Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


"Ich unterschreibe jedes Wort" der Kritik an Moskau

Der Koordinator der deutsch-russischen Beziehungen, Andreas Schockenhoff, kritisierte auch den Stand der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Russland - Moskau will ihn deshalb nicht mehr als Gesprächspartner akzeptieren. Rainer Stinner,, außenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, weist diese Forderung zurück: "Die deutsche Bundesregierung bestellt die Repräsentanten, die für sie handeln und niemand anders."

Rainer Stinner im Gespräch mit Peter Kapern | 22.10.2012
    Peter Kapern: So geht es also zu in Wladimir Putins Russland, und das hat Andreas Schockenhoff, der Koordinator für die deutsch-russischen Beziehungen, auch aufgeschrieben. Und zwar in einem Beschlussentwurf für die CDU-Bundestagsfraktion. In Moskau hat Schockenhoffs Papier keinen Gefallen gefunden. Das russische Außenministerium wirft ihm verleumderische Äußerungen vor und will ihn nicht mehr als Gesprächspartner akzeptieren.

    – Bei uns am Telefon ist nun Rainer Stinner, der außenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Guten Tag.

    Rainer Stinner: Hallo! Guten Tag.

    Kapern: Herr Stinner, verleumdet Andreas Schockenhoff Russland?

    Stinner: Nein, natürlich nicht. Herr Schockenhoff hat die Punkte, die uns alle bewegen, aufgelistet. Ohne jeden Zweifel – das hat er hier im Beitrag auch gezeigt – befinden wir uns, was Demokratie und Rechtsstaatlichkeit angeht, in Russland nicht auf einem aufsteigenden Ast, sondern eher umgekehrt. Und das betrachten wir sehr kritisch. Und von daher ist natürlich klar, dass Herr Schockenhoff in seiner Eigenschaft auch diese kritischen Punkte anspricht. Das ist keine Verleumdung. Und zu den Forderungen aus Moskau kann ich nur sagen, es bleibt dabei, wie es ist. Die deutsche Bundesregierung bestellt die Repräsentanten, die für sie handeln und niemand anders. Und das tut die russische Regierung ganz genauso. Wir haben auch manchmal schwer daran zu schlucken, was uns manche russische Vertreter, inklusive Herr Rogosin als NATO-Botschafter, gesagt haben. Aber in einem Dialog zwischen zwei Ländern ist es üblich und muss es auch möglich sein, dass unterschiedliche Meinungen geäußert und ausgetauscht werden.

    Kapern: Ist der Fall Schockenhoff damit erledigt, dass er weiter Koordinator für die russisch-deutschen Beziehungen bleibt. Oder müsste die Bundesregierung noch mehr unternehmen Ihrer Ansicht nach?

    Stinner: Nein. Aus meiner Sicht hat die Bundesregierung sich klar geäußert. Ich unterschreibe jedes Wort, was da gesagt worden ist. Und ich glaube, es ist nichts mehr hinzuzufügen als die Tatsache, ich wiederhole es gerne noch mal, wir bestimmen unsere Organe und wir lassen uns da von niemandem reinreden.

    Kapern: Das Erstaunliche an diesem inkriminierten Papier von Andreas Schockenhoff ist ja, dass es schon zur Prüfung im deutschen Außenministerium vorgelegen hat. Und dort ist es, wie die "Süddeutsche Zeitung" am 9. Oktober titelte, weichgespült worden. Ist Guido Westerwelle, der deutsche Außenminister, ein lupenreiner Moskaufreund?

    Stinner: Nein. Das ist schön formuliert von Ihnen ...

    Kapern: Danke!

