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IGLU-Studie: Soziale Herkunft beeinflusst Bildungschancen

Die Lesefähigkeit von Viertklässlern stand im Mittelpunkt der IGLU-Studie, deren Ergebnisse am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurden. Zwischen den einzelnen Bundesländern gibt es danach deutliche Unterschiede. Nach Ansicht der Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Eva-Maria Stange ist das dramatischste Ergebnis aber, dass die wirtschaftliche und soziale Situation von Kindern immer noch entscheidend für das Leistungsniveau ist.

    Probst: Am Telefon ist Eva-Maria Stange, sie ist Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, guten Tag.

    Stange: Guten Tag, Herr Probst.

    Probst: Bevor wir auf Einzelheiten eingehen: Es gibt ein sehr gemischtes Bild. Welches haben Sie jetzt nach dieser Studie?

    Stange: Sie zeigt noch einmal, was wir nach der IGLU-Studie, der internationalen Vergleichsstudie im Grundschulbereich schon festgestellt haben. Unsere Grundschulen, unsere Kolleginnen und Kollegen dort leisten eine sehr gute Arbeit. Es gelingt ihnen offenbar viel besser als dann in weiterführenden Schulen, die differenzierten Eingangsniveaus der Schüler weitgehend auszugleichen, nicht vollständig, aber es gelingt ihnen die individuelle Förderung sehr gut, so dass wir hier auch im internationalen Mittelfeld ganz gut liegen.

    Probst: Da haben wir in der ersten Studie auch gelegen, aber wenn Sie sagen, das gelingt ihnen, gelingt es Ihnen ja anscheinend nicht überall.

    Stange: Wir haben mit dieser differenzierten Studie jetzt im nationalen Rahmen einen Blick bekommen in regionale Unterschiede. Das sind zumindest für sechs Länder Unterschiede, wobei man feststellen muss, dass mit deutlichem Abstand Bremen zu den anderen Ländern liegt, und es ist jetzt an der Zeit, zu schauen, warum es diese Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern gibt, wo die Ursachen liegen. Ich denke, das Dramatischste in den Ergebnissen ist eigentlich nach wie vor die Herkunft, die wirtschaftliche und soziale Situation der Kinder, egal in welchem Land nun, entscheidend über das Leistungsniveau in der vierten Klasse ist.

    Probst: Wieso ist das in anderen Bundesländern offensichtlich nicht der Fall? Da gibt es die verschiedenen Bevölkerungsgruppen ja genauso.

    Stange: Es ist in allen Bundesländern der Fall, auch in denen, die sich jetzt nicht an der vertiefenden Studie beteiligt haben und das ist auch schon Ergebnis der PISA-Studie gewesen. Auch bei den 15jährigen schlägt die soziale Herkunft, ob ein Kind aus einer Arbeiter-, Akademiker, einer Familie mit ausländischem Hintergrund kommt, enorm auf die Leistungsmöglichkeiten durch, und es gelingt den Schulen heute noch nicht ausreichend, diese individuellen Unterschiede auszugleichen. Im Gegenteil, durch die Schulempfehlung am Ende der vierten Klasse wird dieser Unterschied sogar noch mal verstärkt.

    Probst: PISA liegt nun schon zurück, jetzt die neue Studie. Um bei den "Problemfällen" Bremen und Brandenburg zu bleiben - die sind seinerzeit auch schon aus dem Rahmen gefallen.

    Stange: Ich denke, es ist an der Zeit, ein bisschen genauer hinzuschauen und ich finde es gut, dass Brandenburg zum Beispiel eine Expertenkommission einrichten will, um mal die Ergebnisse auf ihre Ursachen zu untersuchen. Bei Bremen wissen wir, dass die soziale Situation ganz anders ist und verschieden zu der in Baden-Württemberg. Wir haben in Bremen eine wesentlich höhere Arbeitslosenquote, sie ist fast so hoch wie in Brandenburg, einen sehr hohen, den höchsten bundesweit, an Langzeitarbeitslosen und den höchsten Migrantenanteil von Kindern im schulfähigen Alter, auch im Verhältnis zu allen anderen Ländern. Hier muss die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik Hand in Hand gehen mit einer veränderten Bildungspolitik, um die Situation in Bremen in Griff zu kriegen. Hier reicht es nicht aus, wenn man in Bremen jetzt vielleicht eine Stunde Mathematik oder Deutsch draufsattelt. Das würde das Problem auf keinen Fall lösen.

    Probst: Was könnte aber konkret die Schulpolitik über diese zusätzliche Stunde, die nicht ausreicht, wie Sie sagen, tun?

    Stange: Zunächst muss man genau hinsehen, welche Schulen hier in die Untersuchung miteinbezogen worden sind und welchen Background die Kinder haben. In sozialen Brennpunktschulen - und die scheinen in Bremen gehäuft in die Studie einbezogen worden zu sein - brauche ich eine viel stärkere intensive Betreuung durch Lehrkräfte, wesentlich kleinere Gruppen, Sozialarbeiter in diesen Bereichen, weil Kinder hier mit Lebensproblemen kommen, nicht nur mit Lernproblemen. Die schlagen sich dann durch in der geringeren Leistungsfähigkeit. Das ist das eine. Wir brauchen wahrscheinlich auch mehr an Unterricht in Bremen, den Unterschied haben wir gehört: ein Dreiviertelschuljahr, wenn man allein die Unterrichtszeit nimmt. Das sind einige Dinge, die in Bremen sicherlich zu überdenken wären.

    Probst: Da mutet es in diesem Zusammenhang schon etwas seltsam an, dass Bremen eine der wenigen Eliteuniversitäten in Deutschland hatten.

    Stange: Natürlich mutet das sehr seltsam an, zumal diese Uni mit erheblichen staatlichen Mitteln gefördert wird und dieses Geld würde dringend gebraucht, sowohl im Kindertagesstättenbereich um Erziehrinnen auf diese sehr schwierige soziale und kulturelle Situation in Bremen vorzubereiten und auf der anderen Seite auch den Grundschulen eine größere Stärkung zu geben.

    Probst: Was machen denn beispielsweise die Südländer besser, haben die mehr Lehrer, kleinere Klassen?

    Stange: Sicherlich mehr Lehrer, vor allem auch jüngere, haben wir in der Statistik festgestellt. Baden-Württemberg und Bayern haben in den letzten Jahren offenbar mehr Lehrkräfte eingestellt als Bremen, so dass das Durchschnittsalter der Lehrkräfte auffallend geringer ist, als in Bremen. Das wichtigste ist aber die wirtschaftliche Situation und die kulturelle. Wir haben Länder mit einer deutlich geringeren Arbeitslosenquote und das wirkt sich auf die Lebenssituation von Kindern aus. Diese haben eine wesentlich höhere Chance, Unterstützung im Elternhaus zu bekommen und auch den Sprung aufs Gymnasium oder die Realschule zu schaffen.