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"Ich weiß nicht, ob es wichtig ist, wie man dies nennt"

Erneut sind in Afghanistan Bundeswehrsoldaten bei einem Angriff getötet worden – genau vier an der Zahl. Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, sagt, dass die Debatte um die Bezeichnung der Situation in Afghanistan nicht zielführend sei. Dies helfe weder den Soldaten noch den Menschen.

Rainer Arnold im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    O-Ton Angela Merkel: Ich glaube nicht, dass wir ein neues Bundestagsmandat brauchen. Wir haben in diesem Bundestagsmandat alle Voraussetzungen dafür getroffen, dass wir die Bereiche Sicherheit und Entwicklung in Afghanistan auch vernünftig verknüpfen können, und ich glaube, wir haben auch sehr deutlich gemacht, dass dieser Einsatz leider mit großen Gefahren verbunden ist.

    Christoph Heinemann: Bundeskanzlerin Angela Merkel – Zwei Wochen nach den tödlichen Gefechten am Karfreitag sind abermals vier deutsche Soldaten bei einem Angriff in Afghanistan getötet worden. Die Bundeswehr teilte mit, die Soldaten seien bei dem Beschuss einer Patrouille getötet worden. Die deutschen Kräfte der internationalen Schutztruppe ISAF wurden gegen 12 Uhr unserer Zeit, etwa 14.30 Uhr Ortszeit, im Raum Baglan etwa 100 Kilometer südlich von Kundus beschossen. Der Gesundheitszustand – das ist die gute Nachricht heute Früh – der fünf verletzten Soldaten wird als stabil bezeichnet. Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg, der sich gerade auf der Rückreise von einem Truppenbesuch befand, kehrte nach Afghanistan zurück. Am Abend aus Afghanistan zurückgekehrt ist Rainer Arnold, der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen!

    Rainer Arnold: Schönen guten Morgen, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Arnold, wann haben Sie von dem Anschlag erfahren?

    Arnold: Es war bei einem Gespräch am späten Nachmittag. Da sind wir ja mit den Hubschraubern von Feisabad zurück nach Usbekistan geflogen, und als wir dann in den Hubschraubern die Handys wieder in Betrieb nehmen konnten, kamen diese traurigen Nachrichten, die uns heute auch sehr beschäftigen.

    Heinemann: Befindet sich die Bundeswehr in Afghanistan im Krieg?

    Arnold: Ich glaube nicht, dass diese Debatte, welches Wording ist das richtige, zielführend ist. Das hilft weder den Soldaten noch den Menschen, vor allen Dingen, wenn die Debatte so oberflächlich geführt wird, wie es in den letzten Wochen gelegentlich der Fall war. Ich glaube, die traurige Nachricht muss Anlass sein, hier sorgfältiger zu argumentieren, erklärender als Politiker vorzugehen, und dann ist eindeutig: unabhängig davon wie man das umgangssprachlich nennt, bleibt es in Afghanistan dabei, dass es rechtlich ein nicht bewaffneter, internationaler Konflikt ist, in dem Zivilisten unbedingt zu schonen sind, weil es ein Aufbaumandat, einen Stabilisierungsauftrag für Afghanistan gibt, und ich hätte schon die Bitte, dass auch die Bundesregierung hier eh auf meine Partei zugeht und so eine Debatte, die indifferent in den letzten Tagen war, wieder so kompliziert führt, wie nun mal das ganze Land Afghanistan ist.

    Heinemann: Wie nennt man das denn, wenn Soldaten töten und sterben?

    Arnold: Ich weiß nicht, ob es wichtig ist, wie man dies nennt. Es ist ein bewaffneter Konflikt. Man kann auch sagen, das ist Aufstandsbekämpfung. Man kann auch sagen, selbstverständlich habe ich Verständnis dafür, dass sich Soldaten vorkommen wie im Krieg, wenn sie mit schweren Waffen beschossen werden. Daraus darf aber nicht der Schluss gezogen werden, dass man sich verhält wie in einem Krieg, der herkömmlicherweise ja zwischen Ländern geführt wurde, wo es zwangsläufig auch zu einer hohen Zahl von Opfern kommt, auch im Bereich der Zivilisten. Nein, die Vorgehensweise in Afghanistan muss bei der vorsichtigen Aktion bleiben wie in der Vergangenheit.

    Heinemann: Hängt das gegenwärtige Mandat der Bundeswehr vom Wort "Krieg" ab, oder gilt die Rechtsgrundlage dieses Mandats für die gegenwärtige Lage in Afghanistan ganz unabhängig von der Semantik?

