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Im Jahr der Jubiläen

In der Hauptstadt wird das "Wissenschaftsjahr Berlin 2010" ausgerufen. Anlass sind zahlreiche runde Geburtstage von hier ansässigen Institutionen für Forschung und Lehre, wie beispielsweise der Humboldt-Universität, die vor 200 Jahren gegründet wurde.

Von Bettina Mittelstraß | 21.01.2010
    "Das erste Jubiläum ist das von 350 Jahren Staatsbibliothek. Es gäbe keine Wissenschaft in Berlin ohne Bücher. Alle entleihen Bücher, auch die Naturwissenschaftler. Das nächste Jubiläum ist: 300 Jahre arbeitet die Akademie der Wissenschaften. Leibniz wäre als Stichwort zu nennen. Die meisten berühmten Professoren der Berliner Universitäten waren auch Mitglied der Akademie. Einstein ist ein ganz berühmtes Beispiel. Und es gibt seit 200 Jahren die Humboldt-Universität. Und sie hat eine Fakultät, die ist noch älter, als sie selber, nämlich die Charité. Die wird 300 Jahre alt."

    Seit Hunderten von Jahren prägt die Wissenschaft das Gesicht Berlins. Ohne die eindrucksvollen Gebäude von Staatsbibliothek, Berlin-Brandenburgischer Akademie, Humboldt-Universität, der Charité oder aller Museen, die ihre Existenz der Forschung und Lehre verdanken, wäre Berlin-Mitte nahezu Brachland. Ein Grund mehr für die Stadt, im Jahr 2010 nicht nur die Geburtstage der einzelnen Institutionen, sondern auf Berlins Tradition als Wissenschaftsstandort aufmerksam zu machen. Der Präsident der Humboldt-Universität, Christoph Markschies:

    "Als wir das gemeinsam beschlossen hatten zu feiern, stellte sich heraus: Das Hauptgebäude der technischen Universität wird 100 Jahre alt. Der Campus Dahlem, auf dem unsere Schwesteruniversität, die Freie Universität, liegt, wird 100 Jahre alt. Und nicht zu vergessen, der letzte und wichtigste Jubilar aus der Reihe: Die Max-Planck-Gesellschaft wird in Gestalt ihrer Vorgängerorganisation, der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, 100 Jahre alt."

    Das könne man unmöglich alles alleine feiern, sagt der Mediziner Detlev Ganten, bis 2008 Vorstandsvorsitzender der Universitätsmedizin Berlin, der Charité. Das Berliner Wissenschaftssystem muss man als Ganzes betrachten, weil Forschung ohnehin nicht isoliert funktioniert. Vernetzung und interdisziplinäre Kooperation sind dafür die modernen Stichworte.

    "Ganz praktisch, um die Handwerkzeuge zu haben, brauchen wir die Zusammenarbeit. Aber auch, um die Betrachtung von außen, die wir brauchen, zu haben, brauchen wir die Zusammenarbeit. Und dann auch - das muss man auch sagen -, um das Geld für die Forschung zu bekommen. Es gibt ja praktisch kein institutionelles Geld mehr. Damit werden die Gebäude aufrechterhalten, beheizt, manchmal die Labors eingerichtet. Aber die eigentlichen Gelder kommen über Projektmittel, die werden beantragt. Das nennen wir Drittmittel, weil sie von außen rein kommen - Deutsche Forschungsgemeinschaft - und die beantragen wir gemeinsam. Und kaum ein Wissenschaftler wird erfolgreich einen Antrag stellen können zur Finanzierung seiner Forschung, wenn er nicht eine gute Kooperation mit anderen Partnern hat."

    Die Kooperation zwischen den zahlreichen Wissenschaftseinrichtungen Berlins hat Tradition. Das System ist von Beginn an zusammengewachsen - manchmal, weil schlicht dieselben Leute überall ihre Finger im Spiel hatten. Christoph Markschies über einen Netzwerker, der vor 100 Jahren die Einheit der Berliner Institutionen repräsentierte:

    "Das Beispiel ist mein eigener Lehrstuhlvorgänger: Adolf von Harnack. Eigentlich Professor wie ich für antikes Christentum. Aber Adolf von Harnack war gleichzeitig Generaldirektor der damals Königlichen, dann später Preußischen Staatsbibliothek und auch noch Professor an der Universität. Er war Chronist der Akademie der Wissenschaften. Er hat ihre große Akademiegeschichte geschrieben und schließlich hat er dem Kaiser einen Vorschlag gemacht, doch eine Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, die heutige Max-Planck-Gesellschaft zu gründen, weil er etwas verwundert darüber war, dass seine Akademiekollegen nicht bereit waren, Forschungsinstitute für Chemie und Physik zu finanzieren und immer nur Leibniz-Ausgaben machen wollten. Und dann hat der Kaiser gesagt: Dann werde du mal gleich Vorsitzender."

