Heinlein: "Helm auf und durch!" Franz Müntefering ist erklärtermaßen ein Mann der kurzen Sätze. Er kokettiert gerne mit seiner Herkunft als bodenständiger Sauerländer. Seit Jahrzehnten begleitet er seine Partei durch alle Höhen und Tiefen. Nun jedoch verweigern ihm seine Sozialdemokraten die Gefolgschaft. Es wird einsam um den Vizekanzler. Das Tischtuch zwischen Vizekanzler und Parteivorsitzendem scheint zerschnitten.
Guten Morgen Franz Müntefering!
Müntefering: Guten Morgen!
Heinlein: Kann es so kommen, sind Sie auf lange Sicht möglicherweise der lachende Dritte?
Müntefering: Darum geht's nicht. Das ist ja bei dem Bericht jetzt auch wieder so gewesen. Da wird immer spekuliert über das Verhältnis von Personen zueinander. Es geht um die Sache. Es geht um die Frage was können wir tun, was müssen wir tun, damit Menschen, die älter sind, 50 und darüber, Arbeit haben und Arbeit wieder bekommen. Das ist die Frage, wie macht man das am besten. Da sind wir in den letzten Jahren sehr erfolgreich gewesen aus der Politik Gerhard Schröders und der Koalition heraus und das möchte ich gerne fortsetzen.
Heinlein: Hoffen Sie im Kern darauf, dass die Verlängerung des Arbeitslosengeldes im Koalitionsausschuss versandet - Sie wollen es ja nicht -, weil sich dann Union und SPD im Koalitionsausschuss nicht auf das Kleingedruckte einigen können?
Müntefering: Im letzten Jahr hat die Union bereits einen entsprechenden Beschluss gefasst. Wir haben ja zunächst im Koalitionsvertrag darüber lange debattiert gehabt und haben dann entschieden nein, es läuft aus und wir machen Initiativen: die Initiative 50, Beschäftigungspakte, Hilfen für die älter werdenden. Da hat die Union im letzten Jahr schon Ausreißer gehabt auf ihrem Parteitag. Möglicherweise beschließt meine Partei es auch. Das respektiere ich. Mehrheit ist Mehrheit in der Demokratie. Das ist ganz klar. Aber ich halte dafür, dass es vernünftiger ist, das begrenzte Geld, das wir haben, dafür auszugeben, dass auch die Älterwerdenden Arbeitsplätze haben, und da haben wir im letzten Jahr sehr gute Erfolge gehabt.
Heinlein: Glauben Sie, dass Union und SPD sich einigen können auf eine Verlängerung des Arbeitslosengeldes?
Müntefering: Das kann ich jetzt nicht spekulativ beantworten. Das will ich auch gar nicht. Ich werde immer wieder meine Argumente auf den Tisch legen und deutlich machen, dass ich als Arbeits- und Sozialminister sehe, dass vor allen Dingen hilfreich ist, wenn zum Beispiel ein Kombilohn für Ältere gezahlt wird, wenn die Differenz zwischen dem alten Job und dem neuen, für den man möglicherweise weniger Geld bekommt, teilweise finanziert wird, wenn sie qualifiziert werden. Vielleicht kann man auch mit einem Gutschein arbeiten und ihnen selbst die Möglichkeit geben, am Arbeitsmarkt sich zu bewegen. Bei einer Million offener Stellen, die wir im Augenblick haben, ist ja die Frage: muss man denn nicht jetzt, wann denn sonst, versuchen, die Menschen in Beschäftigung zu bekommen. Inzwischen ist die Zahl derer, die 50 und 55 sind und im Job sind, deutlich gestiegen: von 37,6 Prozent 1998 bis auf jetzt wieder 52 Prozent. Darauf dürfen wir sogar ein bisschen stolz sein.
Heinlein: Sie sind stolz auf Ihre Erfolge und haben gute Argumente, sagen Sie. Schmerzt es Sie denn, wenn Ihre Parteifreunde Beck und Struck Ihnen gestern so eindeutig die kalte Schulter zeigen und Ihre Argumente bei Seite wischen?
