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"Im Grunde stinklangweilig"

Der österreichische Kabarettist Werner Schneyder hat sich im deutschen Wahlkampf gelangweilt. Es sei nur darum gegangen, wer der Sympathischere und wer der Glaubwürdigere sei und nicht in welcher Sache. Die Konzepte der Parteien kämen "so verwaschen oder so widersprüchlich oder so unentschieden" daher, "dass man eigentlich wahnsinnig werden könnte", so Schneyder weiter.

Moderation: Bettina Klein |
    Bettina Klein: Bald ist es geschafft: in zwei Tagen hat das Stochern im Nebel, das Befragen der Meinungsforscher und die Ungewissheit über die Zukunft unseres Landes ein vorläufiges Ende. Am Sonntag werden wir ein vorläufiges Ergebnis der Bundestagswahlen bekommen. Gönnen wir uns also einen Moment der Entspannung und einen Blick zurück auf die vergangenen Wochen des Wahlkampfes, gönnen wir uns einen Blick von außen. Am Telefon ist der österreichische Kabarettist und Publizist Werner Schneider. Haben Sie sich denn wenigstens gut unterhalten bei unserem Wahlkampf?

    Werner Schneyder: Teils teils. Also unterhaltend ist natürlich ein Spannungswert, wenn man immer mutmaßt, was könnte sich ausgehen, wer könnte die Nase vorn haben. Weniger gut unterhalten habe ich mich angesichts der Argumentationen.

    Klein: Was hätte für Sie daran unterhaltsamer sein müssen?

    Schneyder: Dass sie überhaupt vorkommen. Ich finde einen Wahlkampf letztlich natürlich beschämend und auch im Grunde stinklangweilig, wo es nur darum geht, wer ist der Sympathischere, wer ist der Glaubwürdigere und es wird nicht gesagt in welcher Sache. Es wird ununterbrochen gesagt: "Glauben Sie mir, ich lüge viel weniger als der andere und glauben Sie mir, ich habe die besseren Konzepte." Aber diese Konzepte kommen so verwaschen oder so widersprüchlich oder so unentschieden oder haben so wenig mit der Realität zu tun, dass man eigentlich wahnsinnig werden könnte.

    Klein: Wahnsinnig werden, aber ich könnte mir vorstellen, dass man als Kabarettist gerade wenn es so viel um Personen geht und die Frage, wer hat die bessere Gestik, Mimik, die besseren Kleidungsstücke, dass man da gewisserweise auch ja Stoff findet für sich selbst als Kabarettist.

    Schneyder: Ja nun bin ich kein aktiver Kabarettist mehr, aber natürlich habe ich schon diesen Denkansatz immer. Und daher sage ich auch, man sollte die Spitzenkandidaten Karten spielen lassen im Fernsehen. Da kann man jemanden wunderbar beobachten, zum Beispiel pokern, ob er verlieren kann, ob er bluffen kann, ob er kombinieren kann, ob er sich was traut.

    Klein: Wer hätte denn jeweils nach Ihrer Einschätzung die Nase vorn gehabt dabei?

    Schneyder: Ich weiß nicht, ob Frau Merkel Karten spielt, der Schröder ist sicherlich ein ganz guter Kartenspieler, da bin ich sicher. Schach traue ich ihm nicht zu.

    Klein: Merkel, Schröder als Duo, eingekuschelt in die Deutschlandfahne, so zeigt es die Wochenzeitung "Die Zeit" aus Hamburg in dieser Woche auf ihrem Titel. Was für Bilder kamen Ihnen in den Sinn, wenn Sie sich die beiden Kontrahenten angeschaut haben im deutschen Fernsehen?

    Schneyder: Ich würde so gerne das Interview führen, ich würde so gerne den Leuten sagen, also mir kommen keine Bilder in den Kopf, sondern ich würde ihnen sagen wollen: Warum sagen Sie den Leuten nicht, dass Ihre gesamte Kampagne auf zwei Grundlügen beruht. Die eine Grundlüge ist: wir brauchen Wachstum, um eine soziale Gerechtigkeit herzustellen. Um eine soziale Gerechtigkeit herzustellen braucht man überhaupt kein Wachstum, sondern man teilt das irgendwie sinnvoll auf in der Gesellschaft, was da ist. Danach kann man sich über Wachstum unterhalten und ist nicht mehr erpressbar vom rein quantitativen Wachstum zu Ungunsten des qualitativen Wachstums. Und die zweite große Lüge ist, es gibt keine Arbeitsplätze. Es gibt jede Menge Arbeitsplätze, sie werden nur besetzt von Computern, von Elektronenhirnen, von Automaten. Also muss man sich in der Gesellschaftsordnung etwas überlegen. Aber Arbeitsplätze schaffen - synthetisch - gut, da kann ich einfach den Leuten sagen: Heben Sie die Grube aus und schütten Sie sie wieder zu. Das ist Arbeitsplatzbeschaffung.

    Klein: Wenn Sie das mit dem Wahlkampf in Ihrer Heimat vergleichen, was springt Ihnen als Österreicher da als erstes ins Auge?

