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"Ich sehe reelle Chancen"

Laut Elke Diekmann vom Hochschulteam der Arbeitsagentur Berlin Süd haben Studienabbrecher auf dem Arbeitsmarkt vergleichsweise gute Möglichkeiten. Hinderlich seien lediglich ein höheres Alter und Mehrfachabbrüche.

Elke Diekmann im Gespräch mit Ulrike Burgwinkel | 29.07.2010
    Ulrike Burgwinkel: Am Tag vier unserer kleinen Serie zum Studienabbruch geht es heute um den Arbeitsmarkt: Welche Chancen hat denn nun ein Abbrecher? Ich fürchte, das kann man generell so gar nicht beantworten – oder vielleicht doch. Das frage ich Elke Diekmann vom Hochschulteam der Arbeitsagentur. Guten Tag nach Berlin!

    Elke Diekmann: Ja, guten Tag, Frau Burgwinkel!

    Burgwinkel: Frau Diekmann, sehen Sie reelle Chancen für Studienabbrecher?

    Diekmann: Ja, ich sehe reelle Chancen, und zwar sowohl
    was Ausbildung betrifft als auch Quereinsteiger, um in Arbeit zu kommen. Man muss natürlich beachten, wann die Beginntermine sind für die Ausbildung. Ich muss allerdings dazusagen, hinderlich ist ein höheres Alter, und das heißt deutlich über 25 Jahre, die bekommen wir also nicht mehr so leicht in eine normale Ausbildung, und auch Mehrfachabbrüche werden von Arbeitgebern nicht so gerne gesehen, weil sie die Arbeitnehmer dann für unzuverlässig halten würden oder ihnen mangelndes Durchhaltevermögen unterstellen. Einmalabbrecher, die aber noch nicht zu alt sind, haben gute Chancen, in eine ganz normale Ausbildung zu kommen oder in Arbeit zu kommen.

    Burgwinkel: Handelt es sich dabei um ganz spezielle Arbeitgeber oder kann man das generell so sagen?

    Diekmann: Also man kann es einerseits generell sagen – also bei den Quereinsteigern ist es natürlich so, dass das nur bestimmte Gebiete sind, also da sind es zum Beispiel die Callcenter, die die Studienabbrecher gerne nehmen, die arbeiten ja auch sehr gerne sowieso schon mit Studierenden zusammen und natürlich die Zeitarbeitsbranche. Es ist aber nicht vorrangig unser Ziel, die Leute so in Arbeit zu bringen, sondern wir möchten natürlich, dass die Abbrecher möglichst einen formalen Abschluss bekommen. Und von so her tendieren wir natürlich zu einer vernünftigen Ausbildung oder eben einen Wechsel des Studiums, damit eben ein formaler Abschluss auch erreicht wird.

    Burgwinkel: Nun werden ja gerade in naturwissenschaftlichen Bereichen sehr viele Leute gesucht, Absolventen oder vielleicht auch Abbrecher – ist das so, dass sich das in erster Linie auf Mangelberufe bezieht, was Sie bislang gesagt haben, oder sind auch vielleicht solche Leute dabei, die was mit Medien studiert haben oder vielleicht Germanistik?

    Diekmann: Ja. Also es ist so, dass natürlich, wie Sie schon sagten, in diesen technischen Bereichen oder überhaupt im Fachkräftebereich natürlich ein enormer Bedarf ist, der ja auch in den kommenden Jahren durch die Demografie noch mal ansteigen wird, aber es ist auch durchaus so, dass eben gerade in vielen kaufmännischen Bereichen ein großes Interesse besteht, auch Studienabbrecher einzustellen, weil die eben schon über bestimmte spezifische Qualifikationen verfügen, die eben bei anderen, die sozusagen gerade erst Abitur haben oder Realschulabschluss, einfach noch fehlen.

    Burgwinkel: Welche Qualifikationen wären denn das, Frau Diekmann?