Müntefering: Das war nicht kalte Schulter. Das war auch nicht Argumente bei Seite wischen. Es kommt hier wahrscheinlich darauf an, an welcher Stelle man eigentlich steht. dass man in der Exekutive, in der Regierung vielleicht einen anderen Blick für diese Zusammenhänge hat als diejenigen, die versuchen müssen, die Partei und die Fraktion zusammenzuhalten, das respektiere ich. Ich habe ja auch schon an jeder dieser Funktionen gestanden, die gestern am Tisch gesessen haben, und deshalb verstehe ich auch die gute Absicht von Kurt Beck, der Partei zu signalisieren, wir sehen die Sorgen der Älterwerdenden und wir möchten deren Lebensleistung respektieren. Das ist für mich alles ein gewisses Maß von Plausibilität.
Die Frage ist für mich: Womit nutzen wir den Menschen am besten. Wenn wir sie fragen, möchtet ihr länger Arbeitslosengeld haben, sagen natürlich ganz viele ja. Wenn wir die Menschen fragen, möchtet ihr lieber Arbeit oder möchtet ihr lieber lange Arbeitslosengeld haben, werden sie sagen "lieber Arbeit". Und ich bin bei denen die sagen, wir müssen dort fantasievoll und kreativ dafür sorgen, dass wir Arbeitsplätze schaffen, Arbeitsplätze sichern und dafür sorgen, dass die Menschen eine Chance bekommen und dass sie nicht nur verlängert Arbeitslosengeld I beziehen.
Heinlein: Aber mit diesem Kurs, mit diesem Pro-Agenda-Kurs sind Sie der letzte Verfechter der reinen Lehre. Selbst Gerhard Schröder ist Ihnen in den Rücken gefallen. Hören wir noch einmal, was er vor der gestrigen Krisensitzung gesagt hat:
O-Ton Schröder: Die Agenda 2010 sind nicht die zehn Gebote und niemand, der daran mitgearbeitet hat, sollte sich als Moses begreifen. Er ist es nicht.
Heinlein: Herr Müntefering, fühlen Sie sich angesprochen? Sind Sie Moses?
Müntefering: Ich habe gestern schon gesagt, zwischen mir und Gerhard Schröder, mit dem ich gut kann, ist kein Problem. Glauben Sie mir. Da ist mir eine gute Idee gekommen. Der Moses war ja eigentlich ein ganz toller Typ. Der hat ja viel erreicht für sein Land. Vielleicht ist das ein kleiner Hinweis gewesen. Also ich bin da ganz gelassen an der Stelle.
Ich habe die Verantwortung in dieser Bundesregierung, in dieser Koalition und ich hoffe, dass die Koalition insgesamt nicht weil man agendatreu wäre oder so was - das ist alles ziemlicher Unsinn, auch in Bezug auf mich -, sondern es geht darum, dass wir eine Politik der Zukunftsfähigkeit und des Fortschritts machen, dass wir dafür sorgen, dass wir die Menschen qualifizieren.
Es fehlen uns 30.000 Ingenieure. Wir haben aber noch 20.000, 25.000 Ingenieure in Deutschland, überwiegend ältere. Kann man denen denn nicht eine Chance geben? Das sind meine Fragen und so versuche ich, eine konstruktive Antwort zu geben. Dass andere auch andere Aspekte einbringen, das akzeptiere ich ja und das wird unsere Freundschaft, die Zusammenarbeit untereinander nicht zerstören, weder zu Kurt Beck noch zu Peter Struck, aber es muss auch möglich sein, dass man solche Dinge offen diskutiert und nicht weil es verkündet ist, die Fahnen einrollt, denn das ist natürlich schon eine ziemliche Variante zu dem, was wir in den letzten Jahren versucht haben zu tun.
Heinlein: Ist Kurt Beck ein Populist, weil er diese Aspekte, die Sie gerade erwähnt haben, nicht berücksichtigt?
