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Im Dunst der Ölfackeln

Seit der Explosion der Ölbohrplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko müssen die Menschen hilflos zusehen, wie die schlimmste Umweltkatastrophe der USA sich immer weiter ausbreitet. Doch anderswo gehört die Ölpest längst zum Alltag: In Nigeria, Afrikas führendem Öl-Land, sickern jedes Jahr Zehntausende Tonnen Rohöl ins Nigerdelta - so viel wie beim Unglück des Tankers "Exxon Valdez" vor Alaska. Poröse oder illegal angezapfte Pipelines verseuchen das Grundwasser und den Ackerboden, und auch das Atmen der Luft ist längst zu einer tödlichen Gesundheitsgefahr geworden. Vor der Verantwortung für den Umweltfluch drücken sich die großen Ölkonzerne ebenso erfolgreich wie Nigerias Politiker. Alexander Göbel bescheibt die alltägliche Ölpest im Nigeria.

Von Alexander Göbel | 11.06.2010
    Lucky Amobi steht auf seinem kleinen Acker in der Nähe von Port Harcourt - und starrt ungläubig auf den gigantischen Flammenwerfer. Die Hitze und der Lärm sind kaum zu ertragen. Mehr als 120 solcher Mega-Gasfackeln stehen im Nigerdelta, und die meisten gehören Shell, dem größten Energie-Unternehmen der Welt. Hier wird das Erdgas verbrannt, das nach oben kommt, wenn Öl gefördert wird. Eine billige Methode, um mit dem unerwünschten Nebenprodukt fertig zu werden - anderswo ist das Abfackeln längst verboten, weil Treibhausgase und krebserregende Schwermetalle frei werden:

    "Das Abfackeln ist sehr schlecht für meine Ernte - seit hier dieses große Feuer brennt, will auf meinem Feld einfach nichts mehr richtig wachsen."

    Aber das Abfackeln ist nur eine Begleiterscheinung der Ölpest im Delta. Ohne das Öl könnte es hier aussehen wie in den Everglades von Florida - ein verwunschenes Labyrinth von Wasseradern mit Mangrovensümpfen und einer reichen Tierwelt. Aber aus dem grünen Paradies ist längst eine Hölle geworden. Überall liegt ein dicker schokoladenbrauner Ölfilm auf dem Wasser, Vögel sterben, Fische gibt es hier längst nicht mehr. Klebrige Ölklumpen schwappen auf die Felder, es stinkt nach Petroleum. 6000 Kilometer Ölpipelines durchkreuzen das Nigerdelta im Zickzack - einige sind völlig veraltet, und wegen der Lecks und der immer häufigeren Öldiebstähle kommt es im Durchschnitt fünf Mal pro Woche zu einem massiven "Spill" - zu einer Öl-Havarie. Seit in Nigeria Öl gefördert wird, sind auf diese Weise viele Millionen Liter schwarzes Gold ins Wasser und in den Boden geflossen - ein Umweltdesaster, für das vor allem der Ölmulti Shell immer wieder Ärger bekommt - der Konzern fördert allein rund 40 Prozent des nigerianischen Öls: Ein mächtiger Staat im Staate, der sein Geld auf Kosten von Mensch und Umwelt verdient, sagen die Kritiker. Pressesprecher Bobo Brown von Shell Nigeria wehrt sich - und schiebt den Schwarzen Peter der nigerianischen Regierung zu.

    "In Wahrheit sind wir doch nur eine Firma - und keine Parallel-Regierung. Und Nigerias Regierung ist die Regierung eines souveränen Staates. Shells Einfluss auf die Regierung Nigerias hat seine Grenzen. Und das ist auch gut so. Denn Shell versteht sich als sozial engagiertes Unternehmen, als Corporate Citizen."

    Tatsächlich hat Shell sich schon vor langer Zeit an der Reinigung der Böden beteiligt und in den verseuchten Gebieten Schulen und Krankenhäuser gebaut. Außerdem sollen 13 Prozent der staatlichen Einnahmen aus dem Ölgeschäft angeblich zurück in die Förderregionen fließen. Ein Tropfen auf den heißen Stein, schimpfen die Bewohner, nichts als Lippenbekenntnisse. Und deswegen schlagen die Rebellen der MEND, der Befreiungsbewegung für das Nigerdelta, mit Sabotageakten und Entführungen von Ausländern zurück. Sie sind frustriert, dass sich im Delta nichts tut, dass nach dem Tod des alten Präsidenten Yar Adua auch das Amnestieprogramm ins Stocken geraten ist, dass die Ölkonzerne weitermachen wie bisher. Rund 600 Milliarden US-Dollar sollen seit Beginn der Förderung vor 50 Jahren mit Nigerias Öl erwirtschaftet worden sein. Auch der US-amerikanische Journalist Peter Maass, der Nigerias Ölregion besucht und gerade ein Buch zum Thema veröffentlicht hat, sieht Shell und die anderen Ölfirmen als Teil der Ursünde im Delta. Dennoch dürfe man nicht nur allein auf sie mit dem Finger zeigen: Nigerias Elite verdiene ebenfalls und von diesem Reichtum komme nicht bei den Bürgern an - außer giftigem Ölschlamm.

    "In Nigeria ist nicht nur Shell das Problem, Nigerias Regierung ist noch ein viel größeres. Denn sie ist nicht nur an Shell Nigeria zu mindestens 50 Prozent beteiligt, sondern auch an allen anderen Töchtern der Ölkonzerne, die im Delta operieren. Also, da können kritische Anteilseigner einfach wenig tun! Wenn diese Regierung wollte, dann könnte sie die Firmen zwingen, bei der Ölförderung entsprechende Umweltstandards einzuhalten. Und wenn diese Regierung eine bessere wäre, dann wäre auch Schluss mit dieser furchtbaren Korruption, die Millionen und Abermillionen Dollar verschlingt."

    Und vielleicht müsste dann auch Bauer Lucky Amobi nicht mehr jeden Tag barfuß in seinem Feld stehen - und den Ölschlamm wegschaufeln, der nebenan aus der alten Pipeline ausläuft - direkt auf sein Gemüse.

    " Nein, es gibt keine Hilfe. Wir haben wieder und wieder um Unterstützung gebeten - aber niemand will etwas für uns tun."


    Zum Thema:
    Schwarzes Gold, schwarze Pest
    Reihe über Auswirkungen der globalen Erdölförderung (DLF)