    Schneyder: Naja - die Deutschen können besser deutsch, das ist einmal das erste, aber das ist ja auch naheliegend. Das zweite ist, dass die Reizbarkeit wahrscheinlich eine größere ist in Deutschland. Das hängt damit zusammen, dass es eben keine normale Wahl ist, sondern eine Justament-Wahl, wo man jetzt beweisen möchte, dass man eben doch an der Regierung bleiben will. Und der andere möchte partout beweisen, er würde die bessere Regierung stellen. Das gibt der Sache so eine gewisse Verbissenheit, die sich aber nicht in Intelligenz umlegt.

    Klein: Reizbarkeit im Vergleich zu österreichischen Wahlen, aber auch im Vergleich zu anderen Bundestagswahlen in Deutschland?

    Schneyder: Ich meine schon, dass es diesmal verbissener ist. Es ist auf der linken Seite verbissener, wenn Sie denken an diesen Konflikt zwischen dieser Linkspartei und der SPD naturgemäß, es ist auf der rechten respektive konservativen Seite verbissener: Wie kann einem Stoiber dieser Ausrutscher passieren mit den ostdeutschen Wählern? Das würde in normalen Zeiten auch dem Stoiber so ein unglaublicher Ausritt nicht passieren.

    Klein: Große Koalition, kommt sie oder nicht? Das ist hier in Deutschland in diesen Tagen die Frage und die wird wahrscheinlich am Sonntagabend sich beantworten lassen, vielleicht auch erst einige Tage später, wir werden sehen. Große Koalition, das hat Österreich ja eine ganze Weile gehabt. Können Sie und das empfehlen?

    Schneyder: Nein. Nein. Das kann man niemandem empfehlen. Es gibt natürlich Konstellationen, wo man sagt, es ist das Vernünftigste. In Österreich gibt es ja so namhafte Leute, die sich nach dieser großen Koalition zurücksehnen und die haben auch dafür Argumente. In Deutschland ist es nun so, dass diese beiden großen Parteien sich so massiv festgelegt haben, dass eine große Koalition nicht in Frage kommt. Dass die ohnehin schon angekratzte Glaubwürdigkeit ja vollkommen weg wäre, wenn sie jetzt sagen würden "Also machen wir es lieber doch, im Interesse unseres Staates". Dann würde ihnen ja überhaupt keiner mehr was glauben.

    Klein: Nun sagen Politikwissenschaftler hierzulande: Das ist klar, das sagen die immer so. Und am Wahlabend werden sie sagen: Ja, liebe Leute, das hat der Wähler eben nicht anders haben wollen. Von daher gibt es wahrscheinlich doch eine ganz gute Möglichkeit, dass wir am Ende doch dabei landen.

    Schneyder: Sie haben vollkommen recht. Aber wenn wir das Ehrgefühl der beiden Protagonisten, in einem Falle eine Protagonistin, wenn das Ehrgefühl dann nicht ausreicht, zu sagen: Bitte, große Koalition, aber ohne mich, dann muss man wirklich schon seine ernsten Zweifel anmelden.

    Klein: Wenn Sie sagen, dieses Bündnis hat Österreich nicht wirklich weitergebracht, hat Österreich denn eine andere Koalition weitergebracht, wie sie jetzt in Wien an der Regierung ist?

    Schneyder: Die ist überhaupt die größte Katastrophe, die diesem Land je widerfahren ist. Die österreichische große Koalition hatte große Verdienste beim Wiederaufbau des Landes und das war eine Bündelung der demokratischen vernünftigen Kräfte, das ist nicht zu bestreiten, aber dann hat glaube ich Österreich seine beste Zeit gehabt in der Alleinregierung Kreisky.

    Klein: Unser Land, ich spreche von Deutschland, befindet sich zwei Tage vor der Wahl in so einer gefühlten Stimmung, in einer Mischung aus Lethargie einerseits, Ratlosigkeit und auch andererseits vielleicht so etwas wie Wechselstimmung, wobei man auch nicht so genau weiß, was soll jetzt eigentlich kommen. Viele Menschen sind noch unentschlossen: Die einen haben Angst vor sozialem Abstieg, die anderen vor wirtschaftlichem Stillstand. Wie kommt Ihnen dieses Deutschland vor in diesen Tagen, wenn Sie es von außen betrachten?

    Schneyder: Es betrifft nicht nur Deutschland, was ich empfinde. Ich empfinde, dass weder auf der konservativen Seite noch auf der sozialdemokratischen Seite es bündige gesellschaftspolitische Visionen gibt. Es ist, ohne eine Theorie, habe ich einmal geschrieben, ist ein Mann ein Leihgerät und diese Politiker und Politikerinnen sind alle Leihgeräte.

    Klein: Da wäre natürlich die Frage: Was soll der Wähler in dieser Situation machen, er kann die Politiker, die sich zur Wahl stellen, ja nicht auswechseln, er muss sich entscheiden, er muss eine verantwortliche Entscheidung treffen am Sonntag.

    Schneyder: Er wird das machen, was er schon so oft gemacht hat in allen diesen Ländern: Er wird das von ihm als das geringere Übel empfundene Übel wählen und dann wird er immer wieder diese Wahlzelle mit dem unguten Gefühl verlassen: Ich habe zwar gewählt und ich habe mich auch wirklich entschieden, aber es war halt leider nicht mit sehr viel Freude, diese Entscheidung getroffen.