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"Ich würde eher davon abraten, die Anklage zu erheben"

Die Beweise der Staatsanwaltschaft im Fall Christian Wulff seien vermutlich nicht sehr stark, sagt der Rechtswissenschaftler Uwe Wesel. Von einer Anklage gegen den Ex-Bundespräsidenten wegen Bestechlichkeit rät er deswegen ab. In einem Prozess könne die Staatsanwaltschaft ihr Gesicht verlieren.

Uwe Wesel im Gespräch mit Friedbert Meurer | 08.04.2013
    Friedbert Meurer: Bundespräsident Christian Wulff, der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff, kämpft ein gutes Jahr nach seinem Rücktritt um seinen Ruf. Heute werden seine Anwälte in Hannover der Staatsanwaltschaft Folgendes mitteilen: Der Ex-Präsident nimmt deren Angebot nicht an, gegen eine Geldauflage in Höhe von 20.000 Euro die Sache auf sich beruhen zu lassen. "Die Sache", das sind die Vorwürfe Vorteilsannahme und Bestechlichkeit. Wulff ist von seiner Unschuld überzeugt, riskiert allerdings jetzt, dass es zu einem Gerichtsverfahren kommt. Ein Prozess gegen ein ehemaliges Staatsoberhaupt, das wäre eine echte Premiere in der Bundesrepublik Deutschland. – Uwe Wesel hat lange Jahre Rechtsgeschichte an der Freien Universität Berlin gelehrt, er ist einer der bekanntesten Rechtshistoriker des Landes, inzwischen emeritiert. Guten Morgen, Herr Wesel.

    Uwe Wesel: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Hat der Fall Wulff das Zeug, Rechtsgeschichte zu schreiben?

    Wesel: Ach Gott, ich bin mir da nicht ganz klar, Herr Meurer. Die Staatsanwaltschaft hat ja mit ihrer Erklärung damals, sie würde jetzt ein Ermittlungsverfahren einleiten, in gewisser Weise schon Rechtsgeschichte gemacht. Und nun gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder, wenn also dieser Weg eingeschlagen wird – das ist so ein typisch mittlerer Weg, den eine Staatsanwaltschaft sehr gerne geht -, nämlich die Einstellung gegen eine Geldbuße wegen Geringfügigkeit, im Grunde hat die Staatsanwaltschaft jetzt die Aufgabe, entweder die Klage zu erheben, oder das Verfahren einzustellen. Und ich kann mir nicht vorstellen, ich kenne natürlich die Einzelheiten, Herr Meurer, nicht ganz genau, aber wenn sie schon so ein Angebot macht, einzustellen wegen Geringfügigkeit gegen Zahlung einer Geldbuße, dann heißt das auf Deutsch, ihre Beweise sind nicht sehr stark. Und wenn sie jetzt vorsichtig ist, dann stellt sie einfach das Verfahren ein und erhebt keine Klage. Die beiden Möglichkeiten hat sie jetzt noch.

    Meurer: Nun ist es ja so, Herr Wesel, offenbar sind von 21 Anklagepunkten 20 fallen gelassen worden.

    Wesel: Ja, eben!

    Meurer: Es geht nur noch um eine Hotelrechnung, die ihm der Filmproduzent David Groenewold bezahlt hat, 700 Euro etwa. Ist das alleine schon zu wenig Geld, dass man das sozusagen als Stoff für ein Historienstück bezeichnen kann?

    Wesel: Ach Gott, auch 700 Euro können den Tatbestand, der da noch vorgeworfen wird, erfüllen. Aber man muss auch beweisen können, dass Herr Wulff das gewusst hat und sozusagen mitgemacht hat. Da liegt das Problem.

    Meurer: Verliert die Staatsanwaltschaft jetzt ihr Gesicht, wenn sie zurückzieht und sagt, okay, dann stellen wir das ganze ohne Geldauflage ein?

    Wesel: Ich fürchte, sie verliert eher ihr Gesicht, wenn sie das Verfahren eröffnet und Herr Wulff freigesprochen wird. Das sind ja die beiden Möglichkeiten, vor denen wir stehen.

    Meurer: Ein bisschen klingt durch, Sie sind gegen einen Prozess. Habe ich recht und warum?

    Wesel: Ja.

    Meurer: Warum kein Prozess?

    Wesel: Weil offensichtlich auch nach Meinung der Staatsanwaltschaft Beweise nicht ganz ausreichend sind. Sonst hätte sie ja das Verfahren der Einstellung mit Zustimmung von Herrn Wulff und übrigens auch des Gerichts, sonst hätte sie den Vorschlag ja nicht gemacht. Sie scheint sich ihrer Sache nicht sicher zu sein, und wenn sie sich ihrer Sache nicht sicher ist, dann soll sie lieber die Finger von dem Verfahren lassen, als jetzt Klage zu erheben, Anklage zu erheben.

