Michael Köhler: Die deutsche Nationalelf hat sich nach dem Sieg gegen Schweden ins Viertelfinale geschossen und der Gegner heißt jetzt Argentinien.
Darüber möchte ich sprechen mit Georg Oswald, Jurist und Schriftsteller in München. Guten Morgen, Herr Oswald.
Georg M. Oswald: Guten Morgen.
Köhler: Sie haben 1989 Ihren zweiten Roman Partyboy genannt, eine Karriere und das macht es mir leicht: Deutschland scheint gegenwärtig nicht mehr in Bundesländer, sondern in Partyzonen aus Großbildleinwänden aufgeteilt zu sein. Der Kaiser Franz, der Allgegenwärtige, hat geheiratet und Deutschland ist nicht wieder zu erkennen. Was meinen Sie, lässt sich die Freude, das Partygefühl eigentlich noch steigern? Wie lange kann das gut gehen, Deutschland als Partyzone?
Oswald: Na, allerlängstens bis zum Finale, und so wie man die deutsche Mannschaft gestern gesehen hat, wie die Duracell-Häschen kommen die auf den Platz, und spielen wirklich wie verwandelt. Wenn man das vergleicht, wie sie vor der WM gestartet sind, in den Vorbereitungsspielen, dann hat man den Eindruck, alle Leute wünschen sich nichts sehnlicher als diesen Ausnahmezustand, den wir im Augenblick haben, und der uns den neuen katastrophalen Bundeshaushalt und die 7.500 Allianzmitarbeiter, die entlassen werden, vergessen lässt, noch so lange wie
möglich aufrecht zu erhalten.
Köhler: Die Kameras zeigen uns ja nicht nur häufig junge, hübsche fußballbegeisterte Frauen, nein beim Spiel Frankreich - Togo etwa gab es Polonaisen, wie beim Straßenkarneval. Die Gegner liegen sich in den Armen und bewerfen sich nicht. Vor den Kneipen habe ich sogar Garderobenständer gesehen, an denen man sich wie an der Kleiderkammer bedienen kann und dann so wahlweise einen mexikanischen Hut oder irgendetwas anzieht, so eine Art kölsches Gefühl überall.
Oswald: Ja, ich denke schon. Mein Eindruck ist auch, dass die Menschen, egal woher sie kommen, das als eine Art Theaterspiel begriffen haben und ihren Spaß genau darin finden, sozusagen eine positive Form des eben nicht Nationalismus, sondern eben Patriotismus jeweils für ihr Land, das dann vielleicht einfach nur ein Maskenball in vielen Fällen ist, zu verwirklichen und zu spielen und sich dabei gegenseitig hochzuschaukeln.
Köhler: Also von der verspäteten zur rechtzeitigen Nation?
Oswald: Ich weiß es nicht. Ich habe das akustisch nicht verstanden. Von der Verspäteten zur ... ?
Köhler: ... zur Rechtzeitigen.
Oswald: Zur Rechtzeitigen?
Köhler: Just in time. Klinsmann schafft es, die Jungs auf den Punkt zu bringen. Á la minute.
Oswald: Ja gut, das was das Sportliche betrifft ist das sicherlich richtig. Das hat man eigentlich so noch nicht gesehen, dass eine Mannschaft so zu diesem Punkt kommt, genau dann, wenn es notwendig wird. Ich finde sogar diese Patriotismusdebatte, die ja eigentlich auch zum Ritual gehört, wenn dann die deutschen Fähnchen wieder herauskommen. Das hatten wir ja 1990 auch, kurz nach der Wiedervereinigung. Dann die Weltmeisterschaft in Italien und der Weltmeistertitel. Da erschien ja auch die Bildzeitung nur noch mit schwarz-rot-golden umrandetem Titelblatt. Das ist eigentlich nicht neu. Neu ist doch diese Entspanntheit, die sich dabei offensichtlich eingestellt hat. Und die ja auch von allen, am meisten habe ich manchmal den Eindruck, von den Deutschen selbst bewundert wird.
Köhler: Auch der Bundespräsident hat sich ja in unserem Interview der Woche, letzte Woche darüber so gefreut, dass sich die Deutschen so schön freuen können. Nun lassen Sie uns mal über den Bundestrainer beispielsweise sprechen, also so eine Ikone, die auch allem voran steht. Er ist ja nun nicht ganz unschuldig, freut sich wie ein Kind. Man sieht, er springt in die Höhe, fiebert mit, zeigt Emotionen, wie kaum ein anderer Trainer während der WM. Dieser schwäbische Kalifornier führt die Elf wie ein kluger Manager und nicht, ich sage es jetzt mal auf die Gefahr hin, manche zu ärgern, wie die Krawall-Käthe Rudi Völler. Sehen wir nicht insgesamt auch eine neue Kultur am Werk?
