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IG Metall vor Veränderungen

Spengler: In der Industriegewerkschaft IG Metall stehen Veränderungen an. Der Vorsitzende von 2,6 Millionen Mitgliedern, Klaus Zwickel, scheidet nach zehn Jahren aus seinem Amt, ein Nachfolger wird gesucht und gleich zwei Kandidaten stehen zur Auswahl. Einmal der 59 Jahre alte Stellvertreter Zwickels im IG Metall-Vorstand Jürgen Peters, der zweite Kandidat heißt Berthold Huber, ist 53 Jahre alt und Bezirksleiter der IG Metall in Baden-Württemberg. Klaus Zwickel soll sich mehreren Zeitungen zufolge für Huber entschieden haben, er will ihn heute offiziell dem Vorstand vorschlagen, im Herbst müsste Huber dann vom Gewerkschaftstag gewählt werden. Unser nächster Gesprächspartner kann uns dabei helfen, die Personalentscheidung zu bewerten: Am Telefon begrüße ich Ulrich Mückenberger, Professor für Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Hamburg. Guten Morgen. Herr Mückenberger.

    Mückenberger: Guten Morgen, Herr Spengler.

    Spengler: Es werden uns von den Medien ja gleich mehrere Etiketten angeboren: Peters gilt als Traditionalist, Huber als Reformer. Treffen solche Etiketten Überhaupt zu?

    Mückenberger: Solche Etiketten sind natürlich immer mit Vorsicht zu genießen, in dem Falle würde ich sagen, die Tendenz stimmt, aber natürlich ist Peters auch für moderne Probleme und Lösungen zu sprechen, genauso wie Huber das Tarifgeschäft und sozusagen die Machtaufbietung gewährleisten kann.

    Spengler: Bleiben wir mal bei Herrn Huber, der als Reformer gilt. Was heißt denn eigentlich Reformer im Gewerkschaftsbereich heutzutage?

    Mückenberger: Das heißt, dass die Gedanken dahingehen, die Gewerkschaft selber so zu verändern, dass sie den neueren Beschäftigtengruppen gerechtwerden kann. Die Gewerkschaften stehen im Grunde heute vor einem Spagat, das gilt besonders für die IG Metall. Sie müssen die traditionelle Mitgliedschaft, als etwa den zurückgehenden Anteil von Arbeitern oder Angestellten halten, sie müssen aber vor allen Dingen die immer wichtiger werdenden Gruppen im wirtschaftlichen Bereich neu hinzugewinnen, man denke jetzt vor allem mal an die Jungen, junge Menschen, die gerade noch mal sieben Prozent der IG Metall ausmachen, Frauen, die zunehmend in dem gewerblichen Angestelltenbereich an Boden gewinnen und die hochqualifizierten Angestellten. Das sind die Gruppen, wo die Gewerkschaften und insbesondere die IG Metall noch wenig Fuß fasst.

    Spengler: Herr Professor Mückenberger, warum sollte ein junger Computerexperte denn heute überhaupt Mitglied der IG Metall werden?

    Mückenberger: Das ist für viele von denen die Frage, die deshalb auch gar nicht an einen Eintritt denken. Es ist so, solange diese Computerunternehmen Aufschwung haben und florieren, kümmern sich die Leute natürlich weniger drum. Aber in dem Moment, wo es zu Krisen, Entlassungen, Sozialplänen und so weiter kommt, wird plötzlich die Gewerkschaft schon interessant, auch für diese Gruppen.

    Spengler: Das heißt, das ist das eine Dilemma, neue Mitglieder zu erschließen, ohne die alten zu verschrecken. Steckt die Gewerkschaft nicht auch in einem anderen Dilemma, sie muss ja einerseits genügend Geld und Absicherungen für ihre Mitglieder herausholen, damit nicht noch mehr austreten und andererseits macht sie es damit für Arbeitslose immer schwerer, einen Job zu bekommen, da ja die Jobs immer teurer und geschützter werden. Lässt sich dieses Dilemma auflösen?

    Mückenberger: Das ist eine Schwierigkeit. Dieses Dilemma wird man wahrscheinlich in zweierlei Weise angehen müssen: man muss einerseits Arbeitsmärkte, auch Übergangsarbeitsmärkte schaffen, die den Zugang zum Beschäftigungsbereich erleichtern, unter anderem auch Einstiegslohngruppen und so weiter schaffen. Und dann muss die Gewerkschaft natürlich sozusagen jenseits ihres Tarif- und Betriebsgeschäfts eine aktive Infrastrukturpolitik betreiben, die insbesondere im Dienstleistungsbereich Arbeitsplätze schafft. Ich glaube, es geht allerdings, ich bin eher skeptisch, diesen Zugang für Arbeitslose in Jobs über einfache Deregulierung, Verbilligung der Arbeitskraft hinzukriegen. Das funktioniert nicht.

    Spengler: Wie funktioniert es dann?

    Mückenberger: Ich glaube, dass tatsächlich dieser Einstieg erleichtert werden muss, also Qualifikationsmaßnahmen über öffentliche Brücken in Arbeitsmärkte und durch eine Ausweitung des Sektors, in dem Deutschland noch einen Nachholbedarf hat, nämlich dem Dienstleistungssektor.

    Spengler: Müsste sich die Gewerkschaft nicht auch ehrlicher machen, will ich das mal ausdrücken, indem sie einfach sagt: Wir sind diejenigen, für diejenigen, die einen Job haben, kämpfen und eigentlich haben wir mit Arbeitslosen nichts zu schaffen?

    Mückenberger: Was hätten wir von so einer Aussage? Erstens mal wäre sie den Solidaritätsverständnissen der Gewerkschaft zuwiderlaufend. Zum anderen: Was würde daraus folgen? Ich glaube, es müsste deutlich werden, natürlich sind die Gewerkschaften in erster Linie und das ist schon organisationssoziologisch klar, Vertreter der Interessen derjenigen, die Arbeitsplätze haben. Aber sie sind natürlich auch vom eigenen Interesse her darauf angewiesen, dass nicht der Druck durch Arbeitslosigkeit ihnen sozusagen das Tarifgeschäft kaputtmacht. Arbeitsumverteilung ist für mich zum Beispiel ein Stichwort, das ganz ernst genommen werden muss. Wenn wir tatsächlich Zugänge für Arbeitslose schaffen wollen, müssen wir Arbeitsumverteilung zwischen Arbeitslosen und Arbeitenden, übrigens auch zwischen Männern und Frauen, in anderer Weise betreiben.

    Spengler: Ich danke Ihnen. Das war Professor Ulrich Mückenberger, Professor für Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Hamburg.