Donnerstag, 18. April 2024

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Ifo-Chef Fuest zu Steuermilliarden
"Raum für Steuersenkungen ist da"

Überflüssige Sozialausgaben und Subventionen – es sei an der Zeit, dass die Politik staatlich Ausgaben grundsätzlich überprüfe, sagte der Leiter des Münchener ifo-Instituts, Clemens Fuest, im Dlf. Dadurch könnten Steuerzahler entlastet – oder Geld in wirklich wichtige Bereiche investiert werden.

Clemens Fuest im Gespräch mit Dirk Müller | 26.10.2018
    Der Direktor des Institutes für Wirtschaftsforschung (ifo), Clemens Fuest
    Der Direktor des Institutes für Wirtschaftsforschung ifo, Clemens Fuest, ist nicht grundsätzlich für Steuersenkungen (dpa)
    Dirk Müller: Die Konjunktur läuft nicht mehr ganz so gut, wie noch vor Monaten erwartet. Darin sind sich alle Experten einig. So wachsen auch die Überschüsse nicht mehr ganz so hoch in den Himmel. Dennoch: Die jüngste Steuerschätzung verspricht wieder einmal zusätzliche Milliarden-Einnahmen des Staates, nämlich 6,7 Milliarden sollen es diesmal werden. Alleine zwei Milliarden davon fallen für die Bundesregierung ab.
    Wohin mit dem Geld? Das wird sich nicht nur Olaf Scholz fragen, der Finanzminister – unser Thema nun mit Professor Clemens Fuest, Direktor des Münchener ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung. Guten Morgen!
    Clemens Fuest: Guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Herr Fuest, ist es jetzt langsam Zeit, den Bürgern ihre Steuern zurückzugeben?
    Fuest: Steuern senken, dafür etwas weniger öffentliche Güter bereitstellen, oder Steuern nicht senken und dafür den Staat mehr ausgeben lassen, das ist eine politische Entscheidung. Das muss wirklich die Politik entscheiden. Allerdings könnte eine Richtlinie sein, dass wir nicht wollen, dass der Staatssektor immer größer wird, dass der Staat einen immer größeren Anteil des insgesamt Erwirtschafteten für sich beansprucht. Und wenn das die Leitlinie ist, dann muss der Staat die Steuern senken. Denn wir sehen seit vielen Jahren, dass die Steuerquote, der Anteil der Steuereinnahmen am Bruttoinlandsprodukt, dass das immer weiter ansteigt. Und wenn man das nicht will, dann müsste man eigentlich Steuern senken.
    "Es wäre jetzt eigentlich vernünftig, steuerlich zu entlasten"
    Müller: Das heißt, Sie als Ökonom sagen, die Politik entscheidet, aber ich bin ganz klar für Steuersenkungen? Habe ich Sie da richtig verstanden?
    Fuest: Noch mal Vorsicht! Das ist wirklich eine politische Entscheidung. Da kann man als Ökonom nicht sagen, das ist falsch oder richtig.
    Müller: Aber Sie geben ja Empfehlungen aus.
    Fuest: Ja, richtig! Ich finde diese Leitlinie gut. Ich sehe keinen Grund, warum bei uns der Staatssektor expandieren sollte. Insofern kann man schon sagen, es wäre jetzt eigentlich vernünftig, steuerlich zu entlasten. Wie gesagt: Wenn es gute Gründe gäbe, Staatsausgaben auszuweiten, dann braucht man dafür auch höhere Steuern. Es ist letztlich eine politische Entscheidung. Aber wenn die Richtlinie ist, wir wollen nicht, dass der Staat expandiert, dann sollte man jetzt Steuern senken.
    Müller: Das würden Sie empfehlen? Sie sagen, die Staatsquote ist zu hoch, die darf nicht noch höher werden?
    Fuest: Nein, das will ich nicht empfehlen. Es ist eine politische Entscheidung. Stellen wir uns mal vor, die Politik würde entscheiden, dass man etwa mehr für Militär ausgeben muss, mehr für Investitionen, dann könnte man das machen. Dann kann man durchaus vertreten, dass man Steuern erhöht. Ich würde allerdings etwas anderes empfehlen, nämlich Staatsausgaben auch mal zu durchforsten und auch mal zu fragen, ist das eine oder andere vielleicht überflüssig. Wir haben im Sozialstaat etwa Transfers, da geht viel von der rechten in die linke Tasche. Wir haben Subventionen, die wir nicht brauchen. Und ich denke schon, es ist die Pflicht der Politik, auch immer wieder die Ausgaben auf den Prüfstand zu stellen. Im Moment redet niemand in Deutschland darüber, dass man Ausgaben auch überprüfen muss. All das, das Gesamtbild spricht schon dafür, dass Raum für Steuersenkungen da ist.
