Lange: Herr Meine, was denken Sie? Kommen Sie nach dem bisherigen Verlauf der Tarifgespräche noch um einen Arbeitskampf herum?
Meine: Nun ich denke mal, wenn wir in diese Verhandlungen hineingehen, dann verhandeln wir mit einem Ziel. Ich bin allerdings bei der Herangehensweise von Volkswagen sehr skeptisch, ob dies am Donnerstag dieser Woche gelingen wird. Volkswagen legt es offensichtlich hier auf einen Großkonflikt an.
Lange: VW zeichnete sich ja immer durch intelligente Lösungen aus, wenn es um Arbeitszeit und Löhne ging. Warum läuft das diesmal so ganz anders?
Meine: Das müssten Sie das Management von Volkswagen fragen. Volkswagen ist von Anfang an diese Tarifrunde sehr konfliktorientiert angegangen. Hintergrund könnte sicherlich die mangelnde Nachfrage auf den Binnenmärkten sein, das leichte Zurückgehen der Gewinne von Volkswagen, das zu diesem harten Kurs geführt hat. Aber ich kann die Herren von Volkswagen nur auffordern, nach unserem Kompromissangebot, was wir das letzte Mal gemacht haben und was von ihnen sehr brüsk zurückgewiesen worden ist, zur Vernunft zu kommen und nun endlich konstruktiv zu verhandeln.
Lange: Haben Sie den Eindruck, dass es sich jetzt rächt, dass Gewerkschaft und Betriebsrat zum Beispiel bei diesem Projekt 5.000x5.000 mitgemacht haben?
Meine: Nein, überhaupt nicht. Das Projekt 5.000x5.000 war ja ein Projekt, mit dem wir arbeitslose Menschen wieder in den ersten Arbeitsmarkt integrieren wollen, was viele damals bezweifelt haben. Mittlerweile arbeiten schon 3.500 ehemals arbeitslose Kolleginnen und Kollegen und fertigen den Minivan Touran mit großem Erfolg, wie ich sehe. Dies hat aber nichts damit zu tun. Wir verhandeln ja jetzt für die Stammbelegschaft von Volkswagen.
Lange: Aber die Führung von VW hat damals die Gewerkschaft zu etwas gebracht, was sie eigentlich so nicht wollte?
Meine: Nun wir haben damals eine Situation gehabt, wo Volkswagen in der Tat die 48-Stunden-Woche für dieses Projekt durchsetzen wollte. Nach einem harten Konflikt ist dann eine Regelung gefunden worden, dass bei der Touran-Fertigung, bei dem Projekt 5.000x5.000, im Durchschnitt 35 Stunden gearbeitet wird wie in der Metallindustrie. Man sieht: Auch die 35-Stunden-Woche kann bei der Touran-Fertigung ein Erfolgsmodell sein.
Lange: Der Konzern sagt jetzt, wir müssen Kosten senken. Sie sagen, aber nicht primär bei den Löhnen. Wo dann?
Meine: Der Volkswagenkonzern hat selber ein Programm aufgelegt, das den schönen Namen "for motion" hat, mit dem sie die Prozessabläufe, die Arbeitsorganisation, das Zusammenspiel von Planung, Entwicklung, Produktion und Vertrieb, optimieren wollen. Dort will Volkswagen vier Milliarden einsparen und ist nach den Aussagen von Herrn Pischetsrieder, dem Vorstandsvorsitzenden, dort auf einem guten Weg. Wir sagen, man kann nicht mit Null-Runden und bei den Löhnen ein Kostenproblem lösen, sondern man muss an die Optimierung der Prozesse und man muss sicherlich auch an die Modellpolitik heran.
Lange: Aber Optimierung von Arbeits- und Prozessorganisation ist ja nichts anderes als ein anderes Wort für Rationalisierung. Das kostet letztlich auch Arbeitsplätze.
Meine: Ich glaube, dass man mit einer Optimierung der Prozesse die notwendige Wettbewerbsfähigkeit von Volkswagen wiederherstellen kann. Es hat einige erstaunt, dass die IG Metall und der Betriebsrat dieses "for motion"-Programm ausdrücklich unterstützt haben, weil wir sehen schon die Notwendigkeit, dass etliche Prozesse bei Volkswagen optimiert werden müssen. Darin liegt der Schlüssel, ein Kostenproblem zu lösen, nicht in schlichten Versuchen, den Arbeitnehmern eine Null-Runde aufzubürden.
Lange: Jetzt will VW bis 2011 die Kosten um 30 Prozent senken. Im Gegenzug sollen die 176.000 Arbeitsplätze für einige Jahre zumindest garantiert werden. Herr Meine, wenn es diese Garantie gibt, die ja in der derzeitigen Situation wie wir sehen sehr viel Wert wäre, meinen Sie wirklich, dass die Beschäftigten dann noch für ein paar Lohnprozente streiken würden?
Meine: Wir haben ja zwei Forderungen aufgestellt: einerseits mehr Geld, andererseits sichere Arbeitsplätze. Wir beschränken uns auf die 103.000 Arbeitsplätze für die sechs westdeutschen VW-Standorte. Dazu wird jetzt verhandelt. Wenn ein Kompromiss gefunden werden muss, dann ist es einerseits notwendig beim Geld, aber auch bei der Frage der Sicherung der Arbeitsplätze einen Kompromiss zu finden. Volkswagen hat sich in dieser Frage auf uns zubewegt. Es scheint jetzt möglich zu sein, die 103.000 Arbeitsplätze auch in einem Tarifvertrag abzusichern, wobei Volkswagen noch nicht gesagt hat bis zu welchem Zeitraum. Aber der Preis, den Volkswagen dafür verlangt, ist völlig unakzeptabel und unrealistisch. Aber ich denke mal, dass wir dort in den Verhandlungen noch einiges bewegen werden, zumal die Belegschaften bei Volkswagen sich ja sehr engagiert für ihre Interessen einsetzen.
Lange: Trotzdem: sind Sie sicher, dass Sie sich da nicht verkalkulieren? So ein Desaster wie bei diesem Streik um die 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland kann sich die IG Metall ja wohl nicht noch mal erlauben.
Meine: Das ist damals eine völlig andere Situation gewesen. Wir sind bei Volkswagen gut organisiert. Wir sind jetzt schon in zahlreichen Protestveranstaltungen von den Kolleginnen und Kollegen gewesen und ich kann Volkswagen nur auffordern, jetzt auf diesen Kompromissvorschlag der IG Metall endlich positiv zu antworten. Am 28. ist der letzte Tag der Friedenspflicht. Da hat Volkswagen diese Chance. Und wenn nicht, dann wird es sicherlich in der ersten Novemberwoche bei Volkswagen Warnstreiks geben.
Lange: Wie zuversichtlich sind Sie, dass das Unternehmen noch auf diesen Kompromiss eingehen wird?
Meine: Wenn man in Verhandlungen geht, muss man eine gehörige Portion Optimismus mitbringen. Ich denke das, was die IG Metall das letzte Mal vorgeschlagen hat, ist ein Vorschlag der Vernunft. Wir haben unsere ursprüngliche Forderung von vier Prozent reduziert auf ungefähr die Hälfte, zwei Prozent, kommen dem Unternehmen entgegen bei einer weiteren Flexibilisierung der Arbeitszeit und machen ein Zugeständnis - das Unternehmen hat dies eingefordert - und sagen neu Eingestellte sollen zukünftig zehn Prozent weniger bekommen als die Stammmannschaft bei Volkswagen. Das sind sehr weitgehende Angebote an Volkswagen. Um so erstaunter waren meine Kolleginnen und Kollegen, wie brüsk Volkswagen das zurückgewiesen hat. Ich meine dies war ein Vorschlag der Vernunft und Volkswagen sollte zu den Prinzipien der Vernunft zurückkehren.
Lange: In den "Informationen am Morgen" war das Hartmut Meine, der IG-Metall-Bezirksleiter von Niedersachsen und Verhandlungsführer bei VW. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Meine: Auf Wiederhören!