    Stinner: ... und es ist Ihrem Kollegen, Herrn Brössler, ein journalistischer Coup gelungen, dass er aus internen Beratungen, wo Anträge hin- und hergewogen werden, berichten konnte. Das ist sehr unschön, erschwert unsere Arbeit, aber das Verfahren ist ein ganz normales Verfahren. Es wird ein Aufschlag gemacht von irgendjemand, in diesem Fall war es Herr Schockenhoff. Und dann wird dieses Papier zunächst mal zwischen den Koalitionsfraktionen hin- und hergenommen und natürlich holen wir uns auch Rat ein beim Außenministerium. Aber das Außenministerium stand jetzt hier im Vordergrund auch in der öffentlichen Wahrnehmung. Ich selber habe mit Herrn Schockenhoff über dieses Papier gesprochen. Die Punkte, die er angesprochen hat, sind alle richtig, die sollen sich auch im Papier wiederfinden. Es geht um den gesamten Kontext, denn es ist mein Bestreben und, glaube ich, das Bestreben auch der meisten in unserem Lande, dass trotz aller Probleme, die wir auflisten müssen, wir natürlich gemeinsame Interessen mit Russland haben und dass wir den weiteren Weg der Diskussion und der Zusammenarbeit mit Russland ermöglichen wollen. Deshalb sollte dieser Antrag, den wir morgen in den Arbeitsgruppen in einer neuen Fassung jetzt beraten, sowohl bei der Union als auch bei uns in der FDP, das widerspiegeln. Eine Balance, jedenfalls beide Punkte anzusprechen, die kritischen Punkte, die da sind und auf die wir offen hinweisen, aber auch die Perspektive der weiteren Zusammenarbeit.

    Kapern: Aber festzuhalten bleibt doch, Herr Stinner, dass das Papier aus der Feder von Herrn Schockenhoff nach der Überarbeitung durch das Außenministerium zärtlicher mit Moskau umgeht, als es vorher der Fall war?

    Stinner: Es sieht anders aus. Es sieht auch anders aus, weil wir als FDP es so wollen. Da brauche ich mich gar nicht hinter einem Außenministerium zu verstecken, sondern ...

    Kapern: Also die FDP will kein Klartext gegenüber Moskau?

    Stinner: Doch, wir wollen. Wir reden ja Klartext. Und wenn Sie das Papier sehen, dann werden Sie Klartext sehen. Und wenn Sie sich die Antwort auf eine große Anfrage zu diesem Thema ansehen, dann redet die Bundesregierung auch sehr deutlich Klartext. Aber in einem Entschließungsantrag, der zeitgerecht vor gemeinsamen Regierungskonsultationen auf den Tisch gebracht wird, ist es nach meinem Dafürhalten richtig, die kritischen Punkte anzusprechen – die werden alle angesprochen -, aber sie einzubetten in einen Gesamtkontext, was bedeutet die Beziehung Deutschland-Russland für uns und in welchem Sinne wollen wir dort auch entsprechend weiterarbeiten. Und dennoch aber, das habe ich ja vorhin schon gesagt, die kritischen Punkte nicht aussparen.

    Kapern: Aber damit relativiert man doch die Vorwürfe an die Adresse Moskaus.

    Stinner: Nein, überhaupt nicht. Was mir nicht gefallen hat an dem ersten Entwurf - aber das ist ganz normal; die Aufregung ist nur gekommen, weil es an die Öffentlichkeit gekommen ist; das ist ganz normales parlamentarisches Verhandeln. Ich habe jetzt gerade den Antrag vor mir liegen und zwei Kollegen von mir haben auch dort jetzt intern für unsere Beratungen morgen einige Änderungswünsche angebracht. Und die werden wir morgen beraten. So läuft das halt im parlamentarischen Hin und Her. Deshalb wird hier nichts weichgespült, sondern es wird der gesamtpolitische Kontext hergestellt, denn wenn man nur 40, 50 Kritikpunkte aneinanderreiht, die als Einzelpunkte alle nicht falsch sind, sondern sogar richtig sind, dann ist doch die Frage, was kommt denn dabei heraus als Ergebnis oder als Basis für gemeinsame Gespräche. Deshalb ist es wichtig, in einem Antrag auch die Notwendigkeit und den Willen, trotz aller Kritikpunkte gemeinsame Gespräche zu führen, Kontakte zu halten, dass das auch deutlich wiedergegeben wird.

    Kapern: Rainer Stinner, der außenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, heute Mittag im Deutschlandfunk. Herr Stinner, danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Stinner: Ja gerne! – Danke! – Tschüss!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Weitere Beiträge zum Thema:
    Tag für Tag: Mit harter Hand gegen Religionskritiker - Die russische Regierung will Gotteslästerung strenger bestrafen