    Meurer: Nehmen wir mal an, Herr Wesel, die Staatsanwaltschaft folgt nicht Ihrem Rat und erhebt doch Anklage, wie wahrscheinlich ist es, dass das Gericht sagt, nein, dem folgen wir nicht, wir lassen es nicht zum Prozess kommen?

    Wesel: Das kann das Gericht sagen. Das Gericht kann sagen, es ist kein hinreichender Tatverdacht. Es kann auch das Verfahren eröffnen und ihn dann freisprechen. Wenn man beweisen kann, dass Herr Wulff das so gewusst hat, wie es ihm vorgeworfen wird, dann kann es auch verurteilen. Also ich würde eher davon abraten, die Anklage zu erheben.

    Meurer: Mal angenommen, es kommt doch zu einem Prozess, was würde das bedeuten, dass ein ehemaliger Bundespräsident, ein ehemaliges Staatsoberhaupt sich einem Gerichtsverfahren wegen Vorteilsnahme und Bestechlichkeit aussetzen muss?

    Wesel: Ja, was würde das bedeuten? – In der Geschichte der Bundesrepublik wäre es einmalig.

    Meurer: Noch steht ja das Angebot der Staatsanwaltschaft, Herr Wesel, im Raum, das ganze gegen eine Geldauflage von 20.000 Euro einzustellen. Viele nennen das einen modernen Ablasshandel. Seit wann hat es eigentlich an deutschen Gerichten Einzug gehalten, solche Deals im Vorfeld festzulegen?

    Wesel: Na, das steht in der Strafprozessordnung in Paragraf 253. Wann der erlassen worden ist, kann ich Ihnen nicht sagen, aber der ist in der Bundesrepublik erlassen worden. Das weiß ich, denn der hat ja ein A. Das ist der Paragraf 253a, nach dem sie jetzt vorgehen. Das ist eine neuere Regelung, die auch ganz vernünftig ist, Herr Meurer. Es gibt ja Fälle, wo man sagen kann, na ja, na ja, wir wissen nicht genau, machen wir es so. Es ist der mittlere Weg.

    Meurer: Warum ist das vernünftig?

    Wesel: Ach Gott, wissen Sie, weil es ein reines Ja und ein reines Nein in den meisten juristischen Fällen gar nicht gibt, sondern die Wahrheit oft leider in der Mitte liegt.

    Meurer: Wäre es nicht besser, wenn das Gegenstand eines Gerichtsverfahrens wird, und ist die Wahrheit in der Mitte zu suchen und nicht, dass vorher alles hinter verschlossenen Türen ausgemacht wird?

    Wesel: Nein, das wird ja nicht hinter verschlossenen Türen gemacht. Dieser Vorschlag der Staatsanwaltschaft wird dem Herrn Wulff gemacht und das zuständige Gericht muss zustimmen. Das Gericht, vor dem er angeklagt werden müsste, muss ja auch zustimmen. Das ist mehr oder weniger ein öffentliches Verfahren.

    Meurer: Vor Gericht sind alle gleich, heißt es. Herr Wesel, gilt das auch für den Bundespräsidenten? Wird er vielleicht sogar härter angepackt als Otto Normalverbraucher?

    Wesel: Jedenfalls in dieser Kampagne ja, ganz eindeutig. Da ist furchtbar viel übertrieben worden. Das war eine politische Kampagne gegen einen Mann. Warum, kann ich Ihnen auch nicht sagen. Unter uns gesagt: Dahinter steckte die "Bild"-Zeitung und die "Frankfurter Allgemeine". Welche Motive die hatten, das weiß ich nicht. Ich stecke nicht im Kopf von Herrn Schirrmacher und auch nicht des Chefredakteurs der "Bild"-Zeitung. Auf alle Fälle: Es war eine politische Kampagne gegen einen Mann in einer höheren Stellung und insofern waren hier nicht alle gleich. Insofern war ja auch die Entscheidung richtig, ihm seinen Ehrensold zuzubilligen, weil das keine rein persönliche Sache war, sondern eben eine politische Kampagne.

    Meurer: Wird er denn auch juristisch härter angepackt?

    Wesel: Das kann ich mir nicht vorstellen. Nein, das glaube ich nicht. Da sind unsere Gerichte Gott sei Dank ein bisschen besser als die vierte Gewalt im Staat, vertreten durch die Presse.

    Meurer: Professor Uwe Wesel, Rechtshistoriker von der Freien Universität Berlin. Heute wird die Verteidigung von Ex-Präsident Christian Wulff mit der Staatsanwaltschaft Hannover reden, wie es denn im Verfahren weitergehen soll. Schönen Dank, Herr Wesel, und auf Wiederhören!

    Wesel: Bitte schön, Herr Meurer. Auf Wiederhören!


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