Dirk-Oliver Heckmann: Er hatte sein politisches Schicksal damit verbunden, dass ihm eine tiefgreifende Reform des Gesundheitssystems gelingt, und das sollte unter anderem heißen der Einstieg in die Kopfpauschale. Die Rede ist von Gesundheitsminister Philipp Rösler. Nach zähen und langwierigen Verhandlungen hat heute der Bundestag die Reform beschlossen, nicht ohne zuvor jedoch heftig darüber zu streiten. Am Telefon begrüße ich den Gesundheitsökonomen Professor Jürgen Wasem von der Universität Duisburg-Essen. Guten Tag!
Jürgen Wasem: Ich grüße Sie.
Heckmann: Herr Wasem, Gesundheitsminister Rösler hatte angekündigt, ein vernünftiges Gesundheitswesen auf den Weg zu bringen, und hatte sein politisches Schicksal damit verknüpft. Wenn Sie sich jetzt in ihn hineinversetzen würden, könnten Sie mit der heute beschlossenen Reform im Amt bleiben?
Wasem: Unter den politisch überhaupt machbaren Umständen - es ist ja in der Koalition auch sehr umstritten, wie weit man da gehen soll; Seehofer ist da ja deutlich skeptischer als auch andere in der CDU -, denke ich, er hat aus seiner Perspektive das bestmögliche daraus gemacht. Das ist der mögliche Einstieg in eine Kopfprämie, das muss man so sehen. Ob sie kommt, hängt davon ab, was nach der nächsten Bundestagswahl passiert, da hat Frau Ferner völlig recht. Mehr war unter den politischen Umständen gar nicht durchsetzbar.
Heckmann: Die FDP behauptet allerdings, das sei der Einstieg in das Prämienmodell, das sei gelungen. Die CSU wiederum sagt, die sich ja immer dagegen ausgesprochen hatte, die Kopfpauschale sei verhindert worden. Was denn nun?
Wasem: Wenn man sich die Zahlen anguckt, so kann man beides in der Tat vertreten. Das ist das Spannende. Im nächsten Jahr, dadurch, dass der Beitragssatz raufgesetzt wird - das hat der Beitrag ja auch gezeigt -, und dadurch, dass zusätzlich noch zwei Milliarden mehr Bundesmittel reinfließen, ist gar kein Defizit aus dem Gesundheitsfonds. Der Zusatzbeitrag entsteht ja immer dann, wenn die Krankenkassen weniger vom Gesundheitsfonds bekommen als sie ausgeben. Im nächsten Jahr wird das Geld reichen, das heißt, im nächsten Jahr wird es gar keine neuen Zusatzbeiträge geben, sondern es wird eher so sein, dass die eine oder andere Krankenkasse, die dieses Jahr einen Zusatzbeitrag hatte, den nächstes Jahr abschaffen wird. Folglich kann die CSU mit gutem Grund sagen, nächstes Jahr gibt es gar keine Zusatzbeiträge, zumindest nicht mehr, also haben wir die Kopfprämie verhindert. Wenn man weiterdenkt und denkt, das Finanzsystem bleibt so, dann wäre es ja in der Tat so, dass alle künftigen Ausgabenanstiege wirklich über einen Zusatzbeitrag finanziert würden. Deswegen kann man genauso gut auch sagen, ab 2014, 15, 16 nähert sich das dann einem Prämienmodell.
Heckmann: Und wie wahrscheinlich ist es, dass diese Kosten dann eben steigen?
Wasem: Dass die Kosten steigen, ist, glaube ich, ziemlich wahrscheinlich. Wir sind in einer alternden Gesellschaft, der medizinische Fortschritt kostet mehr Geld, wir werden sicherlich 3, 4 Prozent Ausgabenanstieg bei den Krankenkassen jedes Jahr haben. Die Frage ist dann eben nur, wie es finanziert wird. Wenn das so bleibt, wie es jetzt im Gesetz verankert ist, würde genau dieser Ausgabenanstieg wirklich über Zusatzbeiträge finanziert werden, und die würden sich dann einer Prämie annähern. Aber man braucht sich nur vorzustellen, nach der nächsten Wahl gibt es eine andere Koalition, da kann man dann auch ganz schnell wieder in ein Modell zurückfallen, wo es keine Zusatzbeiträge gibt. Das ist wirklich noch offen.