Oswald: Ja, da würde ich nicht so weit greifen wollen, denn das hängt natürlich alles an den Erfolgen, die die Mannschaft jetzt gerade hat. Und hätte die sie nicht, dann würde man über Klinsmann genau dasselbe sagen, was man vorher gesagt hat: Nämlich dass er kein hundertprozentig sicherer Kandidat ist auf der Position, auf der er jetzt sitzt. Der Erfolg gibt ihm jetzt plötzlich Recht und er musste, wenn ich das richtig verfolgt habe, eigentlich so viel Kritik im Vorhinein über sich ergehen lassen wie selten ein anderer Trainer. Noch nicht einmal Berti Vogts wurde so kritisiert, erst dann als er keinen Erfolg mehr hatte und das hat sich jetzt gedreht, weil die sportlichen Erfolge da sind. Ich möchte nicht wissen, was passiert, wenn wir gegen Argentinien im Viertelfinale ausscheiden.
Köhler: Darüber sprechen wir erst am Schluss. Ich will die gute Laune, auch dieses Gesprächs noch einen Moment aufrechterhalten. Ich will trotzdem noch einmal nachfassen, ist es nicht doch ein Wechsel, sagen wir mal von den Lahms und Kloses und Neuvilles und Friedrichs? Das sind doch smart boys, smart sport, smart country, also irgendwie alles ist so smart.
Oswald: Ja, das waren die aber auch schon vor einem Vierteljahr und vor einem halben Jahr, oder zum Beispiel auch beim Confed Cup vor einem Jahr und da war die Kritik noch wesentlich lauter. Nur scheint jetzt offensichtlich auch die Rechnung aufgegangen zu sein. Man hat gestern auch in der Spielanalyse gesehen, wie Ballack gar nicht so sehr nach vorne, sondern vor allen Dingen nach hinten gearbeitet hat und Mittelfeld und Abwehr jetzt plötzlich harmonieren und keine Chancen des Gegners mehr zulassen.
Das scheint offensichtlich jetzt erst so richtig zu funktionieren, wie sich Klinsmann das vorgestellt hat und deshalb ist er natürlich nun auch im Recht mit seinen manchmal auch merkwürdig, eben auch sehr positiv denkenden Motivationsmethoden im Recht. Und das sieht natürlich jetzt ganz toll aus und hat so fast schon etwas Wunderbares an sich, woran man sich natürlich nur freuen kann.
Köhler: Der Star ist die Mannschaft, also so ein bisschen auch Föderalismusreform auf dem Platz. Stärkung der einzelnen Regionen und Länder.
Oswald: Ja, das finde ich ganz interessant, dass wir keinen Spieler mehr haben … also Ballack sollte ja so diese Rolle des Führungsspielers, so wie 1974 Beckenbauer oder 1990 Matthäus einnehmen. Das tut er aber nicht und trotzdem geht diese Rechnung auf. Man hat tatsächlich das Gefühl, das ist ein sehr homogenes Gebilde, diese Mannschaft, die da auf den Platz kommt. Ich bin immer ein bisschen vorsichtig mit diesen Vergleichen von Fußball und Politik, denn was die Föderalismusreform anbetrifft, sind wir noch längst nicht so weit wie Klinsmann mit seiner Elf.
Köhler: Wie weit können die noch gehen um jetzt doch endlich mal auf die nächste Begegnung zu sprechen zu kommen?
Oswald: Wenn die so auf den Platz gehen wie gestern, dann können die gegen jeden gewinnen. Die Frage wird sich nur stellen, ob es möglich ist diese Euphorie aufrechtzuerhalten und diese hundertprozentige Motivation aufrecht zu erhalten. Ob da nicht da nicht vielleicht irgendwann dann Überheblichkeit oder vielleicht dann doch einfach ein psychischer Knick kommt, der vielleicht einfach dadurch entsteht, so wie bei dem Reiter über den Bodensee, der über den verschneiten See reitet und nicht weiß, dass sich unter ihm ein zugefrorener See befindet. Und als er dann die Nachricht bekommt, dass er über den zugefrorenen See geritten ist, fällt er tot um. Dass das natürlich nicht passieren und so lange die nicht anfangen, darüber nachzudenken, was sie da eigentlich tun, könnte ich mir vorstellen, dass sie sogar den Titel holen.
