Donnerstag, 28. März 2024

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"Im Augenblick haben die Leute überhaupt nichts"

Das starke Erdbeben hat große Teile Haitis dem Erdboden gleichgemacht. Die Hauptstadt Port-au-Prince hat es besonders hart getroffen. Die Leute brauchen Decken, Zelte und Wasser, sagt Regina Tauschek, Mitarbeiterin der Welthungerhilfe. Auch sie selbst hat "so ziemlich alles verloren".

Regina Tauschek im Gespräch mit Gerwald Herter | 15.01.2010
    Gerwald Herter: Auch den Helfern bietet sich ein Bild des Schreckens: unzählige Tote, Traumatisierte, Tausende zerstörte Häuser und Gebäude. Durch das große Erdbeben sind in Haiti Zehntausende Menschen ums Leben gekommen, Verkehrs- und Kommunikationswege wurden zerstört. Wenigstens eine gute Nachricht gibt es: die internationale Hilfe ist angelaufen. Vor Ort ist Regina Tauschek von der deutschen Welthungerhilfe. Sie lebt seit drei Jahren in Haiti. Mit ihr sind wir nun verbunden. Frau Tauschek, Sie haben sicher alle Hände voll zu tun. Was kann die Welthungerhilfe derzeit in Haiti leisten?

    Regina Tauschek: Wir sind im Augenblick dabei, uns vorzubereiten, dass wir die ersten Hilfsgüter, die bei uns eintreffen, verteilen. Wir sind gerade dabei, uns mit anderen NGOs zu koordinieren, uns abzustimmen, wie wir die Verteilung vornehmen, um sicherzustellen, dass jeder, der was braucht, so weit das natürlich möglich ist, etwas bekommt.

    Herter: An was mangelt es denn am meisten im Moment?

    Tauschek: Sie müssen sich vorstellen: die Häuser sind zusammengebrochen, es mangelt an Essen, es mangelt an Wasser, die Leute brauchen Decken, Zelte vor allem, um irgendeinen behelfsmäßigen Schutz aufzubauen.

    Herter: ... ein Dach über den Kopf zu bekommen?

    Tauschek: Ja, genau. Von einem Dach kann man noch nicht reden, es geht eher um Planen, die man behelfsmäßig vorübergehend provisorisch einmal aufstellt. Im Augenblick haben die Leute überhaupt nichts.

    Herter: Wie viele Gebäude sind denn zerstört? Ist es ein ganz großer Teil, sind es alle, oder ist es ein geringes Ausmaß?

    Tauschek: Es ist ein ganz großer Teil. Es sind nicht alle, nein, nein. Es sind nicht alle, aber es ist wirklich ein ganz großer Teil. Es sind teilweise historische Gebäude, es sind Gebäude wie Banken, Schulen, Spitäler, private Häuser.

    Herter: Frau Tauschek, sind alle Landesteile gleichermaßen betroffen?

    Tauschek: Nein, überhaupt nicht. Der Norden hat Gott sei Dank ganz wenig abbekommen. Am stärksten betroffen ist wirklich die Hauptstadt Port-au-Prince und auch der Süden. Wir haben von Jacmel gehört, dass es dort sehr viel Zerstörungen gibt, und auch in Las Cayes, aber nicht in dem Ausmaß, wie es Port-au-Prince betroffen hat.

    Herter: Was ist mit dem Telefonnetz und der Stromversorgung derzeit?

    Tauschek: Eine Katastrophe. Das macht uns auch irgendwo das ganze Leben ziemlich schwer, uns zu koordinieren. Telefonversorgung? Es gibt einige Provider, die wechseln sich irgendwie ab. Wenn nur ein Provider funktioniert, ist das ganze Netz natürlich enorm überlastet. Das heißt, es ist kaum ein Durchkommen. Wir haben teilweise Möglichkeiten über Funk, wo zumindest wir die Arbeiten unter uns verständigen können, aber mit dem Telefon ganz, ganz schwierig.

    Herter: Es gibt Berichte über Hunderte von Leichnamen, die neben Krankenhäusern oder auf Plätzen liegen. Wie groß ist die Gefahr, dass sich Seuchen ausbreiten?

    Tauschek: Die ist natürlich ganz groß, durchaus groß.

    Herter: Dieses Erdbeben hat das ärmste Land Mittelamerikas getroffen. Ein sehr großer Teil der Bevölkerung lebte schon vorher im Elend. Was bedeutet das in dieser Lage?

    Tauschek: Man kann das gar nicht beschreiben. Im September des Vorjahres gab es ja auch 1000 Tote aufgrund der ganzen Überschwemmungen in Gonaiv, und jetzt haben wir uns gedacht, endlich einmal ein bisschen mehr Ruhe, das Land kann sich ein bisschen weiterentwickeln, und jetzt kommt diese Katastrophe daher. Wir fangen irgendwie wieder von ganz vorne an in Port-au-Prince. Es ist unglaublich!

    Herter: Sie leben seit langem in diesem Land. Wie geht es Ihnen persönlich? Sind Sie auch vom Erdbeben betroffen?

    Tauschek: Ich lebe seit drei Jahren im Land. Ich bin auch betroffen. Ich habe so ziemlich alles verloren. Ich habe ein Apartment im Hotel Montana gehabt. Das Montana ist auch großteils eingestürzt. Ich habe wirklich vom Pass angefangen alles verloren.

    Herter: Auf den Fernsehbildern, die uns erreichen, sehen wir Menschen, die apathisch sind, die traumatisiert sind. Hält diese Schockstarre, wenn ich das so nennen kann, noch an?

    Tauschek: Es ist so: ganz so starr läuft es nicht mehr ab. Es hat schon begonnen mit Plünderungen. Die Leute reagieren natürlich auch auf Aufrufe. Es gab gestern zum Beispiel einen Aufruf, es gibt irgendwo eine Überschwemmung und somit Wasser. Alle Leute, obwohl sie teilweise schwer verletzt waren, haben sich auf den Weg gemacht, sind da hingelaufen, und dabei war es nur ein Gerücht, es gab dort gar kein Wasser. Menschenmassen haben sich sofort mobilisiert und sind dort hingelaufen. Plünderungen? Die Leute leben ja auf den Straßen, teilweise auf ihren Trümmern, und einfach nur deswegen, damit sie ihre Habseligkeiten in irgendeiner Form beschützen, weil sie hoffen, dass sie irgendwie an ihre Habseligkeiten noch herankommen.

    Herter: Bei dieser großen Not, Frau Tauschek, ist es da für Hilfsorganisationen, für Helfer wie Sie, gefährlich, ihre Arbeit zu tun, weil die Leute eben einfach nichts haben und sie dem Risiko unterliegen, überfallen zu werden?

    Tauschek: Na ja, das spielt immer eine Rolle. Darum ist es ganz, ganz wichtig, dass wir internationalen Organisationen ganz rasch in einer Form uns strukturieren, wie wir in einer strukturierten Weise vorgehen, um einfach die ganzen Menschenmassen zu bewältigen, was jetzt die ganze Verteilungsoperation angeht.

    Herter: Regina Tauschek war das aus Haiti, Programmadministratorin für die Welthungerhilfe. Wenn Sie spenden wollen, finden Sie Kontonummern auf unserer Website dradio.de. Das Gespräch haben wir heute Nacht aufgezeichnet.