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Idee einer Beteiligung des Staatsoberhauptes "originell"

Der Staatsrechtler Josef Isensee findet die Idee einer Beteiligung des Bundespräsidenten am Job-Gipfel zwischen Regierung und Opposition "zunächst einmal originell". Die Verfassung verbiete eine solche Vermittlertätigkeit des Staatsoberhauptes nicht. Zunächst einmal sollten sich jedoch die politischen Kräfte aus sich selbst heraus einigen.

Moderation: Christine Heuer |
    Christine Heuer: Horst Köhler ist der Mann der Stunde. Vom Job-Gipfel am Donnerstag erwarten die Deutschen kaum mehr mutige Entscheidungen im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, doch auf die Reformrede des Bundespräsidenten heute in Berlin warten sie gespannt. Drei Viertel der Deutschen sind laut Umfragen entschieden dafür, dass sich das Staatsoberhaupt in die Tagespolitik einmischt. Immerhin 60 Prozent können sich Horst Köhler sehr gut als Kanzlerkandidat vorstellen. Der Mann ist populär. Aber kann er von Amtswegen leisten, was sich die Bürger von ihm wünschen? Wir fragen Josef Isensee, Staatsrechtler an der Bonner Universität. Guten Morgen Professor Isensee.

    Josef Isensee: Guten Morgen.

    Heuer: Es gibt jetzt den Vorschlag, der Bundespräsident solle als Vermittler beim Job-Gipfel auftreten übermorgen in Berlin. Hielten Sie das für eine gute Idee, Herr Isensee?

    Isensee: Die Idee ist zunächst einmal originell. Und die Verfassung verbietet ihm eine solche Mittleraufgabe nicht schlechthin. Es ist nur die Frage, ob er in der gegenwärtigen Stunde gut beraten wäre, diese Mittleraufgabe zu übernehmen. Zunächst einmal sollten sich die politischen Kräfte aus sich heraus einigen und der Bundespräsident sollte beobachten, sollte ermuntern, sollte auch hier und da einen Impuls geben, in welche Richtung es geht. Aber eine unmittelbare Beteiligung würde ihn dann auch gleichsam in eine politische Mithaftung nehmen, die dem Amt nicht gut täte. Noch einmal, die Verfassung verbietet es nicht, denn es handelt sich ja nicht um einen politischen Entscheidungsprozess, sondern um einen formlosen Einigungsprozess, aus dem erst später verbindliche Entscheidungen hervorgehen können.

    Heuer: Sie würden ihm also abraten?

    Isensee: Ich würde abraten.

    Heuer: Heute hält Horst Köhler eine Rede in Berlin, von der im Vorfeld schon als Brandrede gesprochen wird. Was kann denn eine solche Rede des Bundespräsidenten bewirken?

    Isensee: Wunder jedenfalls nicht. Eine Wende des politischen Bewusstseins, eine Wende, die Bürger und Amtsträger von Grund auf veränderte, kann man nun wirklich nicht von einer Rede und der bestmöglichen Rede erwarten. Der Bundespräsident ist kein rhetorischer Wundertäter. Aber Nachdenklichkeit, ein Aufrütteln, Problembewusstsein und jedenfalls eine gewisse Beeinflussung des allgemeinen Bewusstseins, die ist sicherlich möglich. Und ich könnte mir vorstellen, dass er das richtige Wort zur richtigen Stunde findet.

    Heuer: Horst Köhler hat ja angekündigt, als Staatsoberhaupt sich aktiv in die Tagespolitik einmischen zu wollen. Gibt es eine Grenze, ab der Sie das für kontraproduktiv halten?

    Isensee: Ja. Und zwar sind es ja zunächst einmal rechtliche Grenzen. Das Grundgesetz gibt dem Bundespräsidenten nur ganz spärliche Entscheidungsbefugnisse. Und die Entscheidungsbefugnisse sind zumeist noch an die so genannte Gegenzeichnung, also an die Zustimmung des Bundeskanzlers und des Fachministers gebunden, damit er nicht in politisch Haftung genommen wird für das, was er entscheidet. Er soll grundsätzlich nicht in Widerspruch zu der Regierungspolitik treten, also der Bundespräsident ist von der Verfassung nicht als ein möglicher Oppositionsführer gedacht. Er kann nur innerhalb gewisser Grenzen hier für Balance sorgen und einen Ausgleich unter den Staatsorganen herstellen. Er kann sich ohne weiteres in Tagesfragen einmischen aber er mischt sich ein mit dem Wort, nicht mit politischer Tat und er mischt sich nur in soweit ein, als er nicht in Gegensatz zur Regierungspolitik gerät. Das verwährt ihm die Verfassung.

