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"Ich verspreche Ihnen am 27. September eine Überraschung"

"Diese Umfragen sind Momentaufnahmen und Zufallsbilder", sagt Thomas Steg über die gegenwärtig 20 Prozent Zustimmung für die SPD - und rechnet mit einigen Überraschungen vor der Bundestagswahl.

    Stefan Heinlein: Absturz in den Umfragen, der Wahlkampfauftakt verpufft, nur wenige gute Nachrichten in den abgelaufenen Tagen für die SPD. An diesem Wochenende zumindest ein kleiner Hoffnungsschimmer: der Bundesrechnungshof hat Ulla Schmidt in der Dienstwagen-Affäre voll entlastet. Zumindest formell ist somit alles korrekt abgelaufen. Der politische Schaden indes dürfte schwerer zu beheben sein. Es läuft also nicht gut für das Team Steinmeier, obwohl seit Mitte Juli ein neuer, erfahrener Mann für den SPD-Wahlkampf mitorganisiert. Sieben Jahre lang verkaufte Thomas Steg als Vizeregierungssprecher die Politik der Kanzlerin, nun trommelt er für den Kandidaten Frank-Walter Steinmeier. Guten Morgen, Herr Steg!

    Thomas Steg: Guten Morgen, Herr Heinlein.

    Heinlein: War das ein gutes Wochenende für die SPD?

    Steg: Ich denke, es war ein ordentliches Wochenende. Sie haben völlig recht, eine sehr aufgehitzte Diskussion um Ulla Schmidt ist wieder in vernünftige, sachliche Bahnen gekommen und die Diskussion um den Deutschland-Plan von Frank-Walter Steinmeier ist nicht aufzuhalten, die geht weiter, wird überall im Land geführt. Insofern ein hoffnungsvolles Wochenende.

    Heinlein: Haben Sie Frank-Walter Steinmeier dazu geraten, Ulla Schmidt sofort wieder in sein Team aufzunehmen?

    Steg: Ich denke, er musste da überhaupt keinen Rat haben. Er hat von Anfang an deutlich gemacht, der Bundesrechnungshof wird die Vorgänge um die Nutzung des Dienstwagens prüfen, und wenn es eine eindeutige Klärung gibt, ein eindeutiges Ergebnis gibt, dann wird über weitere Konsequenzen nachgedacht. Das war ein klares und eindeutiges Ergebnis: Ulla Schmidt hat sich völlig korrekt verhalten. Deswegen gibt es keinen Grund, sie nicht in das Wahlkampfteam aufzunehmen.

    Heinlein: Genügt es denn, wenn ein Minister oder eine Ministerin sich im Rahmen der einschlägigen Vorschriften korrekt bewegt? Braucht man nicht auch politischen Instinkt, um die Bürger für sich zu gewinnen?

    Steg: Ich denke, es sind zwei unterschiedliche Ebenen. Das erste ist, es ist ihr unterstellt worden, es hat Unregelmäßigkeiten gegeben und sie habe sich nicht korrekt verhalten, und ich denke, es muss jetzt deutlich zur Kenntnis genommen werden, sie hat sich korrekt verhalten, sie hat korrekt abgerechnet, es gibt keinen Skandal. Etwas anderes ist, wenn jemand, der sich zu Unrecht angegriffen fühlt, reagiert, ob er das immer mit dem nötigen Feingefühl macht. Sie hat sich jetzt entschuldigt, sie hat bedauert, dass der Eindruck entstanden ist, sie würde Dinge ungerechtfertigt in Anspruch nehmen. Vielleicht hätte dieses Wort des Bedauerns gleich zu Beginn dieser sogenannten Affäre kommen können. Aber unterm Strich bleibt: Sie hat sich korrekt verhalten, ihr ist nichts vorzuwerfen.

    Heinlein: Ist Ulla Schmidt also jetzt wieder eine Politikerin, die Sie aktuell im Wahlkampf offensiv für die SPD verkaufen wollen?

    Steg: Ulla Schmidt wird offensiv für die SPD auftreten. Aus zwei Gründen gibt es auch überhaupt keinen Grund, davon Abstand zu nehmen. Zum einen: Sie ist eine erfolgreiche Gesundheitsministerin. Kaum jemand hat sich so lange in diesem schwierigen, vielleicht dem schwierigsten Amt in der deutschen Innenpolitik gehalten. Sie hat mächtigen Interessengruppen widerstanden, sie hat ihre Politik beharrlich durchgesetzt und sie hatte Erfolg. In der Krankenversicherung gibt es Überschüsse, die jetzt gerade in der Krise so dringend notwendig sind, damit das Niveau der medizinischen Versorgung gehalten werden kann. Und zweitens: Denken Sie an die aktuelle Diskussion um die Schweinegrippe. Wir brauchen eine Ministerin, die früh entscheidet, die klare Entscheidungen trifft, und wir sind gut vorbereitet auf alles im Zusammenhang mit der Schweinegrippe. Das ist auch ihr zu verdanken.

