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Im Sattel von Weingut zu Weingut

"Das Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde". Eine Erkenntnis, die kein Pferdefreund jemals bestreiten würde. Die Liebe zu Pferden lässt sich nun auch mit der Liebe zum Wein vereinen: eine Woche lang im Sattel auf den Spuren der berühmten Bordeaux Weine.

Von Heike Braun | 03.11.2013
    "Are you ready. Are you happy? Let‘s go."

    Seid ihr fertig? Seid ihr glücklich? Auf geht’s! Das sind die einzigen drei Sätze, die Pierre Chemineau während der gesamten Tour auf Englisch spricht. Um sicherzugehen, dass ihn alle verstehen und ihm hinterher reiten. Sein Nachname "Chemineau" heißt übersetzt: Landstreicher oder Vagabund. Fast könnte man glauben: So hat sich der Endfünfziger irgendwann einmal selbst genannt. Denn dieser Name ist Programm. Pierre Chemineau:

    "Ich mache diese Touren mit den Pferden seit 33 Jahren. Weil ich meine Freiheit brauche. Und zwar draußen, in der Natur. Wenn man auf dem Pferd sitzt, sieht man die Welt, seine Umgebung und die Landschaft mit ganz anderen Augen."

    Zwischen zehn und zwölf Reiter können an einer Tour teilnehmen. Skandinavier, Amerikaner und Deutsche lieben das Abenteuer "Wein-Reiten" besonders. Reiten können hier alle. Denn wer sechs Stunden am Tag durch Frankreich traben und galoppieren will, muss sattelfest sein. So wie Martina Rischko. Sie ist selbstständige Architektin aus Köln. Verheiratet, Mutter von zwei Kindern und die einzige Deutsche in der Gruppe. Pierre und seine Kollegin Sarah Dubreuil haben ihr ein Pferd zugeteilt. Mit dem muss Martina Rischko jetzt eine Woche lang gut auskommen:

    "Ich glaube, die finden für jeden das Richtige. Die sehen mit einem Blick, wer auf welches Pferd passt."

    Und Sara Stenberg, eine Krankenschwester aus Stockholm, fügt hinzu:

    "Es ist schon witzig, wenn ich mir vorstelle, mein eigenes Pferd sollte diese Tour mitmachen. Die würde ohnmächtig werden - bei all den Brücken und dann durchs Wasser gehen und mit der Fähre über den Fluss fahren. Die Pferde hier sind richtig gut erzogen."

    Auf dem Tisch steht immer eine gute Flasche Wein
    Das tägliche Reitpensum sind 30 bis 35 Kilometer. Mittags gibt es immer eine Pause. Entweder in einem Schlossgarten, auf einem Weingut oder mitten in der Natur. Martina Rischko:

    "Wir kommen an und dann werden die Pferde versorgt. Erst danach sind die Reiter dran. Es gibt immer zwei Sorten Salat, Brot, Aufschnitt und zum Schluss: le Fromage, den berühmten französischen Käse."

    Auf dem Tisch steht natürlich auch immer ein guter Bordeaux Wein und jede Menge Mineralwasser. Das Picknick unter freiem Himmel ist jeden Tag ein Highlight. Sarah und Pierre teilen sich die Arbeit. Einer begleitet die Reiter. Der andere fährt im Trailer und bereitet das Mittagessen vor.

    Sarah Dubreuil ist erst 25 Jahren alt. Die dunkelbraunen Augen der zierlichen Frau sind überall. Bei den Pferden, bei den Menschen, bei ihrem Hund. Nichts entgeht ihr. Als sie zum ersten Mal eine solche Tour begleitete, war sie noch ein Teenager. Inzwischen ist aus ihr ein Profi geworden:

    "Diese Touren durch die Weinberge von Bordeaux bereiten wir den ganzen Winter vor. Hotels aussuchen, anschreiben, anschauen. Das gleiche machen wir mit den Weingütern und den Schlossanlagen. Wir müssen auch abklären, wo wir entlang reiten dürfen. In Frankreich gibt es für den Wald keine Reitverbote. Aber wir reiten ganz oft über Privatgrundstücke.

    Alleine für heute haben wir 20 Besitzer gefragt, ob wir über ihre Grundstücke reiten dürfen. Einige sagen sofort ja. Andere sagen ja, wollen aber die genaue Uhrzeit wissen, wann wir vorbei reiten. Aber die meisten freuen sich einfach nur uns zu sehen und rufen: Die Pferde kommen, die Pferde kommen!"

    Der Pferdehänger ist inzwischen für Sarah Dubreuil zu einem zweiten Zuhause geworden. Angehängt wird er an den Trailer. Dort können Sättel und Zaumzeug verstaut werden. Häufig sieht man Sarah in der Mittagspause hier sitzen und Zaumzeug flicken. Sie übernachtet sogar im Pferdehänger. Auf einem Klappbett, Marke Eigenbau, das fest unter der Decke installiert ist. Das macht sie nicht der Nostalgie wegen. Sondern, weil sich die Touren für sie finanziell sonst nicht lohnen.

    Rund um Bordeaux gibt es etwa 3000 Weingüter, sogenannte Châteaux. Jeden Tag werden ein oder zwei davon angeritten. Die Führungen machen die Besitzer in der Regel selbst. Gleichgültig, ob es sich dabei um einen Grafen handelt, den Besitzer eines kleinen Familienbetriebes, oder den des berühmtesten Weingutes in Frankreich:

    "Hier sind wir an der Stelle, wo unsere Weine, nachdem sie ein Jahrzehnt gereift sind, in Flaschen abgefüllt, etikettiert und in Kartons verpackt werden. Über 80 Prozent der Weine bleiben in Frankreich. Wenn wir Weine zum Beispiel nach Deutschland liefern, haben wir andere Etiketten. Damit die Deutschen die Inhaltsstoffe lesen können."

