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Ikonenstreit im Schulzimmer

Zwar ist Rumänien theoretisch ein laizistischer Staat, doch der Einfluss der orthodoxen Kirche auf Politik und Bildungswesen lässt sich nicht leugnen. Dreimal haben Nichtregierungsorganisationen vor Gericht erfolgreich dagegen geklagt. Geändert hat sich nichts.

Von Keno Verseck | 04.03.2008
    Es geht meistens laut und lebhaft zu im Philosophieunterricht von Emil Moise. Auch an diesem Vormittag. Klasse neun des Landwirtschaftskollegs "Dr. Angelescu" in der südostrumänischen Stadt Buzau. Die Schüler müssen nicht stramm stehen, wenn Emil Moise im Klassenraum erscheint. Er diktiert wenig, dafür regt er oft zu Diskussionen an.

    Noch etwas fällt auf im Klassenraum des 39-jährigen Lehrers: An den Wänden hängen keine Ikonen. Emil Moise hat die orthodoxen Heiligenbilder abgenommen. Warum?

    "Religiöse Symbole in der Schule beeinträchtigen nicht nur die Kinder anderer Konfessionen, sondern alle Kinder, auch die orthodox-christlichen. Denn sie dogmatisieren. Das aber kann nicht Ziel der Schule sein. Mehr noch: Es ist der öffentlichen Einrichtung Schule verboten, zu dogmatisieren."

    Die Schüler starren ihren Lehrer halb ehrfürchtig, halb verwundert an. Dabei kennen sie seine Haltung zur Ikonenfrage längst, schließlich ist er damit in ganz Rumänien bekannt geworden. Seit drei Jahren streitet Emil Moise vor Gericht dafür, dass Ikonen aus Schulen abgehängt werden.

    Theoretisch sind Staat und Kirche in Rumänien strikt getrennt. In der Praxis jedoch agiert die Kirche oft wie eine Behörde für Moral und Anstand. Und natürlich bestimmt sie auch Form und Inhalt des Religionsunterrichtes weitgehend mit. Viele Menschen im Land empfinden das als normal, und lange Zeit ging es auch Emil Moise so. Bis seine Tochter Teodora vor sieben Jahren eingeschult wurde.

    "Eines Abend kam sie aus der Schule und sagte: Papa, bitte gib mir Geld, damit ich mir eine Halskette mit einem Kreuz kaufen kann. Sie erzählte, die Religionslehrerin hätte im Unterricht gesagt, dass der Teufel erscheinen und viele schlimme Sachen passieren würden, wenn man kein Kreuz trägt. Am nächsten Tag habe ich die Lehrerin sofort zur Rede gestellt. Sie sagte mir: Mit ihnen diskutiere ich nicht, ich diskutiere nur mit der Jungfrau Maria."

    Emil Moise ist an seiner Schule einer der beliebtesten Lehrer. Weniger wegen der Ikonenfrage. Die meisten Schüler stört es nicht, dass an den Wänden Heiligenbilder hängen. Aber es imponiert ihnen, dass Moise offen gegen ein ganzes System aufbegehrt. Häufig ist er Gast in Fernsehtalkshows und spricht dort auch über andere Probleme im Schulwesen: über die verbotene, aber übliche Praxis, Schüler zu züchtigen, oder über die Korruption im Bildungswesen. Unter Kollegen hat sich Moise so natürlich Feinde gemacht.

    Im Lehrerzimmer des Landwirtschaftskollegs. Manche Gesichter gefrieren, wenn Emil Moise den Raum betritt. Nur die Englischlehrerin Izabella Tudosache ist bereit, sich zu äußern.

    "Wir sehen hier eine Ikone an der Wand, und das zeigt, wie die Mehrheit über die Initiative des Kollegen Moise denkt. Ich finde, dass in jedem Klassenzimmer Ikonen hängen sollten. Die orthodoxe Religion ist die Religion der Mehrheit, und wenn Kinder anderer Konfessionen eine Ikone anschauen, passiert ihnen ja dadurch nichts."

    Ikonen haben in der Schule nichts zu suchen - ein derartiges Urteil fällten rumänische Gerichte bereits mehrmals, zuletzt vor einer Woche der Bukarester Berufungsgerichtshof. Doch die Ikonen bleiben vorerst in den Schulen - denn das Bildungsministerium weigert sich, die Urteile umzusetzen. Und statt Recht erhält Emil Moise Drohungen.

    "Der Berater des Bischofs im hiesigen Kirchenbezirk hat mir ausrichten lassen, er hätte für mich einen Platz auf dem Friedhof reserviert, er würde ihn mir gratis geben, ich solle ihn doch bitte benutzen. Die Chefin meiner Frau bekam einen anonymen Anruf, der Anrufer verlangte von ihr, meine Frau zu entlassen, weil sie in einer Familie von ungläubigen Schurken lebe, die gegen Gott kämpfen. Ähnliche Dinge sind reihenweise geschehen. Zudem werde ich oft vom Schulamt kontrolliert. Dabei verlange ich doch nur, dass das Gesetz eingehalten wird. Und der Staat hat mir ja Recht gegeben!"