    So wurde der Theologe Adolf von Harnack 1911 auch der erste Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und förderte fortan die Gründung naturwissenschaftlicher Forschungsinstitute. Die ersten entstanden in Berlin-Dahlem, ein "Deutsches Oxford" am Rande der Großstadt stellte man sich vor, eine Villengegend geprägt von Spitzenforschung. Christoph Markschies:

    "Harnack hat immer gern von Großforschung gesprochen - großindustrieller Forschung. Für die war in den klassischen Wissenschaftsinstitutionen kein Platz. Und ich glaube, unsere Aufgabe heute, nun noch einmal 100 Jahre später, ist, dafür zu sorgen - es gibt das schöne Stichwort von der Versäulung des deutschen Wissenschaftssystems - dass das nicht unabhängige Säulen werden, also wie das in Berlin ja auch ist: die Max-Planck-Direktoren Professoren der Universitäten sind, munter lehren und umgekehrt im Bereich der Doktorandenmausbildung es enge Zusammenarbeit gibt."

    Die Vernetzung und Zusammenarbeit der Wissenschaft in Berlin für die Öffentlichkeit nun sichtbar zu machen, ist ein zentrales Ziel im Wissenschaftsjahr Berlin 2010.

    "'Stadt für die Wissenschaft' ist ja eine große Inszenierung der Stadt, um die Leute, die in der Stadt leben, selber darauf hinzuweisen, was Berlin für eine großartige Wissenschaftsstadt ist. Wissenschaft auf allen Feldern findet im Grunde an jeder Ecke statt. Und das ist die Idee, die wir verfolgt haben, als wir uns Kampagnen ausgedacht haben, die wir in diesem Jahr machen können - also neben den großen Veranstaltungen, die die Wissenschaftseinrichtungen ja selber machen."

    Ab morgen wird man zum Beispiel viele große, blaue Ws in den Straßen Berlins finden: W wie Wissen, sagt Wolf Kühnelt von Kulturprojekte Berlin. Es sind Hinweise auf Standorte, wo Wissen entstand und entsteht.

    "Wir wollen alle die Orten markieren, also im Stadtbild markieren, an denen, weiß ich was, Konrad Suse seinen Computer erfunden hat, oder wo Lilienthal zum ersten mal überlegt hat, wie man so einen Gänseflügel oder einen Storchenflügel übersetzen kann, dass man daraus so ein Flugwerkzeug machen kann."

    "Wenn ein Fremder oder ein Gast durch Berlin kommt, dann sieht er ja nicht die einzelnen Einrichtungen, sondern er sieht: In Berlin ist eine kulturvolle Zivilisation und Gesellschaft entstanden, die funktioniert. Und vieles davon basiert auf Wissenschaft. Es gibt keinen Bereich, der nicht irgendwo, wenn man auf den Grund geht, eine wissenschaftliche Basis hat. Der Modebereich, der Technikbereich, der Musikbereich. Also Musik können sie gar nicht mehr hören ohne Verstärker und solche Dinge. Radio und Fernsehen geht ohne Wissenschaft nicht. Autos, Verkehr, Mobilität - alles ist Wissenschaft und hat eine wissenschaftliche Grundlage, die dann angewendet wird in unterschiedlichster Weise. Das Zusammenwirken der Wissenschaft mit der Gesellschaft, auch die Verantwortung natürlich der Wissenschaft für die Gesellschaft, das wollen wir deutlich machen."

    Dafür plant Kulturprojekte Berlin kleine Wanderausstellungen mitten in Einkaufszentren, die den von Wissenschaft geprägten Alltag eines jeden beleuchten. Aber auch eine zentrale Ausstellung im Martin Gropius Bau zur Entwicklung der Wissenschaft in Berlin soll die Berliner ihrer Stadt als "Hauptstadt für die Wissenschaft" näher bringen. Detlev Ganten:

    "'Weltwissen' heißt das. Nicht, weil wir das Wissen der Welt repräsentieren, sondern weil es eine Interaktion der Wissenschaft immer mit der ganzen Welt gibt."

    Die Interaktion der Wissenschaft in Berlin jedenfalls bekommt schon zum Auftakt des Wissenschaftsjahres einen erfrischenden Impuls, sagt Christoph Markschies.

    "Wir haben eine ungeheure Chance, schlicht und einfach deswegen: Man beschäftigt sich in so Jubiläumszeiten ausführlicher mit den anderen. Ich muss morgen in der Festveranstaltung für alle Jubilare sprechen. Da wäre es schlecht, wenn ich nichts von der Charité wissen würden, wenn ich nichts von der Max-Planck-Gesellschaft wissen würde. Also man kümmert sich mehr um die anderen, man kommt näher in Kontakt, und das müssen wir alle ehrlich zugeben: Wissenschaftliche Kooperation hat häufig eine kommunikative Basis. Jemand, den sie kennen, mit dem arbeiten sie leichter und eher zusammen als mit jemandem, von dem sie nur gelesen haben."