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"Ich kann nicht verstehen, wie man einen solchen Mann seligsprechen kann"

Intolerant, reaktionär, unwillig zum Dialog: Der Theologe Hans Küng übt schwere Kritik an dem 2005 verstorbenen Johannes Paul II. Am Sonntag soll der frühere Papst seliggesprochen werden.

Moderation: Jürgen Zurheide |
    Jürgen Zurheide: Für den Vatikan ist es sicherlich das Ereignis des Jahres: die Seligsprechung des Papstes Johannes Paul des Zweiten, die morgen stattfinden wird. Insgesamt werden dort 16 Staatsoberhäupter erwartet, sechs Regierungschefs, viele Minister und ganz, ganz viele noch mehr offizielle Delegationen.

    Und die Freude dort und zumindest für die Pilger, die dorthin reisen, wird gewiss ungeteilt sein, aber wir wissen es, es gibt auch kritische Stimmen und Fragen. Für den ein oder anderen ging es reichlich schnell mit dieser Seligsprechung, und auch die Begründung ist, vorsichtig formuliert, nicht über jeden Zweifel erhaben. Über all das und die Rolle für die katholische Kirche insgesamt wollen wir reden mit dem Theologen Hans Küng, der jetzt am Telefon ist. Guten Morgen, Herr Küng!

    Hans Küng: Guten Morgen, Herr Zurheide!

    Zurheide: Herr Küng, zunächst einmal, Sie selbst sind sehr skeptisch und Sie haben die Seligsprechung, die schnelle Seligsprechung von Johannes Paul II. kritisiert. Was sind Ihre wesentlichen Gründe?

    Küng: Nun ich bestreite nicht, dass das ein Mann von Charakter war, Vorkämpfer für Krisen und Menschenrechte und die positiven Seiten hat in allem und jedem. Aber auf der anderen Seite liegen so viele Schatten über dieser Person und dem Pontifikat, dass ich eine Seligsprechung auf keinen Fall befürwortet hätte. Es ist eine autoritäre Innenpolitik, die er betrieben hat. Es wird im Grunde mit dieser Seligsprechung eine bestimmte reaktionäre restaurative Kirchenpolitik seliggesprochen. Es ist dabei ein vielfältiger Bruch des Kirchenrechtes, es sind alle Fristen, die vorgeschrieben sind, außer Kraft gesetzt worden, alles immer mit dem päpstlichen Privileg, das ist ein Zeichen, dass wir immer noch einen mittelalterlichen Absolutismus haben. Wir haben einen vielfältigen Verrat am Konzil.

    Wenn Sie das vergleichen mit den großen Parolen des Aggiornamento – hieß es damals –, wir haben wieder die großen Moralenzykliken, traditionalistischer Weltkatechismus. Wenn Sie die weitere Apertura nehmen zur Welt, dort ist wieder die Welt, die Kirche wieder abgeschlossen, abgekapselt. Statt auf Dialog setzt man wieder auf Gängelung von Rede- und Gewissensfreiheit. Also wenn ich dann noch denke, dass die ganze Neuevangelisierung misslungen ist und heute 80 Prozent der deutschen Katholiken Reformen in ihrer Kirche fordern, und wenn ich daran denke, dass auch die unselige Verflechtung mit dem Kinderschänder Maciel Degollado noch dazukommt, dann muss ich sagen, ich kann nicht verstehen, wie man einen solchen Mann seligsprechen kann, als Beispiel für die Kirche hinstellen kann.

    Zurheide: Wir werden gleich auch noch mal über die aktuelle Lage der Kirche selbst sprechen, ich will Sie aber auch fragen, ganz persönlich: Spielt bei Ihrem Urteil über Johannes Paul eine Rolle, dass er Ihnen damals die Lehrbefugnis 1979 entzogen hat? Sind Sie da verbittert?

    Küng: Ich bin nicht verbittert, aber ich sehe das natürlich als den Anfang einer Inquisitionswelle, die auch andere Theologen und Klosterfrauen und Bischöfe getroffen hat. Mein Fall war damals nur der erste, und es war eben so, dass ich damals meine Position weder vorher noch während des Verfahrens noch nachher verteidigen konnte. Also es ist ein Zeichen, dass dieser Papst im ganzen Pontifikat intolerant war, unwillig zum Dialog innerhalb der Kirche, er wollte Yes Men, Jasager um sich haben. Das alles hat dazu geführt, dass wir jetzt in einer richtigen Krise stecken.

