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IG Metall läutet die Tarifrunde ein

Lange: Die nächste Tarifrunde wirft ihre Schatten voraus und sie wird es möglicherweise in sich haben. Einerseits läuft die Konjunktur nicht mehr richtig, andrerseits haben viele Mitglieder der Gewerkschaften das starke Gefühl, bei der letzten Runde etwas zu kurz gekommen zu sein, als die Wirtschaft nämlich noch boomte. Ende Februar läuft der geltende Tarifvertrag in der Metall- und Elektroindustrie aus. Heute will die Führung der IG Metall ihre Tarifempfehlungen für die regionalen Verhandlungen beschließen. Und diese Empfehlung - das erwarten die sachkundigen Beobachter - dürfte irgendwo zwischen fünf und sieben Prozent liegen. Am Telefon ist nun Frank Teichmüller. Er ist der Vorsitzende des IG Metall-Bezirks Küste. Guten Morgen, Herr Teichmüller.

    Teichmüller: Guten Morgen.

    Lange: Ist für die Metallbeschäftigten aus Ihrer Sicht im nächsten Jahr mehr als ein Inflationsausgleich drin?

    Teichmüller: Ja, das sehen die Metallbeschäftigten so, das sehen wir auch so. Nach den beiden Jahren die wir hinter uns haben und angesichts der Anstrengung, welche die Metallarbeitnehmer ja leisten müssen, ist es meines Erachtens notwendig, dass mehr drin ist.

    Lange: Und das gilt auch trotz der wirtschaftlichen Flaute, im Moment?

    Teichmüller: Man muss unterscheiden. Wir haben natürlich einen Rückgang von Aufträgen, wir haben natürlich nicht mehr den Boom, aber in vielen Unternehmen ist nach wie vor die Gewinnsituation hervorragend. Wir reden über die Metallindustrie, die zu 50 Prozent exportabhängig ist, die noch zum Teil über erhebliche Aufträge verfügt. Man muss das schon sehr differenzieren.

    Lange: Was heißt das, in Zahlen ausgedrückt? Sie plädieren also für eine Forderung, die näher bei sieben als bei fünf Prozent liegt.

    Teichmüller: Wir haben im Norden eine Tarifkommissionsempfehlung, die heißt: die Mitglieder, die ja letztlich die Forderung aufstellen, sollen in einer Bandbreite von fünf bis sieben diskutieren. Das ist ja bei uns eine demokratische Entscheidung. Das, was heute in Frankfurt passiert, ist ja auch nur ein Vorschlag, der dann in den Betrieben diskutiert wird. Der endgültige Beschluss passiert ja erst im Januar. D.h. also die Mitglieder - das sind diejenigen, die in den Betrieben arbeiten und die Situation in den Betrieben beurteilen können -, das sind diejenigen, die sich letztlich die Meinung machen sollen. Und da muss man sagen, dass fünf bis sieben ein Rahmen ist, in dem die Diskussion stattfinden soll, dass wir aber Forderungen haben, die weit drüber sind, wir haben aber natürlich auch Forderungen, die weit drunter sind.

    Lange: Und Ihre persönliche Präferenz?

    Teichmüller: Ich habe da keine Präferenz. Ich arbeite nicht in einem Metallbetrieb. Ich bin der Bezirksleiter dieses Bezirkes. Ich soll mich für einen Diskussionsrahmen von fünf bis sieben Prozent einsetzen, und das werde ich auch tun.

    Lange: Ihr Vorsitzender, Klaus Zwickel, hatte mal einen Vertrag mit kurzer Laufzeit vorgeschlagen und auch erwogen, die Ertragslage der Unternehmen stärker zu berücksichtigen. Halten Sie es für richtig, dass er davon wieder abgerückt ist?

    Teichmüller: Also, der Vorschlag von Klaus Zwickel hieß, da die Situation zur Zeit sehr unübersichtlich ist einen Kurzläufer zu machen. Das hatte nichts mit der Ertragslage zu tun, sondern mit der Unübersichtlichkeit der Situation. Wenn man so etwas theoretisch hätte machen können, dann war das Jahr 2003 das schlechteste, um so etwas zu machen. Das war der Grund, warum die Kollegen gesagt haben, das funktioniert nicht.

    Lange: Welche Elemente muss denn der neue Vertrag nach Ihrer Ansicht unbedingt haben?

    Teichmüller: Wir haben einmal die Frage des Volumens. Wir haben darüber hinaus den Preissteigerungsausgleich, und wir wollen eben ein Stück dessen, was die Arbeitgeber in den letzten zwei Jahren für sich geholt haben, zurückhaben. Das nennen wir Umverteilungskomponente. Der zweite Punkt, um dem es sehr deutlich geht, ist ein Einstieg in den Entgeltrahmentarifvertrag. Das klingt nun fürchterlich kompliziert, hat aber im Kern zum Ziel, dass wir zu Tarifverträgen kommen, in denen wir diese veraltete Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten aufgeben, wo wir also nur noch Arbeitnehmer haben, die ja heute zum Teil längst zusammenarbeiten. Um diese veraltete Unterscheidung aufzuheben, brauchen wir neue Merkmale für Leistungskriterien, z.B. Zielvereinbarung und Ähnliches. Das soll dieses komplizierte Gebilde Entgeltrahmentarifvertrag bringen. Da haben wir jetzt lange genug verhandelt, da müssen wir einen Einstieg haben.