Heckmann: Eine Entkoppelung von den Arbeitslöhnen, das war ja auch angestrebt. Ist die nicht aber mittel- und langfristig richtig, oder ist sie das Ende der Solidarität, ein Einstieg in die Drei-Klassen-Medizin, wie die Opposition behauptet?
Wasem: Ich denke, da muss man auch fair und abgewogen argumentieren. Es ist eine Illusion, wenn man glaubt, wir hätten eine paritätische gleichberechtigte Finanzierung die letzten Jahrzehnte gehabt. Weil was wir immer gehabt haben: Die Arbeitgeber haben zwar ungefähr die Hälfte des Beitrages gezahlt, aber was wir immer gehabt haben: Wenn der Arbeitgeberbeitrag zu steigen drohte, hat die Politik über ein Kostendämpfungsgesetz die Patienten belastet, indem sie zum Beispiel bestimmte Arzneimittel nicht mehr erstattet hat, indem sie die Praxisgebühr eingeführt hat. Das haben dann immer die Patienten gezahlt. Es war, denke ich, schon in der Vergangenheit realistisch nicht so, dass wir wirklich eine paritätische Finanzierung hatten.
Heckmann: Aber die Frage ist, ob dieser Prozess weitergeht?
Wasem: Nach dem Entwurf der Regierung würde das so weitergehen. Das ist ja auch wieder eine ambivalente Sache. Die setzen ja einerseits den Beitragssatz der Arbeitgeber erst mal noch mal kräftig rauf, um 0,3 Prozentpunkte, und sagen dann, der soll dann auf Dauer konstant bleiben. Ob das dann wirklich so ist, muss man mal abwarten.
Heckmann: Es soll einen Sozialausgleich geben. Niemand soll überfordert werden. Das hat Rösler versprochen. Was ist dieses Versprechen wert, auch langfristig?
Wasem: Darauf hat die Frau Bender von den Grünen ja mit Recht hingewiesen, dass das, wenn man das langfristig weiterdenkt, ein erheblicher finanzieller Batzen ist. Nach dem Koalitionsmodell würden ja zusätzliche Ausgaben über Zusatzbeiträge finanziert werden, die steigen dann relativ rasch an. Ich selber habe mal eine Modellrechnung gemacht, da liegen die 2020 schon bei 70, 80 Euro ungefähr im Monat, die Zusatzbeiträge. Das können sich die ganzen ärmeren Versicherten nicht leisten, deswegen braucht man dann den Sozialausgleich, und der wird schnell in der Tat einen zweistelligen Milliardenbetrag verlangen. Da steht im Gesetz drin, ab 2015 klären wir endgültig, wie wir das finanzieren. Das ist sozusagen ein Wechsel auf die Zukunft.
Heckmann: Herr Wasem, Sie haben gerade eben gesagt, es steht im Prinzip in den Sternen, wie es dann eigentlich nach der Bundestagswahl weitergeht, und die Opposition hat ja auch schon angekündigt, diesen Murks - Zitatende - wieder zurückzunehmen. Was aber würde das denn für das Gesundheitssystem insgesamt bedeuten, dieses Hin und Her?
Wasem: Das, finde ich, ist in der Tat eine unerfreuliche Entwicklung. Das hat ja schon mit der Großen Koalition angesetzt. Der Kompromiss, Einführung des Gesundheitsfonds, war allen klar, das wird nach der nächsten Bundestagswahl in die eine oder andere Richtung weiterbewegt, und das ist jetzt auch absehbar, wenn die nächste Bundestagswahl eine neue Mehrheit bewirkt, dass dann wieder das Rad zurückgedreht wird. Das ist nicht gut für die Krankenkassen, die eine verlässliche Planung brauchen, es ist aber auch nicht gut für die Ärzte und die Krankenhäuser, die ja irgendwie immer mit am Tropf dranhängen.
Heckmann: Und für den Versicherten?
Wasem: Ja, für den Versicherten gilt das auch. Der kriegt ständig was Neues gesagt, entweder der Beitragssatz steigt, oder du kriegst einen Zusatzbeitrag, oder dann wird der wieder abgeschafft. In der Tat würde man sich wünschen, dass man stabilere Rahmenbedingungen hätte. Aber im Moment befinden wir uns in einer unklaren Situation, weil alle wissen, wegen der Alterung der Bevölkerung brauchen wir schon eine größere Finanzreform, aber die ist eben so heftig umstritten.