Köhler: Wie lange lässt sich die Euphorie aufrechterhalten, fragen Sie. Ich hatte gestern einen Interviewpartner und von Ihnen verrate ich es auch. Ich verrate ja kein Geheimnis. Geburtstagsfeiern, Hochzeiten, alles Mögliche wird unterbrochen und außer Kraft gesetzt, also das geregelte Leben wird einfach mal unterbrochen, wenn die deutsche Nationalelf spielt. Bei Ihnen war das in München auch so.
Oswald: Ich war die ersten zwei Wochen der WM nicht in Deutschland und kam dann hier her und bin dann eingetaucht in eine Situation, wie ich sie hier wirklich noch nicht kannte. Auch die Arbeit steht ja still und nicht nur bei den Deutschlandspielen, sondern auch bei anderen Spielen treffen sich die Leute auf der Straße, vor den Großleinwänden und schauen sich Fußball an. Das ist natürlich einfach auch eine willkommene Möglichkeit, mal alles stehen und liegen zu lassen, und sich Fußball anzukucken. Und wie gesagt, wir hatten gestern hier eine Geburtstagsfeier und auch da wurde das überhaupt nicht als Unterbrechung gesehen oder es hat niemand gemault, dass Fußball gekuckt wird, jeder ist sofort dabei.
Köhler: Lässt sich abschließend gefragt, von der südländischen Leichtlebigkeit, die Sie gerade beschrieben haben, etwas hinüberretten über die WM?
Oswald: Das hoffe ich sehr. Das wäre eines der schönsten Ergebnisse, dass man sich überhaupt nur vorstellen könnte, wenn das gelänge, dass man diese Art von entspanntem Umgang, letztlich auch mit anderer und mit Leuten, die etwas anders denken und vielleicht auch etwas anderes vorhaben im Leben sich beibehält und das vielleicht als eine wirklich tolle Frucht dieser WM behielte. Das wäre schon ganz prima.
Köhler: Ihr Tipp für Freitag.
Oswald: Sie werden 2: 1 gewinnen.
Köhler: Georg Oswald, Schriftsteller in München, herzlichen Dank für das Gespräch über die deutsche Auswahl, die sich ins Viertelfinale geschossen hat. Der Gegner heißt Argentinien.
Darüber möchte ich sprechen mit Georg Oswald, Jurist und Schriftsteller in München. Guten Morgen, Herr Oswald.
Georg M. Oswald: Guten Morgen.
Köhler: Sie haben 1989 Ihren zweiten Roman Partyboy genannt, eine Karriere und das macht es mir leicht: Deutschland scheint gegenwärtig nicht mehr in Bundesländer, sondern in Partyzonen aus Großbildleinwänden aufgeteilt zu sein. Der Kaiser Franz, der Allgegenwärtige, hat geheiratet und Deutschland ist nicht wieder zu erkennen. Was meinen Sie, lässt sich die Freude, das Partygefühl eigentlich noch steigern? Wie lange kann das gut gehen, Deutschland als Partyzone?
Oswald: Na, allerlängstens bis zum Finale, und so wie man die deutsche Mannschaft gestern gesehen hat, wie die Duracell-Häschen kommen die auf den Platz, und spielen wirklich wie verwandelt. Wenn man das vergleicht, wie sie vor der WM gestartet sind, in den Vorbereitungsspielen, dann hat man den Eindruck, alle Leute wünschen sich nichts sehnlicher als diesen Ausnahmezustand, den wir im Augenblick haben, und der uns den neuen katastrophalen Bundeshaushalt und die 7.500 Allianzmitarbeiter, die entlassen werden, vergessen lässt, noch so lange wie
möglich aufrecht zu erhalten.
Köhler: Die Kameras zeigen uns ja nicht nur häufig junge, hübsche fußballbegeisterte Frauen, nein beim Spiel Frankreich - Togo etwa gab es Polonaisen, wie beim Straßenkarneval. Die Gegner liegen sich in den Armen und bewerfen sich nicht. Vor den Kneipen habe ich sogar Garderobenständer gesehen, an denen man sich wie an der Kleiderkammer bedienen kann und dann so wahlweise einen mexikanischen Hut oder irgendetwas anzieht, so eine Art kölsches Gefühl überall.
