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"Im Moment deutet alles auf Konfrontationskurs"

Nach Einschätzung des ukrainischen Publizisten Juri Durkot hat Präsident Juschtschenko mit der Parlamentsauflösung seine einzige Chance genutzt, um weiteren Kompetenzverlust zu verhindern. Gleichzeitig warnte Durkot vor einer Einteilung in pro-russische und pro-europäische Kräfte. Das werde den ukrainischen Verhältnissen nicht gerecht. Vielmehr kämpften beide Lager um ihre Machtpositionen.

Moderation: Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: 2004 begann in der Ukraine die orangefarbene Revolution. Damit keimte die Hoffnung auf, wenn schon Russland immer autoritärer wird, dann kann sich die Ukraine vielleicht modellhaft entwickeln. Die letzten Nachrichten aus dem Land geben allerdings eher Anlass zu einiger Sorge. Viktor Juschtschenko, der aus der Revolution als Staatspräsident hervorging, er hat das Parlament in Kiew aufgelöst. In diesem Parlament haben seine Gegner eine Mehrheit, das pro-russische Lager. Aber die Abgeordneten bleiben einfach sitzen und bieten dem Präsidenten die Stirn.

    Über die Krise in der Ukraine möchte ich nun mit Juri Durkot sprechen. Er ist ukrainischer Publizist in Lemberg im Westen des Landes. Guten Tag Herr Durkot!

    Juri Durkot: Guten Tag!

    Meurer: Die Entscheidung von Juschtschenko, des Präsidenten, das Parlament aufzulösen, halten Sie diese Entscheidung für richtig?

    Durkot: Es war eine schwierige Situation für Juschtschenko. Ihm drohte auf jeden Fall der schleichende Machtentzug. Das haben wir schon gesehen nach der Parlamentswahl im März 2006 und nach der Bildung der Koalition. Unter Premierminister Janukowytsch hat diese Regierung versucht, immer mehr Kompetenzen vom Präsidenten wegzunehmen. Zuletzt haben sich auch Hinweise verdichtet, dass die Koalition versucht, verstärkt Abgeordnete aus den Oppositionsfraktionen abzuwerben. Die haben gedroht, eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament auf diese Weise zu Stande zu bringen, und das war natürlich eine Gefahr für den Präsidenten. Aus dieser Sicht hat Präsident Juschtschenko wohl seine einzige Chance genutzt. Ob dieser Erlass verfassungswidrig oder verfassungskonform ist, darüber streiten sich die Analysten und das Verfassungsgericht hat noch nicht sein Wort gesprochen.

    Meurer: Glauben Sie, dass es eine politisch kluge Entscheidung war?

    Durkot: Politisch bedeutet das auf jeden Fall eine Konfrontation und wir haben gesehen, wie gestern das Parlament und die Regierung darauf reagiert haben. Sowohl das Parlament als auch die Regierung weigern sich, diesen Erlass anzuerkennen. Aber diese Konfrontation in der Gesellschaft war schon auch in den vergangenen Wochen und Monaten zu spüren. Vergangenen Samstag haben in Kiew zahlreiche Anhänger sowohl des orangenen Lagers von Präsident Juschtschenko und von Julija Timoschenko als auch des weiß-blauen Lagers demonstriert und diese Konfrontation war eigentlich schon deutlich zu spüren.

    Meurer: Sehen Sie irgendeine Lösung, um dieser Konfrontation noch aus dem Wege zu gehen und irgendwie beide Seiten zu einem Kompromiss finden zu lassen?

    Durkot: Die Kompromisssuche wird auf jeden Fall ziemlich schwierig sein. Das haben auch die Versuche in den vergangenen Monaten gezeigt. Man hat immer wieder versucht, die gemeinsame Sprache zwischen der Regierung und dem Parlament auf der einen Seite und dem Präsidenten und der Opposition auf der anderen Seite zu finden. Diese Kompromisssuche ist bisher eigentlich erfolglos geblieben. Ob das in dieser Situation noch möglich ist, ist im Moment sehr schwer vorauszusagen. Auf jeden Fall deutet im Moment alles eher auf Konfrontationskurs.

