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Im Schatten des Haushalts

Die Tugend des Sparens wiederentdecken - besonders für den öffentlichen Haushalt, das fordert der ehemalige Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof von der Politik. Für den Anfang schlägt er vor: weniger Steuervergünstigungen.

Paul Kirchhof im Gespräch mit Jürgen Liminski |
    Jürgen Liminski: Wenn Studenten pleite sind, hört man schon mal Ausdrücke wie "ich habe nur noch Licht im Kühlschrank". Bei der Politik ist das anders. Dort sind die Geldschränke voll, aber im Schatten. Von Schattenhaushalten wird dann gesprochen. Sind solche Haushalte verfassungskonform und wie könnte man die Wahlversprechen einhalten, ohne Tricks im Dunkeln? In einem Gespräch mit dem Direktor des Instituts für Finanz- und Steuerrecht der Universität Heidelberg und früherem Richter am Bundesverfassungsgericht, Professor Paul Kirchhof, wollen wir nun etwas Licht in diese Fragen bringen. Zunächst mal guten Morgen, Herr Kirchhof.

    Paul Kirchhof: Schönen guten Morgen!

    Liminski: Herr Kirchhof, das Thema Schattenhaushalt ist vom Tisch, heißt es, jedenfalls für 2010, aber ab 2011 könnte das wieder aktuell werden. Dann gilt auch die Regelung zum Abbau von Schulden. Warum sind diese Nebenhaushalte in einem Jahr verfassungskonform und im nächsten nicht?

    Kirchhof: Das Problem der Nebenhaushalte ist in jedem Jahr das gleiche. Es ist zunächst einmal gut, dass die Schattenhaushalte fürs nächste Jahr vom Tisch sind, denn sie haben das Problem, dass das Parlament bei den Entscheidungen über den jährlichen Haushalt nicht genau übersieht, wie viele Ausgaben es zu verantworten hat. Das heißt, die demokratische Verantwortung des Parlaments für den Wähler bedeutet, dass jedes Jahr im Parlament neu geprüft wird, ob die bisherigen Ausgaben zu hoch sind, ob sie zu gering sind, das heißt gegenwartsnah die demokratische Verantwortung übernommen wird.
    Außerdem braucht der Bundesfinanzminister, auch der Bundeskanzler eine vollständige Übersicht über das, was finanziell geschieht. Die Öffentlichkeit, die ja auch kontrollieren will mit ihrer Kritik, muss wissen, wie viele Ausgaben der Staat tätigt, wie viele Schulden er macht. Die Finanzplanung braucht die Daten und nicht zuletzt der Bundesrechnungshof, der die Wirtschaftlichkeit des Staatshaushaltes prüft, braucht eine vollständige Rechnung.

    Liminski: Im Konjunkturpaket hat man den Trick mit den Nebenhaushalten schon mal angewandt. Ist es nicht doch eine Art Taschenspielertrick auf hohem Niveau, oder gar eine verdeckte Insolvenzverschleppung?

    Kirchhof: Über die Insolvenz des Staates wollen wir nicht sprechen. Das wäre, glaube ich, zu sehr dramatisiert. Aber es ist vielleicht der Versuch, durch rechtlich formale Verselbstständigung eines Teilhaushalts, damit der Einnahmen, vor allem der Schulden, diese Dinge nicht so deutlich in das Bewusstsein treten zu lassen. Allerdings wenn es einen solchen Versuch in Zukunft einmal geben sollte – ich hoffe und bin eigentlich sehr zuversichtlich, dass es das nicht gibt -, dann wird das nicht gelingen, denn man müsste etwa die Schulden aus diesem Nebenhaushalt dem Bundeshaushalt zurechnen, weil die Schuldengrenze, die ja einen ausgeglichenen Haushalt neuerdings fordert, genau wie es Cicero in Ihrem Zitat gesagt hat, Einnahmen und Ausgaben müssen ausgeglichen sein, das ist bei uns jetzt ein Verfassungsgebot, prinzipiell ohne Schulden, dieses Gebot hängt ja nicht davon ab, wo ich die Schulden formal begründet habe, sondern ob sie vom Steuerzahler, den der Bund in Anspruch nimmt, zu finanzieren sind.

