Heuer: Die Warnstreiks heute Nacht sind ja nur der Auftakt. Wann wird es denn Ernst?
Peters: Es ist schon ernst genug. Sehen Sie mal, wir haben die Arbeitgeber immer aufgefordert, während der Friedenspflicht zu vernünftigen Lösungen am Verhandlungstisch zu kommen. Wieder nichts! Immer wieder das alte Ritual. Während der Friedenspflicht wird kein ernst zu nehmendes Angebot gemacht. Im Gegenteil: da wird noch verschärft und nun auch die Unverschämtheit. Man will zu einer kostenlosen Arbeitszeitverlängerung kommen. Das heißt wir fordern hier 4 Prozent und die Arbeitgeber wollen mit der Verlängerung der Arbeitszeit alleine schon 3 Prozent Lohnkosten einsparen, das heißt das Lohnniveau um 3 Prozent absenken. Und wenn sie noch die kostenlose Mehrarbeit bekämen, würden das noch einmal 14,5 Prozent Lohnkostenabsenkung bedeuten. Das heißt wir würden uns hier auf ein Spiel einlassen, wo die Leute betrogen würden, und das kann man schlicht von einer Gewerkschaft nicht verlangen.
Heuer: Herr Peters, wenn die Dinge auf einen regulären Streik hinauslaufen, wo wollen Sie denn dann streiken, wieder bei den Zulieferern in Ostdeutschland?
Peters: Wissen Sie, wo wir das dann machen werden, das werden wir zeitnah entscheiden. Vielleicht darf man mal korrigieren: die Kolleginnen und Kollegen im Osten haben nicht den Streik vergeigt, sondern das hat die Führung der IG Metall gemacht. Sie hat den Streik abgebrochen in einer Phase, wo er Wirkung gezeigt hätte. Das sind Dinge, die im Grunde genommen ganz andere Ursachen haben, und dies sollte man jetzt endlich einmal ruhen lassen. Weil wir im Osten das nicht richtig gemacht haben heißt das noch lange nicht, dass wir im Westen die ähnlichen Fehler begehen würden. Das ist eine kühne Annahme und davon sollte sich keiner leiten lassen.
Heuer: Zur Führung der IG Metall - Sie haben das selber angesprochen - gehörten seinerzeit ja auch schon Sie, Herr Peters. Ein erfolgreicher Streik würde Ihre Position doch jetzt stärken oder?
Peters: Darum geht es doch gar nicht. Es geht um die Lösung eines Problems. Sehen Sie mal, wir haben ganz ehrgeizige tarifpolitische Ziele in der Vergangenheit mit den Arbeitgebern behandelt und die Arbeitgeber haben gestöhnt, dass das, was wir jetzt immer von ihnen abfordern, viel zu viel ist. Man müsste mal zu einer ruhigen Runde finden. Nun haben wir uns beschieden und haben gesagt, wir machen in dieser Tarifrunde 2004 lediglich Lohn, Gehalt und Ausbildungsvergütung. Nun kommen die Arbeitgeber und verschärfen in einer unzulässigen Art und Weise diese Tarifrunde. Das heißt sie provozieren einen Streit, einen Krach, um anschließend dann mit Engelszungen zu sagen, das haben sie nicht gewollt. Die wissen ganz genau, dass wir einen solchen Weg nicht beschreiten. Wir haben ihn gesetzlich nicht beschritten und dann werden wir ihn freiwillig schon gar nicht machen.
Heuer: Nun hat sich aber doch die IG Metall beim letzten Streik isoliert. Warum, Herr Peters, sollten Politik und Gesellschaft diesmal mehr Verständnis aufbringen? Die ersten Anwürfe kommen ja erwartungsgemäß jetzt schon aus der CSU zum Beispiel.
Peters: Wir haben eine politische Landschaft, einen neoliberalen Zeitgeist, der ganz offensichtlich Gewerkschaften jedenfalls nicht positiv beurteilt. Solche Leute wie Westerwelle und Merz haben ohnehin ihr Problem mit den Gewerkschaften. Von denen werden wir keine wenn Sie wollen Zustimmung erfahren. Damit rechnen wir auch nicht.
Was bedauerlich ist, dass viele in der Öffentlichkeit nicht sehen, dass hier ein Grundsatzkonflikt, und zwar nicht von den Gewerkschaften, nicht von den Arbeitnehmern angezettelt wird, sondern eben von Gesamtmetall. Das ist für uns wenn Sie so wollen natürlich dann eine Herausforderung. Wir werden doch nicht die Augen einfach nur verschließen, nur weil Gesamtmetall meint, in dieser Phase kühne Ideen umsetzen zu wollen, Ideen, die sie nie und nimmer in anderen Phasen den Gewerkschaften zugemutet hätten.
Heuer: Der Grundsatzkonflikt dreht sich ja um die 40-Stunden-Woche. Die Arbeitgeber fordern diese 40-Stunden-Woche zwar; sie sprechen aber von freiwilligen Vereinbarungen in den Betrieben. Trauen Sie denn Ihren eigenen Betriebsräten nicht, dass die das dann richtig aushandeln würden?