Oswald: Ja, ich denke schon. Mein Eindruck ist auch, dass die Menschen, egal woher sie kommen, das als eine Art Theaterspiel begriffen haben und ihren Spaß genau darin finden, sozusagen eine positive Form des eben nicht Nationalismus, sondern eben Patriotismus jeweils für ihr Land, das dann vielleicht einfach nur ein Maskenball in vielen Fällen ist, zu verwirklichen und zu spielen und sich dabei gegenseitig hochzuschaukeln.
Köhler: Also von der verspäteten zur rechtzeitigen Nation?
Oswald: Ich weiß es nicht. Ich habe das akustisch nicht verstanden. Von der Verspäteten zur ... ?
Köhler: ... zur Rechtzeitigen.
Oswald: Zur Rechtzeitigen?
Köhler: Just in time. Klinsmann schafft es, die Jungs auf den Punkt zu bringen. Á la minute.
Oswald: Ja gut, das was das Sportliche betrifft ist das sicherlich richtig. Das hat man eigentlich so noch nicht gesehen, dass eine Mannschaft so zu diesem Punkt kommt, genau dann, wenn es notwendig wird. Ich finde sogar diese Patriotismusdebatte, die ja eigentlich auch zum Ritual gehört, wenn dann die deutschen Fähnchen wieder herauskommen. Das hatten wir ja 1990 auch, kurz nach der Wiedervereinigung. Dann die Weltmeisterschaft in Italien und der Weltmeistertitel. Da erschien ja auch die Bildzeitung nur noch mit schwarz-rot-golden umrandetem Titelblatt. Das ist eigentlich nicht neu. Neu ist doch diese Entspanntheit, die sich dabei offensichtlich eingestellt hat. Und die ja auch von allen, am meisten habe ich manchmal den Eindruck, von den Deutschen selbst bewundert wird.
Köhler: Auch der Bundespräsident hat sich ja in unserem Interview der Woche, letzte Woche darüber so gefreut, dass sich die Deutschen so schön freuen können. Nun lassen Sie uns mal über den Bundestrainer beispielsweise sprechen, also so eine Ikone, die auch allem voran steht. Er ist ja nun nicht ganz unschuldig, freut sich wie ein Kind. Man sieht, er springt in die Höhe, fiebert mit, zeigt Emotionen, wie kaum ein anderer Trainer während der WM. Dieser schwäbische Kalifornier führt die Elf wie ein kluger Manager und nicht, ich sage es jetzt mal auf die Gefahr hin, manche zu ärgern, wie die Krawall-Käthe Rudi Völler. Sehen wir nicht insgesamt auch eine neue Kultur am Werk?
Oswald: Ja, da würde ich nicht so weit greifen wollen, denn das hängt natürlich alles an den Erfolgen, die die Mannschaft jetzt gerade hat. Und hätte die sie nicht, dann würde man über Klinsmann genau dasselbe sagen, was man vorher gesagt hat: Nämlich dass er kein hundertprozentig sicherer Kandidat ist auf der Position, auf der er jetzt sitzt. Der Erfolg gibt ihm jetzt plötzlich Recht und er musste, wenn ich das richtig verfolgt habe, eigentlich so viel Kritik im Vorhinein über sich ergehen lassen wie selten ein anderer Trainer. Noch nicht einmal Berti Vogts wurde so kritisiert, erst dann als er keinen Erfolg mehr hatte und das hat sich jetzt gedreht, weil die sportlichen Erfolge da sind. Ich möchte nicht wissen, was passiert, wenn wir gegen Argentinien im Viertelfinale ausscheiden.
Köhler: Darüber sprechen wir erst am Schluss. Ich will die gute Laune, auch dieses Gesprächs noch einen Moment aufrechterhalten. Ich will trotzdem noch einmal nachfassen, ist es nicht doch ein Wechsel, sagen wir mal von den Lahms und Kloses und Neuvilles und Friedrichs? Das sind doch smart boys, smart sport, smart country, also irgendwie alles ist so smart.
Oswald: Ja, das waren die aber auch schon vor einem Vierteljahr und vor einem halben Jahr, oder zum Beispiel auch beim Confed Cup vor einem Jahr und da war die Kritik noch wesentlich lauter. Nur scheint jetzt offensichtlich auch die Rechnung aufgegangen zu sein. Man hat gestern auch in der Spielanalyse gesehen, wie Ballack gar nicht so sehr nach vorne, sondern vor allen Dingen nach hinten gearbeitet hat und Mittelfeld und Abwehr jetzt plötzlich harmonieren und keine Chancen des Gegners mehr zulassen.
