Sonntag, 28. April 2024

Archiv


"Ich mag gern volles Risiko"

Steven Spielberg und Alfred Hitchcock sind bereits erfolgreiche Regisseure. Agnes Hansch oder Anna Becker sind noch nicht so bekannt. Aber wer weiß: Vielleicht kommen beide auch groß raus. Sie gehören zu einer Gruppe von Regierstudenten, die ins Hamburger Thalia Theater von der Körber-Stiftung eingeladen wurde . Sie wurden ausgewählt. Wer so eine Einladung bekommt, der gehört zu den besten deutschsprachigen Regiestudenten.

Von Elske Brault | 29.09.2004
    Es ist ein Marktplatz der Möglichkeiten. Elf Regiestudenten aus der Deutschland, der Schweiz und Österreich tauschen sich eine Woche lang aus, über ihre Studienbedingungen, ihre Ziele und ihre Vorstellungen vom Theater zu reden. Denn die Ausbildungswege sind vielfältig, klar ist nur eines, sagt die 24-jährige Agnes Hansch:

    Ich glaub, dass man Talent mitbringen muss. Sehr viel Talent mitbringen muss. Wenn man das nicht mitbringt, kann man’s nicht lernen.

    Und natürlich musste auch Agnes Hansch eine Aufnahmeprüfung bestehen. Zuerst hat sie ein Jahr in Gießen Regie studiert, das nennt sich dort "Angewandte Theaterwissenschaften" und war Agnes zu wisenschaftlich, zu frei, zu theoretisch. Sie wechselte zur Ernst-Busch-Schule in Ost-Berlin. Bewerbung, Prüfung, geschafft! Dort müssen die Regieschüler nach altem sozialistischem Prinzip erstmal Kulissen schieben, bevor sie Regieanweisungen geben dürfen. Es gibt fast genau so viele Professoren wie Studenten, die Ausbildung gleicht einer Handwerkslehre.

    Wir standen alle im ersten halben Jahr selber auf der Bühne und haben versucht mitzukriegen, wie man das als Schauspieler erlebt, wenn der Kollege unten sitzt, und was einem da hilft und was nicht. Wir haben selber Maske ausprobiert, wir haben Bühnenbild, uns damit auseinandergesetzt, also wirklich jeden Teil einer Inszenierung kennen gelernt, auch immer von der anderen Seite.

    Herausgekommen ist dabei eine sehr körperliche, auf die Schauspieler konzentrierte Aufführung zweier antiker Stücke. Mit wenig Antike: Im Mittelpunkt steht der gewalttätige Konflikt zwischen Mann und Frau, Agnes Hansch und ihre Kommilitonin Christine Hofer setzen ganz auf die Gefühlsausbrüche ihrer Schauspieler.

    Also wenn man einen Funken gelegt hat, und der Schauspieler weiß: Ah jajaja, ich weiß, wie du meinst, und dann weiß der nächste Schauspieler auch, wie’s geht, und dann hat man einen Riesenspielfunken gesetzt, dann ist man richtig gut, also dann hat man auch ein gutes Gefühl - unten.

    Solche Schauspielerarbeit interessiert die Giessener Regiestudentinnen Anna Becker und Katharina Bischoff wenig. Allein schon deswegen, weil sie in Giessen gar keine Schauspielschule und somit keine Schauspieler haben. Aus der Not sei mittlerweile eine Tugend geworden, behauptet Anna Becker.

    Im Moment ist es kaum so, dass irgendeine Produktion eines echten Schauspielers, mit diesen Qualitäten, bedürfe, weil das glaub ich, der Punkt ist, der am wenigsten interessant für uns ist, ist das Handwerk, was der Schauspieler kann und der normale Mensch nicht. Vielleicht geht’s echt ins Richtung - dass es näher ans Leben geht oder so.