    Arnold: Rechtlich hängt dieses Mandat überhaupt nicht von der Semantik ab. Dies ist ein Auftrag, den Deutschland zusammen mit 43 Nationen im Auftrag der Vereinten Nationen erfüllt. Hierzu gibt es dann Einsatzregeln, die ISAF-Einsatzregeln, die deutliche Einschränkungen machen, und über all dem steht natürlich das internationale Völkerrecht, die Genfer Konventionen, die präzise klären, was zulässig ist und was nicht zulässig ist. Gleichzeitig muss man wissen: es ist ein Stabilisierungsauftrag. Auch wenn dort leider geschossen werden muss, wenn man Gewalt anwenden muss, um den Stabilisierungsauftrag und staatliche Autorität durchzusetzen, muss man immer im Hinterkopf halten, das strategische Ziel lautet, die Afghanen in die Lage zu versetzen, mit den Problemen in ihrem Land selbst fertig zu werden. Ein Kriegsziel sieht gemeinhin anders aus. Ich wünsche mir hier, ich sage es noch mal, eine präzisere Debatte und ich wünsche mir auch, dass die Bundesregierung, wenn dort Fragen offen sind und die auch so ein Stück weit durch die öffentliche Diskussion wabern, präzise klärt. Das würde uns allen helfen.

    Heinemann: Richtet sich diese Debatte auch an Ihren Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel?

    Arnold: Nein. Ich glaube, er hat ja gerade aufgenommen, dass die Bundesregierung möglicherweise zu Fehlinterpretationen einlädt. Hier wird in unterschiedlicher Intensität von Krieg gesprochen, dann wird von neuer Ausstattung gesprochen, dann sagt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU, man muss die Handlungsspielräume der Soldaten erweitern, und manche andere Bemerkungen. Dies alles zusammen führt uns zur Sorge, dass die Koalition möglicherweise eine veränderte Strategie will. Wenn sie dies will, soll sie es benennen; wenn sie es nicht will, soll sie dies klarstellen. Was wir auf gar keinen Fall möchten ist, dass es so etwas wie Gewöhnungsprozesse gibt. Jeder Tote in Afghanistan ist ein singuläres, sehr, sehr trauriges Ereignis. Das gilt im Übrigen, ob deutsche Soldaten zu Schaden kommen oder afghanische Zivilisten, gleichermaßen.

    Heinemann: Sigmar Gabriel fordert ein neues Mandat, wenn die Bundesregierung weiterhin von Krieg spricht. Unterstützen Sie ihn da?

    Arnold: Die Bundesregierung hat einen Klärungsauftrag. Ich kann allerdings nicht sehen, …

    Heinemann: Ich hatte gefragt, ob Sie ihn unterstützen.

    Arnold: Ja, ja! Ich möchte das gerade auch schon erklären. Ich könnte nicht sehen, was in einem neuen Mandat anders formuliert werden sollte, weil wir sollten ja nicht so tun, als ob Deutschland allein in Afghanistan ist. Wir sind zusammen mit 43 Partnern dort. Wir sind zusammen mit der NATO dort. Es gibt internationale Rechtsregeln und es gibt einen Einsatz- und Operationsplan und es gibt Rules of Engagement, also Einsatzregeln, und Deutschland für sich alleine könnte von diesen überhaupt nicht abweichen. Deshalb glaube ich auch nicht, dass ein neues Mandat Sinn macht.

    Heinemann: Wer erklärt das denn Ihrem Parteivorsitzenden?

    Arnold: Ich glaube schon, dass er dies selbstverständlich weiß, aber er möchte ja die Bundesregierung durch diese Debatte drängen, selbst für Klarheit zu sorgen. Ich glaube einfach, dass die Kanzlerin hier ein klärendes Wort sagen sollte, und dann wäre die Debatte auch tatsächlich vom Tisch. Dort wurde eine sehr oberflächliche Debatte geführt. Ich sage aber noch mal: Ich wünsche mir angesichts des Leides und des Todes von weiteren Soldaten sorgfältigere Diskussionen, und dazu müssen wir als Politiker in allen Lagern immer wieder kommen.

    Heinemann: Auch Ihr Parteivorsitzender?

    Arnold: Wir alle als Politiker, mich persönlich eingeschlossen, sollten immer daran denken, dass die Trauer wirklich notwendig macht, dass wir sorgsam argumentativ mit der komplexen Situation in Afghanistan umgehen.