Heckmann: Der Bundestag beschließt die umstrittene Gesundheitsreform. Wir haben gesprochen mit Professor Jürgen Wasem von der Universität Duisburg-Essen. Danke Ihnen für die Zeit.
Wasem: Tschüss!
Jürgen Wasem: Ich grüße Sie.
Heckmann: Herr Wasem, Gesundheitsminister Rösler hatte angekündigt, ein vernünftiges Gesundheitswesen auf den Weg zu bringen, und hatte sein politisches Schicksal damit verknüpft. Wenn Sie sich jetzt in ihn hineinversetzen würden, könnten Sie mit der heute beschlossenen Reform im Amt bleiben?
Wasem: Unter den politisch überhaupt machbaren Umständen - es ist ja in der Koalition auch sehr umstritten, wie weit man da gehen soll; Seehofer ist da ja deutlich skeptischer als auch andere in der CDU -, denke ich, er hat aus seiner Perspektive das bestmögliche daraus gemacht. Das ist der mögliche Einstieg in eine Kopfprämie, das muss man so sehen. Ob sie kommt, hängt davon ab, was nach der nächsten Bundestagswahl passiert, da hat Frau Ferner völlig recht. Mehr war unter den politischen Umständen gar nicht durchsetzbar.
Heckmann: Die FDP behauptet allerdings, das sei der Einstieg in das Prämienmodell, das sei gelungen. Die CSU wiederum sagt, die sich ja immer dagegen ausgesprochen hatte, die Kopfpauschale sei verhindert worden. Was denn nun?
Wasem: Wenn man sich die Zahlen anguckt, so kann man beides in der Tat vertreten. Das ist das Spannende. Im nächsten Jahr, dadurch, dass der Beitragssatz raufgesetzt wird - das hat der Beitrag ja auch gezeigt -, und dadurch, dass zusätzlich noch zwei Milliarden mehr Bundesmittel reinfließen, ist gar kein Defizit aus dem Gesundheitsfonds. Der Zusatzbeitrag entsteht ja immer dann, wenn die Krankenkassen weniger vom Gesundheitsfonds bekommen als sie ausgeben. Im nächsten Jahr wird das Geld reichen, das heißt, im nächsten Jahr wird es gar keine neuen Zusatzbeiträge geben, sondern es wird eher so sein, dass die eine oder andere Krankenkasse, die dieses Jahr einen Zusatzbeitrag hatte, den nächstes Jahr abschaffen wird. Folglich kann die CSU mit gutem Grund sagen, nächstes Jahr gibt es gar keine Zusatzbeiträge, zumindest nicht mehr, also haben wir die Kopfprämie verhindert. Wenn man weiterdenkt und denkt, das Finanzsystem bleibt so, dann wäre es ja in der Tat so, dass alle künftigen Ausgabenanstiege wirklich über einen Zusatzbeitrag finanziert würden. Deswegen kann man genauso gut auch sagen, ab 2014, 15, 16 nähert sich das dann einem Prämienmodell.
Heckmann: Und wie wahrscheinlich ist es, dass diese Kosten dann eben steigen?
Wasem: Dass die Kosten steigen, ist, glaube ich, ziemlich wahrscheinlich. Wir sind in einer alternden Gesellschaft, der medizinische Fortschritt kostet mehr Geld, wir werden sicherlich 3, 4 Prozent Ausgabenanstieg bei den Krankenkassen jedes Jahr haben. Die Frage ist dann eben nur, wie es finanziert wird. Wenn das so bleibt, wie es jetzt im Gesetz verankert ist, würde genau dieser Ausgabenanstieg wirklich über Zusatzbeiträge finanziert werden, und die würden sich dann einer Prämie annähern. Aber man braucht sich nur vorzustellen, nach der nächsten Wahl gibt es eine andere Koalition, da kann man dann auch ganz schnell wieder in ein Modell zurückfallen, wo es keine Zusatzbeiträge gibt. Das ist wirklich noch offen.
Heckmann: Eine Entkoppelung von den Arbeitslöhnen, das war ja auch angestrebt. Ist die nicht aber mittel- und langfristig richtig, oder ist sie das Ende der Solidarität, ein Einstieg in die Drei-Klassen-Medizin, wie die Opposition behauptet?