    Liminski: Demnach hat das Ganze doch so etwas wie einen üblen Geruch. Fehlt es an Mut, die Schulden wirklich zu benennen?

    Kirchhof: Ich glaube, es gibt nur einen Weg. Wir müssen erstens entschieden die Schulden benennen – die Zahlen sind ja weitgehend bekannt – und zweitens: wir müssen die Tugend des Sparens gerade für den öffentlichen Haushalt wiederentdecken. Es ist verführerisch unter Menschen, die alle Geld wollen – es gibt keinen Menschen, der sagt, er habe genug Geld -, Geld bereitzustellen zu Lasten der nächsten Generation, unserer Kinder, die die Verschuldung finanzieren müssen, die sich heute noch nicht wehren können, die kein Wahlrecht haben, und wir deswegen in Üppigkeit leben und damit unsere Kinder belasten. Der Staat muss schlanker werden, er ist zu korpulent geworden, er hat zu viel an finanziellen Begünstigungen und vor allem Lenkungen vorgesehen. Das Gebot der Stunde heißt schlanker Staat.

    Liminski: Das Schuldenbremsgebot steht in der verfassungsrechtlichen Landschaft wie ein einsamer Fels. Wenn es ohne Sparen im jetzigen System nicht geht, wo würden Sie die Sparprioritäten setzen, wenn Sie sagen, ein schlanker Staat muss her?

    Kirchhof: Ich würde einmal bei der Steuer anfangen. Wir haben viel zu viele Steuervergünstigungen, Steuerlenkungen. Da haben wir in den letzten Jahren gesprochen über die Lenkung in den Film und in die Schiffe. Wir haben Verlustzuweisungsgesellschaften, also Steuervergünstigungen, wenn jemand sich beteiligt an einem Unternehmen, das Verluste macht, jedenfalls steuerliche Verluste macht. Wir hatten vom Bundesgerichtshof das Stichwort Schrottimmobilie. Da haben die Steuergesetze den Menschen angereizt, Schrott zu kaufen, also Grundstücke, die man nicht vermieten, also nicht veräußern kann. Diese Anreize zur ökonomischen Unvernunft sind schädlich, weil sie Kapital fehlleiten. Sie sind schädlich, weil einer begünstigt wird und der andere Steuerzahler deswegen mehr zahlen muss. Sie sind schädlich, weil der Bürger sich durch diese Steuerverlockungen seine Freiheit abkaufen lässt. Aus dem freien Bürger wird ein gelenkter Bürger, und das ist eigentlich für unser freiheitliches System katastrophal. Deswegen könnte der Gesetzgeber, wenn er auf diese Steuervergünstigungen und Privilegien verzichten würde – und sie sind vielfältig, hundertfach gibt es sie -, wesentlich Geld sparen und damit natürlich einmal das Steuerrecht bereinigen, die Steuersätze senken, aber auch die Haushaltsfrage entspannen. Ähnliches gilt dann für die Leistungssubventionen, wenn der Staat sagt, ich gebe dir, wenn du etwas tust, was der Staat sich erhofft, dafür Geld. Der Staat sollte mit der Macht des Gesetzes regieren, in der Rationalität der öffentlichen Sprache, und nicht so sehr mit der Macht des Geldes.

    Liminski: Die künftigen Koalitionspartner sind ja nun angetreten mit dem Anspruch, das Steuersystem zu reformieren. Sehen Sie denn Ansätze für eine strukturelle Reform, für einen großen Wurf in diesem Sinn?