    Viele Transferleistungen "einfach nicht zielgenau"
    Müller: Helfen Sie uns doch an diesem Beispiel, was Sie genannt haben, weiter, Herr Fuest: Sozialausgaben. Was läuft da wo falsch?
    Fuest: Wir müssen uns anschauen, haben wir nicht viele Ausgaben, Transferausgaben, die an Leute gehen, die nicht wirklich bedürftig sind. Ich nehme mal das Beispiel Bausparförderung oder auch das neue Baukindergeld. Das geht ja vielfach an Leute, die sich ein Haus leisten können, das heißt Leute, die in der Mitte der Gesellschaft stehen. Das sind ja genau diejenigen, die auch die Steuern zahlen. Das heißt, bei vielen Transfers muss man sagen, sie sind einfach nicht zielgenau. Das gilt auch für viele Maßnahmen etwa im Rentenbereich. Die Rente ab 63, das geht auch an Leute, die es nicht wirklich brauchen. Bei all diesen Ausgaben könnte man etwas zielgenauer vorgehen.
    Müller: Das sind ja sehr umstrittene politische Entscheidungen. Da sind wir wieder bei diesen Entscheidungsmechanismen. Sind das Wahlgeschenke aus Ihrer Sicht?
    Fuest: Ja, das kann man so interpretieren. Das sind im Wesentlichen Wahlgeschenke. Man gibt Gruppen, von denen man glaubt, man kann sie als Wähler mobilisieren, Geschenke und die kosten viel Geld, reduzieren aber nicht Armut, bieten nicht wirklich soziale Sicherung. Das Ganze ist nicht effizient.
    Baukindergeld ist "Förderung für die Mittelschicht"
    Müller: Baukindergeld, könnte man das auch so interpretieren, ist ein bisschen Zurückgeben von dem, was man zu viel eingenommen hat?
    Fuest: Ja, das ist Zurückgeben an Familien, die sich ein Haus bauen. Denen kann man es wirklich von Herzen gönnen. Aber man muss fragen, sind die bedürftig, und da muss man sagen, da ist es eher so, dass das ja auch diejenigen sind, die die Steuern zahlen. Insofern wäre es vielleicht zielgenauer, auf wirklich niedrige Einkommensschichten zu zielen.
    Müller: Das finden viele jetzt interessant. Klar, das ist schon mal thematisiert worden, aber das hat ja unter anderem die SPD auch durchgesetzt in der Koalition, jedenfalls in dieser Form, wie es dann gekommen ist. Sie will aber auf der anderen Seite Politik ja für die ärmeren Schichten auch machen, für die sozial Benachteiligten. Ist das eine klare Förderung der Besserverdienenden?
    Fuest: Na ja, das Baukindergeld hat jetzt, glaube ich, nicht die SPD allein durchgesetzt. Aber das ist eine Förderung für die Mittelschicht. Familien zu fördern, ist ja auch in Ordnung, aber man muss wie gesagt aufpassen, dass man es richtig macht. – Es gibt viele weitere Bereiche, auch etwa bei der Förderung im Umweltbereich. Da haben wir auf der einen Seite Subventionierung von Diesel im Agrarbereich. Auf der anderen Seite sagen wir, wir wollen eigentlich nicht, dass so viel Diesel verbrannt wird, wir wollen ja Umweltschutz. Vieles passt da nicht zusammen.
    Es wäre wirklich notwendig, das haben wir in der Vergangenheit gehabt, vielleicht mal wieder eine Kommission zu haben, die die Ausgaben durchforstet, die sich für Subventionsabbau einsetzt und die sich da auch ein Ziel setzt und sagt, wir wollen, was weiß ich, 20 Prozent der Subventionen abbauen. Das wäre gut.
    Umweltschutz: Strafen statt Subventionen
    Müller: Was ist mit den Subventionen für Energie, für Strom?