Wasem: Ich denke, da muss man auch fair und abgewogen argumentieren. Es ist eine Illusion, wenn man glaubt, wir hätten eine paritätische gleichberechtigte Finanzierung die letzten Jahrzehnte gehabt. Weil was wir immer gehabt haben: Die Arbeitgeber haben zwar ungefähr die Hälfte des Beitrages gezahlt, aber was wir immer gehabt haben: Wenn der Arbeitgeberbeitrag zu steigen drohte, hat die Politik über ein Kostendämpfungsgesetz die Patienten belastet, indem sie zum Beispiel bestimmte Arzneimittel nicht mehr erstattet hat, indem sie die Praxisgebühr eingeführt hat. Das haben dann immer die Patienten gezahlt. Es war, denke ich, schon in der Vergangenheit realistisch nicht so, dass wir wirklich eine paritätische Finanzierung hatten.
Heckmann: Aber die Frage ist, ob dieser Prozess weitergeht?
Wasem: Nach dem Entwurf der Regierung würde das so weitergehen. Das ist ja auch wieder eine ambivalente Sache. Die setzen ja einerseits den Beitragssatz der Arbeitgeber erst mal noch mal kräftig rauf, um 0,3 Prozentpunkte, und sagen dann, der soll dann auf Dauer konstant bleiben. Ob das dann wirklich so ist, muss man mal abwarten.
Heckmann: Es soll einen Sozialausgleich geben. Niemand soll überfordert werden. Das hat Rösler versprochen. Was ist dieses Versprechen wert, auch langfristig?
Wasem: Darauf hat die Frau Bender von den Grünen ja mit Recht hingewiesen, dass das, wenn man das langfristig weiterdenkt, ein erheblicher finanzieller Batzen ist. Nach dem Koalitionsmodell würden ja zusätzliche Ausgaben über Zusatzbeiträge finanziert werden, die steigen dann relativ rasch an. Ich selber habe mal eine Modellrechnung gemacht, da liegen die 2020 schon bei 70, 80 Euro ungefähr im Monat, die Zusatzbeiträge. Das können sich die ganzen ärmeren Versicherten nicht leisten, deswegen braucht man dann den Sozialausgleich, und der wird schnell in der Tat einen zweistelligen Milliardenbetrag verlangen. Da steht im Gesetz drin, ab 2015 klären wir endgültig, wie wir das finanzieren. Das ist sozusagen ein Wechsel auf die Zukunft.
Heckmann: Herr Wasem, Sie haben gerade eben gesagt, es steht im Prinzip in den Sternen, wie es dann eigentlich nach der Bundestagswahl weitergeht, und die Opposition hat ja auch schon angekündigt, diesen Murks - Zitatende - wieder zurückzunehmen. Was aber würde das denn für das Gesundheitssystem insgesamt bedeuten, dieses Hin und Her?
Wasem: Das, finde ich, ist in der Tat eine unerfreuliche Entwicklung. Das hat ja schon mit der Großen Koalition angesetzt. Der Kompromiss, Einführung des Gesundheitsfonds, war allen klar, das wird nach der nächsten Bundestagswahl in die eine oder andere Richtung weiterbewegt, und das ist jetzt auch absehbar, wenn die nächste Bundestagswahl eine neue Mehrheit bewirkt, dass dann wieder das Rad zurückgedreht wird. Das ist nicht gut für die Krankenkassen, die eine verlässliche Planung brauchen, es ist aber auch nicht gut für die Ärzte und die Krankenhäuser, die ja irgendwie immer mit am Tropf dranhängen.
Heckmann: Und für den Versicherten?
Wasem: Ja, für den Versicherten gilt das auch. Der kriegt ständig was Neues gesagt, entweder der Beitragssatz steigt, oder du kriegst einen Zusatzbeitrag, oder dann wird der wieder abgeschafft. In der Tat würde man sich wünschen, dass man stabilere Rahmenbedingungen hätte. Aber im Moment befinden wir uns in einer unklaren Situation, weil alle wissen, wegen der Alterung der Bevölkerung brauchen wir schon eine größere Finanzreform, aber die ist eben so heftig umstritten.
Heckmann: Der Bundestag beschließt die umstrittene Gesundheitsreform. Wir haben gesprochen mit Professor Jürgen Wasem von der Universität Duisburg-Essen. Danke Ihnen für die Zeit.
Wasem: Tschüss!