Peters: Nein, nein. So steht das Thema ja nicht. Wir trauen unseren Leuten eine Menge zu. Sonst würden wir ja gar nicht solch einen Streit mit den Arbeitgebern wagen. Nein, es geht darum, dass die Arbeitgeber ein System haben wollen, wo sie die Betriebsvertretungen erpressen können. Wir werden kein System unterschreiben, wo unsere Interessenvertretungen zusätzlich unter Druck geraten. Was meinen Sie, was da passieren würde, wenn wir so etwas zulassen, dass die Betriebsparteien bis 40 Stunden und dann auch noch kostenlos verabreden können? Dann wird mit dem Hinweis auf den Konkurrenten, dann wird mit dem Hinweis auf die billigeren Löhne, dann wird mit dem Hinweis "wir lagern sonst aus" die Betriebsvertretung dermaßen unter Druck gesetzt, dass der erste das Wasser nicht mehr halten kann. Wenn der Dammbruch einmal passiert ist, dann wird er sich durchfressen und darauf setzen die Arbeitgeber, dass man sukzessive die 40-Stunden-Woche dann erreicht und dann in Teilbereichen sogar ohne Bezahlung. Das heißt hier ist ein System angelegt, was wir nicht billigen werden und auch nicht unterschreiben werden.
Heuer: Einen Kompromiss, nach dem diese Regelung mit 40 Stunden in der Woche getroffen werden könnte, nur in dezidierten Notfällen würden Sie also auch nicht akzeptieren?
Peters: Halt, halt, halt! Wir haben den Arbeitgebern längst angeboten, dass man sich über das Thema einer weiteren Flexibilisierung unterhalten muss, aber nicht um eine Ausweitung der Arbeitszeit. Wir haben immer gesagt wir können uns vorstellen, dass an der einen Stelle 30 Stunden gearbeitet wird, weil nicht mehr an Auftragsvolumen da ist, und an der anderen Stelle dafür 40. Unterm Strich bleibt es aber bei der 35. Das wollen die Arbeitgeber genau auflösen. Sie interessiert gar nicht die Flexibilisierung - das haben sie auch sehr unumwunden zugegeben -, sondern sie wollen diese Zeit nutzen, um wenn Sie so wollen die tarifpolitische Rolle rückwärts zu proben. Sie wollen zurück flächendeckend zur 40-Stunden-Woche, und da sollte man den Engelszungen der Arbeitgeber keinen Glauben schenken, denn das System, was sie anlegen, ist ein System schnurstracks wieder zur 40-Stunden-Woche.
Wissen Sie was das in der Metall- und Elektroindustrie bedeutet? - Wir sollten unterschreiben, dass wir weitere 400000 Arbeitslose produzieren. Das ist eine Unverschämtheit! Deshalb wird diese IG Metall nie und nimmer die Hand dafür reichen. Das wissen die Arbeitgeber und trotzdem machen sie weiter.
Und ein nächstes: Der Tarifvertrag Arbeitszeit ist gar nicht gekündigt, auch nicht von den Arbeitgebern. Trotzdem fordern sie von der IG Metall, in einem ungekündigten Verhältnis solche Verschlechterungen zu machen. Das riecht doch nach Krach. Hier will jemand den Krach auf Biegen und Brechen und das muss man der Öffentlichkeit und auch der Politik einmal deutlich machen.
Heuer: Halten Sie es denn eigentlich für ausgeschlossen, Herr Peters, dass die Unternehmen, also nicht die Arbeitgeberverbände, aber die Unternehmen sich aus dem Flächentarifvertrag verabschieden, wenn sie sich von der Gewerkschaft überfordert fühlen?
Peters: Sehen Sie mal, das ist die dauernde Bedrohung, die man uns versucht aufzumachen. Jedes Mal wenn sie etwas fordern, wird der Hinweis gemacht: dann treten Leute aus dem Verband aus. Ja geradezu als System wird es angelegt. Die Arbeitgeberverbände proklamieren das als eine strategische Linie. Das heißt sie haben erst einmal den Teufel gerufen, den sie jetzt nicht bändigen können.
Wir haben hier als Tarifpartei uns immer an einer gesamtwirtschaftlichen Entwicklung orientiert. Da kann es passieren, dass der eine oder andere Schwierigkeiten hat, wie es auch passiert, dass andere sehr viel besser dastehen. Wir werden diese gesamtwirtschaftliche Sicht der Dinge weiterhin beibehalten. Wenn jetzt die Arbeitgeber umpolen wollen und nur noch die einzelwirtschaftliche Sicht wollen, dann haben sie doch genau die Zerstörung des Flächentarifvertrages, den sie angeblich nicht wollen. Wir müssen hier also sehen, wenn Sie das als gemeinsame Basis nehmen, dass wir diese gemeinsame Basis gesamtwirtschaftliche Entwicklung wieder zurückgewinnen.
Heuer: Jürgen Peters, der Vorsitzende der IG Metall, war das im Deutschlandfunk. - Danke für das Gespräch, Herr Peters, und einen guten Tag!