    Zum Beispiel haben drei ehemalige Giessener Uniabsolventen als Gruppe "Rimini-Protokoll" Spezialisten auf die Bühne gebracht: Für ein Stück über das Sterben erzählten Totengräber und Bestattungsunternehmer von ihrem Arbeitsalltag. Rimini-Protokoll waren damit zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Allerhöchste Weihen also.

    Anna Becker und Katharina Bischoff nennen ihre Zweiergruppe "Big Notwendigkeit", zeigen schon mit dem Namen, dass sie kein Spiel, sondern Ernst machen wollen. Ihr Stück "Take a Bow" ist eine theatrale Feldforschung zum Thema "Hysterie". Für viele andere Regiestudenten kein Theater mehr. Katharina Bischoff widerspricht.

    Wenn man jetzt sagt, Theater sind irgendwelche Stücke, die von irgendwelchen Autoren geschrieben wurden, für die Bühne, die dann auf die Bühne transportiert werden, das ist Theater. Dann stimmt das vielleicht. Aber ich würde eben diese Abgrenzung so nie machen.

    Die elf Regieschulen im deutschsprachigen Raum haben pro Studienjahr nur zwischen zwei und sechs Studenten, produzieren also insgesamt 30 bis 40 Jungregisseure. Die lernen alle verschiedenes: Anna Becker hat sich intensiv mit Tanz beschäftigt, zwei Semester lang Videoschnitt gelernt und ein Seminar zum Thema Soundtrack belegt.

    Also wie man mit Musik umgeht, wie man Toneinsatz machen kann zum Beispiel.

    Der Hamburger Student Roger Vontobel musste mit einer Schauspielausbildung beginnen.

    Fechten ein bisschen, Stückanalysen, Projekte, halt praktische Arbeit: Zehn Minuten, zwanzig Minuten, zwei drei Szenen. Und irgendwann vielleicht mal ein Stück am Ende.

    Mit einem Stück tourt Vontobel schon zu diversen europäischen Festivals, obwohl er sein Diplom noch nicht in der Tasche hat. Längst haben die Intendanten großer Staatstheater ihn gecastet.

    Interessierte Leute wie Herr Baumbauer oder Herr Schirrmer sind halt ziemlich umtriebig und gucken sich das dann auch an, wenn in den Schulen was läuft oder so.

    Für das nächste Jahr ist Vontobel ausgebucht.

    Ich mache was in Stuttgart, und in Jena, danach in Essen, bei Anselm Weber.

    Ein Jungregisseur braucht statt der Wohnung nur einen Koffer. Gut so, denn das Monatseinkommen ist bescheiden

    300 Euro? Ja, da sollte man sich einen anderen Beruf suchen. Verdienst ist nicht das Entscheidende. Spaß haben. Das was erzählen wollen.

    Solang es irgendwie Spaß macht, kann man auch drüber hinwegsehen, dass man nicht besonders reich wird.


    Findet auch Tomas Schweigen, der gerade in Zürich sein Regiediplom erworben hat. Sein Projekt "Oneweekstand reloaded" stellt vollends alle Theatergesetze auf den Kopf. Mit vier Schauspielstudenten und einem Profi als Gast hat Schweigen in nur einer Woche eine Moliere-Komödie einstudiert. Weil technische Proben so viel Zeit kosten, machen seine Schauspieler Licht und Sound selbst, mit einem Mischpult am Bühnenrand und Stehlampen.

    Es gab eigentlich nie proben ohne die Technik. Wir machen auch nie Durchläufe. Das ganze zusammengesetzt wird eigentlich erst bei der Vorstellung dann. Ich mag gerne volles Risiko.

    Auch Tomas Schweigen hat sein erstes bezahltes Engagement. Danach? Weiß er noch nicht. Risikobereitschaft ist eben nötig beim Fach Regie. Und ein unerschütterlicher Glaube an sich selbst.

    Engagement und Leidenschaft setzt sich durch - ist so meine These. Mal sehen.