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Politikwissenschaftler Patzelt
GroKo bedeutet "konzeptionell-politische Fastenzeit" fürs Land

Bundespräsident Steinmeier wolle nicht der erste Präsident sein, der eine Minderheitsregierung ins Amt bringt, sagte der Politikwissenschaftler Werner Patzelt im Dlf. Deshalb versuche er verzweifelt, eine Große Koalition zu schmieden. Und das, "obwohl die letzte so klar abgewählt worden ist".

Werner Patzelt im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 30.11.2017
    Der Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt
    Der Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt (picture alliance/dpa/Arno Burgi)
    Jörg Münchenberg: Werner Patzelt ist Politikprofessor an der TU Dresden. Herr Patzelt, ich grüße Sie!
    Werner Patzelt: Guten Tag.
    Münchenberg: Wird das heute Abend erst mal eine Therapiesitzung? Muss der Bundespräsident erst einmal die aufgeregten Gemüter bei den Sozialdemokraten besänftigen?
    Patzelt: Der Bundespräsident wird gewiss Seelenmassage machen müssen, denn im Grunde weiß sowohl die SPD als auch die Union, dass eine Große Koalition beiden Parteien schadet. Und ob eine Große Koalition Deutschland wirklich voranbringen würde, ist auch durchaus fraglich. Der Bundespräsident will offensichtlich nicht der erste Bundespräsident sein, der eine Minderheitsregierung ins Amt bringt und dann den Bundestag doch eines Tages auflösen muss. Deswegen der verzweifelte Versuch, noch mal eine Große Koalition zu schmieden, obwohl die letzte so klar abgewählt worden ist.
    "Wenn drei Lahme sich stützen, wird kein Weltklassesportler daraus"
    Münchenberg: Nun hat Steinmeier ja auch klargemacht, er will Neuwahlen möglichst vermeiden. Das ist bekannt. Wie wird er da Ihrer Einschätzung nach heute Abend vorgehen? Welche Strategie könnte er wählen, wenn die drei da an seinem Tisch sitzen?
    Patzelt: Die erfolgversprechendste Strategie ist, daran zu appellieren, dass Deutschland eine starke Regierung brauche, auch wegen der deutschen Rolle in Europa. Und dass man sich nicht um die politische Verantwortung stehlen dürfe, die CDU müsse auf alle Fälle regieren und nachdem Jamaika nicht gelungen sei, sei die SPD an der Pflicht. Es ist aber wirklich nur ein Appell ans Pflichtgefühl. Denn dass er den künftigen Koalitionären vor Augen führen könnte, dass in einer neuen Großen Koalition ein Erneuerungsprogramm für Deutschland begründet läge, das dürfte ihm schwerfallen, so zu argumentieren.
    Münchenberg: Sitzen da heute Abend auch, ich sage mal flapsig, drei Lahme mit am Tisch? Die Bundeskanzlerin ist angeschlagen, der CSU-Chef kämpft um sein politisches Überleben und auch SPD-Chef Martin Schulz steht ja mächtig unter Druck.
    Patzelt: Ja. Wenn drei Lahme einander stützen, wird nicht gerade ein Weltklassesportler daraus. Der Punkt ist einfach der, dass die Große Koalition mit ihrer Flüchtlingspolitik dazu beigetragen hat, dass rechts von der Union eine Partei stark wurde und sich womöglich verstetigen wird. Dass das zu jener Zersplitterung des Bundestages geführt hat, in dem weder eine klare linke, noch eine klare rechte Mehrheit möglich ist, dass also von der Mitte aus zu regieren versucht wird, was ganz gewiss insbesondere den rechten Rand weiter stärken wird. Das ist für Deutschland keine gute Perspektive und sie kann auch der Bundespräsident nicht völlig außer Acht lassen, noch dazu, wo er ja zuvor mit der AfD geredet haben wird.
    Münchenberg: Nun ist die Union, Herr Patzelt, ja willig. Die SPD hält sich derzeit noch alle Optionen offen. Jetzt heißt es ja gerade von den Sozialdemokraten, die Bundeskanzlerin, sie müsse erst einmal in Vorleistung gehen. Wie ist da Ihre Erwartung? Wird sie das heute Abend schon tun?
    Patzelt: Der Kanzlerin liegt durchaus sehr am Herzen, nicht einer Minderheitsregierung vorstehen zu müssen und nicht nach der verlorenen Bundestagswahl auch noch die Macht in allzu kurzer Zeit zu verlieren. Infolgedessen ist schon damit zu rechnen, dass die Bundeskanzlerin sich nach Kräften bemühen wird, auf die SPD zuzugehen. Ihr steht aber zur Seite die CSU, die das nächste Jahr eine Landtagswahl zu bestehen hat, die für die Zukunft der CSU existenziell ist, so dass die CSU nicht jede Menge von Avancen der CDU gegenüber der SPD wird mitmachen können. Und mir scheint, dass der Glyphosat-Streit ein deutlicher Hinweis seitens der CSU war, dass ihre Interessen respektiert werden müssen und man nicht einfach sie quasi an Bord befehlen dürfe, wenn das Schiff der Großen Koalition aus dem Hafen laufen solle.