Müntefering: Nein. Kurt Beck ist ganz offensichtlich überzeugt, dass das für die Menschen ganz besonders wichtig ist, Dass wir ihnen diese Botschaft geben "Wir lassen euch nicht allein". Und natürlich ist das etwas, woran sich die Menschen gewöhnt hatten. Bis Mitte der 80er Jahre bekam in Deutschland nie jemand länger als 12 Monate Arbeitslosengeld, weil die Arbeitslosenversicherung keine Anwartsversicherung ist, sondern eine Risikoversicherung wie eine Hausbrandversicherung oder die Krankenversicherung auch. Das ist dann damals geändert worden und daraus ist viel Unheil raus entstanden, weil mit kurzen Sozialplänen, langer Zahldauer von Arbeitslosengeld, früher Frühverrentung erzwungenerweise die Sozialsysteme die Arbeitslosigkeit geschürt haben. Diesen Weg sollten wir nicht wieder gehen, weil wir uns sonst selbst wieder mit Illusionen die vernünftige Politik zumauern.
Heinlein: Wenn Kurt Beck kein Populist ist, warum sind Sie dann nach dem gestrigen Treffen nicht gemeinsam mit Ihrem Parteivorsitzenden vor die Presse getreten?
Müntefering: Das ist Sache des Parteivorsitzenden. Ich hatte dort gestern nur Rat zu geben. Da wird auch im Parteivorstand und auf dem Parteitag nichts abgestimmt werden, weil ich höre immer noch, da würde es Kampfabstimmungen geben oder so was. Nein! Kurt Beck hat mitgeteilt, dass er diesen Vorschlag an den Parteivorstand gibt. Ich habe als derjenige, der in der Regierung mit dem Thema umzugehen hat, Rat gegeben. Dieser Rat ist an sieben Punkten in unserer Erklärung akzeptiert. Da sind wir uns völlig einig gewesen. An diesem Punkt nicht. Weshalb sollte ich mich da verstecken? Das wird im Parteivorstand und auf dem Parteitag so beschlossen werden und dann muss die Koalition gucken, was sie ordnungspolitisch eigentlich von diesen Dingen hält. Dann wird sich die Aufmerksamkeit mit gleicher Deutlichkeit auf die Union richten, die an dieser Stelle seit einem Jahr nicht gerade zuverlässig gewesen ist.
Heinlein: Heißt das Sie wären gerne in Mainz gemeinsam Seit an Seit mit Kurt Beck vor die Presse getreten, aber Ihr Parteivorsitzender wollte es nicht?
Müntefering: Nein, nein. Das war anders. Darüber haben wir offen gesprochen, wie wir das jetzt machen. Es musste das Papier auch noch ausformuliert werden. Ich hatte andere Termine und da haben wir vereinbart, dass er sich zunächst äußert und ich das dann auch in Frankfurt tue. Das habe ich so getan und das ist voll abgesprochen gestern abgelaufen, wie es gewollt war.
Heinlein: Vor zwei Jahren haben Sie das Handtuch als Parteivorsitzender geschmissen. Wir haben es gehört. Damals ging es um eine Personalie. Jetzt geht es um handfeste Inhalte. Warum bleiben Sie dennoch im Amt?
Müntefering: Damals hatte ich das Gefühl, dass meine Kraft nicht ausreicht, diese Situation dann zu beherrschen, weil ich ein bisschen Sorge davor gehabt habe, dass sich die Partei abwenden könnte von den politischen Erfolgen der vergangenen Jahre und von der Linie. Ich glaube heute, dass meine Funktion, meine Rolle in diesem ganzen Zusammenhang mir erlaubt, eine Menge gute Dinge noch zu tun. Daran will ich mitarbeiten, was den Mindestlohn angeht, was die Frage der Justierung der Leiharbeit angeht, was die Armutsbekämpfung angeht, was die Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge angeht, was ein Gesetz zu einer vernünftigen flexiblen Regelung hin zur Rente angeht. Also da gibt es eine ganze Menge Punkte und einen Teil davon haben wir gestern auch aufgeschrieben. Da gibt es eine Menge zu tun und dabei will ich ein Stück noch mitmachen. Wenn meine Partei will und weiter will, Dass ich an der Stelle stehe, dann wird das auch noch eine Weile möglich sein.
Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen Vizekanzler Franz Müntefering. Herr Müntefering, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören!
Müntefering: Danke schön und Tschüß!
Guten Morgen Franz Müntefering!
Müntefering: Guten Morgen!
Heinlein: Kann es so kommen, sind Sie auf lange Sicht möglicherweise der lachende Dritte?
Müntefering: Darum geht's nicht. Das ist ja bei dem Bericht jetzt auch wieder so gewesen. Da wird immer spekuliert über das Verhältnis von Personen zueinander. Es geht um die Sache. Es geht um die Frage was können wir tun, was müssen wir tun, damit Menschen, die älter sind, 50 und darüber, Arbeit haben und Arbeit wieder bekommen. Das ist die Frage, wie macht man das am besten. Da sind wir in den letzten Jahren sehr erfolgreich gewesen aus der Politik Gerhard Schröders und der Koalition heraus und das möchte ich gerne fortsetzen.
Heinlein: Hoffen Sie im Kern darauf, dass die Verlängerung des Arbeitslosengeldes im Koalitionsausschuss versandet - Sie wollen es ja nicht -, weil sich dann Union und SPD im Koalitionsausschuss nicht auf das Kleingedruckte einigen können?
Müntefering: Im letzten Jahr hat die Union bereits einen entsprechenden Beschluss gefasst. Wir haben ja zunächst im Koalitionsvertrag darüber lange debattiert gehabt und haben dann entschieden nein, es läuft aus und wir machen Initiativen: die Initiative 50, Beschäftigungspakte, Hilfen für die älter werdenden. Da hat die Union im letzten Jahr schon Ausreißer gehabt auf ihrem Parteitag. Möglicherweise beschließt meine Partei es auch. Das respektiere ich. Mehrheit ist Mehrheit in der Demokratie. Das ist ganz klar. Aber ich halte dafür, dass es vernünftiger ist, das begrenzte Geld, das wir haben, dafür auszugeben, dass auch die Älterwerdenden Arbeitsplätze haben, und da haben wir im letzten Jahr sehr gute Erfolge gehabt.
Heinlein: Glauben Sie, dass Union und SPD sich einigen können auf eine Verlängerung des Arbeitslosengeldes?
Müntefering: Das kann ich jetzt nicht spekulativ beantworten. Das will ich auch gar nicht. Ich werde immer wieder meine Argumente auf den Tisch legen und deutlich machen, dass ich als Arbeits- und Sozialminister sehe, dass vor allen Dingen hilfreich ist, wenn zum Beispiel ein Kombilohn für Ältere gezahlt wird, wenn die Differenz zwischen dem alten Job und dem neuen, für den man möglicherweise weniger Geld bekommt, teilweise finanziert wird, wenn sie qualifiziert werden. Vielleicht kann man auch mit einem Gutschein arbeiten und ihnen selbst die Möglichkeit geben, am Arbeitsmarkt sich zu bewegen. Bei einer Million offener Stellen, die wir im Augenblick haben, ist ja die Frage: muss man denn nicht jetzt, wann denn sonst, versuchen, die Menschen in Beschäftigung zu bekommen. Inzwischen ist die Zahl derer, die 50 und 55 sind und im Job sind, deutlich gestiegen: von 37,6 Prozent 1998 bis auf jetzt wieder 52 Prozent. Darauf dürfen wir sogar ein bisschen stolz sein.
Heinlein: Sie sind stolz auf Ihre Erfolge und haben gute Argumente, sagen Sie. Schmerzt es Sie denn, wenn Ihre Parteifreunde Beck und Struck Ihnen gestern so eindeutig die kalte Schulter zeigen und Ihre Argumente bei Seite wischen?