    Lange: Es gibt ja die mehr oder weniger deutlich ausgesprochene Erwartung des Bundeskanzlers, dass die Gewerkschaften durch moderate Abschlüsse helfen, die Wirtschaftskrise mit zu überwinden. Wir die IG Metall diesen Erwartungen entsprechen?

    Teichmüller: Das ist eine Frage, was moderat heißt. Wenn Sie sich die Tarifpolitik, gerade der IG Metall, aber auch der deutschen Gewerkschaften insgesamt ansehen, dann muss man ja sagen, im Verhältnis zu Europa sind wir übermoderat. Wir haben in den vergangenen Jahren sehr viel geringere Abschlüsse gehabt als alle um uns herum. Und der Bundeskanzler wird ja dieselbe Erfahrung haben, die ich habe. Wenn der Aufschwung kommt, dann darf man nichts abschließen, weil man den Aufschwung gefährdet. Wenn der Abschwung kommt, darf man nichts abschließen, weil natürlich dann der Abschwung kommt. Irgendwann wird die Frage gestellt werden, ob nur die Unternehmer bei der Frage der Gewinnsituation, bei der Frage der Ausschüttung, bei der Frage des Aufkaufs von dritten Firmen, ob nur sie in der Lage sind, das zu bestimmen, oder auch die Arbeitnehmer, die das alles mit erwirtschaftet haben, auch mal etwas abkriegen. Unsere Mitglieder sagen, jetzt reicht es, nach den zwei Jahren müssen wir auch einen Teil davon haben. Und eine Forderung zwischen fünf und sieben Prozent ist, wenn Sie auf das Umland, auf die anderen Länder schauen, bei weitem nichts, was Einen rot anlaufen lassen muss.

    Lange: Herr Teichmüller, das nächste Treffen im Bündnis für Arbeit ist ins nächste Jahr verschoben worden, auch auf Betreiben der IG Metall. Warum haben die Gewerkschaften im Moment das Interesse an diesen Gesprächen verloren?

    Teichmüller: Dieses Bündnis für Arbeit wird von einigen Politikern und von einigen Arbeitgebern missbraucht, um hier Tarifpolitik zu machen.

    Lange: d.h. Sie wollten dem Druck auf diese Tarifpolitik jetzt ausweichen?

    Teichmüller: Wir wollen dem nicht ausweichen. Es gehört da nicht hin. Wissen Sie, wir haben in der Metallindustrie im Durchschnitt 20 Prozent Personalkosten. Wenn Sie sich eine zehnprozentige Steigerung vorstellen - was kein Mensch fordert -, dann macht es noch zwei Prozent auf die Gesamtkosten aus. Jede Schwankung, die der Euro mitmacht, hat größere Auswirkungen auf den Export, als unsere Lohnforderung. Und trotzdem, bevor wir überhaupt eine Forderung aufstellen, sind wir bereits diejenigen, die Arbeitsplätze gefährden, sind wir diejenigen, die den Aufschwung gefährden. Wir haben noch nicht mal eine Forderung gestellt, da sind wir es schon. Man muss davon wegkommen, dass die Lohnpolitik das Non plus ultra ist. Wenn die Bundesregierung sagt, sie muss Sparpolitik machen und keine öffentliche Nachfrage, wenn die Unternehmer sparen und eben auch nicht investieren, dann brauchen wir zumindest die Binnennachfrage der Konsumenten, das sind die Arbeitnehmer. Und deswegen gehört die Lohnpolitik in die Tarifkommission, da haben die Mitglieder etwas zu sagen. Die Wirtschaftspolitik, die Beschäftigungspolitik, das gehört ins Bündnis für Arbeit, aber da sehen Sie ja, was mit den Überstunden passiert: seit Jahren wird gepredigt, sie müssen abgebaut werden, die Unternehmer tun nichts tun. Sollten sie mal das tun, hätten sie genug im Bündnis für Arbeit getan.

    Lange: Hat denn das Bündnis jetzt - ein knappes Jahr vor der Wahl und vor diesen Tarifverhandlungen - überhaupt noch eine Chance, etwas zu bewegen?

    Teichmüller: Ein Bündnis hat nur dann eine Chance, wenn man sich hinsetzt und sagt, wo sind die Interessen so identisch, dass wir etwas gemeinsam hinkriegen. Da gibt es viele Punkte. Sie sind natürlich nicht immer groß und spektakulär. Man kann z.B. bei der Förderung der Teilzeitarbeit ansetzen, bei der Förderung von mehr Ausbildungsplätzen, bei der Förderung von leistungsbeminderten Jugendlichen, damit sie überhaupt ausbildungsfähig werden, usw. Es gibt viele Dinge, bis hin zum Überstundenabbau. Wenn man daran konkret arbeiten würde, würde man vielleicht nicht die Welt umreißen, man wäre vielleicht nicht der Größte, aber man würde konkret, Schritt für Schritt etwas erreichen.

    Lange: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Teichmüller.

    Link: Interview als RealAudio