    Bei der Weinprobe werden zwei, drei Weine getestet
    Pamela und Edward Walsh sind aus Oregon, USA, angereist. Die Staatsanwältin und ihr Mann haben sich gut auf Frankreich vorbereitet. Sie lieben Pferde und gute Weine. Doch bei den Rundgängen durch die Weingüter sind sie immer wieder aufs Neue überrascht. Denn Bordeaux gilt als größtes zusammenhängendes Anbaugebiet der Welt, für Qualitätsweine. Das hat Edward Walsh offensichtlich unterschätzt:

    "Ich hätte niemals erwartet, dass es hier meilenweit nur Weinberge gibt. Weinreben, soweit das Auge reicht. Das ist fantastisch. Was ich auch nie erwartet hätte, ist, dass so viele Weine gar nicht exportiert werden. Die verlassen Frankreich gar nicht. Und wenn, dann werden sie höchstens in die benachbarten europäischen Länder geliefert. Ich hätte gedacht, es wäre einfacher, auch in den USA an einen guten französischen Wein zu kommen."

    Im Anschluss an die Führung gibt es natürlich immer eine Weinprobe. In der Regel werden zwei, höchstens drei Weine getestet. Denn danach geht es zurück in den Sattel und es heißt wieder:

    "Are you ready? Let’s go!"

    Auf der Strecke liegen Cadillac und Stain Émilion. Cadillac wurde im 13. Jahrhundert von den Engländern erbaut. In den USA ist dieser französische Ort fast so bekannt wie Paris. Im Trab durch Cadillac zu reiten, begeistert aber alle. Denn das ist keine Filmkulisse, sondern erlebte Geschichte.

    Ende des 17. Jahrhunderts gab es in Cadillac einen Landarbeiter, der nach Amerika auswanderte. Dort angekommen nannte er sich "Sieur de Cadillac" und machte als angeblicher "Herr von Cadillac" Karriere. Er gilt als Mitbegründer der US-Autostadt Detroit. Nach ihm wurde später sogar eine Automarke benannt.

    Das UNESCO-Weltkulturerbe Saint Émilion wird zu Fuß erkundet. Die Stadt ist im 8. Jahrhundert von dem Benediktinermönch und Eremiten Emilius gegründet worden. Eine historische Rarität ist die berühmte Felsenkirche, zu der ein imposanter Kirchturm gehört. Auf den kommt aber nur, wer den Schlüssel dafür hat. Wer in Frankreich nicht zu einer Reisegruppe gehört, steht oft vor verschlossenen Türen. Die Reiseleiter schließen die Sehenswürdigkeiten auf und hinter ihrer Gruppe wieder zu.

    Nachdem sich die Tore zum Kirchturm von Saint Émilion geöffnet haben, müssen noch knapp 150 Treppenstufen bewältigt werden. Dabei stellt sich heraus, dass Reiter ganz schnell außer Atem geraten, wenn sie auf ihre eigenen Füße angewiesen sind.

    Die Pferde sind die Tour gewohnt
    Doch schon bald sitzen alle wieder im Sattel. Dort wo sie sich am wohlsten fühlen. Besonders Anne Guttormsen . Sie ist mit drei Freundinnen aus Norwegen angereist. Anne gehört zur Volksgruppe der Samen, die schon in der Jungsteinzeit als Jäger, Sammler und Fischer in Skandinavien lebten. Die Lehrerin für Landwirtschaftskultur hat - für ihren Traum - die längste Anreise in Kauf genommen:

    "Ich wohne in Finnmark. Das ist der nördlichste Punkt von Norwegen an der Grenze zu Finnland. Schon die Fahrt nach Oslo dauert zwei Tage. Zusammen mit meinen Freundinnen habe ich die Reise geplant. Da haben wir noch zusammen studiert. Frankreich, Pferde, Wein, das sind alles Dinge, die wir Norweger so lieben. Ich sitze einfach nur hier, schaue mir den Unterschied an zwischen Norwegen und Frankreich und genieße mein Leben."

    Die Gruppe ist auf dem Weg zu einem kleinen Landhotel. Denn auf dieser Tour übernachtet nur Sarah Dubreuil im Pferdehänger. Alle anderen in Hotels, Pensionen oder Gutshöfen. Dort gibt es dann auch immer eines der berühmten französischen 4-Gänge-Menüs. Die letzte Nacht wird auf einem Weingut verbracht. Um dorthin zu kommen, muss der Fluss Garonne überquert werden. Dazu werden die Pferde auf eine Fähre verladen. Martina Rischko:

    "Unglaublich alle Pferde blieben ganz ruhig. Obwohl die Fähre sehr laut war, zuckten die nicht mit der Wimper. Das hat mich wirklich tief beeindruckt."

    Dann entdeckt Martina Rischko, die Architektin aus Köln, plötzlich ein Preisschild auf der Fähre:

    "Da steht tatsächlich Pferd 7 Euro 80. Das ist mit Reiter. Für Autos muss der Fahrer extra zahlen. Sehr interessant."

    Am anderen Ufer angekommen, heißt es für die Reiter: Abschied nehmen von den Weinbergen Bordeaux. Ein letztes Mal geht es in den Sattel, um zum Hotel zu reiten. Ein letztes Mal heißt es:

    "Are you ready. Are you happy? Let‘s go."


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