    Fuest: Ja, auch da muss man im Einzelfall schauen, erreichen die wirklich ihre Ziele. Das tiefere Problem, was wir in dem Bereich haben, ist, dass wir ja den europäischen Zertifikatehandel haben, und dadurch wird ja die Menge an CO2-Emissionen jedenfalls in den Sektoren, die dabei sind, durchgesetzt. Das heißt: Wenn man jetzt andere Instrumente zusätzlich einsetzt, dann bringen die gar nichts mehr für die Umwelt. Auch da müsste der Staat sehr genau aufpassen. Ich bin überhaupt der Meinung, dass man für Umweltverschmutzung eigentlich belastet werden sollte und nicht für das Unterlassen von Umweltverschmutzung subventioniert.
    Müller: Das heißt, mehr Sanktionen, mehr Strafen, finanzielle?
    Fuest: Ich würde das nicht Strafen nennen, sondern man kann ja steuern. Man kann ja Umweltsteuern einsetzen. Statt saubere Energie zu fördern mit Subventionen, sollte man die Umweltverschmutzung belasten, oder mit Zertifikaten verbinden. Das heißt, man muss mehr Zertifikate kaufen. Auch da nimmt der Staat Geld ein.
    Strukturwandel: Der Staat darf nicht zu viel versprechen
    Müller: Herr Fuest, wir beide hatten eine Minute vorher Zeit, bevor wir begonnen haben, während unser Korrespondentenbericht aus Brasilien lief, miteinander zu reden. Da haben wir beide gesagt: Gut, wir könnten die Kohlekommission, diesen Zwischenbericht, der gestern Abend sehr spät vorgelegt worden ist, noch mal einbeziehen in unser Gespräch. Meine Frage ist: Es geht ja da um zehntausende von Arbeitsplätzen – auch wieder unser Thema im Grunde der vergangenen Minuten, nämlich die Rolle des Staates.
    Es geht auch hier um Subventionen, um Investitionen, um Unterstützung. Die ostdeutschen Ministerpräsidenten oder die betroffenen Ministerpräsidenten – der nordrhein-westfälische Regierungschef Armin Laschet war ja auch dabei – sind von 50, 60 Milliarden Euro ausgegangen in den kommenden Jahren, die sie brauchen, um diesen Strukturwandel letztendlich in den Griff zu bekommen, um ihn anzusteuern. Ist das aus Ihrer Sicht vernünftig, dass der Staat mit Geld versucht, das entsprechend zu steuern?
    Fuest: Der Staat darf nicht zu viel versprechen. Es ist richtig, das hat ja auch die Kohlekommission gesagt, dass man zum Beispiel Infrastruktur verbessern muss, so dass die Menschen aus den Kohlerevieren etwa in andere Städte pendeln können und da arbeiten können. Was der Staat nicht kann – und das sollte man auch nicht versprechen -, ist wirklich direkt neue Industrien aufbauen in diesen Gebieten. Das kann man nicht planen. Es ist ja auch überlegt worden, dass man öffentliche Behörden in diese Gebiete verlegt, aber bei Behörden ist es dann so, dass die ja schon irgendwo stehen, und da wird kaum jemand umziehen. Das ist nicht so einfach.
    Wichtig ist, dass man nicht am Bestehenden festhält, nicht an alten Strukturen festhält, sondern versucht, Raum für Neues zu schaffen. Aber das ist sehr schwierig. Man darf nicht zu viel versprechen. Letztlich müssen ja Unternehmensgründer, müssen Unternehmen dort neue Arbeitsplätze schaffen. Der Staat kann das nur sehr begrenzt. Aber er kann schon was tun, zum Beispiel Infrastruktur bereitstellen, auch digitale Infrastruktur, damit in diesen Regionen, wenn neue Ideen da sind, auch neue Perspektiven wachsen. Und dafür sorgen, dass man vielleicht da wohnen kann, aber woanders arbeiten muss.
    Müller: Das heißt, das wäre ein Bereich, wo Sie sagen, lieber Olaf Scholz, Finanzminister, da können Sie das Geld reinstecken, jedenfalls in begrenztem Maße, um das alles anzukurbeln.
    Fuest: Genau. Das kann man tun. Aber wie gesagt: Man sollte nicht versprechen, dass man aus diesen Regionen in kurzer Zeit blühende Landschaften macht. Da würde man den Menschen nicht die Wahrheit sagen.
    //Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu