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ie Traifverhandlungen im öffentlichen Dienst gehen in die entschei

Capellan: Heute beginnt also in Stuttgart die möglicherweise entscheidende Verhandlungsrunde beim Tarifstreit im öffentlichen Dienst. Für das Wochenende sind die Tarifkommissionen der Gewerkschaften einberufen, und ihrer Ansicht nach sind die Arbeitgeber nun am Zuge. Bund, Länder und Kommunen wollen heute ein Angebot vorlegen. Ich hatte heute früh Gelegenheit zu einem Gespräch mit Heinz Schleußer. Er ist SPD-Finanzminister in Nordrhein-Westfalen und Verhandlungsführer der Bundesländer. Ich habe ihn zunächst gefragt, was er denn den Gewerkschaften anbieten wird.

    Schleußer: Ich finde, erstens sind nicht die Arbeitgeber am Zug; wenn, dann sind beide Tarifparteien am Zug. Verhandlungen kann man nur führen, wenn auf beiden Seiten die Bereitschaft vorhanden ist, Ergebnisse zu erzielen. Wir sind selbstverständlich bereit, das uns mögliche zu geben; nur es ist bitter wenig.

    Capellan: Das heißt?

    Schleußer: Das heißt, daß wir weit von den Vorstellungen entfernt sind, die die ÖTV hat. Und wenn der Herr Blechschmidt meint, da sei bei der Metall eine Duftmarke gesetzt worden, so sage ich, diese Duftmarke kann keinen Einfluß auf die Tarifverhandlungen des öffentlichen Dienstes haben, weil nun mal die Entwicklungen der Branchen dieser Bereiche völlig unterschiedlich sind. Wir haben kein Unternehmen dabei, das Gewinne macht. Wir haben kein Unternehmen dabei, das nennenswerte Produktivitätsfortschritte hat.

    Capellan: Das heißt also, 3,2 Prozent mehr Lohn und Gehalt ist unrealistisch für den öffentlichen Dienst?

    Schleußer: Das ist völlig illusionär!

    Capellan: Das läuft dann möglicherweise doch auf die Schlichtung oder auch auf Streiks hinaus?

    Schleußer: Ich setze immer noch darauf, daß die ÖTV einsieht, daß ihr Bereich anders bewertet werden muß, daß es dort zwar Wünsche gibt, die verständlich sind, aber daß es auch realistische Möglichkeiten gibt, die nicht überschritten werden können.

    Capellan: Aber immerhin sind die Gewerkschaften ja mit Forderungen von 5,5 Prozent in die Verhandlungen gegangen, und schon jetzt wurde klargestellt, unter drei Prozent wäre äußerst problematisch und das sei nicht vermittelbar. Im Grunde möchte die Basis eine vier vor dem Komma haben. Wie wollen Sie sich unter diesen Voraussetzungen näherkommen?

    Schleußer: Das ist nun nicht mein Problem. 5,5 ist so etwas von unrealistisch gewesen, daß man damit fast die Niederlage einprogrammiert hat.

    Capellan: Sie sind allenfalls bereit, den Inflationsausgleich zu geben?

    Schleußer: Das muß man sehen, ob sich das ergibt, daß der Inflationsausgleich gegeben werden kann. Das hängt davon ab, wie die ÖTV sich generell einrichtet.

    Capellan: Halten Sie denn Einmalzahlungen für denkbar? Die hat es ja auch in der Metallbranche gegeben, und die haben ein relativ mageres Ergebnis ja dann doch noch deutlich aufwerten können.

    Schleußer: Einmalzahlungen hängen immer von der Gesamtsumme ab. Man kann nicht sagen, das ist die Obergrenze und darauf machen wir noch eine Einmalzahlung. Einmalzahlungen kürzen die übrigen Leistungen. Das ist immer so. Das wird nie isoliert, sondern immer nur als Paket gesehen werden können.

    Capellan: Das bedeutet also, wie die Lohnerhöhungen auch immer aussehen werden, sie sollen kompensiert werden an anderer Stelle?

    Schleußer: Sie sollen nicht unbedingt in allen Punkten kompensiert werden, aber daß wir auf allen Seiten Gesprächsbereitschaft suchen müssen, das ist wohl richtig. Es kann nicht angehen, daß ausschließlich die Arbeitgeber eine Bringschuld haben und auf der Seite der Gewerkschaften überhaupt keine Bewegung ist, außer entgegenzunehmen.

    Capellan: Gut, dann sagen die Gewerkschaften, das ist ein Null-Summen-Spiel, darauf werden wir uns nicht einlassen, wenn wir auf der einen Seite Lohnerhöhungen haben, auf der anderen Seite irgendwo das Geld wieder weggenommen wird.

    Schleußer: Wir müssen das ja auch irgendwo wegnehmen. Wir haben ja keine Rücklagen gebildet für Lohnerhöhungen in dieser Größenordnung, wie sie dort gewünscht werden. Und gleichgültig auf welche Ausgaben wir uns zusätzlich zu verständigen bereit sind, sind Hunderte von Millionen aus den Haushalten herauszuholen, und das wird Auswirkungen auf andere Haushaltspositionen haben.

    Capellan: Nun fordert die Arbeitgeberseite im öffentlichen Dienst auch immer wieder eine Verlängerung der Arbeitszeiten. Das paßt nicht so recht ins Bild, durch kürzere Arbeitszeiten mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Halten Sie trotzdem an dieser Forderung fest?

    Schleußer: Wir haben keine Verlängerung der Arbeitszeiten gefordert, sondern haben einen vernünftigen flexiblen Einsatz innerhalb der gegebenen Arbeitszeiten gefordert, was sicherlich ein Unterschied ist.

    Capellan: Nennen Sie das doch einmal im Beispiel? Konkretisieren Sie das doch einmal?

    Schleußer: Wir wollen herunter von den Überstunden und diese Arbeitszeit auf den einzelnen so verteilen, daß dann, wenn die Arbeitsbelastung da ist, der entsprechende Beschäftigte auch vorhanden ist, und wenn dieser Druck nachläßt, daß dann auch Luft ist, um die reguläre Arbeitszeit wieder einzuhalten.

    Capellan: Das bedeutet also, auch im öffentlichen Dienst müßten die Tarifverträge flexibler gestaltet werden?

    Schleußer: Dazu gibt es ja schon Ansätze, und die müssen weitergeführt werden.

    Capellan: Also weg auch vom Flächentarifvertrag?

    Schleußer: Nicht weg vom Flächentarifvertrag, präziser die einzelnen Arbeitszeiten erfassen.

    Capellan: Bei den Gesprächen für das Bündnis für Arbeit geht es nun darum, ob auch die Tarifpolitik einbezogen werden soll. Die Gewerkschaften weigern sich, wehren sich dagegen, weil sie sagen, die Tarifhoheit darf den Tarifparteien nicht genommen werden. Halten Sie es dennoch für notwendig, Richtlinien auch bei diesen Bündnisgesprächen festzusetzen?

    Schleußer: Das sehe ich so nicht. Ich halte auch eine Menge davon, daß die Tarifvertragsparteien zu Ergebnissen kommen und daß sie das alleine schaffen. Es ist nicht die Forderung der öffentlichen Arbeitgeber, das in das Bündnis für Arbeit einzubringen.

    Capellan: Sie haben es zu Beginn unseres Gespräches schon angedeutet: Die Situation im öffentlichen Dienst, sagen Sie, sei anders als in der freien Wirtschaft. Da kann man es nicht so machen, etwa zu sagen, Betriebe die gut verdienen können auch höhere Löhne auszahlen. Welchen Spielraum gibt es denn überhaupt im öffentlichen Dienst, was eine Differenzierung bei den Lohnauszahlungen angeht?

    Schleußer: Eigentlich keine, außer Sie teilen auf in den Bereich, in dem es Dienstleistungen gibt - und diese Bereiche sind überwiegend im kommunalen Bereich zu Hause -, und den übrigen Bereich, in den reinen Ausbildungs- und Verwaltungsbereichen, also Schule, Hochschule. Leistungsanreize versuchen wir mühselig einzubringen in unsere Gehalts- und Lohngestaltung, aber das ist nicht so einfach im öffentlichen Dienst.

    Capellan: Das hört sich alles nicht besonders gut an.