    Meurer: Deutet es auch darauf hin, Herr Durkot, dass die pro-russischen Kräfte in der Ukraine stärker werden? Wenn sie im Parlament stärker werden, sind sie es vielleicht auch in der Bevölkerung.

    Durkot: Das würde ich nicht behaupten. Übrigens ist diese Einteilung in pro-russische und pro-europäische Kräfte viel zu einfach für die ukrainischen Verhältnisse. Auf jeden Fall hat heute die Regierungskoalition versucht, ihre Macht weiter auszubauen, unter anderem auch durch Schwächung des Präsidenten, was viele Beobachter auch eingeschätzt haben als verfassungswidrig auf Seiten der Regierung. Es handelt sich hier nicht so sehr darum, ob diese Kräfte jetzt pro-russisch sind oder nicht pro-russisch. Es handelt sich nur darum, dass einige politische Kräfte und im Grunde genommen egal von welchem Lager sie kommen die Befugnisse auf ihre Seite konzentrieren wollen. Also es ist eher der Machtkampf in der Ukraine, der schon seit einigen Jahren zumindest andauert.

    Meurer: Sie glauben das ist kein Machtkampf zwischen zwei Bevölkerungsgruppen, unsere Denkweise sei eine Schablone pro-westlich, pro-russisch?

    Durkot: Ich denke das ist doch ein bisschen ein Klischee. Es stimmt schon, dass der Osten eher pro-russisch orientiert ist und russischsprachig und die Zentralukraine und der Westen eher pro-westlich, obwohl die großen Städte genauso russischsprachig sind wie der Osten. Bei den Politikern geht es aber nicht immer nur um die außenpolitische Orientierung des Landes, sondern in vielen Situationen nur um die Machtposition. Das heißt sie versuchen im Grunde genommen so viele Befugnisse wie möglich in ihren Händen zu konzentrieren, ohne dass sie dabei besonders auf die Positionen achten, die sie im Wahlkampf vertreten haben.

    Meurer: Meinen Sie damit auch Präsident Viktor Juschtschenko?

    Durkot: Präsident Juschtschenko war ja sowieso in einer sehr schwierigen Situation. Argumentiert hat er seinen Erlass über die Auflösung des Parlaments mit ziemlich logischen Argumenten. Er hat gesagt, wenn jemand jetzt trotz dieses Wahlergebnisses im März 2006 eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament haben will, dann muss er sich an den Wähler wenden. Wenn der Wähler diesen Auftrag ihm gibt, dann bitte schön. Das bedeutet aber Neuwahlen. Das war jedoch das politische Argument, aber nicht das juristische Argument. Ich glaube Juschtschenko versucht auf jeden Fall auch als Figur zu gelten, die die demokratischen Grundsätze in der Ukraine zumindest im Auge behält, aber auf der anderen Seite muss man auch anerkennen: Ihm drohte in den letzten Monaten immer stärker der komplette Machtverlust.

    Meurer: Also der Westen sollte weiter Juschtschenko unterstützen und auf ihn setzen?

    Durkot: Der Westen muss auf jeden Fall die Ukraine weiter im Auge behalten. Nach dem großen Interesse während der orangenen Revolution und einige Monate danach hat man aber gespürt, dass dieses Interesse des Westens stark nachgelassen hat. Es ist aber so, dass der Einfluss des Westens in der Ukraine heute immer noch viel stärker ist als das Interesse des Westens an diesem osteuropäischen Land.

    Meurer: Schönen Dank! - Das war Juri Durkot. Er ist Publizist in Lemberg im Westen der Ukraine, bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk. Herr Durkot, herzlichen Dank und auf Wiederhören!

    Durkot: Danke Schön. Auf Wiederhören!