    "Kanzlerin angeschlagener, als sie den Eindruck erweckt hat"
    Münchenberg: Nun bewerten ja viele Beobachter auch diese Glyphosat-Entscheidung schon als kräftigen Tritt gegen das Schienbein der CDU. Sie haben das ja auch gerade so interpretiert. Wie angeschlagen ist die Kanzlerin Ihrer Einschätzung nach?
    Patzelt: Die Kanzlerin ist angeschlagener, als sie den Eindruck erweckt hat. Es gelang ihr ja, gleichsam das schlechte Wahlergebnis wegzulächeln, indem sie große Vorfreude auf Jamaika schürte, indem sie durch die Versöhnung von Grünen und Freien Demokraten und CSU große vergiftete Spaltungen im Land zu überwinden versprach. Nachdem das gescheitert ist, steht sie ziemlich ohne belastbare eigene Machtperspektive da. Ihre Aussage, sie wisse nicht, was sie hätte anders machen sollen, hat nicht gerade die Zuversicht auf eine zukunftsweisende und für die CDU auch gute weitere Politik genährt. Und es ist absehbar, dass die Große Koalition die AfD als wichtigste innenpolitische Konkurrenz der CDU stärken wird. Und das sehen auch viele in der CDU mit großer Sorge und Skepsis.
    Münchenberg: Aber bleiben wir noch mal bei dem Glyphosat-Vorfall, Herr Patzelt. Es gibt ja die Forderung, dass Schmidt gehen müsse. Muss die Kanzlerin hier nicht auch liefern?
    Patzelt: Die Kanzlerin kann ihren Landwirtschaftsminister gerne entlassen. Dann wird das die CSU als einen Fehdehandschuh, der ihr hingeworfen ist, auffassen, als eine Demütigung kurz vor oder im Jahr vor einer wichtigen Landtagswahl, und das wird die CSU ganz gewiss nicht konzilianter machen. Die Kanzlerin konnte so lange auch gegenüber ihrem kleineren christsozialen Koalitionspartner durchregieren, wie sie die unangefochtene Anführerin des bürgerlichen Lagers war, der man zugetraut hat, die Union auch wieder einmal zur absoluten Mehrheit zu führen. Seit 2015 ist diese Hoffnung vorbei. Seit der Bundestagswahl ist ihre Autorität dahin. Und ein solcher Akt, auf Wunsch der SPD einen CSU-Minister zu entlassen, wird ganz gewiss nicht die Kooperation zwischen den C-Parteien verbessern und die Kanzlerin erst recht in eine unangenehme Zwickmühle zwischen SPD und CSU hineinbringen, die einander dann mit durchaus vergifteten Beziehungen begegnen werden.
    Münchenberg: Nun haben wir schon darüber gesprochen. Auch der CSU-Chef Horst Seehofer ist ja angeschlagen. Er kämpft zuhause um seine politische Zukunft. Die ist völlig unklar, wie lange sich der auch noch halten kann, auch als Ministerpräsident. Insoweit: Welche Rolle kann er denn noch spielen jetzt bei diesen Gesprächen heute Abend und darüber hinaus?
    Patzelt: Das wird von der Entscheidung der CSU-Landtagsfraktion abhängen. Wenn lediglich Söder als neuer Ministerpräsidentenkandidat installiert wird und bekräftigt wird, Seehofer solle Parteivorsitzender bleiben, dann kann er noch eine Zeit lang den Silberrücken geben, mit dessen Autorität allein die CSU in Berlin dies und jenes durchsetzen könne. Aber es ist so: Wenn bei einem Politiker absehbar ist, dass er sich dem Ende seiner Machtperiode zuneigt, dann verschwindet seine Autorität mit rasender Geschwindigkeit. Seehofer kann sich womöglich noch als Minister einer CDU-geführten Regierung und CSU-Parteivorsitzender eine Zeit lang halten. Aber ein tatkräftiger Ministerpräsident Söder wird natürlich danach streben, in möglichst kurzer Zeit Ministerpräsidentenamt und Parteivorsitz zu vereinen, was ja tatsächlich die Formel für Erfolge im parlamentarischen Regierungssystem ist.
    "Fatale strategische Lage einer SPD in Regierungsverantwortung"
    Münchenberg: Herr Patzelt, nun ist das ja heute Abend der erste Aufschlag für eine mögliche GroKo. Wie gesagt, die Teilnehmenden sind alle politisch angeschlagen. Wie quälend, wie lange wird das Ihrer Einschätzung nach alles dauern?
    Patzelt: Das wird sehr quälend sein. Zumal die SPD ja genau weiß, dass es erheblichen innerparteilichen Widerstand gibt, nicht nur seitens der Jusos, sondern seitens von vielen, die die fatale strategische Lage einer SPD in Regierungsverantwortung klar vor Augen haben. Nach Weihnachten wird man dann vielleicht zu sondieren anfangen. Und wenn da nicht schon der ganze Deal platzt, können sich mühsame Koalitionsverhandlungen anschließen. Und vor Beginn der Fastenzeit werden wir keine Regierung haben, und mit einer neuen Großen Koalition fängt dann auch politisch-konzeptionell eine Fastenzeit für unser Land an.
    Münchenberg: Das Ganze wird oder könnte sich sehr lange hinziehen. Das sagt der Politikwissenschaftler Werner Patzelt von der Universität Dresden. Herr Patzelt, besten Dank für das Gespräch.
    Patzelt: Gern geschehen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.