    Schleußer: Das hörte sich alles viel besser an, wenn die Steuereinnahmen so wären, wie die ÖTV glaubt, daß sie sein müßten. Dann könnten wir viel freier miteinander reden.

    Capellan: Dennoch muß man sagen, jetzt droht möglicherweise ein Streik, und auch der wird viel Geld kosten.

    Schleußer: Das mit den Streikdrohungen sehe ich noch nicht, denn ich gehe immer noch davon aus, daß auch bei der ÖTV die Vernunft im Vordergrund steht.

    Capellan: So weit Heinz Schleußer, Verhandlungsführer der Länder bei den Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst, und mitgehört hat Peter Blechschmidt, Tarifexperte der Gewerkschaft ÖTV. Guten Morgen Herr Blechschmidt!

    Blechschmidt: Guten Morgen!

    Capellan: Herr Blechschmidt, wie sieht es aus mit der Vernunft?

    Blechschmidt: Nun ja, ich denke, wir sind alle vernunftbegabte Wesen, die an Verhandlungstischen sitzen, aber es gibt schon erhebliche Unterschiede in der Wahrnehmung der wirtschaftlichen Situation von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.

    Capellan: Das kann ich mir vorstellen. Sie wurden ja persönlich auch angesprochen im Gespräch gerade. Der Metallabschluß, den Sie als Duftmarke für den öffentlichen Dienst bezeichnet haben, möchte für Heinz Schleußer nicht herhalten. Er hält das für illusorisch, 3,2 Prozent mehr Lohn.

    Blechschmidt: Nun hat die IG Metall ja nicht nur 3,2, sondern für 1999 4,2 Prozent vereinbart. Selbst die Metallarbeitgeber sagen, mit der längeren Laufzeit verrechnet ergibt das nachher 3,6. Aber wie auch immer: Wir werden heute verhandeln. Wir haben für morgen unsere große Tarifkommission eingeladen, das höchste Beschlußorgan in diesen Fragen, sind entscheidungsfähig und wollen auf dem Wege der Verhandlungen und ohne Schlichtung alles versuchen, ein Ergebnis zu erzielen. Ich muß aber ein paar Dinge sagen. Herr Schleußer hat gesagt, Steuereinnahmen, wie die ÖTV sie will. Das ist nicht die Frage, wie die ÖTV sie will, sondern wie sie für öffentliche Dienstleistungen angemessen sind. Wer in der Politik der letzten 16 Jahre ständig Unternehmenssteuern senkt und Großkonzerne trotz riesiger Gewinne keine Steuern zahlen - in der Stadt, in der die Verhandlungen stattfinden, führt das zu 80 bis 100 Millionen Mark Steuerausfällen; die Arbeitnehmer zahlen also ständig ihre Steuern -, kann Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes dies nicht anlasten.

    Capellan: Aktuell ist das Geld aber nun mal nicht vorhanden?

    Blechschmidt: Die öffentlichen Haushalte werden 37 Milliarden mehr Steuern in diesem Jahr einnehmen, sagt die Steuerschätzung. Es ist also schon Geld vorhanden. Das ist ja nicht die Frage! Etwas zur Produktivität wollte ich auch noch sagen, weil Herr Schleußer dieses Argument benutzt hat. Dem kann ja schon gar nicht gefolgt werden. Die öffentlichen Hände haben 600 000 Stellen vernichtet, abgebaut. Mit weniger Beschäftigten, 600 000 in fünf Jahren, wird mehr geleistet. Wenn das keine Produktivitätssteigerung ist? Und ein drittes möchte ich sagen: Wir wollen herunter von den Überstunden, um Beschäftigung zu machen. Die Arbeitgeber wollen nicht herunter von den Überstunden, sondern die Arbeitgeber wollen die Überstunden weitermachen, aber dafür keine Überstundenzuschläge mehr bezahlen. Dann wollen sie eine kapazitätsorientierte Arbeitszeit, wenn ich das richtig wahrgenommen habe, im öffentlichen Dienst einführen. Das wird es ohnehin nicht geben. Und was Leistungsanreize anbelangt, das ist schon merkwürdig. Wir fordern die Arbeitgeber auf, mit uns einen Tarifvertrag über Leistungszulagen, Prämien zu vereinbaren. Bund und Länder lehnen dies ab. Also das, denke ich, mußte hier noch einmal deutlich gemacht werden.

    Capellan: Lassen Sie uns zu sprechen kommen auf ein Argument, das Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt gestern in die Runde geworfen hat. Er sagte, natürlich muß die Nachfrage gestärkt werden, aber nicht mit höheren Löhnen, sondern etwa dadurch, daß die Schere zwischen Brutto und Netto geschlossen wird, sprich daß die Steuerbelastung abnimmt. Wäre das nicht der richtigere Weg?

    Blechschmidt: Wer da plötzlich die Nettolohnpolitik propagieren will so nach dem Motto, über Steuer oder Abgaben kommt mehr ins Portemonnaie, der muß das natürlich gegen sich auch gelten lassen in Zeiten, in denen es höhere Steuern und höhere Abgaben gab. Da haben die gleichen Damen und Herren der Arbeitgeber im privaten als auch im öffentlichen Dienst immer genau das gegenteilige Argument vertreten. Wir machen keine Nettolohnpolitik. Wir wollen die Kaufkraft stärken. Kaufkraft schafft Beschäftigung, ist unbestritten, ökonomisch auch unbestritten. Ich sage noch einmal in Deutlichkeit, wir haben Abschlüsse gehabt von 1,3 und 1,5 Prozent in den letzten Jahren. Die Arbeitgeber auch des öffentlichen Dienstes hatten bei geringeren Abschlüssen auch Chancen für Beschäftigung.

    Capellan: Wenn Sie jetzt sagen, keine Nettolohnpolitik, bei den Bündnis für Arbeit-Gesprächen gestern ist ja das auch wieder in die Diskussion gebracht worden, daß man sich gemeinsam über eine verbesserte Steuerpolitik einigen will.

    Blechschmidt: Das ist doch nicht zu bestreiten. Da die Arbeitnehmer den Staat finanzieren und die Unternehmensgewinne transferiert werden - ich habe ja eben ein klassisches Beispiel genannt, das ja auch öffentlich ist, das in Hauptversammlungen ja auch verkündet wurde -, ist eine Steuerreform zwingend notwendig, aber nicht eine Steuerreform, die öffentliche Haushalte plattmacht, sondern die mehr Steuergerechtigkeit bringt und auch mehr in die öffentlichen Kassen bringt, um öffentliche Dienstleistungen für junge Menschen, Kindergärten, Bibliotheken und so weiter, auch finanzieren zu können.

    Capellan: Aber das könnte ja dann bedeuten, daß Sie Ihre Lohnforderung nach unten schrauben?

    Blechschmidt: Was hat das mit der Lohnforderung zu tun?

    Capellan: Wenn netto für den einzelnen Arbeitnehmer mehr in der Tasche bleibt durch eine bessere Steuergesetzgebung?

    Blechschmidt: Ich will noch einmal deutlich sagen: Wir machen keine Nettosteuerpolitik. Die Arbeitgeber haben bei höheren Abgaben immer bestritten, ob Steuern oder andere Sozialabgaben, daß das Gegenstand von Tarifverhandlungen ist, und das bleibt auch dabei.

    Capellan: Herr Blechschmidt, rechnen Sie mit einem Streik?

    Blechschmidt: Wir gehen in die Verhandlungen. Wir wollen zu einem Ergebnis kommen ohne Schlichtung und ohne Streik. Jetzt liegt es bei den Arbeitgebern, die ja in den letzten Verhandlungsrunden noch nicht einmal ein Angebot vorgelegt haben.

    Capellan: Das soll heute kommen!

    Blechschmidt: Die aber gleichzeitig auch gefordert haben, daß Arbeitnehmer ihre Lohnerhöhung durch Kürzung selber finanzieren sollen. Wenn es dabei bleibt, wird es kein Ergebnis geben. Ich denke aber, wir werden darüber verhandeln und es schaffen.

    Capellan: Wir müssen den heutigen Tag abwarten. - Peter Blechschmidt war das, Tarifexperte der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr. Ich danke Ihnen und auf Wiederhören!