Samstag, 20. April 2024

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"Ich sehe voraus, dass wir wieder nach Karlsruhe gehen müssen"

Der frühere Innenminister Gerhart Baum hält den Entwurf zum neuen BKA-Gesetz für nicht verfassungskonform und erwägt daher eine erneute Verfassungsklage. Insbesondere die Regelungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung seien unzureichend, sagte der FDP-Politiker, der bereits das nordrhein-westfälische Gesetz zur Online-Durchsuchung in Karlsruhe zu Fall brachte.

Moderation: Dirk Müller | 20.06.2008
    Dirk Müller: "Wir schaffen keinen Überwachungsstaat", sagt Wolfgang Schäuble und verteidigt vehement das geplante neue BKA-Gesetz - eine der größten Polizeireformen der letzten Jahrzehnte. Einmal die Online-Durchsuchung, zum zweiten, mit versteckter Kamera Wohnungen ausspähen zu dürfen. Heute die erste Lesung im Bundestag. Ein scharfer Kritiker des BKA-Gesetzes ist der FDP-Politiker und frühere Innenminister Gerhart Baum. Guten Tag!

    Gerhart Baum: Guten Tag.

    Müller: Herr Baum, ist dieses Gesetz jetzt verfassungskonform?

    Baum: Nein. Es ist in Teilen nicht in Übereinstimmung mit dem Urteil zur Online-Durchsuchung, das ich mit erstritten habe. Insbesondere die Regelungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung sind unzureichend. Hierzu gehört etwa die längerfristige Observation oder der Einsatz akustischer und optischer Überwachung außerhalb der Wohnung. Und es ist im Gesetz auch nicht ausgeschlossen, dass die Online-Durchsuchung erfolgt, wenn klare Anhaltspunkte gegeben sind, dass sie den privaten Bereich ausschließlich betrifft.

    Müller: Das heißt Sie wollen diese beiden Dinge, die ja nun entscheidend sind für die ganze Diskussion, für die Auseinandersetzung, die wir in den vergangenen Monaten hatten, doch wieder canceln, wieder abschaffen?

    Baum: Ja. Es ist so, dass auch die SPD auf diese Punkte nicht intensiv eingeht bei ihren Nachbesserungswünschen. Und ich sehe voraus, dass wir wieder nach Karlsruhe gehen müssen. Es ist also nicht nur der generelle Zweifel, ob die Online-Durchsuchung überhaupt notwendig ist. Der Verfassungsrichter Hoffmann-Riem, der ja für das Urteil verantwortlich war, hat diese Zweifel angemeldet, hat gesagt, das ist uns gar nicht nachgewiesen, dass wir diese Maßnahme brauchen.

    Und dann gibt es noch eine Fülle anderer Punkte: die Diskriminierung von Geistlichen und, was auch eben angeklungen ist, dass man in der föderalen Aufgabenteilung die Kompetenz zwischen Bund und Ländern vermischt, so dass am Ende nicht mehr ganz klar ist, wer eigentlich zuständig ist. Wir haben diese Zuständigkeitsschwierigkeiten ja im Falle Schleyer versucht, nach dem Fall Schleyer, auszuräumen. Und es ist die Trennung zwischen Nachrichtendienst und Polizei nicht gewahrt. Also eine Reihe von Zweifelspunkten. Ich bestreite nicht generell die Notwendigkeit eines Gesetzes, aber dieser Vorschlag ist nicht konsequent verfassungskonform.

    Müller: Greifen wir uns, Herr Baum, doch noch mal einen Punkt heraus. Das Bundesverfassungsgericht hat ja hohe Hürden gesetzt bei der Online-Durchsuchung und gesagt, nur in ganz, ganz schweren Verdachtsmomenten, da darf das BKA entsprechend vorgehen. Es bedarf auch eines richterlichen Beschlusses. Was ist daran falsch?

    Baum: Es wird hier gesagt, auch wenn konkrete Anhaltspunkte vorliegen, dass die Maßnahme den Kernbereich berührt, kann sie erfolgen. Das ist eine Umkehrung der Forderung des Verfassungsgerichts.

    Müller: Das habe ich nicht verstanden.

    Baum: Es ist so: Wenn von vorneherein klar ist, dass die Online-Durchsuchung den Kernbereich privater Lebensgestaltung erfasst, dann muss sie unterbleiben. Das heißt dieses Erhebungsverbot wird von dem Gesetzentwurf, wie er jetzt im Parlament liegt, nicht konsequent beachtet. Es wird gefordert, dass allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich vorliegen müssen, wenn man die Maßnahme nicht einleiten darf, aber das ist nicht der Spruch des Verfassungsgerichts. Wenn überhaupt Anhaltspunkte vorliegen, dass der Kernbereich, also die Privatheit, erheblich verletzt wird, dann muss sie unterbleiben. So konsequent wird das nicht umgesetzt.

    Müller: Es ging ja, Herr Baum, natürlich in diesem Punkt um die Umsetzung, um die Operationalisierung dessen. Wenn wir uns mal ein Beispiel vergegenwärtigen, falls zwei Terroristen oder verdächtige Terroristen miteinander telefonieren und planen einen Anschlag und kommen während des Gespräches dann zu einer privaten Verabredung, dann müsste ausgeschaltet werden. Dann dürfte man nicht mithören.

    Baum: Nein. Es geht ja hier nicht ums Telefon, sondern es geht hier um den Zugriff auf die Festplatte. Das ist der Computer, der unsere ganze Privatheit umfasst. Da ist es ja außerordentlich schwierig, zwischen dem Privaten und dem nicht Privaten zu trennen. Das geht technisch nicht so ohne weiteres.

    Müller: Diese Mail, Herr Baum, müsste dann unterbrochen werden? Das heißt man müsste ein paar Zeilen streichen und dann geht es wieder um den Anschlag und dann macht man wieder weiter. Wie soll das funktionieren?

    Baum: Nein, es ist so: Wenn die Festplatte ausgewertet wird, die ja eine Vielzahl von Informationen enthält, dann müssen - so sieht der Gesetzentwurf das vor - diese Dinge dann gestrichen werden. Aber das Gericht sagt: Wenn es klar ist, dass die Privatheit hier empfindlich verletzt wird, dürfen diese Daten nicht einmal erhoben werden. Das ist der Unterschied.

    Müller: Also werden Sie definitiv noch einmal klagen?

    Baum: Wenn das so bleibt, werden wir uns erneut auf den Weg nach Karlsruhe machen müssen, denn wir wollen, dass dieses wichtige Urteil auch konsequent angewandt wird - ganz abgesehen davon, dass immer noch Zweifel bestehen, ob wir die Online-Durchsuchung wirklich brauchen. Der Nachweis ist nicht erbracht.

    Müller: Der FDP-Politiker Gerhart Baum bei uns im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch!