Freitag, 19. April 2024

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Identitätskrise der C-Parteien
"Verlust an konservativer Substanz"

Das Ringen um den Unionskanzlerkandidaten hat auch die Frage nach der Identität des Konservatismus aufgeworfen. Für den Politikwissenschaftler Thomas Biebricher wirken die Christdemokraten schon länger entkernt und substanzlos. Es gebe aber Regenerationsmöglichkeiten, sagte er im Dlf.

Thomas Biebricher im Gespräch mit Michael Köhler | 25.04.2021
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Die Union sei als parteipolitische Bewegung entkernt, sagt Biebricher. (picture alliance/dpa | Michael Kappeler)
Als CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt in der WELT 2018 einen Aufruf zur "konservativen Revolution" veröffentlichte, waren auch seine Unionskollegen verblüfft und vor den Kopf gestoßen. Der Politikwissenschaftler Thomas Biebricher erkennt darin bereits eine Erschöpfung.
"Es wirkte verzweifelt und warf die Frage auf, warum das notwendig sein soll, wenn die Christdemokratie, die Union, über die längste Zeit der vierzig Jahre davor an der Regierung war. Hinzu kommt die Irritation über die Wortwahl eines geistesgeschichtlich belasteten Begrifft aus der Weimarer Republik, der mit antidemokratischen und autoritären Auffassungen verbunden ist. Biebricher fügt hinzu: "Ganz abgesehen davon, dass sich revolutionäre Ambitionen nicht so gut vertragen mit Konservatismus"
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Management gesellschaftlichen Wandels

Für Thomas Biebricher steht die bisherige Regierungsvorherrschaft im Widerspruch zur weiterschwelenden Identitätskrise.
"Der Konservatismus hat in den letzten zehn, fünfzehn Jahren, glaube ich, doch insofern mitregiert, als es eben sehr viel um Krisenmanagement geht. Und das gehört in gewisser Weise auch zum Konservatismus dazu. Das Selbstverständnis des seriösen Managements, sagen wir mal, unübersichtlicher Situationen, oder allgemeiner, Management des gesellschaftlichen Wandels."
Zum Kern konservativer Politik zähle: "Konservatismus machen wir einerseits daran fest, bestimmte Aspekte des Status quo zu bewahren, aber es geht immer auch um eine Vorstellung davon wie gesellschaftlicher Wandel moderiert werden kann.
Über erfolgreiches Krisenmanagement hätten die Christdemokraten in den letzten Jahren am meisten gepunktet. Es ging allerdings dabei eher um "prozeduralen Konservatismus", so umschreibt es Biebricher. Wie man mit gesellschaftlichem Wandel umgehen könne.

Entkernt und substanzlos

Die Union sei allerdings als parteipolitische Bewegung entkernt, sagt Biebricher.
"Die Entkernungsprozesse und der Verlust an konservativer Substanz lässt sich sehr viel weiter zurückverfolgen. Also eben wirklich bis in die Anfänge der sogenannten 'geistig-moralischen Wende', wo es Ambitionen von konservativer Seite gab. Da setzt das schon ein."
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Positionen seien dann geräumt worden. An ihre Stelle traten aber keine neuen, so Biebricher. Das sei nicht passiert und dann steht man "mit einem schmalen inhaltlichen Profi da."
Auf die Frage, was die bedenklichen Nebenwirkungen des Niedergangs des Konservatismus seien, weist Biebricher auf andere europäische Staaten hin.
"Grundsätzlicher gesprochen ist die Sorge, die man verbinden kann, mit dem Niedergang von gemäßigt konservativen Bewegungen und Parteien, dass auch das nicht immer die besten Auswirkungen für die politische Kultur insgesamt hat."
Als Beispiele nennt er Italien und das Verschwinden der Christdemokratie. Der Rechtspopulismus habe sich den Weg geebnet. In Frankreich liege die Hegemonie rechts der Mitte bei Marine Le Pen. USA sei auch ein Beispiel. "Der gemäßigte Konservatismus droht zu kollabieren in das, was dann Rechtspopulismus oder Autoritarismus genannt werden kann"
Darum hält der Politikwissenschaftler die Diskussion um gemäßigten Konservatismus für wichtig. "In der aktuellen Konstellation würde ich schon sagen, dass es schon von großer Bedeutung ist, was so in diesem Bereich passiert, und dementsprechend, was mit CDU / CSU passiert."
Thomas Biebricher, in weißem T-Shirt und grauem Sakko, blickt freundlich in die Kamera.
Thomas Biebricher lehrt politische Theorie an der Copenhagen Business School. Er hat in USA und Frankfurt am Main unterrichtet. Sein Buch "Geistig-moralische Wende. Die Erschöpfung des deutschen Konservatismus" von 2018 wird in diesen Tagen häufig zitiert. Vor wenigen Monaten ist aus seiner Feder erschienen: "Die politische Theorie des Neoliberalismus."
Zur Frage nach der fragwürdigen Annahme eines konservativen Substanzbegriffs, antwortet Biebricher: "Das war immer eine Spannung, die den deutschen Konservatismus seit der Nachkriegszeit durchzogen hat, dass man auf der einen Seite auf das Bewahren immer wieder fokussiert hat und das hervorgehoben hat und auf der anderen Seite an der Spitze des Fortschritts marschieren wollte, wie es Franz Josef Strauß mal ausgedrückt hat als Bezeichnung von konservativ sein."