    Heinlein: Herr Steg, aktuell liegt Ihre Partei in den Umfragen bei rund 20 Prozent, der schlechteste Wert seit einem Jahr. Warum sind alle Anstrengungen der vergangenen Tage so wirkungslos verpufft?

    Steg: Weil es kein mechanistisches Modell, so will ich es mal sagen, gibt. Man macht etwas und zwei Stunden später haben sie den Effekt in den Umfragen. Diese Umfragen sind Momentaufnahmen und Zufallsbilder. Viel wichtiger ist, was sich sozusagen im Untergrund, in den Tiefenströmungen in einer Gesellschaft tut. Und da bin ich ganz sicher und insofern haben wir jetzt die Fundamente gelegt für einen Wahlkampf, der jetzt beginnt, der noch sieben Wochen dauern wird. Die Menschen wollen Antworten haben auf Zukunftsfragen, sie wollen ehrliche Antworten haben, sie wollen wissen, welche Zukunftskonzepte die Parteien haben, wie neue Arbeit entstehen kann, und da hat Frank-Walter Steinmeier mit seinem Deutschland-Plan und der Ankündigung, bis 2020 können in Deutschland vier Millionen neue Arbeitsplätze entstehen, ein Zeichen gesetzt. Das ist etwas, was keine andere Partei vorzuweisen hat, und insofern werden wir, denke ich, in den nächsten Wochen deutlich machen, dass wir die richtigen Antworten auf die richtigen Fragen haben.

    Heinlein: War es denn klug, Herr Steg, so früh in den Wahlkampf zu starten? Die CDU lässt sich ja deutlich mehr Zeit.

    Steg: Ich denke, bei manchen Diskussionen geht es nicht darum, was andere Parteien machen und welche Vorstellungen die haben. Man muss von den eigenen Bedingungen und Gegebenheiten ausgehen und Sie werden sich erinnern, seit dem vergangenen Herbst, seit dem Rückzug von Kurt Beck und den Entscheidungen, die getroffen worden sind: Manchmal hat man gar keine andere Wahl, aber natürlich ist es so, wenn ein Spitzenkandidat über fast ein Jahr in dieser Funktion wahrgenommen wird, dann ist es eine verdammt lange Zeit. Aber wir wollen nicht klagen, sondern aus dem, was wir vorhaben, das beste machen, und ich bin optimistisch. Ganz spät werden sich Menschen entscheiden. Mehr als 60 Prozent halten den Ausgang der Bundestagswahl unverändert für offen und mehr als 30 Prozent werden sich in der letzten Woche entscheiden. Alle die, die jetzt den Eindruck erwecken, es sei schon gelaufen, resignieren zu früh, oder spielen ein anderes Spiel. Ich bin jedenfalls sicher, dass dieser Wahlkampf noch viele Überraschungen bereithalten wird.

    Heinlein: Trauen Sie denn Frank-Walter Steinmeier eine ähnliche Aufholjagd zu wie seinerzeit Schröder 2005? Sie haben den Altbundeskanzler ja lange erlebt, Sie gelten als enger Vertrauter von Gerhard Schröder.

    Steg: 2005 war eine Sondersituation mit einer schwierigen Ausgangslage nach der damaligen Wahl in Nordrhein-Westfalen und Gerhard Schröder, der in einem ganz besonderen persönlichen Kraftakt für die SPD ein sensationelles Ergebnis herausgeholt hat. Jetzt ist die Situation eine andere. Die Bundestagswahlen finden regulär statt. Frank-Walter Steinmeier ist ein anderer Spitzenkandidat, ein anderer Typus Politiker. Aber ich traue ihm genauso zu, die jetzigen Umfragewerte in den nächsten sieben Wochen für die SPD noch deutlich zu verändern und damit auch dazu beizutragen, dass die SPD ihre Wahlziele erreicht.

    Heinlein: Warum ist denn Frank-Walter Steinmeier in den persönlichen Werten so deutlich viel schlechter als Angela Merkel? Sie kennen beide Politiker in der Tat aus der Nähe.

    Steg: Natürlich ist es so, dass Frank-Walter Steinmeier in der Bewertung zunächst einmal damit leben musste, dass er als Außenminister allerhöchste Zustimmung in allen politischen Lagern gefunden hat, und als er dann zum Herausforderer gewählt wurde, damit sich exponiert hat und auch für Polarisierung in der politischen Auseinandersetzung gesorgt hat, hat ihm die Zustimmung aus den anderen politischen Lagern gefehlt. Das ist eine Erklärung, warum bestimmte Sympathiewerte zurückgegangen sind. Aber wenn man sich die Umfragen ansieht, dann wird deutlich: Frank-Walter Steinmeier gilt den Deutschen als sachkundig und sympathisch, es ist ein vertrauenswürdiger Politiker und diejenigen, die ihn noch nicht so lange kennen – und das ist ein ganz entscheidender Grund; im Grunde genommen ist er den Deutschen erst seit 2005 bekannt, ein Mann, der relativ spät in die Politik gekommen ist -, sie wissen aber, dass er sein Herz auf dem rechten Fleck hat und ich denke, das sind gute Voraussetzungen in den nächsten sieben Wochen, auch noch diejenigen, die mit einer gewissen Distanz ihn beobachten, zu überzeugen.

    Heinlein: Aber ein zu Guttenberg ist aus dem Stand der populärste deutsche Politiker geworden.

    Steg: Das ist ein besonderes Phänomen, das wir, glaube ich, jetzt hier in wenigen Minuten nicht erklären können. Wir müssen aber Folgendes, glaube ich, unterscheiden. Es gibt insbesondere in den Medien ein Interesse daran zu gucken, wie sich jemand bewegt, wie jemand etwas sagt. Ich glaube, für die Menschen ist es nicht so wichtig, wie jemand etwas tut, sondern was jemanden bewegt, was jemand sagt und was jemand tut.

    Heinlein: Und daran muss Steinmeier arbeiten?

    Steg: Für diese Substanz steht Frank-Walter Steinmeier und in der Vermittlung und in der Überzeugung, da können wir noch besser werden, sonst wären die Umfragen heute schon besser. Aber geben Sie uns die sieben Wochen und ich verspreche Ihnen am 27. September eine Überraschung.

    Heinlein: Ist es Ihre Aufgabe als Berater von Frank-Walter Steinmeier, an diesem Defizit zu arbeiten, das zu korrigieren?

    Steg: Ich glaube, ganz wichtig ist, da darf man diese ganze Geheimniskrämerei um die Berater nicht übertreiben. Berater verfehlen ihren Auftrag, wenn sie glauben, nach ihren Vorstellungen jemanden modellieren zu wollen, sondern sie unterstützen, sie bekräftigen, sie sprechen Mut zu, wenn es darum geht, Stärken, die jemand hat, einzusetzen. Insofern sehe ich meine Aufgabe als eine wichtige kleine Aufgabe in einem funktionierenden Team, aber man kann kein Kunstgeschöpf produzieren und kreieren. Übrigens mit einem Mann wie Frank-Walter Steinmeier ginge das auch gar nicht, er würde sich dem sofort widersetzen.

    Heinlein: Geht es auch um die Koordination der Arbeit der SPD-Wahlkampfzentrale, dem Steinmeier-Team und dem Willy-Brandt-Haus? Ist das Ihre Aufgabe, eine bessere Kommunikation, eine bessere Zusammenarbeit zu ermöglichen?

    Steg: Ich denke, an einer besseren Zusammenarbeit sind alle interessiert. Ich habe den Eindruck, dass die Abläufe – das ist eine schwierige Situation; da ist jemand in einem Ministerium, da gibt es eine Parteizentrale und da gibt es dann eine Wahlkampfzentrale; das muss zusammengeführt werden und optimal abgestimmt werden. Daran sind aber alle interessiert und das kann nicht einer allein. Aber ich will dabei helfen, dass es gelingt, dass es möglichst wenig Irritationen gibt und die SPD als geschlossene Formation wahrgenommen wird.

    Heinlein: Herr Steg, Sie haben sich für Ihren neuen Job ja nur beurlauben lassen. Ab dem 1. Oktober können Sie zurückkehren auf Ihren alten Posten. Heißt das, Sie rechnen im tiefsten Inneren mit der Neuauflage der Großen Koalition?

    Steg: Ich bin ganz sicher, dass ich am 1. Oktober, weil das jetzt so vereinbart wird, zurückkehren werde in meine Funktion als stellvertretender Regierungssprecher, und am 27. September haben zunächst die Wähler das Wort und die Bürgerinnen und Bürger werden entscheiden und Koalitionen werden danach gebildet. Es gibt auf der einen Seite jetzt schon bei CDU und FDP Diskussionen, dass sie auf Parteitagen ihre Koalition vor der Wahl beschließen wollen und sie verteilen schon Posten. Sie machen die Rechnung ohne den Wirt, ohne den Wähler. Ich lasse mich überraschen und es wird nach dem 27. September eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung geben und schauen wir mal in welcher Zusammensetzung.

    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen der ehemalige Vizeregierungssprecher Thomas Steg, jetzt Medienberater des SPD-Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier. Herr Steg, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Steg: Ja, auf Wiederhören.