    Diekmann: Das sind natürlich einerseits die fachlichen Qualifikationen, aber es sind eben auch oft sogenannte Soft Skills beziehungsweise die soziale Kompetenz. Also, wenn Stellen nicht besetzt werden können, dann liegt das relativ häufig an bestimmten Eigenschaften, die fehlen. Das kann sein Höflichkeit, Pünktlichkeit, vor allen Dingen gute Deutschkenntnisse, auch gute Rechtschreibkenntnisse, aber auch gute Fremdsprachenkenntnisse, die eben zunehmend wichtig werden, so was wie Kopfrechnen, Bruchrechnen, gute IT-Kenntnisse, generell eine gute Allgemeinbildung, eine hohe Einsatzbereitschaft und Motivation, teils auch einfach dem geschuldet, dass es ja für die Studienabbrecher oft die letzte Chance ist, um wirklich eine vernünftige Arbeit zu bekommen, aber auch oft, dass sie recht gerne mit ihnen zusammenarbeiten, weil es eben keine überambitionierten Aufsteigertypen sind und man im Grunde genommen mit ihnen recht gut zusammenarbeiten kann und sie eben schon eine realistischere Selbsteinschätzung und eine gewisse Lebenserfahrung haben.

    Burgwinkel: Hätten Sie denn einen allgemeinen Rat vielleicht für Abbrecher?

    Diekmann: Also das Allererste, um den Hochschulabbruch zu vermeiden, wäre, dass man bereits vor dem Studiun zur Berufsberatung geht. Relativ häufig stellen wir fest, dass die Leute, die abbrechen, im Grunde genommen relativ unbedarft ein Studium begonnen haben, manchmal einfach nach dem Motto: Ich will irgendwas studieren, aber habe mir eigentlich gar nicht richtig Gedanken macht, mein Abi ist auch nicht so toll, ich studiere irgendein NC-freies Fach – und sind dann einfach von den Erforderungen erschlagen, beziehungsweise es ist einfach überhaupt nicht das, was sie wollten. Das heißt, auch da ist eine gute Vorbereitung der erste Punkt, um einen späteren Abbruch zu vermeiden. Der zweite Ratschlag wäre, weil durch das "Versagen" in Anführungsstrichen viele doch psychisch etwas geknickt sind, dass man trotzdem versucht, den Abbruch positiv zu verkaufen, dass man sich nicht selber als Versager sieht, sondern eben einfach sagt, meine Qualitäten liegen auf einem anderen Gebiet, und da kann ich tatsächlich noch etwa schaffen. Und ansonsten natürlich die Wahrnehmung unserer Angebote, würde ich da jedem empfehlen. Also wir haben verschiedene Informationsveranstaltungen, eben zum Beispiel in jedem Semester wie "Studienabbruch, was nun?", der erst mal eine Orientierung gibt, was sind überhaupt für Möglichkeiten da. Im nächsten Semester mache ich mit einer Referentin zusammen erstmals ein Seminar, das nennt sich "Endlich fertig werden mit dem Studium", also Studienmanagement, weil es auch daran relativ häufig hapert. Aber wir bieten eben halt auch Beratung an durch die Berufsberatung für Abiturienten zu Ausbildung oder dualen Studiengängen. Da kann man sich ganz normal einen Termin besorgen. Dringend würde ich erstmal zur Erstorientierung empfehlen, dass man mal auf unsere Seite schaut, und zwar auf die Seite www.arbeitsagentur.de, dort unter Bürgerinnen und Bürger, und da gibt es einen Link: einmal Ausbildung, und dann gibt es auch noch einen Link Studium, und da speziell einen Link Studienabbrecher. Also wie gesagt, das würde ich allen erst mal ans Herz legen, um sich einen Überblick zu verschaffen.

    Burgwinkel: Ein riesiges Angebot an Hilfe.

    Diekmann: Ja, ganz genau.

    Burgwinkel: Herzlichen Dank für das Gespräch!

    Diekmann: Ja, bitte schön.

    Burgwinkel: Das war Elke Diekmann vom Hochschulteam der Arbeitsagentur Berlin-Süd. Morgen, in der letzten Folge der "Campus & Karriere"-Serie zum Studienabbruch, da lernen Sie dann jemanden kennen, der zum Glück ausgestiegen und dann aber auch wieder eingestiegen ist, vom Mechatronikstudenten zum Fluglotsen in Ausbildung.


    Campus & Karriere-Serie "Studienabbruch in Deutschland":


    "Ich fang' jetzt bei null an" - Teil 1: Porträt Sandra Walus

    Psychotherapeut: "Scheitern gehört dazu" - Teil 2: Ursachen der persönlichen Krise

    "Bewerben, bewerben, bewerben! Und nicht müde werden!"
    Serie "Studienabbruch in Deutschland" - Teil 3: Was tun ?