Orientierung an konservativen Positionen

Aus Sicht Biebrichers böte sich einiges an, um konservative Positionen zu formulieren. "Wir sind beispielsweise mit Bio-Technologien konfrontiert, Eingriffen ins menschliche Erbgut, Dinge, die ehemals als unverfügbar galten, wo es um vermeintlich Natürliches geht, das ist eigentlich ein genuin konservatives Feld."
Der christdemokratische Konservatismus bilde sich aber so viel auf seine Zukunftsgerichtetheit ein, auf kapitalistisch betriebenen Fortschritt, das konfligiere mit der Begeisterung für technische Lösungen. Die Abfederung von Modernisierungsschäden wäre ein Beispiel für konservativ-skeptische Positionen.
Zur Unschärfe des "K"-Begriffs zählt auch, dass das gesamte Spektrum von liberalkonservativ bis rechtsnationalistisch darunter verstanden oder missverstanden werden könne.
In der politischen Theorie und Ideengeschichte werde seit Jahrzehnten gestritten, was konservativ bedeute und es nicht einfach nur das Gegenteil von progressiv ist. Eine "gewisse Unschärfe" zähle laut Biebricher dazu. Gleichwohl meint er: "Ich glaube, dass wir eine gewisse Orientierung von solchen Begrifflichkeiten uns immer noch holen können."
Dass das kontrovers bleibt, ist wenig überraschend. "Ich würde schon sagen, dass gemäßigt konservative Akteure, Parteien, Traditionen eben schon eine bestimmte Funktion in liberalen Demokratien erfüllen, die ich gar nicht so geringschätzen wollen würde."
Die Christdemokratie könne bestimmte Themen besser bearbeiten, beim Ausbau des Sozialstaats etwa. Die Christdemokratie wirke nur manchmal willkürlich, nicht prinzipiengeleitet.
"Es ist erstmal sehr schwierig jetzt für die Christdemokratie, sich inhaltlich zu profilieren. Das liegt einfach daran, dass Wahlen jetzt anstehen. Da muss schnellstens ein Wahlprogramm gezimmert werden, was traditionell keine große Bedeutung hat, bei Christdemokraten. Hinzu kommt, dass alles noch unter dem Schatten der Pandemie liegt und es ist schwierig, sich unabhängig davon zu profilieren"
Erschöpfungsprozesse seien indes nicht irreversibel. Es gibt Regenerationsmöglichkeiten. Dafür werden Oppositionsjahre gern genannt. Nur wäre es dann so, dass sich Christdemokraten neben der AfD in der Opposition wiederfinden würden. Und das wäre "eine recht schwierige Situation unter den Bedingungen sich hinreichend zu distanzieren."
Thomas Biebricher - „Geistig-moralische Wende“ Eine anregende Studie legt die Schwächen des deutschen Konservatismus bloß. Es gehe dabei nicht um eine kurzfristige Krise, die sich durch neues Spitzenpersonal von CDU/CSU beheben ließe, sondern um einen schon lange andauernden Prozess.