    Heuer: Wenn man das zur Grundlage macht, schlägt sich Horst Köhler dann zu sehr auf die Seite der Opposition in der aktuellen Debatte?

    Isensee: Nein. Die Forderung nach Reform ist auch die Forderung der Regierung, nur die Wege sind umstritten. Und dass er im Einzelfall einmal eine Position einnimmt, in einer einzelnen Frage, wie etwa bei der Abschaffung des Tags des Deutschen Einheit, des Dritten Oktober, das ist im Rahmen der Verfassung ohne weiteres vorgesehen. Aber Stellungnahmen zu aktuellen Fragen, die nicht regierungskonform sind, sind eben durchaus möglich. Der Bundespräsident ist insofern kein politischer Kastrat. Nur wie gesagt, in seinen Entscheidungen darf er nicht gegen die Regierung agieren und er darf keine prinzipielle Oppositionspolitik betreiben. Er ist aber auch kein Regierungssprecher.

    Heuer: Ist Horst Köhler, dieser Bundespräsident dann in Sachen Luftsicherheitsgesetz vielleicht etwas zu weit gegangen? Wir erinnern uns, da hat er die politischen Parteien aufgefordert, das Gesetz der Regierung durch das Bundesverfassungsgericht prüfen zu lassen.

    Isensee: Der Bundespräsident ist verpflichtet, jedes Gesetz darauf zu prüfen, ob es ordnungsgemäß zustande gekommen ist. Da hat er sogar eine Pflicht, gegebenenfalls das Gesetz zu blockieren, dadurch dass er die Ausfertigungen unterlässt. Und er hat ebenfalls die Pflicht zu prüfen, ob ein Gesetz inhaltlich mit der Verfassung übereinstimmt. Und wenn er zu dem Ergebnis kommt, dass es eindeutig der Verfassung widerspricht, darf er ebenfalls nicht unterzeichnen. Wenn er erhebliche Bedenken hat, kann er die Bedenken zur Geltung bringen, muss allerdings unterschreiben. Und der Hinweis auf das Staatsorgan, welches das Recht des letzten Wortes in Verfassungsstreitigkeiten hat, eben auf das Bundesverfassungsgericht, ist legitim und angebracht, und diesen Hinweis haben auch andere Bundespräsidenten, ich denke an die Bundespräsidenten Carstens und Rau, ebenfalls gebracht.

    Heuer: Nun wünschen sich die Deutschen Köhler inzwischen als Bundeskanzler oder jedenfalls viele Deutsche können ihn sich als Bundeskanzler sehr gut vorstellen. Könnte denn ein Bundeskanzler Köhler die Vorschläge umsetzen, die der Bundespräsident Köhler derzeit macht oder stößt er auch selbst dann an Grenzen?

    Isensee: Das sind die Grenzen, die jedem Bundeskanzler gegeben sind. Die Grenzen eben, die eben die parlamentarische Mehrheit setzt, auf die er sich stützen muss und die Grenzen, die ihm die Akzeptanz der Bevölkerung setzt, ohne die er ja auch nicht regieren kann in der freiheitlichen Demokratie. Im übrigen ist das natürlich ein Gedankenspiel, dass ein Bundespräsident, der ja grundsätzliche Distanz zur Tagespolitik halten soll und der sich hier aus dem Machtkampf der politischen Parteien heraushalten soll, dass der nun in diesem Machtkampf, unter Verzicht auf sein Amt oder nach Ablauf seines Amtes, in diesen Machtkampf zurückkehrt. Verfassungsrechtlich wäre ihm das nicht verwehrt aber es widerspräche den Erwartungen der deutschen Bevölkerung aufs Ganze gesehen, in dem die Bundespräsidenten nach Ausscheiden aus ihrem Amt doch überwiegend eine gewisse Zurückhaltung üben und immer noch ein wenig präsidiales Auftreten und präsidiale Zurückhaltung wahren.

    Heuer: Das heißt, der Supermann Horst Köhler, den sich die Deutschen im Moment wünschen, ist ein etwas unrealistischer Wunsch?

    Isensee: Es ist in der Tat kein verfassungswidriger Wunsch, also rechtlich gibt es da gar keine Bedenken, aber ein Wunsch, der doch wirklich ins Reich der politischen Träume gehört. Aber auch Träume können ja schön sein.

    Heuer: Professor Josef Isensee, Staatsrechtler an der Bonner Universität. Ich danke Ihnen für das Gespräch.