    Heinemann: Herr Arnold, Rolf Clement hat die Bedrohung der Soldaten eben geschildert. Trägt die SPD auch offensivere Operationen mit, um etwa den Nachschub der Angreifer zu unterbinden?

    Arnold: Wir sind in Afghanistan in einer Phase, in der ja auch nach den Plänen des kommandierenden Generals McChrystal, der nächste Woche in Berlin sein wird, versucht wird, in diesen Distrikten, in denen bisher die Aufständischen das Sagen haben, staatliche Gewalt durchzusetzen. Dazu ist es auch notwendig, dass dort die Terroristen vertrieben werden. Das war ja auch jetzt an dieser traurigen Tag so, dass die Soldaten der afghanischen Armee dort eine Operation durchgeführt haben, die Deutschen diese allerdings begleitet haben. Es ist notwendig: wenn es nicht gelingt, im Verlauf des Jahres in diesen Distrikten, in denen die Aufständischen die Macht haben, staatliche Autorität wieder zu implementieren, dann wird der ganze Einsatz sehr, sehr fraglich, ob das noch gelingen kann. Deshalb ist es richtig, dass man so vorgeht. Dies schließt allerdings ein, dass man den Schutz von Zivilisten und eine vorsichtige Vorgehensweise natürlich stets im Hinterkopf hat. Man darf nicht eines taktischen kurzfristigen Vorteils wegen das strategische Ziel, Afghanistan zu stabilisieren, den Afghanen zu helfen, aus dem Auge verlieren. Sonst könnte ein taktischer Tagesvorteil langfristig zum Nachteil gereichen, und deshalb muss man immer wieder erklären, das strategische Ziel ist, die Afghanen in die Lage zu versetzen, mit den Problemen in ihrem Land selbst umzugehen. Wir werden ihnen beim zivilen Aufbau noch viel, viel mehr helfen müssen als in der Vergangenheit und dort wird es auch möglicherweise noch Generationen gehen. Die Frage, wer hat dort die Macht und wer kann sich durchsetzen, muss auf Sicht entschieden werden. Dieses Problem ist auf der Zeitschiene nicht erfolgreich zu bewältigen.

    Heinemann: Herr Arnold, Sie haben gerade klar Ja gesagt zu offensiveren Operationen. Können Sie garantieren, dass Ihre Partei das mitträgt?

    Arnold: Ich glaube, es ist richtig und war auch in der Vergangenheit so, dass alle Abgeordneten, natürlich ganz besonders auch in meiner Partei, schon spüren, dass das eine Frage ist, die sehr nahe an Gewissensentscheidungen ist, und deshalb, glaube ich, sollte ich nicht versuchen, für alle anderen zu sprechen. Ich habe in meiner Fraktion immer wieder versucht, die Notwendigkeit des Mandates mit zu begründen, wie andere auch, und ich glaube, dass die Mehrheit in meiner Partei bei dieser Verantwortung bleibt, und dazu gehört, eben auch den Auftrag, den uns die Vereinten Nationen gegeben haben, Staatlichkeit durchzusetzen, dort wo es notwendig ist auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen. Sonst wären wir ja nicht mit Soldaten dort. Ich glaube, jeder, der sich mit Afghanistan beschäftigt, weiß, dass das notwendig sein kann. Die Bundeswehr drängt sich nicht danach, in Afghanistan zu kämpfen, aber es wird ihnen von den Aufständischen aufgezwungen, wie sie vorgehen.

    Heinemann: Und Sie sind sich der Unterstützung Ihrer Parteifreunde nicht sicher?

    Arnold: Wir hatten in der Vergangenheit hier immer sehr, sehr ernsthafte Diskussionen, die, glaube ich, auch dieser Situation gerecht werden. Die SPD hat ja im Februar erst wieder gezeigt, dass wir auch in der Opposition bei dieser Verantwortung für den Prozess in Afghanistan bleiben, und ich kann nicht erkennen, was sich zwischen Februar und April an Grundsätzlichem geändert hat, so traurig die einzelnen Nachrichten sind. Natürlich muss der Tot von Soldaten auch immer wieder dazu führen, dass Politik nachdenkt. Es hat sich aber an der grundsätzlichen Notwendigkeit und Richtigkeit des Einsatzes in den letzten zehn Wochen nichts geändert.

    Heinemann: Rainer Arnold, der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Arnold: Auf Wiederhören.