    Kirchhof: Ich denke, der große Wurf ist vorgezeichnet: einmal, weil selbst der Steuerberater mit diesem komplizierten Recht nicht mehr zurecht kommt. Der kluge Steuerberater sagt, er möchte seinem Mandanten einen guten Rat geben, der ökonomisch und juristisch richtig ist. Heute muss er ihm einen Rat geben, der heute steuerjuristisch richtig ist, du sollst eine komplizierte GmbH & Co. KG gründen, die aber ökonomisch töricht ist, weil sie die Beherrschung des Unternehmens erschwert. Also alle Beteiligten des Steuerrechts, die damit arbeiten, wissen, dass dieses Steuerrecht ein Hemmnis ist für die Freiheit der Bürger. Sie müssen sich unterwerfen unter die Torheiten des Steuerrechts. Damit wird das Wachstum erschwert, weil der Unternehmermut und die Unternehmerfreiheit gefährdet ist. Und vor allem der Bürger weiß nicht mehr, was sich gehört im Steuerrecht. Er hat irgendwie das Gefühl, er muss Steuern zahlen. Wenn er cleverer gewesen wäre, wäre es ein bisschen weniger. Er wird nicht mehr nach Leistungsfähigkeit besteuert, sondern nach steuertaktischem Geschick, und das ist letztlich für das Gerechtigkeitsbewusstsein im Steuerrecht verheerend. Jeder Mensch muss wissen, was sich gehört, und diese Allgemeinwertung, die sich einprägt in das Gedächtnis der Menschen, sagen wir mal im Einkommenssteuerrecht ein Viertel für den Staat, drei Viertel für den Einkommensbezieher, die haben wir gegenwärtig nicht.

    Liminski: Die Koalitionäre segeln, wenn ich Sie vorhin richtig verstanden habe, Herr Kirchhof, verfassungsrechtlich hart am Wind. Aber der CSU-Politiker Geis hat uns eben gesagt, dass seine Arbeitsgruppe einstimmig beschlossen habe, den steuerlichen Freibetrag für Kinder auf 8000 Euro und das Kindergeld auf 200 Euro zu erhöhen. Folgt man damit nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und ist das nicht ein Stück Gerechtigkeit, das hier auch geschaffen wird?

    Kirchhof: Ja, das ist ein ganz begrüßenswerter Schritt. Er schafft Gerechtigkeit, ein Stück mehr Gerechtigkeit für die Familien. Wenn die Eltern ein Einkommen erzielen und ein Teil dieses Einkommens gehört den Kindern, weil die Eltern den Kindern unterhaltspflichtig sind, dann können die Eltern über diesen Teil des Einkommens nicht verfügen, auch nicht für Zwecke der Steuerzahlung verfügen. Also muss dieser Betrag von dem steuerbaren Einkommen abgezogen werden, und zwar in der Höhe, wie das Kind tatsächlich Geld braucht. Das Kind will heute glücklicherweise nicht nur ernährt und gekleidet werden, sondern es will in den Sportverein, es will ein Musikinstrument spielen, es will vielleicht einmal fremden Kulturen und Sprachen begegnen. All das kostet das Geld der Eltern und deswegen müssen die Freibeträge entsprechend erhöht werden. Das ist eine sehr gute Nachricht, die hoffen lässt auf die neue Regierung.

    Liminski: Noch ist sie ja nicht beschlossen. Die Parteivorsitzenden müssen das ja auch noch beschließen. Und insgesamt sind die Beschlüsse ja so unangenehm nicht, wie man insgesamt hört. Kommen die bitteren Wahrheiten noch, vielleicht nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen? Haben Sie da Befürchtungen?

    Kirchhof: Es kommt jetzt ganz darauf an, ob diese Regierung die große Reform des ganzen Finanzwesens in Anspruch nimmt, und ich glaube, das wird sie tun. Das ist das Steuerrecht, das ist natürlich die Ausgabenseite, das sind selbstverständlich die Sozialversicherungen. Jeder spürt, dass wir dort umstrukturieren müssen, dass wir auch bescheidener sein müssen. Wir werden unser hohes Niveau unseres Lebens (auch im Finanziellen) nachhaltig nur erhalten können, wenn wir bescheidener werden. Und eine mutige Politik, die dem Bürger diese Botschaft überbringt, wird verstanden. Der Politiker wird ernst genommen, weil er die Probleme anspricht und weil er verheißt, er wird sie bewältigen können.

    Liminski: Die Finanzprobleme und die Verfassungswirklichkeit, Nebenhaushalte und gerechte Steuersysteme. Das war der Finanz- und Steuerrechtsexperte und ehemalige Verfassungsrichter Professor Paul Kirchhof. Besten Dank für das Gespräch, Herr Kirchhof.

    Kirchhof: Gerne.