    Zurheide: Sie haben gerade ja schon etliche Punkte angesprochen – Ihrer Analyse nach ist die katholische Kirche in einem kritischen Zustand. Sie haben ja die Frage auch kürzlich in einem Buch gestellt: "Ist die Kirche noch zu retten?" Einige Punkte haben Sie angesprochen – was läuft denn prinzipiell falsch?

    Küng: Prinzipiell läuft falsch, dass wir die katholische Kirche als die große Glaubensgemeinschaft, deren Mitglied ich immer war und bleiben werde, dass die leidet unter dem, was wir das römische System nennen. Dieses römische System, Herrschaftssystem, ist im Mittelalter, ganz genau im elften Jahrhundert aufgerichtet worden, seither haben wir einen päpstlichen Absolutismus, haben wir – denken Sie an Canossa – einen Klerikalismus gegenüber der Laienschaft, haben wir auch das Zölibatsgesetz, ist alles aus dem elften Jahrhundert.

    Die Reformation ist dagegen nicht angekommen, die Aufklärung nicht. Das Zweite Vaticanum hat versucht, das zu reformieren, aber es ist nicht gelungen. Auch jetzt wieder haben wir noch immer dieselben Probleme, keine Reform des Papsttums, der Römischen Kurie, des Zölibatsgesetzes, der Einstellung zur Frau, zur Sexualität, zu Frauenfeindlichkeit. Das alles hängt halt zusammen, das habe ich im Buch dargelegt.

    Zurheide: Sie gehören zu denen, die den aktuellen Papst Benedikt persönlich gut und lange kennen, Sie haben, wenn ich es recht erinnere, 2005 auch noch länger miteinander diskutiert, Ihr Buch werden Sie ihm geschickt haben – haben Sie schon eine Reaktion bekommen?

    Küng: Ich habe ihm das geschickt und ich glaube, wir haben einen sehr offenen und doch bei allem immer noch freundlichen Dialog, insofern ich ihm geschrieben habe. Wir dienen derselben Kirchengemeinschaft, aber natürlich auf völlig verschiedenen Wegen. Ich erwarte von ihm nicht, dass er das billigt, was ich jetzt geschrieben habe, aber er möge doch anerkennen, dass ich gute Intentionen habe, aufbauend für die Kirche. Er hat mir den Empfang bestätigt und hat mir ausdrücklich gesagt, durch den Privatsekretär geschrieben, der Heilige Vater lässt Sie herzlich grüßen. Das ist ein Zeichen, dass man immerhin in derselben Kirche verschiedener Auffassung sein kann, aber sich doch gegenseitig nicht einfach Feind ist.

    Zurheide: Was müsste denn passieren, damit diese Kirche genau den Weg vielleicht des Zweiten Vatikanischen Konzils, den Sie mehrfach angesprochen haben, wieder beschreitet?

    Küng: Ich habe in meinem Buch eine ganze Reihe von ökumenischen Therapien vorgeschlagen, die Kirche müsste sich wieder auf ihre Kernfunktionen konzentrieren und ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen, aber dabei müsste sich der Papst mehr um Gemeinschaft mit der Kirche bemühen – wenn 80 Prozent der Katholiken Deutschlands heute Reformen wünschen, kann er nicht einfach sagen, das geht mich nichts an. Die Römische Kurie müsste dringend, dringend reformiert werden, die Günstlingswirtschaft durch kompetentes Fachpersonal ersetzt werden, vor allem brauchen wir auch Glasnost und Perestroika für die Kirchenfinanzen, und die Inquisition muss nun endlich abgeschafft und die Formen von Repression beseitigt werden. Insofern muss das Kirchenrecht nicht nur, wie man das bisher getan hat, verbessert, sondern gründlich neugestaltet werden, und das heißt, Priestern und Bischöfen muss die Ehe erlaubt werden und den Frauen die Kirchenämter geöffnet werden.

    Und vor allem – darüber klagen ja viele Katholiken – müssen Klerus und Laien bei der Bischofswahl wieder wie früher eingeschaltet werden. Und was die Ökumene angeht, so ist es längst an der Zeit, das, was in vielen Gutachten, ökumenischen Gutachten zu lesen ist, dass die Mahlgemeinschaft katholischen und evangelischen Christen gestattet wird. Das alles wäre auch zu erwarten, wenn der Papst nach Deutschland kommt, dass er Gastgeschenke mitbringt und nicht nur schöne Reden, wo dann alle Beifall klatschen, im Besonderen die Politiker.

    Zurheide: Aber Sie haben noch eine gewisse Hoffnung, dass das passiert?

    Küng: Wir können dem Geist Gottes ja keine Grenzen setzen.

    Zurheide: Herzlichen Dank! Das war der Theologe Hans Küng im Deutschlandfunk.


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