, und auch aus der Industrie heraus kommen ja die Botschaften immer dringlicher, auch an die Union, macht voran und wartet nicht länger ab, wir brauchen die Entlastungen. Die müssen kommen, und man weiß nicht, ob sich wirklich noch etwas in Bewegung setzt. Sonst muss man es, so weit es geht, alleine versuchen.

    Nutz: Franz Müntefering im Deutschlandfunk, der SPD-Generalsekretär. - Danke und auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio