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"Im Finale haben sie nichts mehr zuzusetzen gewusst"

Ein Sieg von Deutschland statt Spanien im EM-Finale wäre nach Ansicht von Philipp Köster, Chefredakteur des Fußballfachmagazins "11 Freunde", ein "kleiner Treppenwitz der Fußballgeschichte" gewesen. Als konstanteste Mannschaft, die technisch den avantgardistischen Fußball gespielt habe, seien die Spanier hochverdient Europameister geworden.

Moderation: Stefan Heinlein |
    Stefan Heinlein: Spätestens nach der Vorrunde war Spanien nicht nur für Experten ein Favorit auf den Titel. Doch der Respekt vor der deutschen Tourniermannschaft war trotz der durchwachsenen Leistungen überall in Europa spürbar. Unter dem Strich jedoch Beifall für den Sieger als würdigen Europameister. Bei mir am Telefon ist nun der Chefredakteur des Fußballfachmagazins "11 Freunde" Philipp Köster. Guten Tag!

    Philipp Köster: Schönen guten Tag! Ich grüße Sie!

    Heinlein: Was überwiegt bei Ihnen, Freude über das Erreichte oder die Trauer über den verpassten Titel?

    Köster: Wenn man es zunächst fußballerisch sieht, kann man sich sicherlich freuen, dass die deutsche Nationalmannschaft das Endspiel erreicht hat. Das war mehr, als man es erwarten konnte, vor allen Dingen nach der mauen Vorrunde. Andererseits wäre es tatsächlich ein kleiner Treppenwitz der Fußballgeschichte gewesen, wenn wir dieses Finale auch noch gewonnen hätten gegen meiner Meinung nach völlig überlegenen Spanier.

    Heinlein: Ist Spanien also ein verdienter Europameister?

    Köster: Das sind sie auf jeden Fall. Einerseits, weil sie natürlich als einzige Mannschaft sehr, sehr konstant gespielt haben. Fast alle anderen Teams haben sich die kleine Schwächephase erlaubt und sind dann gleich dafür grausam bestraft worden wie beispielsweise die Holländer, aber natürlich auch die Portugiesen, die gegen uns einen schlechten Tag hatten. Insofern sind die Spanier einfach als konstanteste Mannschaft, aber auch sicherlich als die, die technisch den avantgardistischen Fußball gespielt hat, ganz, ganz verdient Titelträger.

    Heinlein: Und sind wir wirklich die zweitstärkste Mannschaft Europas?

    Köster: Nein, würde ich mal sagen. Es ist tatsächlich so, dass wir eine wirklich berauschende Partie geliefert haben gegen Portugal, eine ganz passable gegen die Polen, die gegen uns ein bisschen überfordert waren, und eine kämpferisch anspruchsvolle gegen die Türken. Ansonsten hat man eben gemerkt, dass die Mannschaft noch relativ limitiert ist, sowohl was den technischen Ausdruck angeht, aber auch die mentale Stärke, die uns ja rätselhafterweise immer wieder zugesprochen worden ist. Im Finale haben sie nichts mehr zuzusetzen gewusst. Da war der Kampfesmut, den sie noch gegen die Türkei präsentiert hat, der war dann plötzlich nicht mehr da. Insofern ist die Mannschaft in fast allen Bereichen an ihr Limit gestoßen, aber dass sie es mit diesem Limit bis ins Finale geschafft hat, ist auch aller Ehren wert.

    Heinlein: Haben Sie eine Erklärung für diese wechselhaften Leistungen, mal Welt-, mal Kreisklasse?

    Köster: Man muss da natürlich ein bisschen küchenpsychologisch werden. Einerseits ist es natürlich so, dass die Mannschaft unter großem Druck stand. Eigentlich hat jeder quasi so das Sommermärchen 2.0 oder reloaded erwartet, dass alles nahtlos so weitergeht wie unter Kliensmann. Insofern darf man den Druck nicht unterschätzen. Zum anderen war es sicher so, dass diese Mannschaft trotz allem immer noch im Werden begriffen ist. Es waren sehr, sehr viele junge Leute dabei, zum anderen natürlich auch Leute, die in ihren Vereinen nicht gespielt haben, verletzungsmäßig nicht richtig auf Touren gekommen sind. Das war glaube ich ein Konglomerat aus ganz unterschiedlichen Gründen, die es der Mannschaft relativ schwer gemacht haben. Insofern war es jedes Mal wieder ein Kraftakt, die Leistung zu bringen. Möglicherweise erklärt das auch so ein bisschen, warum das manchmal gegen Mannschaften, die spielerisch eher orientiert waren, ganz gut geklappt hat und gegen andere gar nicht.

    Heinlein: Sollte es nun, Herr Köster, zu einem Schnitt kommen? Wer sollte, wer wird weiter machen und welche neuen Namen werden künftig den Adler auf der Brust tragen?

    Köster: Die Mannschaft wird sicherlich jetzt nicht den ganz großen Schnitt machen, weil sie nicht überaltert ist. Ich denke, es gibt wenige, deren Abschied sich anbietet, wie zum Beispiel des Torhüters Jens Lehmann. Der sollte Platz machen. Mit 38 hat man quasi sein Fußball-Leben doch durchaus hinter sich, und es scharren manche der jungen Leute, gerade René Adler, aber auch perspektivisch Manuel Neu, so ein bisschen mit den Hufen. In der Abwehr wird man sich Gedanken machen müssen, ob die Verteidiger, die eher eine katastrophale EM gespielt haben, gerade wie Christoph Metzelder, das über Jahre machen sollen, oder ob man sich da noch mal umschaut. Ansonsten sind es sicherlich so kleine quirlige Leute, die auch so ein bisschen mit dem Ball umgehen, wie Marco Marien, die da perspektivisch dabei sein können. Aber ich bin mir aber auch sicher, dass in den nächsten zwei Jahren noch der eine oder andere talentierte Bursche, der jetzt vielleicht noch nicht so im Fokus steht oder noch in den Jugendauswahlmannschaften spielt, ein bisschen in den Fokus geraten wird.

    Heinlein: Aber für die WM-Qualifikation unter anderem gegen Russland sollte es reichen?

    Köster: Da sollte es auf jeden Fall reichen. Es ist natürlich auch immer kein Selbstgänger, aber auch die Russen müssen jetzt nach dem ersten starken Tournier erst einmal beweisen, dass sie diese Leistung bestätigen können. Sie haben sicherlich eine ganz beeindruckende Partie geboten. Andererseits, es kommen ja die ersten beiden weiter, und das würde uns dann doch auch ein bisschen beruhigen in Hinsicht auf die Qualifikation.