Müntefering: Das war nicht kalte Schulter. Das war auch nicht Argumente bei Seite wischen. Es kommt hier wahrscheinlich darauf an, an welcher Stelle man eigentlich steht. dass man in der Exekutive, in der Regierung vielleicht einen anderen Blick für diese Zusammenhänge hat als diejenigen, die versuchen müssen, die Partei und die Fraktion zusammenzuhalten, das respektiere ich. Ich habe ja auch schon an jeder dieser Funktionen gestanden, die gestern am Tisch gesessen haben, und deshalb verstehe ich auch die gute Absicht von Kurt Beck, der Partei zu signalisieren, wir sehen die Sorgen der Älterwerdenden und wir möchten deren Lebensleistung respektieren. Das ist für mich alles ein gewisses Maß von Plausibilität.
Die Frage ist für mich: Womit nutzen wir den Menschen am besten. Wenn wir sie fragen, möchtet ihr länger Arbeitslosengeld haben, sagen natürlich ganz viele ja. Wenn wir die Menschen fragen, möchtet ihr lieber Arbeit oder möchtet ihr lieber lange Arbeitslosengeld haben, werden sie sagen "lieber Arbeit". Und ich bin bei denen die sagen, wir müssen dort fantasievoll und kreativ dafür sorgen, dass wir Arbeitsplätze schaffen, Arbeitsplätze sichern und dafür sorgen, dass die Menschen eine Chance bekommen und dass sie nicht nur verlängert Arbeitslosengeld I beziehen.
Heinlein: Aber mit diesem Kurs, mit diesem Pro-Agenda-Kurs sind Sie der letzte Verfechter der reinen Lehre. Selbst Gerhard Schröder ist Ihnen in den Rücken gefallen. Hören wir noch einmal, was er vor der gestrigen Krisensitzung gesagt hat:
O-Ton Schröder: Die Agenda 2010 sind nicht die zehn Gebote und niemand, der daran mitgearbeitet hat, sollte sich als Moses begreifen. Er ist es nicht.
Heinlein: Herr Müntefering, fühlen Sie sich angesprochen? Sind Sie Moses?
Müntefering: Ich habe gestern schon gesagt, zwischen mir und Gerhard Schröder, mit dem ich gut kann, ist kein Problem. Glauben Sie mir. Da ist mir eine gute Idee gekommen. Der Moses war ja eigentlich ein ganz toller Typ. Der hat ja viel erreicht für sein Land. Vielleicht ist das ein kleiner Hinweis gewesen. Also ich bin da ganz gelassen an der Stelle.
Ich habe die Verantwortung in dieser Bundesregierung, in dieser Koalition und ich hoffe, dass die Koalition insgesamt nicht weil man agendatreu wäre oder so was - das ist alles ziemlicher Unsinn, auch in Bezug auf mich -, sondern es geht darum, dass wir eine Politik der Zukunftsfähigkeit und des Fortschritts machen, dass wir dafür sorgen, dass wir die Menschen qualifizieren.
Es fehlen uns 30.000 Ingenieure. Wir haben aber noch 20.000, 25.000 Ingenieure in Deutschland, überwiegend ältere. Kann man denen denn nicht eine Chance geben? Das sind meine Fragen und so versuche ich, eine konstruktive Antwort zu geben. Dass andere auch andere Aspekte einbringen, das akzeptiere ich ja und das wird unsere Freundschaft, die Zusammenarbeit untereinander nicht zerstören, weder zu Kurt Beck noch zu Peter Struck, aber es muss auch möglich sein, dass man solche Dinge offen diskutiert und nicht weil es verkündet ist, die Fahnen einrollt, denn das ist natürlich schon eine ziemliche Variante zu dem, was wir in den letzten Jahren versucht haben zu tun.
Heinlein: Ist Kurt Beck ein Populist, weil er diese Aspekte, die Sie gerade erwähnt haben, nicht berücksichtigt?