Das scheint offensichtlich jetzt erst so richtig zu funktionieren, wie sich Klinsmann das vorgestellt hat und deshalb ist er natürlich nun auch im Recht mit seinen manchmal auch merkwürdig, eben auch sehr positiv denkenden Motivationsmethoden im Recht. Und das sieht natürlich jetzt ganz toll aus und hat so fast schon etwas Wunderbares an sich, woran man sich natürlich nur freuen kann.
Köhler: Der Star ist die Mannschaft, also so ein bisschen auch Föderalismusreform auf dem Platz. Stärkung der einzelnen Regionen und Länder.
Oswald: Ja, das finde ich ganz interessant, dass wir keinen Spieler mehr haben … also Ballack sollte ja so diese Rolle des Führungsspielers, so wie 1974 Beckenbauer oder 1990 Matthäus einnehmen. Das tut er aber nicht und trotzdem geht diese Rechnung auf. Man hat tatsächlich das Gefühl, das ist ein sehr homogenes Gebilde, diese Mannschaft, die da auf den Platz kommt. Ich bin immer ein bisschen vorsichtig mit diesen Vergleichen von Fußball und Politik, denn was die Föderalismusreform anbetrifft, sind wir noch längst nicht so weit wie Klinsmann mit seiner Elf.
Köhler: Wie weit können die noch gehen um jetzt doch endlich mal auf die nächste Begegnung zu sprechen zu kommen?
Oswald: Wenn die so auf den Platz gehen wie gestern, dann können die gegen jeden gewinnen. Die Frage wird sich nur stellen, ob es möglich ist diese Euphorie aufrechtzuerhalten und diese hundertprozentige Motivation aufrecht zu erhalten. Ob da nicht da nicht vielleicht irgendwann dann Überheblichkeit oder vielleicht dann doch einfach ein psychischer Knick kommt, der vielleicht einfach dadurch entsteht, so wie bei dem Reiter über den Bodensee, der über den verschneiten See reitet und nicht weiß, dass sich unter ihm ein zugefrorener See befindet. Und als er dann die Nachricht bekommt, dass er über den zugefrorenen See geritten ist, fällt er tot um. Dass das natürlich nicht passieren und so lange die nicht anfangen, darüber nachzudenken, was sie da eigentlich tun, könnte ich mir vorstellen, dass sie sogar den Titel holen.
Köhler: Wie lange lässt sich die Euphorie aufrechterhalten, fragen Sie. Ich hatte gestern einen Interviewpartner und von Ihnen verrate ich es auch. Ich verrate ja kein Geheimnis. Geburtstagsfeiern, Hochzeiten, alles Mögliche wird unterbrochen und außer Kraft gesetzt, also das geregelte Leben wird einfach mal unterbrochen, wenn die deutsche Nationalelf spielt. Bei Ihnen war das in München auch so.
Oswald: Ich war die ersten zwei Wochen der WM nicht in Deutschland und kam dann hier her und bin dann eingetaucht in eine Situation, wie ich sie hier wirklich noch nicht kannte. Auch die Arbeit steht ja still und nicht nur bei den Deutschlandspielen, sondern auch bei anderen Spielen treffen sich die Leute auf der Straße, vor den Großleinwänden und schauen sich Fußball an. Das ist natürlich einfach auch eine willkommene Möglichkeit, mal alles stehen und liegen zu lassen, und sich Fußball anzukucken. Und wie gesagt, wir hatten gestern hier eine Geburtstagsfeier und auch da wurde das überhaupt nicht als Unterbrechung gesehen oder es hat niemand gemault, dass Fußball gekuckt wird, jeder ist sofort dabei.
Köhler: Lässt sich abschließend gefragt, von der südländischen Leichtlebigkeit, die Sie gerade beschrieben haben, etwas hinüberretten über die WM?
Oswald: Das hoffe ich sehr. Das wäre eines der schönsten Ergebnisse, dass man sich überhaupt nur vorstellen könnte, wenn das gelänge, dass man diese Art von entspanntem Umgang, letztlich auch mit anderer und mit Leuten, die etwas anders denken und vielleicht auch etwas anderes vorhaben im Leben sich beibehält und das vielleicht als eine wirklich tolle Frucht dieser WM behielte. Das wäre schon ganz prima.
Köhler: Ihr Tipp für Freitag.
Oswald: Sie werden 2: 1 gewinnen.
Köhler: Georg Oswald, Schriftsteller in München, herzlichen Dank für das Gespräch über die deutsche Auswahl, die sich ins Viertelfinale geschossen hat. Der Gegner heißt Argentinien.