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"Im Amt zu bleiben, kann geradezu ein Gebot der Stunde sein"

Der Leiter der Redaktion Religion und Gesellschaft beim Deutschlandradio Kultur, Herbert A. Gornik, spricht sich gegen einen Rücktritt von Margot Käßmann aus. Trunkenheit am Steuer sei allerdings "kein Kavaliersdelikt".

Herbert A. Gornik im Gespräch mit Gerwald Herter | 24.02.2010
    Gerwald Herter: Darf eine Bischöfin das, noch dazu, wenn sie EKD-Ratsvorsitzende ist? Margot Käßmann ist unfreiwillig in die Schlagzeilen geraten, weil sie am Wochenende betrunken am Steuer saß und eine rote Ampel überfahren hat. Gestern ist das bekannt geworden. Frau Käßmann hat die Sache bedauert, aber reicht das schon aus und wird sie in der Evangelischen Kirche unter Druck kommen? – Herbert A. Gornik kann uns Antworten geben. Er leitet die Redaktion Religion und Gesellschaft beim Deutschlandradio Kultur in Berlin, und dort bin ich jetzt mit ihm verbunden. Herr Gornik, jetzt also an Sie: Darf eine EKD-Ratsvorsitzende betrunken Auto fahren und, Verzeihung, sich dann dabei erwischen lassen?

    Herbert A. Gornik: Nein, natürlich darf sie das nicht. Aber nicht nur sie darf das nicht, sondern wir, Sie und ich, wir alle dürfen das nicht. Aber leider tun wir nicht immer das, was wir erlaubt bekommen haben, sondern wir tun auch das, was wir nicht dürfen. Also es kommt vor, es ist schlimm, das ist kein Kavaliersdelikt. Die Evangelische Kirche ist da plötzlich in eine Krise geraten, die ganz gewaltige Ausmaße hat. Das Schlimme ist ja nicht, dass sie betrunken gewesen ist. Einen übern Durst trinken kann man ja, wenn man anschließend ein Taxi nimmt, und da sieht man das auch einer Bischöfin nach. Aber sie hat billigend in Kauf genommen, dass andere Menschen verletzt werden, und das ist für alle, ob Bischöfin oder gemeiner Christ und Christin, nicht akzeptabel.

    Herter: Sie deuten es an: Es muss da auch eine Grenze geben, ab der das nicht mehr geht, ab der Frau Käßmann hätte zurücktreten müssen. Wo sehen Sie diese Grenze, wenn man EKD-Ratsvorsitzende ist?

    Gornik: Die Frage des Rücktritts ist eine sehr schwierige Frage. Sie stellt sich in meinem Verständnis erst am Ende, denn diese Problematik hat eine theologische, eine moralische und eine politische Perspektive, nämlich die politische Perspektive des Rücktritts. Die hängt damit zusammen, wie sehr das Amt beschädigt ist. Theologisch – und wir sind ja hier unter Christen erst mal in diesem Gewerbe -, da ist es ganz eindeutig. Wir haben das Priestertum aller Gläubigen. Das heißt, jeder ist für sich verantwortlich. Ich bin genauso verantwortlich für meine Taten, wie es eine Bischöfin ist. Es geht immer nach der Devise, wer wirft den ersten Stein. Wir sind alle nicht ohne Sünde, jeder von uns ist schon einmal betrunken oder nicht mehr ganz fahrtüchtig Auto gefahren. In Köln sagt man, ett hätt noch immer jot jejange. Leider stimmt der Satz ja gar nicht. Es ist eine schlimme Geschichte, es werden viele Menschen getötet im Straßenverkehr, weil Alkohol im Spiel ist. Das moralische Vorbild? – Wir suchen natürlich moralische Vorbilder, aber wollen wir Makellosigkeit? Wollen wir nur Leuchttürme haben? – Es gibt ein chinesisches Sprichwort, das heißt, am Fuße des Leuchtturms ist kein Licht. Wir brauchen menschliche Vorbilder, die uns zwar den Weg zeigen, die auf uns auch ein Licht werfen, aber die Menschlichkeit kennt eben Brüche und Blessuren und ehrlich gesagt, mir sind Menschen sehr lieb, auch Vorbilder sehr lieb, die menschliche Brüche und Blessuren haben. Da habe ich nämlich das Gefühl, das ist einer wie ich, der kennt diese Abstürze und Verwerfungen, der tut auch mal das, was er eigentlich nicht tun darf. Daraus wieder resultiert die Frage, kann jemand, der selbst in einer Sache gefehlt hat, in diesem Amt verbleiben. Das ist eine Sache, die ja Gott sei Dank wir Journalisten nicht zu entscheiden haben, sondern die Frau Käßmann sich selbst stellen wird, und gestern am späten Abend hat es eine Telefonkonferenz mit dem Rat der EKD, also mit ihren Mitstreitern im Rat der EKD gegeben. Nichts Genaues weiß man nicht, was dabei herausgekommen ist. Die Frage ist, wie weit ist sie jetzt noch glaubwürdig, und zwar nicht als Mensch, sondern als Ratsvorsitzende. Da sage ich ganz offen, wir haben immer häufig einen Reflex gehört, wenn jemand gefehlt hat in öffentlichen Ämtern, ich übernehme die Verantwortung, ich trete zurück. Mir kommt mancher Rückzug vor wie eine Flucht vor Verantwortung. Gerade "ich übernehme die Verantwortung" könnte ja bedeuten, ich zeige Reue, ich tue aktiv Buße, ich halte aber Stand diesen Vorwürfen und der Verpflichtung, die mir das Amt auferlegt, und ich werde öffentlich bekennen, auch mich zu ändern. Das ist ja auch wichtig. Aber im Amt zu bleiben, kann geradezu ein Gebot der Stunde sein. Ich denke nur, Frau Käßmann wäre gut beraten, heute vor die Kameras und die Mikrofone zu treten, denn die Aufregung im Land, auch im Protestantismus selbst, ist beträchtlich und sie sollte heute sich zu dieser Sache bekennen und öffentlich äußern.

    Herter: Herr Gornik, noch ein Wort zur Katholischen Kirche. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Zollitsch, hat der Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger gestern ein Ultimatum gestellt, sie solle ihre Aussagen korrigieren binnen 24 Stunden. Das ist doch schon außergewöhnlich, oder?

    Gornik: Ja. Das ist außergewöhnlich, aber es zeigt die große Irritation und die Verletztheit auch der katholischen Oberen, die ja nun weiß Gott im eigenen Bereich aufräumen müssen. Es zeigt die Dünnhäutigkeit, denn sie sagen, auf der einen Seite sagt die Katholische Kirche, wir haben ein eigenes Gerichtssystem (hat aber nicht funktioniert), wir haben auch ein eigenes Überwachungssystem, damit solche Fälle nicht auftreten (hat auch nicht funktioniert), und sie sagen, wir möchten uns von außen, vom Staat nicht reinreden lassen. Wir haben ja immerhin die Trennung von Staat und Kirche. Das ist ein hohes Gut. Ich meine nur, wer so im Glashaus sitzt im Augenblick, sollte sich auch anderen Vorschlägen, wie denen zum Beispiel von Leutheusser-Schnarrenberger und anderen, öffnen und eine schonungslose Durchleuchtung dieser Vorgänge vornehmen, denn so kann die Katholische Kirche - und nur so - Glaubwürdigkeit wieder zurückgewinnen.

    Herter: Informationen und Einschätzungen von Herbert A. Gornik, Leiter der Redaktion Religion und Gesellschaft bei Deutschlandradio Kultur in Berlin. Herr Gornik, vielen Dank.

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