Müntefering: Nein. Kurt Beck ist ganz offensichtlich überzeugt, dass das für die Menschen ganz besonders wichtig ist, Dass wir ihnen diese Botschaft geben "Wir lassen euch nicht allein". Und natürlich ist das etwas, woran sich die Menschen gewöhnt hatten. Bis Mitte der 80er Jahre bekam in Deutschland nie jemand länger als 12 Monate Arbeitslosengeld, weil die Arbeitslosenversicherung keine Anwartsversicherung ist, sondern eine Risikoversicherung wie eine Hausbrandversicherung oder die Krankenversicherung auch. Das ist dann damals geändert worden und daraus ist viel Unheil raus entstanden, weil mit kurzen Sozialplänen, langer Zahldauer von Arbeitslosengeld, früher Frühverrentung erzwungenerweise die Sozialsysteme die Arbeitslosigkeit geschürt haben. Diesen Weg sollten wir nicht wieder gehen, weil wir uns sonst selbst wieder mit Illusionen die vernünftige Politik zumauern.
Heinlein: Wenn Kurt Beck kein Populist ist, warum sind Sie dann nach dem gestrigen Treffen nicht gemeinsam mit Ihrem Parteivorsitzenden vor die Presse getreten?
Müntefering: Das ist Sache des Parteivorsitzenden. Ich hatte dort gestern nur Rat zu geben. Da wird auch im Parteivorstand und auf dem Parteitag nichts abgestimmt werden, weil ich höre immer noch, da würde es Kampfabstimmungen geben oder so was. Nein! Kurt Beck hat mitgeteilt, dass er diesen Vorschlag an den Parteivorstand gibt. Ich habe als derjenige, der in der Regierung mit dem Thema umzugehen hat, Rat gegeben. Dieser Rat ist an sieben Punkten in unserer Erklärung akzeptiert. Da sind wir uns völlig einig gewesen. An diesem Punkt nicht. Weshalb sollte ich mich da verstecken? Das wird im Parteivorstand und auf dem Parteitag so beschlossen werden und dann muss die Koalition gucken, was sie ordnungspolitisch eigentlich von diesen Dingen hält. Dann wird sich die Aufmerksamkeit mit gleicher Deutlichkeit auf die Union richten, die an dieser Stelle seit einem Jahr nicht gerade zuverlässig gewesen ist.
Heinlein: Heißt das Sie wären gerne in Mainz gemeinsam Seit an Seit mit Kurt Beck vor die Presse getreten, aber Ihr Parteivorsitzender wollte es nicht?
Müntefering: Nein, nein. Das war anders. Darüber haben wir offen gesprochen, wie wir das jetzt machen. Es musste das Papier auch noch ausformuliert werden. Ich hatte andere Termine und da haben wir vereinbart, dass er sich zunächst äußert und ich das dann auch in Frankfurt tue. Das habe ich so getan und das ist voll abgesprochen gestern abgelaufen, wie es gewollt war.
Heinlein: Vor zwei Jahren haben Sie das Handtuch als Parteivorsitzender geschmissen. Wir haben es gehört. Damals ging es um eine Personalie. Jetzt geht es um handfeste Inhalte. Warum bleiben Sie dennoch im Amt?
Müntefering: Damals hatte ich das Gefühl, dass meine Kraft nicht ausreicht, diese Situation dann zu beherrschen, weil ich ein bisschen Sorge davor gehabt habe, dass sich die Partei abwenden könnte von den politischen Erfolgen der vergangenen Jahre und von der Linie. Ich glaube heute, dass meine Funktion, meine Rolle in diesem ganzen Zusammenhang mir erlaubt, eine Menge gute Dinge noch zu tun. Daran will ich mitarbeiten, was den Mindestlohn angeht, was die Frage der Justierung der Leiharbeit angeht, was die Armutsbekämpfung angeht, was die Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge angeht, was ein Gesetz zu einer vernünftigen flexiblen Regelung hin zur Rente angeht. Also da gibt es eine ganze Menge Punkte und einen Teil davon haben wir gestern auch aufgeschrieben. Da gibt es eine Menge zu tun und dabei will ich ein Stück noch mitmachen. Wenn meine Partei will und weiter will, Dass ich an der Stelle stehe, dann wird das auch noch eine Weile möglich sein.
Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen Vizekanzler Franz Müntefering. Herr Müntefering, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören!
Müntefering: Danke schön und Tschüß!