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"Im Bereich Finanzen ist man immer der Bad Boy"

1998 ist er als jüngster Abgeordneter für die SPD in den Bundestag eingezogen - zwölf Jahre später zählt Carsten Schneider zu den Nachwuchstalenten in der deutschen Politik. Vor allem in Sachen Finanzen gilt der 34-jährige Erfurter als ziemlich clever.

Von Blanka Weber |
    Es ist einer der sengend heißen Nachmittage in der Erfurter Altstadt. Nur 100 Meter vom Domplatz entfernt hat Carsten Schneider sein Büro, eines von drei. Präsent ist er auch in Weimar und natürlich in Berlin. Den Trubel dort tauscht er gerne mit der Ruhe hier:

    "Die Erfurter sind, wie sie sind. Es geht alles seinen Gang, ist ein bisschen ruhiger. Die Leute sind okay, nicht so überkandidelt."

    Das ist er auch nicht. Kniekurze Sommerhose, T-Shirt, die Wasserflasche unter dem Arm. Er sei heute tiefenentspannt, sagt er lächelnd und macht sich quer durch die Stadt auf zum nahegelegenen Wasser, einem kleinen Flüsschen. Carsten Schneider ist SPD-Bundestagsabgeordneter, Spezialgebiet Haushalt und Finanzen. Er kennt sich mit den großen Fischen aus und als Angler mit den kleinen:

    "Mir kommt's gar nicht so sehr darauf an, dass ich etwas fange, einfach mir vorher ein Kopf zu machen, wo ich hingehe, was für ein Gewässer das ist, was für Fische es gibt."

    Unprätentiös, gerade Haltung, sportlich ... wirkt der 34-Jährige. Die braunen Haare sind quer gebürstet. Wegen seines jungenhaften Aussehens wurde er früher vom politischen Gegner oft belächelt. Beim Angeln, sagt er, findet er den Ausgleich zur Politik:

    "Das eine ist Spinnfischen, das heißt man wirft die immer wieder rein mit 'nem Blinker das ist ein bisschen aktiver und es gibt die Art, wo man einfach mit 'ner Pose oder Schwimmer das reinlegt und zwei Stunden wartet, ob 'was passiert oder nicht. Das ist die Art, wenn ich eigentlich nur meine Ruhe haben will."

    Dabei ist er nicht der Typ, der wartet, auch wenn er sich besonnen und zurückhaltend gibt. Der gelernte Bankkaufmann ist seit zwölf Jahren aktiv in der Bundespolitik. Haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, stellvertretendes Mitglied im Finanzausschuss. Er ist der Bad Boy, sagt er, denn beim Geld hört der Spaß auf:

    "Im Bereich Haushalte und Finanzen ist das anders, weil erstens ist man immer der Bad Boy, weil man nie alles erfüllen kann, was wünschbar ist, aber man kann politische Schwerpunkte setzen, indem man eben mehr Geld kriegt, das ist eine politische Kernentscheidung. Ist es Soziales, oder ist es für die Kultur oder ist es für den Straßenbau und dann ist es mit Friktion, aber auch mit Streit, aber eben auch mit Entscheidung verbunden. Mir macht das Spaß, ich muss nicht der Good Boy sein."

    Das war er auch nie. Den Gang in die Politik hatte er nie geplant. Die ausländerfeindlichen Übergriffe Anfang der 90er-Jahre in Rostock-Lichtenhagen waren sein Impuls:

    "Da hab' ich das gelesen und hab' mich so ein bissel geschämt auch als Ossi dafür und hab' mir gedacht, das kann nicht das Bild sein, erstens, dass ich für ein menschliches halte und zweitens, dass wir insgesamt abgeben sollten. Da ist mir so richtig bewusst geworden, dass man sich beteiligen muss."

    Carsten Schneider ging zu den "Jusos", erst einige Jahre später wurde er SPD-Mitglied, begann seine Lehre und hatte mit einer jungen dynamischen Gruppe Gleichgesinnter eines gemeinsam: Sie wollten nicht nur braves Anhängsel der Partei sein.

    "Ah das war verdammt schwierig für mich gewesen, eben diese ganze Kandidatur ist entstanden, da war ich 21 und wir waren ein relativ starker Block jüngerer Leute in der SPD und wollten auch den Machtanspruch stellen, also nicht nur die Plakate hängen, sondern uns inhaltlich und personell einbringen. Ich hatte nicht ernsthaft geglaubt, dass ich von der SPD aufgestellt würde, sondern es war mehr ein Achtungszeichen zu setzen: Wir sind auch da."

    Sein Freund und Mitstreiter von damals ist heute Oberbürgermeister von Erfurt. Aus dem Nachwuchs ist die mittlere Generation der SPD von heute geworden. Ein steiniger Weg, sagt Carsten Schneider, ein hartes Geschäft. Von 0 auf 100. Von Erfurt in den Bundestag, damals nach Bonn.

    "Es gab keinen Mentor. Ich bin nach Bonn gekommen, und ich war ja damals auch der jüngste Abgeordnete und es war eine extreme Medienöffentlichkeit, die mir auch viele Kollegen geneidet haben, was ich auch vollkommen nachvollziehen kann. Also die haben wahrscheinlich schon zehn Jahre Knüppelarbeit gemacht und 'was bewegt und keiner hat sich dafür interessiert und dann kommt jemand, der einfach nur jung und auch noch aus dem Osten ist, und kriegt den Exoten-Bonus."

    Der Exoten-Bonus – jung und aus dem Osten – spielt heute keine Rolle mehr in seinem politischen Leben, eher die Tatsache, dass er unkompliziert und realistisch ist. Karriere will er nicht planen. Vielleicht machen das andere für ihn, wie Peer Steinbrück, der den jungen Kollegen durchaus für geeignet hält als Bundesfinanzminister. Und: Carsten Schneider? Was will er in zehn Jahren sein?

    "Ich hab in der Politik zu viele Leute kommen und gehen sehen, die ein ganz klares Ziel und ganz klare Vorstellungen haben, was sich alles nicht erfüllt hat, ich mache das, was ich jetzt mache unglaublich gerne, ich bin auch froh, nicht in der ersten Reihe zu stehen, das kann ich nicht für ewig sagen, aber zum jetzigen Zeitpunkt bin ich einfach froh. Ich weiß einfach, wie unglaublich intensiv in der ersten Reihe das ist, dass es keinen Raum für Zeit mehr gibt. Mir ist meine Familie und meine Hobbys sehr wichtig und ich bin nicht böse drum ... hoppala."

    Ein Hund bahnt sich gerade den Weg in den Bach, macht Jagd auf Carsten Schneiders Wasserflasche.

    Zwei kleine Töchter hat er und von der Zweiten will er nun definitiv mehr mitbekommen, als von der Ersten. Gemeinsam leben sie jetzt in Berlin, wo er sich neben der Arbeit im Bundestag mehr Zeit nehmen will für die eigentlich wichtigen Momente im Leben, sagt er und lacht ...

    Weitere Teile der Serie "Wer regiert uns morgen?"

    15.7.2010
    Nebenbei möchte Geywitz polnisch lernen
    Aus der Serie: Wer regiert uns morgen?


    Homepage von Carsten Schneider